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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

26.04.2016

In Memoriam Léon Gruenbaum

Nazi-Verfolgter jüdischer Wissenschaftler wird mit würdiger Grabstätte geehrt

Am Kernforschungszentrum Karlsruhe (heute KIT) wurde der promovierte Physiker Léon Gruenbaum Anfang der 1970er Jahre ein zweites Mal antisemitisch verfemt. Der Verfolger war der Atommanager Rudolf Greifeld, der seine berufliche Perspektive zerstörte. Léon deckte zusammen mit Beate und Serge Klarsfeld die Nazi-Verstrickungen Greifelds im besetzten Paris auf. Dietrich Schulze half sehr entscheidend mit, den „vergessenen Whistleblower“ Gruenbaum zu ehren und eine Bewegung für die Aberkennung des Ehrensenatstitel für den Nazi-Atomforscher in Gang zu setzen.

Von Dietrich Schulze

Mit diesem Titel „In Memoriam Léon Gruenbaum“ hatte der Autor vor fünf Jahren in Neue Rheinische Zeitung (NRhZ) des Peter Kleinert+ den damals Vergessenen an das Licht der Öffentlichkeit gebracht. Motivation für die damalige Recherche war ein bewegen­der Besuch von Léon Gruenbaums in Paris lebender Witwe Rolande Tordjman-Grunbaum im April 2011. An Léon’s Grab auf dem Friedhof in Mingolsheim, Stadtteil von Bad Schön­born, gab es eine kleine Gedenkfeier. Zu der seit Jahren intensiv erarbeiteten Ehrung des Nazi-Verfolgten hat sich am 30. März ein Kreis geschlossen. An Léon’s schlichtem Rasengrab von 2004 wurde eine Gedenktafel über Leben und Wirken der Person der Zeitgeschichte enthüllt und damit eine würdige Grabstätte gestaltet.

Der hier gekürzte Bericht darüber und die zitierten Fakten sind in der WebDoku der Initiative gegen Militärforschung an Universitäten http://www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf nachlesbar.

Gedenktafel am Grab

Der Text auf der Gedenktafel lautet:

„Léon Gruenbaum (* 30.3.1934 Forbach/Elsass; † 22.7.2004 Bad Schönborn)

Jüdischer Wissenschaftler aus Frankreich. Geboren auf der Flucht der Familie vor den Nazis. Am Kernforschungszentrum Karlsruhe (heute KIT) wurde der promovierte Physiker Anfang der 1970er Jahre ein zweites Mal antisemitisch verfemt. Der Verfolger war der Atommanager Rudolf Greifeld, der seine berufliche Perspektive zerstörte. Léon deckte zusammen mit Beate und Serge Klarsfeld die Nazi-Verstrickungen Greifelds im besetzten Paris auf.Als Physiker hatte Léon seine Arbeit verloren, ließ sich jedoch nicht demütigen und schuf eine bedeutende geschichtswissenschaftliche Monographie über den Bomben-Rohstoff Plutonium. Gegen Ende seines leidvollen Lebens zog es ihn zu Freunden nach Karlsruhe zurück. Im Oktober 2015 wurde ihm im Rathaus Karlsruhe der Posthum-Whistleblower-Ehrenpreis verliehen. Wir werden ihm und seinem Widerstand ein ehrendes Gedenken bewahren.

Forum | Ludwig Marum mit Unterstützung von Léons Witwe Rolande und der Gemeinde“

Dass Léon an seinem 82. Geburtstag auf eine solch generöse Art geehrt werden konnte, ist vor allem Angelika Messmer zu verdanken, Tochter des Geschichtsforschers Dr. Willy Messmer.

Allen TeilnehmerInnen aus ganz verschiedenen politischen, religiösen und kulturellen Zusammenhängen hat das Gedenken viel gegeben. Wir haben – wie versprochen – Léon und seinem Widerstand ein ehrendes Gedenken bewahrt.

Übersetzung Monographie

In dem oben erwähnten Artikel war erstmals die von Léon Gruenbaum Ende der 1970er Jahre in Paris geschaffene Monographie „Genese der Plutonium-Gesellschaft“ erwähnt und das Schlüsselkapitel „Interludium alla tedesca - Deutsches Zwischenspiel: Die Affäre Greifeld“ in deutscher Übersetzung veröffentlicht worden.

In diesem Kapitel werden die autoritären Verhältnisse im ehemaligen Kernforschungszentrum Karlsruhe und die dort agierenden Personen mit dem AtomNazi Rudolf Greifeld (NSDAP-Mitglied seit 1937) und dessen Verfolgung von Léon beleuchtet.

