22.04.2016
"Es kommt darauf an sich
rassistischen und neofaschistischen Kräften konsequent
entgegen zu stellen. Keinen Raum zu geben – nirgends!"
Alljährlich wird in
wechselnder Verantwortung der beteiligten Städte Langenfeld,
Leverkusen, Remscheid, Solingen und Wuppertal des
Kriegsendphasenverbrechens in der Wenzelnbergschlucht gedacht. Seit
1990 wird diese Gedenkveranstaltung gemeinsam mit der Landesvereinigung
NRW der VVN/BdA durchgeführt. In diesem Jahr sprach Silvia
Rölle von der Kreisvereinigung Mülheim für
die VVN/BdA.
Rede von Silvia Rölle am Wenzelnberg 17.04.16
Liebe Angehörige, sehr geehrter Frau
Oberbürgermeisterin, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe Schülerinnen und Schüler und Mahnende!
Ich spreche hier als Vertreterin der Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten Landesvereinigung
Nordrhein-Westfalen.
Wir sind heute hier um den vor 71 Jahren Ermordeten zu
gedenken. Einer der Opfer war Otto Gaudig aus meiner Heimatstadt
Mülheim an der Ruhr. Wenn ich in meiner Rede auch etwas zum Leben
von Otto Gaudig sage, geschieht dies stellvertretend für alle von
den Nazis Ermordeten.
Otto Gaudig war erst SPD-Mitglied und wechselte dann zur
KPD. Er wurde 1924 als KPD-Mitglied in den Stadtrat der Stadt
Mülheim an der Ruhr gewählt. Er hatte früh den
Zusammenhang erkannt von Rechtsentwicklung, Faschismus und Krieg.
„Wer Hindenburg wählt wählt Hitler, wer Hitler wählt wählt den Krieg“
Mit dieser Losung warnte er gemeinsam mit seinen
Genossen vor der unheiligen Allianz von Deutschnationalen,
Militärs und Nazis.
Am 1.3.1933 wurde er nach dem Reichstagsbrand mit
anderen Sozialdemokraten und Kommunisten verhaftet und ins KZ
Börgermoor gebracht. Er erlebte seine Wiederwahl als
Stadtverordneter der KPD in KZ-Haft. Bei seiner Entlassung
am 31. März 1934 schmuggelte er in der Brandsohle seines Schuhs
das Moorsoldatenlied, welches wir heute zum Schluss singen
werden, auf einem Papier heraus.
Ab 1942 war er aktiv im Widerstand tätig in dem er
mit seiner Frau Johanna den Widerständlern Unterkunft
gewährte. Am 4.2.1943 verhaftete die Gestapo das Ehepaar Otto und
Johanna Gaudig und deren Tochter Frieda. Der Sohn Theodor befand sich
zu dieser Zeit schon in einem rumänischen KZ. Otto Gaudig wurde
wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 8 Jahren Zuchthaus und 8 Jahre
Ehrverlust, Ehefrau Johanna mit der Tochter Frieda wurden zu 3
Jahren Zuchthaus verurteilt. Durch die Haftbedingungen war Otto Gaudig
so entkräftet und abgemagert, dass er auch nach Auffassung der
Lagerärzte nicht mehr für den Lagervollzug geeignet war.
An dem Tag der Ermordung war Mülheim an der Ruhr schon 2 Tage vom Faschismus befreit.
Mit der Ermordung der Gefangenen, quasi in letzter
Minute vor der Befreiung, wurde nochmals die Unmenschlichkeit des
Faschismus deutlich.
Wir sind den Ermordeten gegenüber moralisch verpflichtet den Faschismus und seine Anfänge zu bekämpfen.
Die Häftlinge des KZ Buchenwald haben nach ihrer Befreiung geschworen
den Kampf erst einzustellen, wenn auch der letzte
Schuldige verurteilt wurde und der Nazismus mit seinen Wurzeln
vernichtet ist.
