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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

19.07.2016

Der wahre Putschist ist Erdogan!

Von Ulla Jelpke (MdB Die Linke und VVN-BdA-Mitglied)

Dass der Militärputsch in der Türkei gescheitert war, ist erst einmal eine gute Nachricht. Mit Panzern und Bomben lässt sich keine Demokratie schaffen. Das hat gerade die türkische Geschichte oft genug bewiesen. Doch ein Sieg der Demokratie – wie jetzt von Erdogan und auch westlichen Regierungen und Medien behauptet – ist die Niederlage der Putschisten leider nicht.

Erdogan scheint vorher über die Putschpläne einer isolierten Gruppe von Offizieren informiert gewesen sein. Doch er hatte entschieden, nicht gegen sie vorzugehen, sondern sie gegen die Wand laufen zu lassen, um den Putschversuch zu seinem eigenen Vorteil zu verwandeln.

Im Namen der „Rettung der Demokratie“ finden jetzt anhand offensichtlich lange vorbereiteter schwarzer Listen Massenverhaftungen und „Säuberungen“ des Staatsapparates von jeglichen Erdogan-Kritikern statt. Über 6000 wurden bereits inhaftiert, über 9000 Beamte entlassen. Auf der Straße rufen radikale Islamisten nach der Scharia. Erdogan kündigte die Wiedereinführung der Todesstrafe an. Es gab bereits mehrere Fälle von Lynchjustiz an jungen Wehrpflichtigen. Faschisten und Dschihadisten machen Jagd auf Aleviten, Kurden und Linke. Wer jetzt die Bilder der misshandelten mutmaßlichen Putschgeneräle sieht, kann sich ausrechnen, wie es erst einem in die Hände der Sicherheitskräfte geratenen kurdischen Bauern oder einem linken Aktivisten ergehen muss.

Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte angesichts des Putsches, das Volk müsse selbst in freien Wahlen über seine Regierung entscheiden und Panzer gegen die eigene Bevölkerung seien Unrecht. So richtig diese Aussage ist, so heuchlerisch kommt sie nun daher. Denn bereits im vergangenen Sommer erklärte Erdogan die Parlamentswahlen vom Juni, die seiner AKP die absolute Mehrheit gekostet und die linke prokurdische HDP mit 13 Prozent ins Parlament einziehen ließen, zu einem „Fehler“. Doch damals beklagte Merkel keine Missachtung des Wählerwillens. Um diesen „Fehler“ bei Neuwahlen zu korrigieren, setzte Erdogan auf Krieg gegen die Kurden, mit denen zuvor noch über eine Friedenslösung verhandelt worden war. Als Panzer Cizre, Sirnak, Silvan, Nusaybin, Diyarbakir-Sur und andere kurdische Städte im Südosten der Türkei in Ruinen schossen und die Armee dort hunderte Zivilisten tötete, sprach Bundeskanzlerin nicht von „Unrecht“. Auch als im Mai die Immunität von 138 Parlamentsabgeordneten entzogen wurde, so dass jetzt insbesondere den HDP-Abgeordneten ihre Verhaftung droht, protestierte Merkel nicht dagegen.

Die Bundesregierung erklärt jetzt, die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei müsste zum sofortigen Ende der EU-Beitrittsgespräche führen. Eine solche Konsequenz legte die Bundesregierung in den letzten Monaten nicht an den Tag, obwohl insbesondere in den kurdischen Landesteilen nahezu täglich Menschen ohne formelle Einführung der Todesstrafe extralegal hingerichtet wurden und werden. Kein Wort der Kritik war zu vernehmen, als im Februar über 150 schutzsuchende Zivilisten in Kellern in Cizre von Sicherheitskräften lebendig verbrannt wurden oder Frauen und Kinder von Scharfschützen der erschossen wurden.

