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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

15.05.2016

Landtagswahlen 2017: Verhinderung der AfD als Hauptaufgabe

Tagung des Landesausschusses der VVN-BdA NRW

Klaus Stein referierte am 9. April in Duisburg vor dem Landesausschuss der Vereinigung der Verfolgten des Naziregime von NRW zu den Landtagswahlen 2017: Es dauert nicht mehr lange. Am 14. Mai 2017 wird ein neuer Landtag in Nordrhein-Westfalen gewählt. Und in der Tat müssen wir uns Sorgen machen. 

Was ist zu erwarten? Gestern waren in der Presse über den ARD-Deutschland-Trend die folgenden Daten zu lesen: Die SPD ist auf 21 Prozent abgerutscht, das sind zwei Punkte weniger als im März. Auch die Union verliert zwei Punkte und kommt auf 34 Prozent. Die Grünen legen deutschlandweit auf 13 Prozent zu (plus 3). Die Linke erreicht 7 Prozent (minus 2), die FDP ebenfalls 7 (plus 1). Die AfD kommt auf 14 Punkte (plus 3 Prozent).

Diese düstere Aussicht wird durch die Ergebnisse der hessischen Kommunalwahlen am 6. März und die drei Landtagswahlen eine Woche später gestützt. An den Kommunalwahlen in Hessen beteiligten sich mit 48% etwas mehr (47,7%) Wahlberechtigte als fünf Jahre vorher. Auf die CDU fielen mit 28,9% etwa fünf Prozent weniger, die SPD bekam mit 28,5 drei Prozent weniger als vorher. Die Grünen verloren sogar sieben Prozent, nachdem im März 2011 Fukushima von einem Tsunami überrollt worden war, sie konnten noch 11,5% der Stimmen auf sich ziehen. Die Linkspartei gewann geringfügig, ihr Ergebnis stieg von 2,7% auf 3,5%.  Bürgerliche frei Wählergruppen verloren etwas (104.920, vorher 17.500), linke Listen, darunter die DKP, verdoppelten ihr Ergebnis (21.015, vorher 11.634). Nur ein Beispiel. Die DKP/Linke Liste in Mörfelden-Walldorf (33.200 Einwohner), wo sie seit Jahrzehnten im Stadtrat sind, verbessert sich von 8,7 % auf 13,8 %, erhält 6 statt bisher 4 Mandate.

Die AfD, die fast überall angetreten war, konnte 257.095 (=11,9%) Wählerinnen und Wähler mobilisieren. Wo die AfD nicht antrat, - und man muß Absprachen vermuten - gab es auch schon mal üble Ergebnisse. Die NPD kam in Wetzlar auf 7,8%, in der Kleinstadt Büdingen nördlich von Frankfurt auf 10,2%. Von den insgesamt 1.920 (2011: 1.930) hessischen Stadtverordneten sind 554 (vorher 650; ein Minus von 96) von der CDU, ebenfalls 554 (vorher 614; ein Minus von 60) von der SPD. 217 Stadtverordnete (vorher 348; minus 131) zählen zu den Grünen. Die AfD erhielt 223 Sitze. Die Linkspartei konnte 68 Sitze erringen (vorher 52), also 16 mehr. Die FDP gewann 44 Sitze dazu, sie hat jetzt 120, vorher 76. Die Piraten kamen von 23 auf 13, die REPs von 13 auf 4, die NPD von 6 auf 5. Die Wählergruppen fielen von 145 auf 115, darunter die Freien Wähler von 114 auf 93. Die Linken Listen unter diesen Wählergruppen konnten Gewinne verbuchen – sie kamen von vorher 13 auf 20 Sitze. Kurz gesagt: Die AfD hat sich in den hessischen Städten und Gemeinden etablieren können zu Lasten von CDU, SPD und Grünen.

Drei Landtagswahlen am 13. März 2016

Im März 2011, als in Sachsen-Anhalt der letzte Landtag gewählt worden ist, waren dort noch fast 2 Mio Menschen wahlberechtigt. Diese Zahl ist um 5,5% gesunken, um 110 000 Wählerinnen und Wähler. Die Wahlbeteiligung ist aber um 9,9 % auf 61,1% (2011: 51,2%, 2006: 44,4%) gestiegen (um 130 000 Wählerinnen und Wähler). So kommt es, daß die Zustimmungsquote (2016: auf 29,8%, 2011: 32,5%, 2006: 36,2%) für die CDU trotz höherer absoluter Stimmenzahl (11.112 mehr als 2011) gesunken ist. Sie hätte 30 000 Stimmen mehr benötigt, um die Quote zu halten. Die Linkspartei hat 52.000 Stimmen verloren, die SPD 94.000, die Grünen 12.700 und die NPD 25.000 (vorher 46.000). 272.000 (=24,2%) der Zweitstimmen hat die AfD auf sich ziehen können. Die Hälfte davon geht offenbar auf das Konto von vormaligen Nichtwählern.

Auch in Baden-Württemberg ist die Wahlbeteiligung gestiegen. Von 66,3%. auf 70,4%. Die AfD hat aus dem Stand 809.311 Stimmen (=15,1%) erhalten. Viele vormalige Nichtwähler haben ihr das Vertrauen gegeben, Verluste von REPs und NPD sind ebenfalls auf ihr Konto gegangen. Aber vor allem von CDU und SPD, die jeweils eine halbe Million Stimmen verloren, sind Wähler zur AfD gegangen. Grüne haben mehr als 400 000, die FDP hat fast 200 000 Stimmen gewonnen. Die Linkspartei blieb stabil, gewann leicht: sie bekam 156.211 Stimmen (= 2,9%), vorher 139.700 (=2,8%), Gewinn 16.511 (= plus 0,1%).

In Rheinland-Pfalz ist die Wahlbeteiligung ebenfalls signifikant, von 61,8% auf 70,4%, gestiegen. Die SPD hat absolut und relativ gewonnen. Die CDU nur absolut. Erheblich verloren haben die Grünen. 175 000 Stimmen weniger bewirkten einen Verlust von über 10% (von 15,4% auf 5,3%). Die Linkspartei  hat leicht gewonnen, allerdings reichte der Gewinn an absoluten Stimmen nicht, den relativen Verlust zu kompensieren (60.074 = 2,8% im Verhältnis zu 2011 mit 56.054 = 3,0%). Die AfD kam aus dem Stand auf 12,6% der Stimmen. Diese Stimmenmenge ist etwas größer als der Zugewinn durch die höhere Wahlbeteiligung, schätzungsweise die Hälfte davon ging an die AfD.

Abgesehen davon, daß uns insbesondere die hessischen Ergebnisse zeigen, daß links mehr möglich ist, wird bei aller Unterschiedlichkeit, die auf die Labilität des bisherigen Parteiensystems, womöglich auch auf landestypische Unterschiede oder Persönlichkeitseffekte verweist, ein gemeinsamer Trend nach rechts deutlich. Die AfD mobilisiert Wählerinnen und Wähler, die bisher auf die Stimmabgabe verzichtet haben. Wahlverzicht ist indes ein Merkmal in solchen Stadtvierteln und Gegenden gewesen, die durch einen hohen Anteil von prekär Beschäftigten und Hartz IV-Beziehern markiert sind.

Die Armut wählt rechts

Diese Entwicklung deutete sich schon vor zwei Jahren mit den Ergebnissen der Kommunalwahlen in NRW im Mai 2014 an. Die Wahlbeteiligung war noch einmal von 51,9% auf 50% gesunken. Die Stimmen für alle Städte und Gemeinden in NRW zusammengenommen, ergab: Die FDP hat sich halbiert. Die CDU hat absolut und relativ Stimmen verloren (38,7% auf 37,7%), die SPD hat relativ gewonnen (von 29,4 auf 31,3%), allerdings in absoluten Zahlen etwas kümmerlich (von 2 122 466 auf 2 155 447, Differenz 32 981), Grüne haben absolut und relativ verloren (12,00 auf 11,7%), fast 60 000 Stimmen. Die Linke hat 8684 Stimmen gewonnen, sie kam von 311 155 (4,3%) auf 319 739 (4,6%).

Beispielsweise konnte die Linkspartei in Dortmund, wo das Linke Bündnis nicht mehr antrat, deutliche Gewinne verzeichnen: von 5.072 Stimmen 2009 (= 3,5%) kam sie auf 13.839 = 6,8%, das ist mehr als eine Verdoppelung in den absoluten Zahlen, wobei berücksichtigt werden muß, daß bei den vorherigen Wahlen in DO außer der Reihe eine Wahlbeteiligung von nur 32,7% erzielt wurde, jetzt waren es immerhin 44,9%. Die Stadt Dortmund steht in NRW an erster Stelle bei den kommunalen Zugewinnen der LINKSPARTEI mit 3,4%. Es folgten Bonn mit 2,5%, dann aber auch schon Köln mit ,1%.

Wuppertal ist die Stadt mit dem höchsten Ergebnis, nämlich 8%, für die Linkspartei. Diese Stadt gehört nach Dortmund (3,4%), Bonn (2,5), Köln (2,1), Aachen (2,0) und Münster (1,7) zu den Städten, wo die Linkspartei gegenüber den vergangenen Kommunalwahlen 2009 am meisten Stimmen hat gewinnen können: 1,7%.

Die DKP, die wieder in wenigen Gemeinden kandidiert hatte, rutschte von 6286 (2004), über 3389 (2009) auf 2954 Stimmen. Pro NRW, NPD und REPs haben Stimmen verloren, dafür konnte die Alternative für Deutschland 174 668 Stimmen = 2,5% gewinnen. Wenn man Faschisten, Rechtspopulisten und die bürgerlichen Parteien zusammenzählt und ihnen SPD, Grüne und linke Parteien gegenüberstellt, ist festzustellen, daß das Aufkommen der AfD den Vertrauensverlust gegenüber rechten und bürgerlichen Parteien nicht hat kompensieren können, zusammen kamen sie auf einen Verlust von 370 000 Stimmen gegenüber der Kommunalwahl am 30. August 2009. SPD, Grüne und linke Parteien konnten dagegen 92 000 Stimmen mehr erreichen. In relativen Zahlen: das bürgerliche Lager bekam statt 49 % nur noch 46 %, das eher „linke“ statt 46 % schon 49%. Die Wahlbeteiligung verringerte sich in absoluten Zahlen um 350 000 Stimmen.

Rechte Sitze in NRW

Anders gerechnet, die AfD kompensierte mit ihren 175 000 Stimmen zwar nicht vollständig die Summe der Verluste von CDU (190 000), Faschisten und anderen Rechtspopulisten (25 000). Aber innerhalb dieses Lagers gab es eine Verschiebung nach rechts, der auf der anderen Seite eine keineswegs eindeutige Linksverschiebung entspricht (Gewinn der Piraten 112 000, Gewinn der Linken gerade mal 8 500).

Die Rechtstendenzen im bürgerlichen Lager waren dazu vor zwei Jahren noch ambivalent. Zwar haben Pro NRW, REPs und NPD deutlich Stimmen verloren, aber es gibt einige Großstädte, in denen Faschisten erstmals in den Stadtrat einzogen. Die NPD sitzt in Essen und in Bochum im Stadtrat. In Duisburg ist mittels einer widerlichen Kampagne gegen Flüchtlinge erreicht worden, dass jetzt erstmals 4 Pro-NRW-Mitglieder und ein NPD-Mitglied im Stadtrat sind, dazu kommen noch Sitze für die AfD. In Dortmund gesellt sich zum NPD-Stadtrat der Protagonist der „Rechten“. Ebenfalls sitzt jetzt im Stadtrat von Hamm ein Mitglied der Partei „Die Rechte“.

Auch entspricht der Verlust an Sitzen noch lange nicht dem Verlust an Stimmen. Pro NRW, NPD, REPs und „Rechte“ haben zusammen immer noch 36 von vorher 37 Sitzen in den NRW-Stadträten und Kreistagen. Pro NRW: 23 (vorher 15), NPD: 8 (vorher 13), REPs: 3 (vorher 9) Rechte: 2. Die AfD kam insgesamt schon auf 84 Sitze. Soweit die Ergebnisse der Kommunalwahlen 2014.

AfD gewann erheblich mehr Nichtwähler

Bei der Einschätzung der Landtagswahlen in diesem Jahr muß auffallen, daß es der AfD gelungen ist, in erheblichem Maße Nichtwähler zu mobilisieren.

Gegenwärtig erleben wir, was in den Nachbarländern schon üblich ist. Rechte und Rechtspopulisten haben dort mittlerweile Zustimmungsraten in der Größenordnung von 15 bis 30%. Nun ist die Rechtsentwicklung nicht vom Himmel gefallen. Die Jahre 1997 und 1998 wurden von einer europaweiten Bewegung gegen Arbeitslosigkeit geprägt. In Frankreich kam im Juli 1997 eine Regierung mit kommunistischer Beteiligung zustande, auf deren Agenda die 35-Stundenwoche stand. Ein Höhepunkt der Bewegung gegen Arbeitslosigkeit war der Abschluss der Euromärsche am 14. Juni 1997 anläßlich der Euro-Konferenz in Amsterdam, als die EU ihre sogenannte Beschäftigungspolitik normierte. Überall in der Bundesrepublik wirkten Gruppen von Arbeitslosen. In Düsseldorf organisierte die Arbeitsloseninitiative mit Beginn des Jahres 1998 einmal im Monat eine Aktion vor dem Arbeitsamt, häufig verbunden mit Demonstrationen. Die Arbeitslosen selbst unterschätzten schon mal wegen mangelnder Beteiligung der Betroffenen die Durchschlagskraft dieser Aktivitäten. Aber diese und die Aktivitäten in anderen Städten, bundesweit vernetzt, sorgten dafür, daß das Thema über das ganze Jahr 1998 hin akut blieb.

In der Folge wurde die Regierung Kohl abgelöst. In seiner ersten Regierungserklärung am 10. November 1998 sagte der neue Bundeskanzler Schröder: „Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben die Wählerinnen und Wähler durch ihr unmittelbares Votum einen Regierungswechsel herbeigeführt. Sie haben Sozialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen beauftragt, Deutschland in das nächste Jahrtausend zu führen. Dieser Wechsel ist Ausdruck demokratischer Normalität und Ausdruck eines gewachsenen demokratischen Selbstbewußtseins. Ich denke, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir können alle stolz darauf sein, daß die Menschen in Deutschland rechtsradikalen und fremdenfeindlichen Tendenzen eine deutliche Abfuhr erteilt haben.“ „Die Bundesregierung ist sich völlig im klaren darüber, daß sie ihre Wahl wesentlich der Erwartung verdankt, die Arbeitslosigkeit wirksam zurückdrängen zu können. Genau dieser Herausforderung werden wir uns stellen.“

Ich teile diese Einschätzung. Tatsächlich hatte das Thema Arbeitslosigkeit den Wahlkampf beherrscht. Nach Angaben der Forschungsgruppe Wahlen wurde es über das gesamte Jahr 1998 als wichtigstes Thema genannt, immerhin sagten das zwischen 83 und 91 % der Deutschen. Das Thema Asyl/Ausländer kam nur auf 8 bis 16%.

SPD holte sich einen Bayer-Mann

Auf welche Weise die Regierung sich der Herausforderung Arbeitslosigkeit aber stellen wollte, teilte Bodo Hombach, kaum war er Chef des Bundeskanzleramtes, wenige Tage nach der Wahl dem SPIEGEL mit. Er wollte den „Abschied vom Sozialstaat alten Typs“, erkannte die „geringe Erwerbsneigung“ von Arbeitslosen und folgerte, dass sozialstaatliche Transferleistungen die Phasen der Erwerbslosigkeit verlängern, weil sie die Subventionsmentalität verfestigen. „Der Sozialstaat, bisher als Netz verstanden, muß künftig als Trampolin wirken - als eine Absprungsmöglichkeit in den regulären Arbeitsmarkt." Das Bild vom Trampolin wurde später von Schröder übernommen.

Aber zunächst beanspruchten andere Anreize die Aufmerksamkeit der rotgrünen Regierung.

Im März 1999 trat Lafontaine als Finanzminister zurück. Seinen Posten übernahm Eichel. Der benötigte auch einen neuen Staatssekretär. Dafür stand Heribert Zitzelsberger (1939-2003) zur Verfügung. Zitzelsberger war bis dahin im Bayer-Vorstand für die Bilanzen zuständig. Der Wechsel ins Finanzministerium bedeutete für ihn einen sozialen Abstieg, möchte man meinen. Das Opfer scheint ihm aber erträglich gemacht worden zu sein. Manfred Schneider, Vorstandsvorsitzender von Bayer, sagte wenig später, am 30. April 1999, auf der Aktionärsversammlung von Bayer: „Wir sandten unseren besten Mann mit Instruktionen, so dass nun nichts mehr schief gehen sollte.“

Zitzelsberger hatte in seiner Zeit bei Bayer noch die Muße, sich wissenschaftlich auszuzeichnen und seine Habilitationsschrift fertig zu stellen. Ihr Thema ist die Theorie der Gewerbesteuer. Vielleicht würden wir nach der Lektüre wissen, warum Bayer weder in Leverkusen noch in den anderen Standorten in NRW Gewerbesteuer zahlt - außer in Monheim. Als Finanzstaatssekretär sorgte Steuerfachmann Zitzelsberger bald schon für Überraschungen. Kurz vor Weihnachten ging Eichelmit dem Vorschlag in die Öffentlichkeit, Veräußerungsgewinne bei Aktienverkäufen künftig nicht mehr zu besteuern. So kam es. Zitzelsbergers Handschrift trägt auch das Steuerminderungsgesetz, das am 1. Januar 2001 in Kraft trat, wonach die Körperschaftsteuer von 30 bzw. 40 % einheitlich auf 25% gesenkt wurde.

Diese Steuersenkung erbrachte den bundesdeutschen Großkonzernen über 22,5 Milliarden DM im Jahr. Es kam aber noch etwas hinzu. Denn es galten vorher unterschiedliche Sätze, nämlich 40% für die einbehaltenen, 30% für die ausgeschütteten Gewinne. Der Clou: Bei späterer Ausschüttung vormals einbehaltener Gewinne bis zum Ende dieses Jahres 2001 zahlte der Fiskus diese Differenz zurück. Das lohnte sich. Insgesamt wurden über 15 Mrd. DM Rückzahlungen fällig. Das Gesetz war übrigens im Oktober 2000 damit begründet worden, daß die Steuersenkungen den Produktionsstandort Deutschland für ausländische Investoren attraktiver machen und in der Folge Arbeitsplätze schaffen sollten, also im Sinne von Schröders Regierungserklärung Arbeitslosigkeit bekämpfen würde.

SPD-Geschenke an die Unternehmer

In NRW fehlten auf Grund der Rückzahlungen 1,6 Mrd Euro im Landeshaushalt, mindestens 250 Millionen gingen damals an Bayer, der Rest an drei weitere Großkonzerne (Telekom, Vodafone, RWE?). Damals war Steinbrück unter Wolfgang Clement Finanzminister. Er kompensierte diesen Verlust, in dem er just um diese Summe die Gehälter und das Weihnachtsgeld der Landesbeamten kürzte und ihre Arbeitszeit auf 41 Wochenstunden verlängerte. Auf der NRW-weiten Demonstration am 24. September 2003 rechnete der Vertreter der Polizeigewerkschaft GdP den 30 000 Demonstranten vor, daß der Verlust 10% der Bezüge betrage. Aber ich greife vor, denn das war schon ein Jahr nach der Bundestagswahl vom September 2002, auf die ich gleich zu sprechen komme.

1999, daran wird sich der eine oder andere erinnern, kam im Juni das Schröder-Blair-Papier raus. Die geplante Sozialgesetzreform, bekannt unter dem Namen Hartz IV, wurde Thema im Wahlkampf 2002.

Die SPD verlor. Die PDS-Fraktion, vormals 36 Sitze, verschwand fast. Sie konnte gerade mal zwei Direktmandate erringen. Mit einer hauchdünnen Mehrheit gelang es Schröder noch einmal, zusammen mit den Grünen die Regierung zu bilden.

Ein halbes Jahr später, am 14. März 2003 kam er mit der Agenda 2010 raus. Sie war nicht Schröders Erfindung. Die Bertelsmannstiftung hatte sie in ihren „Wirtschaftspolitischen Forderungskatalog für die ersten hundert Tage der Regierung“ vorformuliert und im Wirtschaftsmagazin Capital publiziert. Ihr Inhalt wurde weitgehend übernommen.

Ohnehin haben wir es hier mit einer Vorgabe der EU in der Folge des schon erwähnten Amsterdamer Gipfels zu tun. Nachzulesen im „Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften" vom 16. Juli 1998, Seite L 200/34 bis 44. Untertitel: „Nicht veröffentlichungsbedürftige Rechtsakte".

Hartz IV – von Bertelsmann empfohlen

Überschrift: „Empfehlung des Rates vom 6. Juli 1998 über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft (98/454/EG)“. Dann heißt es im Text: „Die Sozialsysteme müssen reformiert werden, um den Anreiz zur Arbeitsaufnahme und die Gelegenheiten wie auch die Verantwortung dafür zu erhöhen sowie die Funktionsweise des Arbeitsmarkts allgemein zu verbessern. Dies bedeutet eine Umstellung von Systemen der passiven Einkommenssicherung auf Systeme, die Sozialleistungen von einer Erwerbstätigkeit abhängig machen."

Wolfgang Clement, seinerzeit noch in der SPD und zu diesem Zeitpunkt Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, mittlerweile ist er selbst in der Zeitarbeitsbranche tätig, hob am 1. Januar 2003, zum Zwecke der „Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“ mehrere gesetzliche Rahmenbedingungen für die Zeitarbeit aus dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) ersatzlos auf. Es handelte sich um die Beschränkung der Höchstüberlassungsdauer, das Befristungsverbot, das Wiedereinstellungsverbot und das Synchronisationsverbot. Die Zahl der Leiharbeiter betrug Ende 1998 230.000, 2002 waren es 310.000, gegenwärtig sind etwa eine Million registriert.

Mittlerweile ist die Leiharbeit nicht mehr die bevorzugte Form von Lohnkostensenkung und Prekarisierung der Arbeit. An ihre Stelle treten Werkverträge, auf deren Grundlage Fremdfirmen außer- und untertariflich Arbeiten erledigen. Heute findet, just in diesem Moment, eine Kundgebung des DGB in München statt. Motto: „Wir lassen uns nicht spalten“ - Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen beenden! Die IG Metall stellt in einem aktuellen Flugblatt fest, daß gegenwärtig in zwei von drei Betrieben Arbeiten über Werkverträge fremdvergeben werden. In den vergangenen drei Jahren hat in 22 Prozent der Betriebe die Anzahl der Werkverträge zugenommen. Den Teilnehmern der Kundgebung geht es darum, die Blockade der CSU gegen ein im Koalitionsvertrag vereinbartes Gesetz zu brechen. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition wird versprochen: „Mit einem gesetzlichen Mindestlohn und allgemein verbindlichen Tarifverträgen sorgen wir für faire Löhne. Tarifautonomie, Tarifeinheit und Mitbestimmung sind für uns ein hohes Gut. Den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit werden wir verhindern.“ Und an anderer Stelle: „Rechtswidrige Vertragskonstruktionen bei Werkverträgen zulasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern müssen verhindert werden.“

Man kann der Aktion nur Erfolg wünschen. Ich bleibe indes skeptisch, ob die SPD etwas gelernt hat.

Start in die Hartz-IV-Zeit

Vor elf Jahren hat sie unverdrossen Hartz IV und die Zustimmung des DGB durchgesetzt. Das Arbeitslosengeld II ist seit dem 1. Januar 2005 Gesetz. Entscheidend ist nicht mehr, was in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt worden ist, sondern die Bedürftigkeit. Das hat die Arbeiterklasse der SPD bis heute nicht verziehen. Schon bei den NRW-Kommunalwahlen im September 2004 wurde die SPD abgestraft. Viele SPD-Wähler gingen nicht zur Wahl. Die Wahlbeteiligung lag bei 54,4%, die SPD bekam noch 2 357 022 Stimmen = 31,7%. 1999 waren es noch 35,7% gewesen. Ein halbes Jahr später, am 22. Mai 2005, verlor die SPD bei der Landtagswahl fast 6 Prozent mit der Folge, daß sie nach 39 Jahren aus der NRW-Regierung flog.

1966 hatte Heinz Kühn mittels FDP erstmalig eine SPD-geführte Regierung in NRW bilden können. Jetzt übernahm Rüttgers das Amt des Ministerpräsidenten einer CDU/FDP-Regierung. Diese Wahlniederlage führte dazu, daß Schröder im Bundestag die Vertrauensfrage stellte. Der Bundestag wurde am 21. Juli aufgelöst. Neuwahlen erfolgten am 18. September 2005. Schröder wollte am Wahlabend seine Niederlage nicht wahrhaben. Es kam ohne ihn zur großen Koalition. Schröder ging zu Gazprom.

Einen Tag vor der erwähnten Vertrauensfrage wurde in der WELT ein „Hamburger Appell“ veröffentlicht (30. Juni 2005). Es handelte sich um eine Reaktion auf Äußerungen aus der Bundesregierung. Sie hatte Lohnerhöhungen vorgeschlagen, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu steigern. Gegen den Vorschlag postulierten mit dem „Hamburger Appell“ 253 neoliberale Ökonomie-Professoren: (wörtlich!) „dass eine Verbesserung der Arbeitsmarktlage nur durch niedrigere Entlohnung der ohnehin schon Geringverdienenden, also durch eine verstärkte Lohnspreizung, möglich sein wird. Eine Abfederung dieser Entwicklung ist durch verlängerte Arbeitszeiten, verminderten Urlaubsanspruch oder höhere Leistungsbereitschaft möglich.“ Den Appell hatte Prof. Dr. Bernd Lucke zusammen mit Michael Funke und Thomas Straubhaar initiiert.

Die AfD-Gründer melden sich zu Wort

Die Kosten für die Anzeige trug die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, bekanntlich eine Lobby-Organisation der Metall- und Elektroindustrie. Wir erinnern uns ihrer Kampagne „Auch du bist Deutschland“ aus dem Jahre 2006. Alleingesellschafter der INSM GmbH, zuständig für das operative Geschäft, ist das Institut der deutschen Wirtschaft. Die genannten Ökonomen, ebenso wie Alexander Dilger (später zeitweilig AfD-Landessprecher NRW), Jörn Kruse (Landessprecher Hamburg), Joachim Starbatty, Roland Vaubel, Dirk Meyer gehörten im Jahr 2013 zur ersten Garnitur der AfD. Zusammen mit Helga Luckenbach bildeten sie den wissenschaftlichen Beirat der Partei. Hans-Olaf Henkel, von 1995 bis 2000 Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), bis 2013 Mitglied der Aufsichtsräte der Bayer AG, Continental AG, Daimler Luft- und Raumfahrt AG, SMS GmbH (Düsseldorf), dem Schweizer Medienunternehmen Ringier AG und Heliad Equity Partners (Frankfurt/Zürich), wirkte zunächst im Hintergrund bei der Gründung der AfD, sorgte für Geld, trat dann aber im April 2015, er war unterdessen stellvertretender Vorsitzender, zurück und nach der Wahl von Frauke Petry zur Parteivorsitzenden aus der AfD aus.

Mit Bernd Lucke gründete er die Allianz für Fortschritt und Aufbruch (ALFA). Im vergangenen November war von ihm zu hören: „Wir haben ein richtiges Monster erschaffen“. Die AfD sei eine Art NPD-light, vielleicht sogar identisch mit der NPD.

Aber dazu später. Zunächst möchte ich in der Chronologie fortfahren.

Die Ergebnisse der Kommunalwahlen 2009 bestärkten den Trend gegen die SPD. Bei einer Wahlbeteiligung von 52,4 %, deponierten 2 137 000 Wähler ihr Vertrauen bei ihr, das sind 29,4%. Die SPD verlor an Prozenten 2,3, aber die CDU sogar 4,8 %. Es gewannen Grüne 1,6 %, FDP 2,4 % und Linke sogar 3%, von 1,4% auf 4,4%. Offenbar hatte die Krise ihre Spuren hinterlassen.

Rechte blieben allesamt unter 1%.

Es folgten am 9. Mai 2010 die Landtagswahlen. Mit 59,3% war die Wahlbeteiligung die zweitniedrigste seit der Landtagswahl 2000. Es verloren CDU und SPD. Die CDU mehr als 10 %; sie wurde mit 34,6 Prozent knapp stärkste Partei vor der SPD, die bei Verlusten von 2,6 Prozentpunkten auf 34,5 Prozent kam. Für die CDU war es das bis dahin schlechteste Ergebnis bei einer nordrhein-westfälischen Landtagswahl; die SPD schnitt so schlecht ab wie seit 1954 nicht mehr. Die Grünen verdoppelten ihre Stimmen, sie erzielten 12,1 %, FDP 6,7 %, Die Linke zog mit 5,6 % und 11 Abgeordneten erstmals in den Landtag ein. Es folgte für zwei Jahre eine von der Linken geduldete SPD-Grünen Koalition. Das änderte sich 2012, als SPD und Grüne die Gunst der Stunde und schlechte Umfrageergebnisse für die Linkspartei nutzten und nach Auflösung des Landtags und folgenden Neuwahlen die Regierung stellen konnten, ohne auf andere angewiesen zu sein. Die Linkspartei verlor und kam nicht wieder in den Landtag. Das war im Mai 2012.

Neben der eben beschriebenen Gründe für die Armut – Hartz IV als „Armut per Gesetz“ - gibt es im Ruhrgebiet noch spezifische Bedingungen als Folge der brutalen Deindustrialisierung.  1960 hatte das Ruhrgebiet mit 5,6 Mio Einwohnern den Höchststand der Bevölkerungsentwicklung erreicht. Seit 1957 verfallen die industriellen Grundlagen. Bis zur Gründung der Ruhrkohle 1969 wurden 54% der Kohleförderkapazitäten mit mehr als 200 000 Arbeitsplätzen stillgelegt. 133 Zechen- und Kokereistandorte wurden aufgegeben. Ab den 1970er Jahren wurde mit der Minderung der Stahlproduktion die Zahl der Beschäftigten reduziert. Ganze Stahlstandorte wurden stillgelegt.

Wir erinnern uns an den Kampf der Arbeiter von Rheinhausen 1987. Ab Mitte der 1970er Jahre nahm die Gesamtbevölkerung ab. Sie sank in den 1980er Jahren auf wenig mehr als 5 Millionen ab. Auch gegenwärtig ist Abwanderung angesagt. Von staatlicher Seite wurde der Deindustriealisierung bis in die 1970er Jahre mit einer Subventionspolitik begegnet, die den Arbeitsplatzabbau sozial abfedern sollte. Ein bemerkenswertes Beispiel ist die Internationale Bauausstellung Emscher Park als umfassendes städtebauliches Projekt, das die Deindustrialiesierung begleitete, um politische Konflikte zu vermeiden und Widerstand zu zähmen. Dafür wurde viel Geld ausgegeben, etwa 5 Milliarden DM. In den Jahren 1989 bis 1999 wurden mit diesem Geld 120 Projekte bezahlt, unter anderem 300 km² Grünflächen, 350 km offene Abwasserläufe wurden umgestaltet, 17 neue Technologiezentren eingerichtet, 3000 neue Wohnungen errichtet und 3000 Wohnungen denkmalgerecht saniert. Die Emscher fließt mittlerweile bergauf, weil sich ganze Landschaften über den ehemaligen Gruben abgesenkt hatten.

In der Sprache der IBA heißt Deindustrialiserung Strukturwandel. Aber was wandelt sich denn da? Aus industriellen Betrieben werden Freizeiteinrichtungen. Es gibt einen 400 km langen Rundkurs, eine „Route der Industriekultur“ mit 25 Ankerpunkten und 16 Panoramen der Industrielandschaft

sowie 13 schönste Siedlungen. Der Himmel über der Ruhr ist jetzt in der Tat blau. Aber offenbar ist nicht mehr erheblich, wie die Einwohner ihr Geld verdienen, sondern nur noch, wie sie es ausgeben. Wir staunen, wie wenig Widerstand diese Veränderungen ausgelöst hat.

Jetzt prägt Armut insbesondere die Emscherzone.

Im Februar hatten die Wohlfahrtsverbände vorgerechnet, daß im Ruhrgebiet jeder Fünfte arm ist. In Dortmund fallen nach ihrer Berechnung 21,4% unter die Armutsgrenze, in Düsseldorf 16,3%, in Köln 17,5%. Auch hier wächst sie rapide, in den vergangenen sieben Jahren um ein Drittel. Es gibt gegenwärtig noch kein einklagbares Recht auf Nahrung, das sich auf die Menschenrechtskonvention berufen könnte. Denn die sozialen Menschenrechte harren noch der Übernahme durch die Europäische Menschenrechtskonvention. Aber es gibt mittlerweile 919 Tafeln in Deutschland, in denen 60 000 Helfer in annähernd 3000 Ausgabestellen regelmäßig mehr als 1,5 Millionen bedürftige Personen mit Lebensmitteln versorgen – knapp ein Drittel davon waren im vergangenen Jahr Kinder und Jugendliche. Auffällig ist die Entwicklung der Zahlen bei den Rentnern. Die Menge der Rentner, die die Tafeln in Anspruch nimmt, hat sich innerhalb weniger Jahre mehr als verdoppelt. Während im Jahr 2007 etwa 12 Prozent der Tafel-Kunden im nacherwerbstätigen Alter waren, ist ihre Zahl laut aktueller Tafel-Umfrage auf knapp 24 Prozent angestiegen. Sie hat sich verdoppelt.

Der Deutsche Städtetag hat im Herbst 2015 seinen jährlichen Gemeindefinanzbericht veröffentlicht. In der Kurzfassung macht er unter dem harmlos klingenden Titel „Schuldenbremse und Fiskalpakt – Chancen und Risiken“ auf den Schuldenexport durch die Länder aufmerksam, also auf die Überwälzung von Schulden auf die Kommunen, als die letzten, die die Hunde beißen. Hinter diesen Feststellungen verbirgt sich der Umverteilungsmechanismus der seit 2009 im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse. Die Kommunen kommen für die Bankenrettungsschirme des ESM auf.

Laut Städtetag sind die Wege der Konsolidierung der Länderhaushalte zu Lasten der Kommunen vielfältig. Wörtlich: „Sie reichen von der Reduktion von Förderprogrammen über Kürzungen beim kommunalen Finanzausgleich bis hin zu Aufgabenübertragungen und Standarderhöhungen ohne ausreichenden Mehrbelastungsausgleich.“ Der Städtetag beklagt die Einführung von Finanzausgleichs- bzw. Abundanzumlagen. Auf diese Weise würden Mittel von 'reicheren' Kommunen abgeschöpft und zu 'ärmeren' Kommunen umgeleitet. Der Landeshaushalt wird dabei nicht belastet; das Land erspart sich eigene Anstrengungen und lässt diese durch die kommunale Ebene tragen.“

Diese Methode wird übrigens durch den Kommunalen Finanzreport der Bertelsmannstiftung nahegelegt. Das heißt dann Disparitätenanalyse und bietet die Grundlage für die Propagierung eines derartigen für die Länder kostenneutralen Ausgleichs unter den Kommunen.

Umverteilung von Arm zu Reich

Dabei sind die Zinsen gegenwärtig auf einem Tiefstand. Aber immer wieder wird von einem Ende der Niedrigzinspolitik geraunt. Davor zittern die Schuldner dieser Welt. Sie würde insbesondere die hochverschuldeten Städte und Gemeinden treffen. Die bürgerliche Kommunalpolitik bietet keine andere Perspektive als die Schuldenfalle oder allenfalls ihre knappe Vermeidung. Die unzulängliche finanzielle Ausstattung der Kommunen zusammen mit der Zwangsjacke des Kommunalkredits sind Teil dieser Umverteilungsprogramme von Arm zu Reich.

Die Kredite sind selbstverständlich ein Geschäft für die Banken, das nur funktioniert, wenn sie brav bedient werden. Die öffentlichen Haushalte sollen ein Maximum an Krediten beanspruchen, aber auch nicht mehr, um die Rückzahlung nicht zu gefährden.

Das geschieht aber. Nachdem 177 NRW-Kommunen in die Haushaltssicherung geraten waren, hat der NRW Landtag den Haushaltsausgleich von drei auf 10 Jahre gestreckt und im Dezember 2011 für die weiterhin überschuldeten Gemeinden das Stärkungspaktgesetz beschlossen. Von dem sind jetzt noch 61 Kommunen betroffen. Der Stärkungspakt verspricht sogenannte Konsolidierungshilfen, erzwingt indes Kürzungsmaßnahmen. Die Folge: Bürgerliche Demokratie verkommt zur Sachzwanglogik. Daseinsvorsorge wird teuer, reduziert, privatisiert. Busse und Bahnen sind für viele unerschwinglich. Kommunale Unternehmen erhöhen die Grundsteuern, die Preise bei Gas, Strom, Müll oder Wasser. Kommunen lassen Schulgebäude verkommen. Bibliotheken, Schwimmbäder, Beratungsstellen und Sozialeinrichtungen werden geschlossen.

Öffentliche Räume und Flächen veröden und verschwinden. Geselligkeit und Kultur werden zunehmend kommerziell organisiert.

Es sind die Ärmsten, die am meisten benachteiligten Teile der Bevölkerung in den Städten und Gemeinden, die mittels der Kürzung sogenannter freiwilliger Leistungen, zu denen Soziales und Kultur zählen, zur Kasse gebeten werden. Und sie zahlen für die Kürzungen mittels wachsender Mietnebenkosten wie Müll, Gas und Strom.

Am 29. März lief auf Arte der Film „Die große Stromlüge“ (Regie: Cécile Allégra und Patrick Dedole, 90 Min, 2016). In den Jahren 2006 bis 2013 hat sich der Strom in Europa um durchschnittlich 42 Prozent verteuert. Im Film wird Energiearmut registriert und mitgeteilt, daß 2014/15 in Europa etwa 40 000 Wintertote zu beklagen waren. Sie starben, weil sie ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen konnten.

Die Ärmsten zahlen für die Kürzungen aber auch mittels steigender Preise bei Bahn und Bus und anderen kommunalen Einrichtungen, und falls durch den Finanzdruck kommunale Betriebe zur Privatisierung veranlaßt wurden, zusätzlich für die fälligen Gewinne der privaten Eigentümer.

Programmatik der VVN-BdA NRW: Grund- und Menschenrechte

Ich war auf der Landeskonferenz in Düsseldorf am 8. Februar 2014, die die „Programmatischen Eckpunkte“ beschlossen hat. Unter anderem fordern wir die Anerkennung der Arbeit als Menschenrecht. Seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 gilt die Arbeit als Menschenrecht. Normiert ist das in Artikel 23. Aber wie alle anderen sozialen Menschenrechte (Artikel 22 bis 26) fehlt es in der Europäischen Menschenrechtskonvention, der die Bundesrepublik 1953 beigetreten ist. Die sozialen Menschenrechte sind folglich noch nicht innerstaatliches Recht.

Es handelt sich namentlich um:

  • das Recht auf soziale Sicherheit,
  • Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz vor Arbeitslosigkeit
  • das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit
  • das Recht auf Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung
  • das Recht auf Bildung.

Die Armut hier in Duisburg, im Ruhrgebiet, ebenso wie die Lage der Flüchtlinge stößt uns drauf.

Angesichts der Krisensituation scheint mir der Kampf um die Befriedigung der elementarsten Lebensbedürfnisse auf der Tagesordnung zu stehen und die größte Chance zu bieten, die Menschen gegen die Widrigkeiten eines Wirtschaftssystems, das allein dem Profit dient, zu einen. Es geht um bezahlbare Wohnungen, um Bildung, um Nahrung, um Menschenwürde, nicht zuletzt durch Arbeit – alles das kann der Kapitalismus nicht mehr garantieren.

Der Kampf um soziale Rechte wird begleitet vom Kampf um demokratische Rechte. Wie in den Jahren 1997 und 1998 ist eine Bewegung nötig, die soziale Rechte einfordert.

Klaus Stein, Duisburg, 9. April 2016