19.08.2016
Bundeswehreinsätze im Inneren gefährden die Demokratie
Eine Erklärung des Komitees für Grundrechte und Demokratie
Nach den Gewalttaten von München,
Ansbach und Würzburg hat Ministerin von der Leyen
angekündigt, gemeinsame Antiterror-Übungen von Bundeswehr und
Polizei noch in diesem Herbst abhalten zu wollen. Seit langem findet
ein politischer Streit um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren statt.
Über den Amtshilfe-Artikel 35 GG wurden bereits in der
Vergangenheit die Einsätze der Bundeswehr im Inneren stets weiter
ausgebaut, bis hin zu Einsätzen gegen Demonstrierende, etwa beim
G-8-Gipfel in Heiligendamm.
Bislang verbietet das Grundgesetz
Bundeswehreinsätze im Inneren bis auf wenige
Ausnahmeregelungen strikt. Amtshilfe-Einsätze dürften
höchstens mit polizeilichen Mitteln durchgeführt
werden. Vor einer Grundgesetzänderung ist man bislang
zurückgeschreckt, da die dafür notwendigen Mehrheiten
wohl nicht zustande kommen würden. Stattdessen beruft man sich
jetzt auf einen rechtlich höchst umstrittenen Plenar-Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2012 (2 PbvU 1/11).
Vor der Veröffentlichung des neuen
Weißbuches im Juli 2016 wurde noch kontrovers um eine
mögliche Grundgesetzänderung in dieser Frage
gestritten. Dann einigte sich die Koalition darauf, dass der
Verfassungsgerichtsbeschluss von 2012 eine hinreichende Grundlage sei,
um die Bundeswehr bei „terroristischen
Großlagen“ einsetzen zu können. Das
Weißbuch beruft sich ausdrücklich auf diesen
Beschluss, weswegen ihm nun erhöhte Bedeutung zukommt.
„Der Einsatz der Streitkräfte hat damit auch im
Zusammenhang mit heutigen Bedrohungslagen zur wirksamen
Bekämpfung und Beseitigung katastrophischer Schadensereignisse
in den engen Grenzen einer ungewöhnlichen Ausnahmesituation
nach der geltenden Verfassungslage seine Bedeutung.“
(Weißbuch, S. 110) Zugleich wird im Weißbuch auf
die Notwendigkeit gemeinsamer Übungen von Bundeswehr und
Polizei verwiesen.
Angesichts der konkreten Ankündigung
solcher Übungen und der Aufwertung des
Verfassungsgerichtsbeschlusses durch das Weißbuch fordert das
Grundrechtekomitee, der schleichenden Aushöhlung des
Grundgesetzes ein Ende zu setzen. Die in der deutschen Vergangenheit
begründete strikte Trennung von Militär und Polizei
muss aufrechterhalten bleiben. Die Argumentation, in Zeiten des Terrors
seien innere und äußere Sicherheit nicht mehr zu
trennen, stellt eine Scheinlegitimation für
Inlandseinsätze der Bundeswehr dar. Dem gilt es entschieden zu
widersprechen. Denn Bundeswehreinsätze mit
militärischen Waffen sind nicht nur verfassungswidrig, sondern
gefährden die Grundlagen der Demokratie.
Erinnert sei in diesem Zusammenhang daran, dass
der genannte Verfassungsgerichtsbeschluss seinerzeit höchst
umstritten war. Die öffentliche Kritik (Z.B.:
„Karlsruhe fällt
Katastrophen-Entscheidung“, Süddt. Ztg. 17.8.2012)
entzündete sich zu Recht an dem Vorwurf, die
Verfassungsrichter hätten die Verfassung nicht interpretiert,
sondern verändert. Dazu sei aber nur der Gesetzgeber befugt.
Nur Richter Gaier hatte ein abweichendes Sondervotum abgegeben, in dem
es u.a. heißt: „Das Grundgesetz in seiner
gegenwärtigen Fassung schließt den Kampfeinsatz der
Streitkräfte im Inneren mit militärischen
Waffen (…) aus. (…) Insoweit hat der
Plenarbeschluss im Ergebnis die Wirkungen einer
Verfassungsänderung“.
Die Eingrenzungen im Plenarbeschluss auf
„Ultima-Ratio“-Situationen, Schadensfälle
„katastrophischen Ausmaßes“ u.a.m. dienen
eher der Beschwichtigung der Öffentlichkeit, als dass sie eine
echte Eingrenzung bewirkten. Letztlich ist auch ein Einsatz der
Bundeswehr gegen Demonstrierende denkbar, wenn nur ein Schadensfall
katastrophischen Ausmaßes als Folge prognostiziert wird. In
Zeiten, in denen der Terrorismusverdacht u.a. durch die
§§ 129a/b auf breite Gruppen ausgeweitet wird (z.B.
PKK-Anhänger), können solche Prognosen nicht
ausgeschlossen werden.
Die Unbestimmtheit der Definitionen im
Plenarbeschluss öffnen vielmehr einer Entgrenzung für
Bundeswehreinsätze Tür und Tor. Auch hierzu noch
einmal Richter Gaier: „Es handelt sich um gänzlich
unbestimmte, gerichtlich kaum effektiv kontrollierbare Kategorien, die
in der täglichen Anwendungspraxis – etwa bei
regierungskritischen Großdemonstrationen – viel
Spielraum für subjektive Einschätzungen, wenn nicht
gar voreilige Prognosen lassen. Das ist jedenfalls bei
Inlandseinsätzen militärisch bewaffneter
Streitkräfte nicht hinnehmbar. Im Schatten eines Arsenals
militärischer Waffen kann freie
Meinungsäußerung schwerlich gedeihen.“
Köln, 17. August 2016
Martin Singe, Referent beim Grundrechtekomitee
Komitee für Grundrechte und Demokratie
e.V.
http://www.grundrechtekomitee.de/node/804
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