Sie haben sich aber auch dem Ziel des Aufbaus einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit verpflichtet.
Von den Widerstandskämpferinnen und -kämpfern
wurde nach dem 2.Weltkrieg die Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes heute VVN-BdA gegründet, dessen Leitmotiv der
Buchwald-Schwur bis heute ist.
Bis heute!
Warum bis heute?
Die Bundesrepublik Deutschland stellte sich nur
widerwillig der Vergangenheit. Die Ermittlungen liefen ohne Nachdruck.
Es sind nur wenige NS-Straftäter verurteilt worden. Die Faschisten
waren so vernetzt, dass sie es schafften wieder in wichtige Positionen
zu kommen. So passierte es häufig, dass Widerstandskämpfer
beim Anerkennungsverfahren als Widerständler auf Ermittler und
Richter trafen, die während der NS-Zeit in gleicher oder
ähnlicher Funktion als bekannte Nazis tätig waren.
Gleiches traf auf die Entnazifizierungsverfahren zu. Hier waren
teilweise stadtbekannte Nazis Entscheidungsträger in diesem
Verfahren. So konnten viele Täter unbehelligt bleiben und wurden
teilweise sogar Jahre später zu Ehrenbürger ernannt.
Wie schon von Herrn Oberbürgermeister Richrath
geschildert wurde der VVN in der Vergangenheit verfassungsfeindliche
Ziele unterstellt, da sie angeblich als Tarnorganisation der KPD
fungierte. Diese Relikte des kalten Krieges konnten überwunden
werden.
Die in der VVN organisierten überlebenden
Widerstandkämpferinnen und -kämpfer gingen und gehen
als Zeitzeugen in Schulen, Jugendzentren, Bürgerversammlungen.
Peter Gingold, der als Deutscher in französischen Resistance
kämpfte, Esther Bejarano, die Überlebende des
Mädchenorchesters in KZ-Auschwitz, sie und alle anderen
machten und machen Mut sich für Frieden, Menschenwürde
einzusetzen, sich gegen menschenverachtende rassistische und
faschistische Ideologie zu wehren.
Wenn Bayern als einziges Bundesland die Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA)
weiterhin vom Verfassungsschutz beobachten lässt, ist das ein
Skandal ohnegleichen.
2011 reichte der Landesverband Bayern der VVN-BdA beim
Verwaltungsgericht München Klage gegen den Freistaat Bayern ein
und verlangte die Streichung aus den Berichten des Verfassungsschutzes.
Die Klage wurde abgewiesen. Nun streitet die VVN-BdA um die Zulassung
der Berufung, denn auch die Berufung wurde der VVN-BdA verweigert. Die
Entscheidung über den Entzug der Gemeinnützigkeit wurde von
der Finanzverwaltung bis zum Abschluss des Rechtsstreits
zurückgestellt. Der Ausgang des Rechtstreits ist für die
gesamte VVN-BdA von Bedeutung, denn die Sanktionen, die gegen die
bayerische VVN-BdA erhoben werden könnten, können gegen
sämtliche Landesverbände der VVN-BdA gelten.
Hier erleben die noch lebenden
Widerstandskämpferinnen und -kämpfer wieder staatliche
Verfolgung – und nicht nur hier leben wieder schreckliche
Erinnerungen auf.
Denn:
Rechte Gewalttaten nehmen zu. Asylanten, Migranten
werden gejagt, überfallen. Flüchtlingsheime brennen. Ich
erinnere an die Toten von Solingen und Hamburg.
Das darf nicht wieder passieren.
Wir alle sind gefordert diesem Treiben Einhalt zu gebieten.
Es fehlt seitens der Politik eine deutliche Abgrenzung zu AfD, Degida und Konsorten.
Gleichzeitig erleben wir im NSU-Prozess die zweifelhafte
Rolle des Verfassungsschutzes – nicht nur in Bayern. Jahrelang
konnten unter dem offensichtlichen Schutz des Verfassungsschutzes
Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt und andere Rechtsextreme
agieren und ihre Gewaltspur quer durch die Bundesrepublik ziehen. Es
bleibt zu hoffen, dass die unsägliche Rolle des
Verfassungsschutzes aufgeklärt wird mit den entsprechenden
Konsequenzen!
