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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

18.07.2016

Ein Weißbuch gegen die Verfassung

Bundeswehreinsätze – nun doch auch im Inneren

Die Bundeswehr soll noch mehr „Verantwortung“ übernehmen, im Innern wie im Äußeren. So steht es im neuen „Weißbuch zur Sicherheitspolitik“, das von Generälen ausgearbeitet und von der Bundesregierung aus Union und SPD abgenickt wurde. Dies widerspricht dem Grundgesetz, das Angriffskriege verbietet und nur Einsätze zur Landesverteidigung zulässt.  

Von Ulrich Sander, Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten

Was heißt mehr Verantwortung?

Mehr Verantwortung heißt mehr Krieg. Und im Inneren nun Kämpfe gegen die eigene Bevölkerung durch die Bundeswehr. Hauptsächliche Begründung für die Bundeswehr im Inneren ist der „Anti-Terrorkampf“, der gemeinsam mit der Polizei eingeübt und auch geführt werden soll. Und bereits eingeübt wurde, und zwar in Großmanövern von Polizei und Bundeswehr, genannt „Frankenwarte“ und „LüKEx“. Die militärischen „Kriege gegen den Terror” haben weltweit die Gefahren nicht gebannt, sondern erhöht, und auch im Inland sieht es nicht besser aus: Denn der Terrorismus muss mit rechtsstaatlichen, auch polizeilichen Mitteln bekämpft werden.

Der Verfassungsbruch wird also fortgesetzt?

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat schon lange entgegen der Verfassung festgestellt: „Die Trennung von innerer und äußerer Sicherheit ist nicht mehr gegeben“ [Merkel in „Die Welt“ 2.7.07.]. Wo eine EU-weite Innenpolitik die nationale Innenpolitik ergänzt, bisweilen ersetzt, da kommt es zu Bundeswehreinsätzen, um die Grenzen zu schließen. Dies zunächst an den EU-Grenzen. Hier operiert die Bundesmarine, um „Schleuserbanden“ abzuwehren, was den Tod vieler Flüchtlinge bewirkt. Im Zuge der Bewältigung der Flüchtlingsströme wurde die Bundeswehr mit Tausenden Soldaten tätig – von der Registrierung bis zur Entscheidung über Anträge.

Was sagt das Bundesverfassungsgericht?

Der Plan, das Grundgesetz zu ändern, wurde von der Bundesregierung wieder fallengelassen: Nicht nötig! Das Bundesverfassungsgericht hat das Grundgesetz uminterpretiert, um Einsätze bei „katastrophischen“ Ausmaßen zuzulassen, wenn die Kanzlerin zustimmt. Das Grundgesetz wurde verändert, ohne den Wortlaut zu ändern; das ist illegal. Allerdings bleibt es auch nach dem Urteil bei vielen Einschränkungen z.B. beim Verbot „terrorverdächtige“ Flugzeuge abzuschießen. [siehe dpa 17.8.12, zitiert in der „Zeit“. Aktenzeichen des BVerG PBvU 1/11 vom 3.7.2012.]

Womit haben wir zu rechnen?

Schon jetzt wird ganz konkret der Bundeswehreinsatz bei Streiks im öffentlichen Dienst vorbereitet, wie eine Antwort der Regierung an Ulla Jelpke MdB ergab, und wir erinnern uns noch gut an den Einsatz der Bundeswehr gegen die Proteste aus Anlass des G 8-Gipfels in Heiligendamm im Jahr 2007.

Was sind die Instrumente und Strukturen?

Das Konzept der flächendeckenden Zivilmilitärischen Zusammenarbeit Inneres und ein neues Reservistenkonzept der Bundeswehr sichern die Option auf den Bundeswehreinsatz im Innern ab.

Die ZMZ-Koordinierung erfolgt auf mittlerer und unterer Ebene. Behörden der Bundesländer dürfen eigenständig Militär anfordern, und zwar per Amtshilfe nach Artikel 35 des Grundgesetzes. Dies geschah in Heiligendamm mittels „juristisch korrekter Amtshilfe“ (Bundeswehrminister Franz Josef Jung). Sogar zwei Tornados durften die Landesbehörden von Mecklenburg-Vorpommern zur „Einschüchterung der Protestler durch Tiefflüge“ (so Sprecher der SPD) anfordern, ohne dass die Bundesregierung zustimmen musste. [Spiegel online, 16. Juni 2007]

Auch gegen Streikende?

