22.06.2016
Wie weiter nach dem 4. Juni
in Dortmund?
„Der
gemeinsame Widerstand muss organisiert werden“
Zwischen 5000 und 6ooo
Menschen haben am 4. 6. 16 gegen den Aufmarsch von 900 Neonazis
protestiert, so viele wie lange nicht mehr! Das ist die positive Bilanz
des Tages. Aufhalten konnten sie die Nazi-Demo allerdings
nicht. - Der Landesausschuss der VVN-BdA NRW hat ebenso wie das
Bündnis Dortmund gegen rechts noch einmal den Tag 4. Juni 2016
in Dortmund bilanziert. Nachfolgend die Statements von Ula Richter und
Ulrich Sander.
Ula Richter
(Bündnis Dortmund gegen Rechts, VVN-BdA) zum 4.6.16 in
Dortmund:
1.
Die Demonstranten
Zwischen 5000 und 6ooo Menschen haben am 4. 6. 16
gegen den Aufmarsch von 900 Neonazis protestiert, so viele wie lange
nicht mehr! Das ist die positive Bilanz des Tages.
Aufhalten konnten sie die Nazi-Demo allerdings
nicht.
2.
Die Stadtgesellschaft
war aufgefordert worden im Vorfeld des Aufmarsches
Straßen und Plätze durch Veranstaltungen in
möglichst allen Stadteilen durch Veranstaltungen zu belegen,
um den Nazis den Raum zu nehmen. Dieser Strategie der Raumnahme war
vielfältig Folge geleistet worden. Im Nachhinein ein
Pseudo-Unterfangen, ein zynisches Spiel mit dem
Bürgerengagement. Den Faschisten wurden trotz
Veranstaltungsanmeldungen mit Dorstfeld und Huckarde zwei Stadtteile
überlassen, deren Bürger/innen sich seit Jahren gegen
die braune Brut wehren.
Diese Form vorsorglicher Raumbegrenzung ist damit
verbrannt.
3.
Die Polizei
hat damit auch ihr Versprechen gebrochen, die
Naziroute nur "weit ab" zu genehmigen. Neben der Nordstadt ist der
Westen Hauptziel rassistischer Agitation und ihr zweitliebstes
Demo-Ziel. Objekt ihrer Begierde sind ja präkarisierte
Stadtteile mit einem hohen Anteil an Migrant/innen, um Angst und Hass
zu schüren.
Auch wenn der Polizeipräsident durch die
unsägliche juristische Auslegung des Versammlungsrechts
gehalten ist, auch faschistische Aufmärsche zu
schützen, rechtfertigt dies nicht diesen Polizeieinsatz, der
zehntausende Anwohner dem geschützten Nazi-Aufmarsch
ungeschützt überlässt.
4.
Wo steht der Feind?
Die Polizeiführung hat ihn einmal mehr
"links" verortet und die "anreisenden Linksautonomen" als
Gefahrenquelle Nummer 1 herbei hysterisiert. Die eigentliche Bedrohung
stand somit nicht mehr im Focus. Die verhängnisvolle Parole
"rechts gleich links" wurde ein weiteres Mal bedient. Aus der
Geschichte nichts gelernt? Der Feind steht rechts!
5.
Verhinderung eines zielgerichteten Protestes
Mit der Begründung, man müsse
die Nazi-Route bis zuletzt geheim halten, um potentiellen Bombenlegern
keine Hinweise zu geben, wurde das Engagement von tausenden von
Nazi-Gegnern kriminalisiert und ihr Versuch an die Nazi-Route zu
gelangen martialisch unterbunden.
6.
Bürgerkriegsübung?
Die Links verorteten "Feinde" wurden bei diesem
größten Polizei-Einsatz seit Jahren mit dem ganz
großen "Besteck" behandelt: Vom Kessel über
Knüppel, Wasserwerfer und Pfefferspray wurde nichts
ausgelassen. Getroffen hat es vor allem die widerständige
Jugend, der der Widerstand so ausgetrieben werden soll. Eine
Übung für den Bürgerkrieg? Die
zivil-militärische Zusammenarbeit ist auf den
"Ernstfall“ vorbereitet.
7.
Die Neonazis
waren's zufrieden und haben die Polizei gelobt.
Sie werden hier gerne wieder marschieren. Die Partei „Die
Rechte“ hat weiteren Auftrieb bekommen.
8.
Resümee
+ Das Vorgehen der Polizei muss scharf kritisiert
werden!
+ Das verhängnisvolle "rechts gleich
links" muss entschieden zurückgewiesen werden!
+ Der gemeinsame Widerstand muss organisiert werden
Ulrich Sander
(Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten),
Dortmund
Nach dem 4.
Juni in Dortmund
Leider mehr
Zukunft für die Nazis als für ihre Gegner
Am Nazi-Tag „der deutschen
Zukunft“, dieses Mal in Dortmund, standen 900 Nazi und 6000
Polizisten aus ganz Deutschland gegen 3000 bürgerliche und
gewerkschaftliche Demonstranten, 2000 von
„BlockaDO“, rund 100 Künstler
mit „Spiegelwürfeln“
für friedliche Blockaden und tausende Platzbesetzer. Die
Polizei erschien erstmals mit Bergepanzern, Unmengen von
Tränengas und nicht erkennbarer weiterer Bewaffnung. Ihre
Behauptung, sie schütze das Demonstrationsrecht, ist
unglaubwürdig. Geschützt wurden die Nazis, den
Bürgern wurde das Demonstrationsrecht genommen. Eine derartig
demonstrative Parteinahme des Innenministers Ralf Jäger (SPD)
für die Rechte der Nazis war selten feststellbar.
