08.06.2016
Keine Zukunft für
die Nazis? Betrachtung nach dem Wochenende in Dortmund
Zu den Berichten zum
Naziaufmarsch „Tag der deutschen Zukunft“
zunächst ein paar Zahlen: 1000 Nazis waren da, dagegen: 3000
etablierte und gewerkschaftliche Demonstranten, 2000 von
„BlockaDO“, rund 100 Künstler mit
„Spiegelwürfeln“ für friedliche
Blockaden und tausende Platzbesetzer in der ganzen Stadt; dazu 6000
Polizisten mit bisher nicht bekannter Bewaffnung, darunter ein
Räumpanzer.
Von Ulrich Sander
Die Demonstranten kamen vorher nicht
überein, und als BlockaDO zum Arbeitskreis gegen
Rechtsextremismus hin wollte, da trennte die Polizei die
Demonstrationen. So hörten nicht alle die
zwiespältigen Reden. Die möchte ich so kommentieren:
„Mich
bringt unser OB Sierau bei solchen Gelegenheiten wie am Samstag immer
ins Grübeln, manchmal kommen Zweifel auf, ob er den richtigen
Ton trifft. Da kommen Nazis aus ganz Deutschland hierher, und es kommen
Polizisten aus dem ganzen Land, um das höchst zweifelhafte
(siehe Artikel 139 GG) Demonstrations-„Recht“ der
Nazis zu gewährleisten, und die Polizisten gehen so weit, die
Nazis ans VVN-Denkmal in Huckarde heranzulassen! Wir als Vereinigung
der Verfolgten des Naziregimes (VVN, gegründet 1946 von den
überlebenden NS-Opfern) unternehmen große
Anstrengungen, um ebenfalls bundesweit zu mobilisieren. Und dann kommen
unsere Freunde hierher und werden vom OB nicht etwa
begrüßt, sondern als
„Reisekader“, womöglich sogar
gewalttätige bezeichnet. Wann wird in Dortmund endlich zur
Kenntnis genommen, dass die Losung „Nazis raus aus unserer
Stadt“ nicht ausreicht? Wir brauchen nicht nur
„bunt statt braun“ in Dortmund und „Nazis
raus“, sondern auch „Bunt statt braun, aber auch
statt olivgrün, gegen Nazis und Krieg“ in ganz
Deutschland.“
Der Gedanke der Blockade hatte schon mal mehr
Glanz in der Stadt. Trotzdem sind die Einschätzungen der
Etablierten höchst optimistisch. Friedrich Stiller (Ev.Kirche)
und Ullrich Sierau (OB) unisono: „Wir sind eine ganz
phantastische Bürger/Stadtgesellschaft. Wir können
Nazis hier nicht gebrauchen.“
Dass es eine Globalisierung,
Europäisierung der Rechtsentwicklung gibt, was schert es diese
Provinzpolitiker? Dass wir eine kriegerische Übung (erstmals
rollten Panzer! Mehr Polizisten als Demonstranten) hatten, sei eben der
„Gewalt der Extremisten“ geschuldet.
Kaum eine Rede, kaum ein Pressebeitrag, wo nicht
die Gewalt von rechts und links beschworen und in einem Atemzug genannt
wird – und die Gewalt der Polizei nie! Der OB dankte der
Polizei, obgleich ihn diese in seiner eigenen Stadt zum Statisten
machte. Dass man sich auf völliges Durcheinander in der
Darstellung einließ – was soll’s? Die
Angaben über verletzte Polizisten schwanken zwischen drei (WR)
und zwölf (RN), allesamt nur wenige, und dann auch noch dies
in der WR: drei verletzte Polizisten gab es und zwei hatten
Tränengasschäden. Da sind die wohl ins eigene
„Feuer“ gelaufen? Und wer nennt die Zahl der
verletzten Demonstranten?
Ich hatte große Sorgen, dass von
„links“, oder von scheinlinks mehr Vergehen
ausgehen würden. Der anonyme Mann von NoTddZ, der
großzügige Darstellungsmöglichkeiten bekam,
ohne dass er seinen Namen und seine Foto preisgeben musste, und der
unsägliche Provokationen vom Stapel ließ, deutete
auf ein merkwürdiges Drehbuch hin (mit Wissen der
Stadtspitze?), um den Protest klein zu halten und zu spalten. Das ist
gelungen, zum Glück, ohne, dass es schlimme Handlungen von
angeblich „links“ gab.
Zu den Chancen. Wir sollten die von der RN
ausgehende Diskussion: Warum geht Ihr nicht gemeinsam? endlich nutzen.
Es muss zu mehr Zusammenhalt gegen die Nazis und gegen die Polizei
kommen.
Schließlich sei gefragt: Wurde hier
nicht eine Notstandsübung abgeliefert, um zu zeigen: Die
Polizei braucht keine Bundeswehr, um im Rahmen der
zivil-militärischen Zusammenarbeit Unruhen zu
bekämpfen. Und sollen wir, so mein Eindruck, auf den Zustand
orientiert werden, der nach einem Freispruch für die NPD
eintritt? Es wird den Nazis das
„verfassungsmäßige Recht“ zu
demonstrieren bescheinigt; nicht irgendwelchen
„Rechten“, man beachte den Unterschied: Sowohl die
Polizei als auch die Nazis bezeichnen derzeit die Rechten
ausdrücklich als Nazis. Es erinnert an das Ziel, seit Michael
Kühnen sagte: Wir legalisieren die NSDAP, bauen die neue SA
auf und die wird auf den Trümmern der Gedenkstätten
[Huckarde!] erstehen). Alle schlucken es, auch die Stadtspitze und die
Medien. Es gibt aber kein Grundrecht für Nazis-Propaganda!
Artikel 139 steht noch immer im Grundgesetz. Im Übrigen: Der
Polizeipräsident ist ein Mann der Landesregierung, die
bestimmt über Dortmund, nicht der Oberbürgermeister.
Leserbriefe
von Prof. Wolfgang Richter (DKP-Kommunalpolitiker in Dortmund):
Zwei
Anmerkungen zu den Demonstrationen am 4. 6. 2016 in Dortmund
1. Zur
Verschiebung der Kräfteverhältnisse von der Politik
hin zum Staatsapparat: Der 4.6. war der Tag des
Polizeipräsidenten – auf sein Kommando lief oder
stand alles, zeitweise war er in der Stadt der Alleinherrscher.
- Die politische Elite der Stadt musste ihren
geplanten Protest gegen die Nazis unter dem Siegel der Verschwiegenheit
mit ihm verabreden und sich auf eine Choreografie der Massenbewegungen
einlassen, die seine sichtbaren und unsichtbaren Einsatzkräfte
würden steuern können.
- Die Stadtgesellschaft war seit langem
aufgefordert, Straßen und Plätze in der Stadt durch
Anmelden eigener Veranstaltungen zu belegen und somit dem Zugriff der
Nazis zu entziehen – einen Tag vor dem Aufzug erhielten die
Anmelder Mitteilung, ob die Nazis zu ihnen oder woanders hinkommen.
- Die Bewohner/innen in den von den Nazis
ausgewählten und ihnen zur Verfügung gestellten
Stadtteilen wurden als Statist/innen für das Planspiel
„Vorfahrt für Nazis“ und seine
Durchführung benutzt und in ihren praktischen Alltags- und
politischen Freiheitsrechten massiv eingeschränkt.
- Auch wenn kein Militär sichtbar
eingesetzt worden ist – das Üben
bürgerkriegsähnelnder Zustände ist Teil der
schleichenden Militarisierung auch der Innenpolitik und ihrer
gewaltförmigen Ausgrenzungen und Einschließungen von
Flüchtlingen, Hartz-IV‘lern und
‚Politischen‘.
- Die zivil-militärische Zusammenarbeit
kennt nur Freunde und Feinde und sie legt fest, wer Freund und wer
Feind ist und wie man sie charakterisieren muss – die
gesteuerte Kriminalisierung der Widerstandsaktivitäten gegen
den Nazimarsch sollte die Brutalität der Tagesübung
rechtfertigen.
2. Zur
Erneuerung und Verfestigung des Dogmas „Links gleich
Rechts“
- Die Begleitmusik dieser Tage in Politik und
Medien war das Mantra „Gewalt der Linksautonomie gleich (oder
schlimmer als) Gewalt des Rechtsextremismus“,
kürzer: „Linksautonomie gleich
Rechtsextremismus“, ganz kurz: „Links gleich
Rechts“.
- Für diese die Charta der Vereinten
Nationen und die Verfassung leugnende Gleichsetzung trägt eine
ökonomische Elite Verantwortung, die immer
größere Anteile der Menschheit sozial und kulturell
ausgrenzt, unterdrückt und ausbeutet, sie im Ergebnis
entrechtet und in ihrer Existenz bedroht.
- Es ist vor allem das Drama der
Sozialdemokratie, die dieses ihre eigene Idee verhöhnende und
zerstörende „Links gleich Rechts“ immer
wieder neu gebiert und in ihr politisches Umfeld implantiert
– in Kinder-, Jugend- und Hilfsorganisationen, in
Gewerkschaften und in Koalitionen.
- Die scheinbar unausrottbare Skandalparole
„Links gleich Rechts“ charakterisiert die
politische Immobilität der Mitte der Gesellschaft, die sich
darin einrichtet und abgrenzt. Man kann sich einigeln in einer
Parallelgesellschaft, die auf Kosten aller lebt und die
Veränderungen nicht wahrnimmt.
In
beiden für die Gesellschaft lebenswichtigen Problemlagen
wurden an diesem Tag in Dortmund Maßstäbe gesetzt
und weit nach rechts verschoben. Dies gilt es zu bekämpfen.
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