In der Antwort der Bundesregierung aus dem Jahr 2009 an den Bundestag schließt das Bundesverteidigungsministerium nicht aus, dass die ZMZ-Kommandos bei Demonstrationen zum Einsatz kommen. Dies obliege allein den Landesbehörden. Zum Militäreinsatz und Streikbruch anlässlich von Streiks im Transport-, Energie- oder Gesundheitswesen sowie bei der Müllabfuhr wird ausgesagt: Eine Entscheidung darüber sei „dem jeweiligen Einzelfall vorbehalten“. [BT-Drucksache 16/13847 vom 26. August 2009]

Was sind das, die „Kommandostäbe“?

Es existieren seit 2006 militärgeführte Kommandostäbe – Kreis- und Landeskommandos –, die von allen Kommunen und Landkreise klaglos hingenommen wurden. Dafür wurden Räume in den Rathäusern und Landratsämtern geschaffen. Ein Oberstleutnant führt das Kommando über die Verwaltung, die Feuerwehr, den Technischen Hilfsdienst, die Polizei, ferner Amt für Bevölkerungsschutz und Amt für Migration und Flüchtlinge sowie Rotes Kreuz und weitere Hilfsorganisationen. Insgesamt sind es 441 Kommandos – bestehend aus jeweils zwölf ständig einsetzbaren Reservisten –, die in sämtlichen kreisfreien Städten, Landkreisen und Regierungsbezirken eingerichtet worden sind. Sie stehen unter dem Kommando der Bundeswehrführung und haben kurzfristig Zugriff auf weitere rund 80.000 bis 100.000 speziell ausgebildete Reservisten. Eingebunden in die zivilen Katastrophenschutzstäbe, erhalten sie Einsicht in die Bereitschaftsstände von zivilen Behörden, Polizei, technischem Hilfswerk und Feuerwehr. Sie sollen vor allem den Katastrophenschutz verbessern. [Lt. BT-Drucksache 16/13847und Pressemitteilung der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke vom 1. September 2009]

Und diese Reservistenarmee bildet den „Heimatschutz“ - wozu?

Diese Reservistenarmee bildet den „Heimatschutz“, bestehend aus einer Reservistenarmee, die kurzfristig bereit steht. Es wurde bekanntlich die Wehrpflicht abgeschafft, aber die Wehrpflicht der Reservisten wurde beibehalten, ja sogar bis zum Lebensalter von 60 Jahren erweitert. Diese Leute stehen z.B. beim Streikbruch durch Einsatz von Soldaten im öffentlichen Dienst bereit. Und sie üben schon mal die Bekämpfung von Demonstranten. Bewaffneter Kampf gegen Demonstranten wird in großem Umfang in letzter Zeit durch die Polizei eingeübt und praktiziert, wenn es gilt die Aufmärsche der Nazis zu schützen. Während den Bürgern ihr Versammlungsrecht genommen wird, werden die Nazis umfassend von der Polizei beschützt, obgleich Artikel 139 des Grundgesetzes Nazipropaganda verbietet.

Krieg gegen den Terror – nun auch im Inland?

Der Terrorismus wird als Begründung für die Militarisierung der Polizei und die Polizeiähnlichkeit der Truppe herangezogen. Der  „Krieg gegen den Terror“ wird auch von deutschem Boden und auf deutschem Boden geführt: Die SPD-regierten Länder Rheinland-Pfalz und NRW lassen unwidersprochen Kampfdrohnenkriege von ihrem Gebiet zu bzw. dulden ihre Vorbereitung in Ramstein und Kalkar/Niederrhein. Nie aufgeklärt wurde ein Absturz eines „Terroristenflugzeugs“ auf NRW-Territorium am 23. Juni 2014 im Sauerland nach einem Zusammenstoß mit Bundeswehrflugzeugen; alle drei Flugzeuge wurden von Kalkar aus dirigiert. [http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/1294_zeitbomben_in_der_luft.htm]

Bundeswehr im Innern, das heißt doch Abbau der Bürgerrechte?