AfD, Pegida, Dügida und wie sie alle
heißen. Rechte Rattenfänger haben Konjunktur.Sie spielen mit
der Angst der Menschen.
Wer Angst um seinen Arbeitsplatz hat,
- wer in ungeschützen Werkverträgen jobt
- wer auf einem leergefegten Wohnungsmarkt eine erschwingliche Wohnung sucht
nimmt die Flüchtlinge als Konkurrenz war.
Das macht Menschen empfänglich für scheinbar einfache Lösungen.
Angst und Alltagssorgen lassen vergessen, dass
ungeschützte Arbeitsverhältnisse zugenommen haben, lange vor
der sogenannten Flüchtlingswelle.
Lässt vergessen, dass der Sozialwohnungsbau schon vor vielen Jahren eingestellt wurde.
Deshalb kommt es darauf an sich rassistischen und neofaschistischen Kräften konsequent entgegen zu stellen. Keinen Raum zu geben – nirgends!
Deshalb ist es aber auch genauso wichtig, dass der Sozialabbau gestoppt wird und damit die Zukunftsangst vieler Menschen.
Jeder gesicherte oder neu geschaffene Arbeitsplatz
Jede neu geschaffene Sozialwohnung
Jeder Kindergartenplatz
Jede anständig renovierte und ausgestattete Schule
Jeder Schritt gegen drohende Altersarmut
ist ein wichtiger Schritt, den rechten Sumpf trocken zu legen.
In dem die Menschen ihre Angst überwinden und sich einsetzen für ihre Interessen
und
ihre Forderungen an die wirklich Verantwortlichen in Politik und Chefetagen richten,
in dem selben Maße besteht die Chance den Zulauf nach Rechts zu bremsen.
Und das fängt hier und heute an.
Es stimmt mich optimistisch, dass die hier anwesenden
Schüler und Schülerinnen diese Gedenkveranstaltung
mitgestalten. Sie berichteten von ihren Aktivitäten und grenzen
sich damit ganz klar von Rassismus und Faschismus ab. Diese jungen
Menschen träumen von einer besseren Welt – ohne Rassismus
und Krieg. Sie träumen vom Frieden. Es ist das gute Recht nicht
nur von jungen Menschen Träume zu haben. Träume werden aber
nur wahr, wenn man für die Realisierung der Träume
kämpft und sich nicht entmutigen lässt.
Ihre liebe Schülerinnen und Schüler seit auf dem richtigen Weg.
Ich wünsche euch und uns hier allen einen langen Atmen.
Die hier ermordeten Antifaschisten haben für eine bessere Welt gekämpft.
Wir haben die moralische Pflicht alles zu tun, damit das Leid und der Tod der Verfolgten des Naziregimes nicht vergessen wird.
Dafür zu sorgen, dass ihr Mut und ihre Opferbereitschaft nicht vergebens war.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Siehe auch:
Rede des Oberbürgermeister Uwe Richrath als PDF.
Beitrag
der Schülerinnen und Schüler des Projektkurses
‚Interreligiöses Lernen‘ an der
Käthe-Kollwitz-Schule in Leverkusen als PDF.
Gedenkfeier in Wenzelnberg für die 71 Opfer der SS
http://www.rp-online.de/nrw/staedte/leverkusen/gedenkfeier-in-wenzelnberg-fuer-die-71-opfer-der-ss-aid-1.5911270
Fotogalierie: Wenzelnberg 2016
https://www.r-mediabase.eu/index.php?view=category&catid=776&option=com_joomgallery&Itemid=519
Video: Wenzelnberg - Gedenkstunde 2016 - Ausschnitte
https://www.youtube.com/watch?v=AvCUbvt1Sgk
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