Um eine Präsidialdiktatur mit ihm als absoluten Herrscher zu errichten, hat Erdogan allen Sektoren der Gesellschaft, die seinen Diktaturplänen im Wege stehen, den Krieg erklärt. Oppositionelle, auch bürgerliche, Zeitungen werden dichtgemacht, Journalisten wie der mutige Can Dündar zu Haftstrafen verurteilt, Menschenrechtsaktivisten wie der Präsident der Anwaltskammer von Diyarbakir Tahir Elci erst von der AKP-Presse medial zum Abschuss freigegeben und dann von den Kräften des „tiefen Staates“ ermordet.

Der wirkliche Putschist ist Erdogan! Er muss jetzt in seinem Amoklauf gegen Demokratie und Menschenrechte gestoppt werden!

Der schmutzige Flüchtlingsdeal mit Erdogan muss sofort beendet werden! Alle Pläne von Bundesregierung und EU, die Türkei zu einem sicheren Herkunftsstaat zu erklären, müssen angesichts der jetzigen Massenverhaftungen und des Terrors gegen Oppositionelle und Minderheiten sofort vom Tisch.

Schluss mit den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei!

Die Demokratinnen und Demokraten, die freie Presse, die Arbeiterbewegung, religiöse Minderheiten wie die Aleviten und die kurdische Freiheitsbewegung in der Türkei brauchen jetzt mehr denn je unsere Solidarität. Lassen wir sie nicht allein mit dem Diktator Erdogan!

Eine weitere Erklärung aus der Fraktion "Die Linke" 

Erdogans Nacht der langen Messer

Von Sevim Dagdelen

„Die AKP-Regierung schürt in der Türkei eine antidemokratische Pogrom-Stimmung gegen Andersdenkende. Dafür wird auch die staatliche Religionsbehörde instrumentalisiert. Präsident Erdogan lässt Massenverhaftungen vornehmen, die offensichtlich lange geplant waren. Seine Schlägerbanden überfallen jetzt systematisch Büros der oppositionellen Kurdenpartei HDP und alevitische Vereinshäuser“, kritisiert Sevim Dagdelen, Bochumer Bundestagsabgeordnete Der Linken. Dagdelen weiter: „Der türkische Staatschef nutzt den gescheiterten Militärputsch zu einer ‚Nacht der langen Messer‘. Erdogan räumt brutal mit seinen Kritikern in der Türkei auf. Aus den politischen Institutionen werden all diejenigen entfernt, die im Verdacht stehen, Erdogans islamistischen Staat nicht zu einhundert Prozent zu unterstützen. Diese Säuberungen gehören zu Erdogans Masterplan auf dem Weg zur Diktatur.Schlägertrupps der AKP marodieren aber auch vor Einrichtungen von Erdogan-Kritikern in Deutschland, wie Bilder vom Wochenende belegen. Gegen AKP-Anhänger, die versuchen Andersdenkende auch in Deutschland einzuschüchtern, muss endlich rechtsstaatlich vorgegangen werden. Es ist unerträglich, dass Erdogan seine Gewaltpolitik auch hierzulande durchsetzen will.

Die Bundesregierung darf aber auch das Vorgehen Erdogans in der Türkei nicht länger tolerieren. Bundeskanzlerin Merkel muss die Hexenjagd auf Oppositionelle unmissverständlich verurteilen und endlich Konsequenzen ziehen. Die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara müssen sofort auf Eis gelegt werden. Die enge Kooperation mit Erdogans Polizei und Geheimdiensten muss sofort abgebrochen werden. Die Bundesregierung muss die deutschen Soldaten aus Incirlik abziehen und der Bundestag darf der geplanten Entsendung von AWACS-Flugzeugen in die Türkei nicht zustimmen. Zudem stellt sich die Frage, warum die Bundesregierung, die die NATO als demokratische Wertegemeinschaft betrachtet, angesichts der Gewaltpolitik Erdogans den NATO-Rat nicht einberuft. Das wären deutliche Zeichen, dass man nicht gewillt ist, den antidemokratischen Kurs Erdogans folgenlos hinzunehmen.”

Montag, 18. 07. 16