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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

19.07.2016

Was sagte Emil Carlebach den Offizieren der Führungsakademie der Bundeswehr?

Text seiner Ausführungen wieder da

Vor 15 Jahren starb Emil Carlebach (1914-2001). Der kommunistische Politiker und Journalist aus Frankfurt am Main, war Widerstandskämpfer und engagiertester Aktivist der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten. Legendär war sein Auftritt in der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, wo er den versammelten Offizieren vorhielt, dass die deutschen Streitkräfte noch nie zur Verteidigung des Landes im Einsatz waren, aber immer wieder in Aggressionen verwickelt. Aber was sagte er dort genau? Jetzt ist sein eigener Bericht über seine Rede und deren Wirkung wieder aufgetaucht. Er sagte:

Ungewöhnliche Diskussion mit Stabsoffizieren

Ein KZ-Häftling bei der Bundeswehr

Es war wohl das erste Mal in der r Geschichte der Bundeswehr, daß ein antifaschistischer Widerstandskämpfer, noch dazu Kommunist, Gelegenheit bekam, in der Führungsakademie der Bundeswehr seine Auffassungen darzulegen. Um es vorweg zu sagen: Alles ging höflich zu, keine der beiden Seiten hatte die Absicht, Streit zu provozieren. So, trug ich denn eine Reihe Thesen vor, die sicher nicht in das Weltbild der Offiziere paßten. So z. B.: ln den 125 Jahren ihres Bestehens - seit 1870/71 - hat die deutsche Armee niemals Deutschland verteidigt. (Sie soll es nicht einmal! Siehe unten, Generalinspekteur de Maiziere.) Wohl aber hat die deutsche Armee zwei Weltkriege ausgelöst und jedes unserer Nachbarländer (außer der Schweiz) mehrmals überfallen.

Die Berufung auf die „Tapferkeit des deutschen Soldaten” soll davon ablenken, wieso und wofür der Soldat in den Kampf geschickt wurde. Eine ununterbrochene chauvinistische Propaganda und die Drohung mit dem Kriegsgericht (100 000 Verfahren mit 30 000 Todesurteilen) zeigen, wie diese Tapferkeit erzwungen wurde. Ungezählte Dokumente beweisen, daß die Soldaten in Kampf und Tod geschickt wurden, um Fabriken, Bodenschätze und andere Reichtümer zu erobern, die dann den Banken und Industriekonzernen als Kriegsbeute übergeben wurden.

Was war der deutsche Soldat wert in den Augen seiner Vorgesetzten? Ich zitierte aus den Erinnerungen des katholischen Reichskanzlers Heinrich Brüning, was der Generalfeldmarschall und spätere Reichspräsident Hindenburg am 11. November 1931— dem Jahrestag des Waffenstillstands 1918-dem Kanzler sagte: „Ich wußte schon im Februar 1918, daß der Krieg verloren war. Aber ich wollte Ludendorff (seinen Stabschef) noch einmal gewähren lassen.” In seinen Memoiren (Stuttgart 1970) nannte Brüning es mit Recht „ungeheuerlich”, daß durch einen gewissenlosen Befehl 100 000 Menschen in den Tod geschickt wurden.

Die Offiziere hörten all das widerspruchslos an. Aber als ich den früheren Generalinspekteur der Bundeswehr, General de Maiziere, mit seiner Erklärung zitierte: „Nicht Landesverteidigung darf der Programmpunkt unserer Sicherheit heißen. Der einzige militärische Auftrag, den sie zu erfüllen vermag, (sei) Zünder zu sein für die große Explosion”, erntete ich allgemeinen Unglauben; das könne der Generalinspekteur nicht gesagt haben. Ich nannte den Offizieren die Quelle des Zitats: das Interview, das der General der FAZ am 24. Oktober 1964 gegeben hat. In jedem guten Zeitungsarchiv nachprüfbar.

Ich mußte den Offizieren die Situation jener Zeit verdeutlichen. In der Debatte über die Atomwaffen, die die Generalität mit Unterstützung von CDU, CSU und FDP verlangte, erklärte der CDU-Abgeordnete Baron Manteuffel-Szöge im Bundestag, man müsse „das Böse dort drüben mit der Atombombe ausrotten”. Auf einen Zwischenruf „Auch in Leipzig und Dresden?” erwiderte er: „Jawohl, auch in Leipzig und Dresden!” An dieser Stelle bestätigte ein älterer Offizier, daß ich richtig zitiert hatte.

Mit einer Bemerkung allerdings hatte ich unbeabsichtigt offenbar einige Gesprächsteilnehmer persönlich getroffen, Ich hatte darauf hingewiesen, daß man durch Verschweigen der Wahrheit und durch gefälschte „Informationen” ganze Völker in den Krieg treiben kann. Einige Offiziere sahen in dieser Bemerkung einen Zweifel an ihrer Intelligenz: Sie seien denkende Menschen und könnten sich in unserer Demokratie aus jeder Quelle informieren und also selbst ein Urteil bilden. Wie irrig dieser Glaube an eine Freiheit der Information ist, zeigte ich an einem aktuellen Beispiel der von Kohl/Rühe nach Jugoslawien geschickten Bundeswehrsoldaten:

Ende 1991 beschworen der damalige UN-Generalsekretär Perez de Cuellar, der holländische Vorsitzende des Europarats und der britische Vorsitzende des Jugoslawienausschusses den bundesdeutschen Außenminister Genscher, von einer voreiligen Anerkennung Kroatiens und Sloweniens Abstand zu nehmen, weil sie zu einer blutigen Explosion führen könnte. Kohl/Genscher aber beharrten auf der Herauslösung der beiden Teilrepubliken aus dem jugoslawischen Staatsverband. Genschers Außenministerium log obendrein, einen solchen Briefwechsel habe es nie gegeben. Genscher setzte sich durch, der vorhersehbare Bürgerkrieg ist seitdem im Gange.

Und die Regierung Kohl/Rühe hat nun den Vorwand, deutsche Soldaten als Friedenstruppe (Sfor) wie 1914 und 1941 zum dritten Mal nach Serbien in Marsch zu setzen. Dieser Briefwechsel wird seit 1991 - seit sieben Jahren – geheimgehalten. 1996 gelang es dem Internationalen Versöhnungsbund, den Text zu erhalten - aus dem Außenministerium der USA! Fast die gesamte deutsche Presse hat das seit zwei Jahren vorliegende Dokument unterschlagen. Deutsche Soldaten werden unter verlogenen Friedensbeteuerungen auf den Balkan geschickt. Wie soll ein noch so intelligenter Offizier sich korrekt informieren könne, wenn man ihm die notwendigen Informationen vorenthält?

Es wäre illusionär gewesen, anzunehmen, ich könnte meine Gesprächspartner in drei Stunden überzeugen. Ich wollte sie auffordern, bei jeder Information zu fragen: Wem nützt das? Zweifeln und die Wahrheit hinter den Dingen suchen - dieser Rat eines Antimilitaristen gilt immer, und vor allem gegenüber Soldaten, die Waffen haben, Mitmenschen umzubringen. Und die selbst immer in Gefahr sind, als Kanonenfutter mißbraucht zu werden.

Emil Carlebach

Aus: Unsere Zeit vom 8. Mai 1998