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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

25.05.2016

Ein Brief an die Kinderseite der „Ruhr-Nachrichten“

Kinder und Jugendliche werden gegen Antinazidemos eingestimmt – Heftige Kritik von Senioren

Die in vielen Städten des Ruhrgebiets dominierenden „Ruhr-Nachrichten“ berichten auf ihrer Kinderseite am 14. Mai über die am 4. Juni geplante bundesweite Nazidemonstration in Dortmund und den Protest dagegen. Nazis und Protestierende werden auf eine Stufe gestellt. Die Überschrift der RN lautet: „Sorge wegen Gewalt am 4. Juni – Rechts- und Linksradikale werden in Dortmund demonstrieren“. Senioren verurteilten diese Stimmungsmache:

Lieber Tobias, Mitarbeiter der Kinderseite der RN!

Kürzlich haben wir einen Text für Kinder und Jugendliche gemacht, der als Flyer der Gruppe „Kinder des Widerstandes“ erscheinen soll, der wir, meine Frau und ich, angehören. Wiederholt sind wir in Schulen vor Jugendlichen aufgetreten und wir sind gut aufgenommen worden. Wir haben berichtet, dass unsere Eltern Kommunisten waren und wir ebenfalls Linke sind.

Meine Frau Traute schrieb nun:

Ich bin bei den „Kindern des Widerstandes“ weil ich möchte, dass unsere Kinder und Enkel und all die anderen aus den nachfolgenden Generationen die antifaschistische Vergangenheit z. B. meines Vaters kennenlernen und daraus für ihr Leben lernen. Als mein Vater Schüler war, so alt wie die Jugendlichen heute, da wurde er für seine Ideen verfolgt und eingesperrt (40 Monate KZ und Zuchthaus). Er wollte Kriege und Unheil verhindern. Heute gilt es neue Rechtsentwicklungen und Kriege zu bekämpfen und die Demokratie zu verteidigen bevor es so kommt wie von 1933 bis 1945.

Ich schrieb: Ulrich Sander wurde 1941 in Hamburg geboren. Als Kind stolperte er durch brennende Stadtteile. Zur Schule kam er in das Gebäude am Bullenhuser Damm, das bis 1945 zum KZ Neuengamme gehörte und eine Mordstätte der SS für jüdische Kinder war. Wo  er und seine Kameraden die Schulspeisung einnahmen, da waren vorher die Galgen. Die Erzählungen der Eltern und ihrer Freunde über ihren Widerstand brachten ihn zur Erkenntnis, dass ihre mutigen Taten unvergessen sein sollen, aber auch nie wieder erforderlich sein mögen. Kein Krieg, keine Nazis – das gibt er, wo er kann weiter.

Soweit die Texte von zwei Menschen, Linke, Mitte 70. Der Verfassungsschutz nennt uns Linksextremisten. Und dann lese ich, was Sie über Linksextremisten schreiben: Sie lassen keine andere Meinung gelten, sind gewalttätig, verletzen andere Menschen, machen Sachen kaputt. Linke und Rechte stellen Sie auf eine Stufe. Sie sehen Gewalttätiges heraufziehen? Woher wissen Sie das eigentlich? Welche Quelle außer die der Polizei haben Sie?

Ich finde es ist wenig verantwortungsvoll, die Kinder und Jugendlichen mit solchen Texten wie heute in RN zu ängstigen und sie aufzurufen: Unternehmt bloß nichts gegen die Nazis.

Vor einigen Jahren, 2008,  starteten wir unsere Aktion 65 plus in Dortmund. Von da an, wurde es friedlich bei dem Demos, und darauf sind wir stolz. (Ausnahmen traten immer auf, wenn Polizisten verrückt spielten.)

Mit freundlichen Grüßen

Ulrich Sander

Hier der Text unseres Aufrufes:

Wir haben die Blockade der Faschisten geplant, die am 06. 09. 2008 einen Marsch durch unsere Stadt vorhaben. Die Polizei verbot jedoch alle Anti-Nazi-Demonstrationen. Auch unsere Gedenkorte und Stolpersteine sollten den Neonazis ausgeliefert und für Nazi-Gegner/innen unerreichbar sein. Dagegen hat die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht interveniert – das Verbot aller Mahnwachen an Gedenkorten und Stolpersteinen an diesem Tag in Dortmund wurde zurückgewiesen. Aber die Polizei hat auch unsere auf dieser Grundlage neuen Anmeldungen sofort wieder verboten! Dies ist unser Aufruf – er hat auch über den Tag hinaus Bestand:

Aktion 65 plus: Wir haben es erlebt. Nie wieder.

Bombennächte. Ständige Angst. Hausdurchsuchungen. Die Eltern im KZ. Verwandte sterben im Krieg. Nachbarn mit dem gelben Stern werden abgeholt.

Nachts träumen wir davon.

Die Nachfolger der Nazibande, die das verschuldete, erheben wieder ihr Haupt.

Jahr für Jahr kommen sie nach Dortmund. Sie rufen „Nie wieder Krieg“ und fügen hinzu: „ ... nach unserem Sieg, dem Sieg des ‚nationalen Sozialismus’“.

Das Maß ist voll.

Sie reden von Frieden, Antikapitalismus, ja Sozialismus. Das taten Hitler und Goebbels auch. Es kam zum furchtbarsten aller Kriege. Zur schlimmsten Form des Kapitalismus: Nicht nur Ausbeutung durch Arbeit, sondern Vernichtung durch Arbeit. Es kam zur Versklavung und zum Holocaust.

Wir sehen nicht mehr zu. Wir Älteren, die Aktion 65 plus, werden den Nazis am 6. 9. entgegentreten. Wir werden sie blockieren.

Das ist nicht strafbar, obwohl unser Polizeipräsident dies verbreiten lässt. Sträflich wäre es, die Nazis gewähren zu lassen. Das wäre grundgesetzwidrig (Artikel 139).

Auch die jungen Menschen sind bei unserer Aktion erwünscht. Wir werden gewaltlos handeln. Wer das auch tun will, ist willkommen.

Auch wir rufen auf, am 6. September auf den Platz der Alten Synagoge zur Protestkundgebung zu kommen. Welcher Platz könnte besser geeignet sein? Wir sind aber auch an anderen Orten gefordert, z.B. beim Schutz der Stolpersteine für die NS-Opfer vor den Nazistiefeln. Achtet auf das Transparent der Aktion 65 plus.

Erstunterzeichner/innen:

Willi Hoffmeister, Ursula und Wolfgang Richter, Traute und Ulrich Sander

Unterzeichner/innen:

Hartmut Anders-Hoepgen, Jupp Angenfort, Günter Bennhardt, Angela Böker, Michael Boldt, Doris Borowski, Hanfried Brenner, Peter Bubenberger, Ines Burkhardt, Jürgen Burmeister, Helga Carl, Claus Dieter Clausnitzer, Klaus Commer, Cemile und Ali Dagdeviren, Jupp Damberg, Klaus Dillmann, Gabriele Dömges, Ilse Dreschke, Heinz Feldewert, Karl Heinz Gerhold, Ute Guckes, Annemarie und Hartmut Grajetzki, Bruno Gorni, Ingrid Grothe, Emir Gunt, Willi Hendricks, Josef Hinz, Helga Hirschler, Helga Janzen, Lore Junge, Julius Junker, Hanne Kamp, Heidi Keil, Günther Keine, Herbert Knapp, Marianne und Robert Konze, Renate Kowalewski, Gisa Marschewski, Alfred Marsner, Heinz Müller, Hetty Müller-Grosse, Christa und Herbert Reker, Gisela Richter, Anneliese Ritter, Heinzpeter Schmitt, Renate Schmitt-Peters, Ulli Schnabel, Leonore Schröder, Ulrich Schwarzrock, Magda Selve, Herbert Semler, Hermann Sittner, Wolf Stammnitz, Manfred Ullrich, Ester Valdebenito, Agnes Vedder, Ingeborg Vollgold-Melchior, Klaus Wallow, Andreas Weißert, Bärbel Welpmann, Henny Wesolek, Ruth und Ricardo Yáñez, Inge Zeller

Einige Jahre später schrieben wir:

Aktion 65 plus erfolgreich – Sie ruft immer wieder zur Blockade der Nazis

Liebe Dortmunderinnen und Dortmunder,

vor fünf Jahren haben wir unsere Aktion 65plus gestartet. „Wir haben es erlebt. Nie wieder! Wir sehen nicht mehr zu. Wir Älteren, die Aktion 65plus, werden den Nazis entgegentreten. Wir werden sie blockieren.“ Das haben wir erklärt und so den wirkungsvollen Widerstand ins Spiel gebracht.

In diesem Jahr hat sich der Blockadegedanke wieder mal durchgesetzt. Der Oberbürgermeister, Minister und andere Politiker und Abgeordnete, Gewerkschafter, Jugendverbände, Initiativen, die VVN-BdA erklärten 2011 zum Mißbrauch des Friedensgedankens durch die Nazis: „Als Demokratinnen und Demokraten sehen wir uns in der Pflicht, dies entschlossen zu verhindern und den Nazihorden den Weg zu blockieren“.

Denn leider soll auch weiterhin den Nazis erlaubt sein, ihre Hetze legal auf die Straße zu bringen. Sie wollen ihren „nazionalen Antikriegstag“ wieder in unserer Stadt begehen, und sie geben unter sich wieder die Losung aus „Gegen jeden Krieg – nach unserm Sieg“. Wir sind empört, dass der Antikriegstag auf diese Weise missbraucht werden kann. Sogar die „Oidoxie“-Band sollte bei denen spielen, deren Leute mit ihrem "Hakenkreuzlied" und der „Antwort: Zyklon B“ bezeichnenderweise bisher straffrei blieben. Das alles in einer Zeit, da ein rassistischer Massenmörder in Norwegen das Signal zum „Krieg gegen Muslime und Marxisten“ gab und auch hier bei uns die Anschläge gegen Moscheen und Wohnungen von Antifaschisten wieder zunehmen. Auch Dortmund war Schauplatz des NSU-Mordes.

Klar dass wir das Verbot dieses Aufmarsches in Huckarde, Dorstfeld und anderswo verlangen. Das haben wir auch schon vor fünf Jahren getan. Aber wir haben uns nie auf die Politiker, die Justiz und die Polizei verlassen, die wieder und wieder den Nazis den Weg freimachten.

Als wir 2008 die Stolpersteine an der Naziroute schützen wollten, verbot es die Polizei, aber wir gingen trotzdem hin, 700 Dortmunderinnen und Dortmunder. Vor vier Jahren übten wir öffentlich Blockaden ein, und die Polizei entschloss sich, den Nazis selbst Grenzen zu setzen. Und vor drei Jahren folgte dann die Eingatterung der Nazis auf engstem Raum und die massenhafte Blockade im Bahnhof und auf Plätzen. Gleichzeitig entwickelte sich in den fünf Jahren die Bewegung aller Nazigegner um die Koordinierungsstelle, um das Bündnis Dortmund gegen Rechts und andere, die nicht mehr nur reagieren wollen auf Nazis in der Stadt, sondern zum Agieren übergegangen sind: mit Aufklärung, Solidaritätsaktionen, Veranstaltungen. Ein „Dortmunder Aktionsplan gegen Rechtsextremismus“ wurde geschaffen.

Auch wir rufen alle Dortmunderinnen und Dortmunder vom Azubi bis zur Großmutter auf, die Nazis durch eine oder mehrere Sitzblockaden aufzuhalten, sie der Stadt zu verweisen.

Es stimmt, was ein Sprecher der Gewerkschaftsjugend sagte: „Die Nazis sind historisch immer nur dann stark, wenn die Gegner der Nazis nicht an einem Strang ziehen.“ Ziehen wir alle an einem Strang – und wir werden dem Naziunwesen ein Ende setzen!

Wir hoffen, Ihr seid erfolgreich in Huckarde! Manche von uns treffen sich am 7.September an der Gedenkstätte Steinwache „Widerstand und Verfolgung in Dortmund“, Nähe Nordausgang des Hauptbahnhofes, Steinstraße. Sie wollen diesmal  wieder nach Stukenbrock fahren, wo regelmäßig die Gedenkveranstaltungen für 65.000 ermordete Kriegsgefangene stattfinden. Wir sind in Gedanken bei Euch!

Willi Hoffmeister, Ursula Richter, Traute Sander
sowie Günter Bennhardt, Hanfried Brenner, Klaus Dillmann, Heinz Feldewerth, Heinrich Fink, Gisa Marschefski, Erika und Otto Marx, Falk Moldenhauer, Monika Niehaus, Herbert Reker, Wolfgang Richter, Ulrich Sander, Jürgen Schuh, Gisela Schwarze, Inge Trambowsky, Agnes Vedder, Inge Zeller u.v.a.