Der Abbau der Freiheitsrechte – auch der mittels Einsatz der Bundeswehr im Innern – wird wie gesagt allgemein mit dem Krieg gegen den Terror begründet, der von außen in unser Land getragen werde. Ausdrücklich heißt es in Bundeswehrpublikationen, die Bundeswehreinsätze im Innern dienten nicht nur der Bekämpfung von Naturkatastrophen und der Hilfe bei Unglücksfällen, sondern auch dem Kampf gegen den Terrorismus, worunter das Vorgehen gegen die außerparlamentarische Opposition, zu verstehen ist. [lt. Information für die Truppe 3/2002] Laut „Information für die Truppe“ heißt der Kampfauftrag: Gegen „Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner“.  Ein Foto in der „Europäischen Sicherheit“ zeigt „Soldaten des JgBtl 292 bei der Ausbildung gegen Demonstranten“; die „Demonstranten“ haben Arbeitskleidung an.

Hat das alles auch mit Cyber-Krieg und mehr Militarisierung zu tun?

Beim Thema Bundeswehr im Inneren darf dreierlei nicht übersehen werden:

  • Es wird eine neue Waffengattung geschaffen werden, die der Cyber-Krieger. Sie beteiligen sich an der großflächigen Überwachung der Bevölkerung mit modernsten elektronischen Mitteln sowie an der Beseitigung von Infrastrukturen.
  • Zum geplanten Einsatz der Bundeswehr im Innern kommt die militaristische Beeinflussung der Bevölkerung, vor allem der Jugend hinzu. In Schulen und bei Jobmessen, in Arbeitsämtern und Jobcentern wird dafür geworben, junge Arbeitslose zu Soldaten zu machen. Sie geraten in eine Bundeswehr, die auch sehr rechte Kräfte in ihren Reihen hat.
  • Es darf die Rolle der Nazis und Neonazis nicht übersehen werden. Wozu die Braunen im Jahr 1995 aufriefen, blieb gültig: „Junge Kameraden und Kameradinnen, die vor der Berufswahl stehen, unbelastet, intelligent und sportlich sind,“ sollten sich unauffällig zu „einer Ausbildung bei Bundeswehr und Polizei“ melden, „mit dem Ziel, sich in besonders qualifizierten Spezialeinheiten das nötige Wissen und Können anzueignen“. Der Aufruf schließt mit den Worten: „Widerstand, der auf die Beseitigung eines volksfeindlichen Systems zielt, muss professionell geplant sein. “ [aus: „Umbruch“ von Stefan Hupka, NPD, 1995]

Wie reagiert die VVN-BdA?

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA verurteilt die Bürgerkriegsstrategie. Sie bekräftigt ihren Widerstand gegen eine Politik und Praxis der Militarisierung der Gesellschaft. Sie verurteilt die Pläne zum Bundeswehreinsatz im Innern und fordert die Gewerkschaften, alle Demokraten auf, bei ihrer Opposition zum Verfassungsbruch durch die Bundeswehr zu bleiben und sich aktiv einzumischen.

Wir erinnern an die Rolle des Militärs in der Geschichte der deutschen Demokratie. Die Demokratie von Weimar wurde auch durch die Noske plus Militär 1918-1920 und die Kapp-Lüttwitz im Jahr 1920 zerstört, weiter durch das militärische Vorgehen gegen die Ruhrarbeiter 1920, gegen die Arbeiterregierungen von Thüringen und Sachsen im Jahr 1923 und das gemeinsame Komplott von Hitler und Reichswehrführung vom 3. Februar 1933. Wir erinnern an den Widerstand gegen die Notstandsgesetze 1968, der mit dem Kompromiss der Einführung des Widerstandsartikels 20/4 in das Grundgesetz endete. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, sich entsprechend zu engagieren.

Ulrich Sander, Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten