27.05.2016
Hearing und Demonstration in
Bad Reichenhall
Rechte
Traditionspflege der Bundeswehr-Gebirgsjäger angegriffen
Am Samstag, 14.Mai, fand in
Bad Reichenhall unter dem
Motto "Euer Verdrängen kotzt uns an - NS-Verbrechen
benennen
- Opfer entschädigen - Rechte Traditionspflege angreifen" ein
antifaschistischer Aktionstag mit Hearing und Demo statt. Zum
Hearing konnten Vertreter eines griechischen Opferverbandes,
Historiker/innen und ein sowie ein Partisan in Bad
Reichenhall begrüßt werden, also just in dem Ort,
aus dem
die Gebirgsjäger stammten, die sein Dorf (Skines)
niederbrannten
und Familienmitglieder von ihm ermordeten. Das teilte die "infogruppe
rosenheim für das rabatz bündnis" mit. Den Bericht
über
die Aktion, den das Neue Deutschland brachte, dürfen wir mit
Genehmigung der Redaktion hier veröffentlichen:
Rabatz gegen
das Verdrängen
Antifaschistische
Gruppen klagen das Schweigen zu Kriegsverbrechen der
Gebirgsjäger auf Kreta an
Das oberbayerisch-österreichische
Antifa-Bündnis »Rabatz« kämpft
schon seit Jahren
gegen die »Bad Reichenhaller Zustände«.
Doch laut der
Gruppe herrsche weiterhin ein »aktives
Verdrängen« im
Ort vor.
Von Robert Andreasch
Nikolaos Marinakis (r.). Überlebender der
Massenerschießungen in Skines auf Kreta mit
Dolmetscherin. Foto: Robert Andreasch
Vor 75 Jahren, am 20. Mai 1941, griff die deutsche
Wehrmacht die griechische Insel Kreta an. Bis zum Ende der Besatzung am
9. Mai 1945 ermordeten deutsche Fallschirmjäger und
Gebirgsjäger über 3500 Zivilistinnen und Zivilisten
und
zerstörten mindestens 30 Dörfer. Bis heute weigert
sich die
Bundesrepublik, die Opfer zu entschädigen und die griechischen
Reparationsforderungen zu erfüllen.
Der Dortmunder Historiker Ralph Klein forscht
über
die Verbrechen der Gebirgsjäger. Bei einem Hearing der
Rosa-Luxemburg-Stiftung und des antifaschistischen
»Rabatz«-Bündnisses im
überfüllten
Kurgastzentrum von Bad Reichenhall berichtete er am Samstag
über
die Beteiligung der Bad Reichenhaller Gebirgsjäger an den
Gräueltaten in Griechenland. Zu der Tagung reiste auch
Aristomenis
Syngelakis vom »Nationalrat für die
Entschädigungsforderungen Griechenlands« an. Er
erinnerte an
den antifaschistischen Widerstand der kretischen Bevölkerung,
die
sadistischen Massaker der nationalso¬zialistischen Besatzer an
der
Zivilbevölkerung und an den Schmerz und die Leiden der
Überlebenden.
Hauptgast des Hearings war Nikolaos Marinakis. Der
heute
92-Jährige hat die Massenerschießungen im kretischen
Skines
überlebt. Auf Befehl des 1967 in Bad Reichenhall verstorbenen
Divisionskommandeurs Generalmajor Julius Ringel hatten Soldaten des
Reichenhaller Gebirgsjägerregiments 100 der 5. Gebirgsdivision
am
1. August 1941 die Dörfer Skines und Kydonia
angezündet.
Dabei waren 148 Menschen ermordet worden. Zehn Tage vor dem
Überfall der Wehrmacht hätten deutsche Flugzeuge
bereits
mehrere Dörfer in der Gegend bombardiert, schilderte
Marinakis.
Dabei haben Ȋltere, Frauen und Kinder, die nicht
fliehen
konnten, ihr Leben gelassen«. Nach der Eroberung Kretas habe
dann
gleich die Vernichtung angefangen. »Sie brachten alle um, ob
nun
alt oder jung, Behinderte, Kranke«. An dem Abend, als sein
Dorf
umzingelt wurde, hätten er und einige andere Dorfbewohnerinnen
sich noch im Wald verstecken können.
In Griechenland berichteten mehrere Medien
über die
antifaschistische Veranstaltung in Bayern. Der bekannte griechische
Widerstandskämpfer Manolis Glezos, der am 30. Mai 1941 die
Hakenkreuzflagge von der Akropolis heruntergerissen hatte, sandte der
Versammlung eine Grußbotschaft.
Vor Ort löste das Hearing dagegen
unterschiedliche
Reaktionen aus: Die bayerische Polizei setzte bei einem Teil der
Besucher_innen - ohne Angaben von Gründen - gewaltsam
Personalienfeststellungen und Taschendurchsuchungen durch. Der Bad
Reichenhaller Bürgermeister Herbert Lackner (CSU) empfing am
Vormittag kurz den Überlebenden Marinakis und drückte
ihm
eine Flasche »St. Zeno«-Wein in die Hand. Nach dem
Heiligen
St. Zeno hat man in Bad Reichenhall den Friedhof benannt. Dort wird bis
heute mit einem großen, gepflegten Denkmal Gefallenen der
Waffen-SS-Division »Charlemagne« gedacht.
Das oberbayerisch-österreichische
Antifa-Bündnis »Rabatz« kämpft
schon seit einigen
Jahren, gegen die »Bad Reichenhaller
Zustände« an. Im
Ort herrsche dennoch weiter ein »aktives
Verdrängen«
vor, bei dem »nazistisches Gedenken akzeptiert
bleibt«, so
eine Sprecherin. Nach dem Hearing zogen 250 Antifaschist_innen hinter
einem Transparent mit der Aufschrift »Euer
Verdrängen kotzt
uns an!« zu der am Ortsrand gelegenen
»Kreta-Brücke«. Die Namensgebung
für das
Straßenbauwerk hatte 1968 der »Kameradenkreis der
Gebirgstruppe« angeregt. Jedes Jahr rund um den
»Kretatag« am 20. Mai versammeln sich hier
Militaristen und
Lokalpolitiker_innen. Ihre »Kretafeier« gilt der
militärischen Leistung beim Überfall von Fallschirm-
und
Gebirgsjägern auf Kreta und den bei diesem
»Unternehmen
Merkur« gefallenen Wehrmachtssoldaten.
Die Demonstrant_innen setzten am vergangenen
Samstag ein
gegenläufiges Signal: Sie gedachten der Opfer des deutschen
Angriffskriegs und der nationalsozialistischen Besatzung. Als die
Demonstration an der »Kreta-Brücke« ankam,
spielte ihr
Lautsprecherwagen griechische Partisan_innenlieder ab. Später
stellten dort Aristomenis Syngelakis und Nikolaos Marinakis gemeinsam
eine temporäre Gedenktafel auf, die an die Massaker der
Reichenhaller Gebirgsjäger und die Opfer ihrer
Kriegsverbrechen
erinnern soll. Antje Kosemund von der »Stiftung Auschwitz
Komitee« skandalisierte in ihrer Ansprache die in der
Bundesrepublik verhinderte juristische Ahndung der
nationalsozialistischen Verbrechen von Wehrmacht und Waffen-SS.
Auch an den Vortagen des Reichenhaller Hearings
hatten
sich Antifa-Aktivist_innen bereits praktisch betätigt. So
hatten
am Freitag ein Dutzend Menschen vor der örtlichen Kaserne der
Gebirgsjäger demonstriert. In der Kaserne, die bis 2012 noch
den
Namen des antisemitischen NS-Militärs Rudolf Konrad trug,
hatte an
diesem Abend ein Treffen der »Kameradschaft Bad
Reichenhall«, des »Kameradenkreis der
Gebirgstruppe«,
stattgefunden. Antifaschist_innen intervenierten zudem am Donnerstag in
Mittenwald gegen die Feier der Gebirgsjäger am Hohen Brendten
bei
Mittenwald. Es gelang ihnen, während der Hauptrede einen Kranz
vor
dem »Ehrenmal« niederzulegen und dessen besondere
Kranzschleife zu entrollen: eng bedruckt waren darauf die Namen der von
der Gebirgstruppe im Zweiten Weltkrieg in Griechenland, Italien und auf
dem Balkan zerstörten Ortschaften sowie die Zahlen der dort
ermordeten Zivilist_innen aufgelistet. Das Stoffband war fünf
Meter lang.
Mit freundlicher Genehmigung des ND: https://www.neues-deutschland.de/artikel/1012136.rabatz-gegen-das-verdraengen.html
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