Der Memoriam-Artikel war die Grundlage für alle weiteren Bemühungen, Léon zu ehren und die komplette 450-seitige französische Monographie zu übersetzen.

Gruenbaum-Symposium 2013

Am 19. Oktober 2013 fand dieses denkwürdige Symposium statt mit einem Grußwort von Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup, einer eindrucksvollen Rede von Witwe Rolande, mit einer Grußbotschaft von Serge Klarsfeld, mit einem Beitrag von Dr. med. Wolff Geisler aus Köln, der mit Léon gegen den deutschen Atomtransfer an die Diktatur Südafrika zusammen gearbeitet hatte, mit einem Geschichtsbeitrag über die Judenverfolgung im besetzten Frankreich verbunden mit einer Heidelberger Studierendengruppe zum „Lernen aus der Geschichte“, mit Beiträgen zur deutschen Atomwaffen-Politik und zur Nachkriegs-Braunfäule. Im Juli 2014 erschien die Broschüre des Symposiums »Der vergessene Whistleblower (1934–2004)« mit äußerst zukunftsfähigem Titel wie wir gleich sehen werden.

Whistleblower-Preis 2015

Dr. Christof Müller-Wirth hatte die Idee, Léon für den alle zwei Jahre vergebenen bundesweiten Whistleblower-Preis vorzuschlagen. Die Jury der beiden Trägerorga­nisationen IALANA und VDW entschied, zusätzlich zu den beiden aktuellen Preisträgern  Léon den Posthum-Whistleblower-Ehrenpreis zu verleihen und als Veranstaltungsort Karlsruhe zu wählen, wo Léon gewirkt hatte und verfolgt wurde.

Nur zwei Knackpunkte der Preisverleihung seien herausgestellt. Mit OB Mentrup, der seit dem Gruenbaum-Symposium mit der Materie vertraut war, konnte erreicht werden, dass der demokratisch attraktivste Raum der Stadt, der Rathaussaal, für den 16. Oktober 2015 zur Verfügung gestellt wurde. Mit Serge Klarsfeld, der wegen der der neu erschienenen „Memoires“ keine Teilnahmemöglichkeit hatte, konnte in seinem Pariser FFDJF-Büro (Fils et Filles Déportés Juifs de France) ein Video-Termin vereinbart werden.

Der Ergebnisbericht des Autors über die gesamte Preisverleihung erschien unmittelbar nach dem Mega-Ereignis. Im Kontext seien nur drei Fakten herausgestellt. Erstens wurde eine Finanzie­rungs­zusage für die Monographie-Übersetzung gemacht. Zweitens hatte die Tagungsleitung zu einer Gedenkminute für Léon Gruenbaum gebeten. Für mich der emotionale Höhepunkt der Veranstaltung. Drittens wurde das Klarsfeld-Video in Französisch mit deutschen Untertiteln vorgeführt. Fast so gut wie die persönliche Anwesenheit, endend mit Serge Klarsfelds Äußerung, dass es nur gerecht wäre, Greifeld den Ehrensenatortitel zu entziehen.

Distanzierung von Greifeld

Am 13. Dezember 2015 distanzierte sich der KIT-Senat von der Ehrensenatorwürde Greifelds mit den Worten: „Nach dem heutigen Kenntnisstand und auf der Basis ethischer Bewertungen würde die Ehrung von Dr. Greifeld nicht mehr erfolgen. Der KIT-Senat bedauert die damalige Ehrung.“

Die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten hat diese Entscheidung begrüßt, ebenso wie die Bestimmungen, die Ehrensenatorenliste transparent zu machen und durch Einfügung der obigen Senatsentscheidung zu ergänzen. Nicht nachvollzogen werden konnte die Senats-Annah­me, dass eine Aberkennungsentscheidung deswegen nicht getroffen werden könne, weil diese Ehrensenatorwürde mit dem Tod erloschen sei. Der KIT-Senat war wohl vom Posthum-Whistleblower-Preis und ganz besonders von der Klarsfeld-Botschaft beeindruckt worden.

Zweisprachiges Ebook

Es gab mehrere ergebnislose Ansätze, darunter aus Zeitbedarfs- und Kostengründen, die Monographie als Buch-Projekt herauszubringen. Jetzt ist die Initiative auf dem Weg, ein zweisprachiges Ebook zu realisieren. Über eine Teilveröffentlichung wird aufgrund einer konkreten Überlegung gesprochen, ebenso wie über einen völlig neuen universitären Ansatz.

Abschließend aus der nicht gehaltenen Grabrede 2004 im Schlusssatz: "Wir werden Léon nicht vergessen, so wie wir die Vergangenheit nicht vergessen dürfen, wenn sie nicht erneut durchlitten werden soll. Schalom, Léon, Schalom."