Jäger ist Chef der Polizeipräsidenten der
Städte an Rhein und Ruhr, seine Behauptung er träte
den Rechten auf die Füße hat er immer wieder mit
Fußtritten für die Demokraten konterkariert. So mit
der Versendung von Schriften an alle Schulen, mit denen er den
Schülerinnen und Schülern die Losung
„Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist ein
Verbrechen“ untersagte, weil sie Bürgern ihre
Grundrechte streitig machten.
Die etablierten Kräfte um den
Oberbürgermeister und um die Kirchenvertreter
Dortmunds vertraten eine provinzielle Kirchtumspolitik nach dem Motto:
Nazis raus aus unserer Stadt, überall hin, aber nicht bei uns.
Mit dieser falschen Position konnten sie dennoch nicht durchdringen,
die militarisierte Polizei stand dagegen. Dies auch dann, wenn sie der
de facto Übung der „zivil-militärischen
Zusammenarbeit“ untertänigen Respekt zollten.
Der Nazi-Tag „der deutschen
Zukunft“ am 4. Juni fand in einer Zeit statt, da die Haltung
der „Mitte“ zu den Rechten neu bestimmt wird. Es
ist nicht zu übersehen: Sowohl die Politiker der Mitte als
auch die der Rechten denken über eine mögliche
Situation nach dem Urteil von Karlsruhe und nach der Bundestagswahl
nach. Eine Situation, in der die Nazis der NPD nicht verboten sind und
die Nazifreunde der AfD u.U. als Koalitionspartner in Frage kommen,
weil andere Kombinationen nicht mehr möglich erscheinen.
Zugleich gibt es den Dauerkonflikt um die Flüchtlingsfrage,
vor deren Hintergrund rechte und rassistische Massenbewegungen wachsen.
Gegen sie will die „Mitte“ partout nichts
unternehmen. In dieser Situation wäre es allerdings
völlig verkehrt, etwa die Stadt Dortmund, die SPD und die
Grünen zu den Schuldigen an der Dortmunder Entwicklung zu
erklären. Sie benehmen sich schwächlich, reden
unisono mit der Polizei von „Rechts gleich Links“
und beschimpfen „gewaltbereite Reisekader“, aber
ihre Losung „Bunt statt Braun“ ist dennoch eine
Losung der Vernunft und der Menschlichkeit.
Wir müssen hingegen betonen und fragen:
Wurde hier nicht eine Notstandsübung abgeliefert, um zu
zeigen: Die Polizei braucht keine Bundeswehr, um im Rahmen der
zivil-militärischen Zusammenarbeit Unruhen zu
bekämpfen. Es wird den Nazis neuerdings und betont das
„verfassungsmäßige Recht“ zu
demonstrieren bescheinigt; nicht irgendwelchen Rechtsextremen; man
beachte den Unterschied: Sowohl die Polizei als auch die Nazis
bezeichnen derzeit die Rechten ausdrücklich als Nazis. Es gibt
aber kein Grundrecht für Nazi-Propaganda! Artikel 139 mit der
Absage an den Nationalsozialismus steht noch immer im Grundgesetz.
Der 4. Juni in Dortmund hatte viele
zusätzliche Facetten zum Üblichen – sowohl
negative wie positive. Zu den negativen gehört auch, dass den
Nazis gestattet wurde, am sogenannten VVN-Denkmal in Dortmund-Huckarde
aufzumarschieren. Die Polizeisprecher sagten, die Beamten
hätten doch das Denkmal beschützt. Ja, aber indem sie
auf ihm herumtrampelten. Das Denkmal ist den Opfern der Karfreitagmorde
von 1945 in der Bittermark und dem Rombergpark gewidmet. Dort
versammeln sich jedes Jahr tausende Dortmunder, um der Opfer zu
gedenken und das „Nie wieder“ zu
bekräftigen.
Diese Haltung prägt auch den Umgang
großer Teile der Öffentlichkeit Dortmunds mit der
Naziszene. Diese ist isoliert. Zehntausende Dortmunderinnen und
Dortmunder haben am 4. Juni ihre Straßen und Plätz
besetzt, um sie den Nazis zu verweigern. Dass die Polizei bis zum
Morgen des 4. Juni der Öffentlichkeit die Auskunft
darüber verweigerte, wo der Naziaufmarsch stattfinden sollte,
und dass sie dann ausgerechnet die Stadtteile Dorstfeld und Huckarde,
die Lieblingsort der Faschisten, aber auch die Orte mit dem meisten
Widerstand gegen sie, für die Nazis freigab, das wurde
allgemein als empörend empfunden.
Dortmund zeigt nicht erst seit Beginn der neuen
Willkommenskultur für Flüchtende eine große
Bereitschaft, ihnen zu helfen. Die Versuche der Nazis, in Dortmund
Stimmung zu machen gegen die neuen Mitbürger schlugen
weitgehend fehl.
Am 4. Juni präsentierten zudem die
Künstler und Schauspieler der Stadt eine neuartige
antifaschistische Aktionsform. Das Künstlerkollektiv
„Tools for Action“ organisierte eine
„Spiegelbarrikade“. Viele Dutzend in wenigen
Minuten aufblasbare silberglänzende große
Würfel aus Plastik kamen zum Einsatz. Eine solche friedliche
und gewaltlose Blockade- und Protestaktion überforderte die
Polizei aus ganz Deutschland erheblich. Sie stach mit Messern auf die
Würfel ein und verletzte die Trägerinnen und
Träger mit Reizgas. Trotzdem ist zu hoffen, dass sich die
Künstler nicht entmutigen lassen und weiter
mitmachen. Ulrich Sander
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