09.04.2016
Genscher, Naumann und die
militarisierte Außenpolitik
Über alles wurde
gesprochen und geschrieben, nur über Genschers Gründe
für seinen Rücktritt vom
Außenministerposten 1992 nicht. Er wollte sich nicht den
Militärs unterordnen und von ihnen die Außenpolitik
gestalten lassen, stellte Ulrich Sander in Ossietzky vom 9.4.2016 fest.
Als im Jahre 1992 die ersten
Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) des neuen großen
Deutschlands erlassen wurden, verfasst von der Generalität und
abgenickt durchs Bundeskabinett, da geschah dies gegen den Willen von
Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP). Er trat nach der
Vorlage des ersten Entwurfes der VPR im Frühjahr 1992 wegen
der damit drohenden Militarisierung der Außenpolitik
zurück. Einrichtungen wie die Clausewitz-Gesellschaft unter
maßgeblichem Einfluss des Bundeswehr-Generalinspekteurs Klaus
Naumann hatten wesentliche Vorarbeit zu den Richtlinien geleistet und
heimlich im Verteidigungsministerium die Fäden gezogen. In
diesen VPR wurde die „nationale Interessenlage“
Deutschlands ins Zentrum der Sicherheitspolitik des neuen Deutschlands
gerückt. Die Bundeswehr habe für den
„ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in
aller Welt“ zu sorgen. Warum wurden die Umstände von
Genschers Ausscheiden im Mai 1992 nicht beleuchtet in den vielen
Nachrufen auf ihn in diesen Tagen? Genscher hat sich allerdings auch
nicht als Friedenskämpfer hervorgetan, er trat einfach
beiseite und ließ dem Militärischen den Vortritt.
Genscher nahm vom Rücktritt auch nicht
wieder Abstand, als der erste Entwurf der VPR zurückgezogen
wurde. Im November 1992 wurde dann – leicht
verändert – die endgültige Fassung nicht
etwa vom Kabinett beschlossen, sondern zur Kenntnis genommen. Die
Richtlinienkompetenz für eine nunmehr militarisierte
Außenpolitik war vom Minister auf die Generäle
übertragen worden. Diese hatten etwas von der
„Aufrechterhaltung des freien Welthandels“ in den
Text aufgenommen. Der Spiegel vom 15.1.1996 berichtete,
Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg (CDU) habe zugelassen, dass
Generalinspekteur Klaus Naumann neue „verteidigungspolitische
Richtlinien“ als Grundlage der Bundeswehrplanung in der
Ära nach dem Kalten Krieg entwarf. „Den damaligen
FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher nervten
neokolonialistische Sprüche über Ziele deutscher
Wehrpolitik wie ‚Aufrechterhaltung des freien Welthandels und
des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller
Welt‘.“
Diese Formulierungen bestimmen die deutsche
Militär- und Außenpolitik bis heute. Um sie gab es
noch einmal viel Aufregung – ohne dass dieses Konzept, das
die Grundlage der Kriegsbeteiligung Deutschlands bis heute darstellt,
in Frage gestellt wurde. Völlig heuchlerisch waren die
Angriffe auf den Bundespräsidenten Horst Köhler, der
im Mai 2010 zurücktrat, weil er es nicht ertragen konnte, dass
man ihm vorwarf, die Sicherung von Wirtschaftsinteressen durch die
Bundeswehr befürwortet zu haben. Er hatte wörtlich
gesagt – und damit den VPR entsprochen –, im
Notfall sei auch „militärischer Einsatz notwendig,
um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie
Handelswege“.
Den Verteidigungspolitischen Richtlinien
entsprechend hatte General Naumann sein Basta laut Spiegel 3/93
verkündet: „Es gibt zwei Währungen in der
Welt: Wirtschaftliche Macht und die militärischen Mittel, sie
durchzusetzen.“
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