01.04.2016
Reden der Gedenkveranstaltung
an Karfreitag in der Bittermark bei Dortmund
Wir veröffentlichen
hiermit die Ansprache, die Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich
Sierau hielt:
Karfreitagsgedenken
in der Bittermark
25. März 2016, 15.00 Uhr
Mahnmal Bittermark
- Es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrter Herr Muller (Generalkonsul
Frankreichs),
sehr geehrter Herr Seikow (stellv. Generalkonsul Russlands),
sehr geehrte Madame Godard (Präsidentin des Ex-F.N.D.T),
sehr geehrte Frau Marschewski,
sehr geehrter Herr Söder,
meine sehr verehrten Gäste aus dem In- und Ausland,
liebe Dortmunderinnen und Dortmunder,
wir sind heute hier zusammen gekommen, um der weit
über 200 Menschen zu gedenken, die in den letzten Kriegstagen
des Jahres 1945 auf einem Eisenbahngelände zwischen
Hörde und Berghofen, im Rombergpark und hier in der Bittermark
auf grausame Weise von der Gestapo ermordet wurden.
Die Männer und Frauen wurden aus dem
Hörder Gestapokeller und der Steinwache verschleppt, um sie
anschließend hinzurichten.
Der überwiegende Teil von ihnen waren
Zwangsarbeiter aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Jugoslawien,
Polen und der Sowjetunion.
Aber auch deutsche Widerstandskämpfer und
jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger waren
unter ihnen. Genaue Opferzahlen stehen bis heute nicht fest, denn nur
ein kleiner Teil der Ermordeten konnte anschließend
identifiziert werden.
Und obwohl diese Ereignisse inzwischen mehr als 70
Jahre zurück liegen, haben sie nichts von ihrem Schrecken
verloren. Noch immer machen uns diese menschenverachtenden Taten
fassungslos.
Denn der Krieg, der in Dortmund offiziell am 13.
April um 16.30 Uhr endete, galt für Deutschland zu diesem
Zeitpunkt bereits als verloren. Nur ganz fanatische Anhänger
des Hitler-Regimes glaubten noch an einen Sieg Deutschlands.
Umso erschreckender sind die Gewalt und die
Brutalität, mit denen die Nazi-Schergen die Morde kurz vor der
Befreiung der Stadt durch die Amerikaner begangen haben.
Leider wurde keiner der damaligen Täter
wegen Mordes oder Beihilfe zum Mord verurteilt. Sie wurden
überwiegend freigesprochen. Das ist ein Schlag ins Gesicht der
Opfer und ihrer Angehörigen. Es ist beschämend!
Nicht nur mich erfüllen die Taten und
auch die milden Bestrafungen der Täter noch heute mit
großer Scham. Die Erinnerung an diese sinnlosen Verbrechen
ist unser Zeichen des Respekts gegenüber den Ermordeten und
ihren Hinterbliebenen. Sie darf nicht verblassen.
Seit nunmehr 56 Jahren (seit 1960) gemahnt das
Denkmal, vor dem wir uns heute versammelt haben, an die dramatischen
Ereignisse in der Osterzeit des Jahres 1945.
Es ist zur zentralen Gedenkstätte
für die vielen Opfer in der Bittermark, im Rombergpark und in
Hörde geworden.
Hier kommen seitdem an Karfreitag nicht nur
Dortmunderinnen und Dortmunder, sondern auch zahlreiche Gäste
aus dem In- und Ausland zu einer Gedenkfeier zusammen.
Dazu gehören unter anderem die Mitglieder
des Verbandes französischer Zwangs- und Arbeitsdeportierten.
Ihr Besuch, meine Damen und Herren, ist eine besondere Ehre
für uns. Sie reichen uns die Hand als Geste der
Versöhnung.
Ganz außerordentlich freue ich mich
darüber, dass in diesem Jahr auch Personen gekommen sind, die
aus gesundheitlichen Gründen länger nicht hier waren.
Sie, liebe Gäste, begrüße ich ganz
besonders.
Es freut mich, dass Sie die Mühen der
strapaziösen Anreise auf sich genommen haben und heute an
dieser Gedenkveranstaltung teilnehmen.
Ebenso grüße ich die Eheleute
Karl-Heinz und Régine Hessling. Frau Hessling ist
Vertreterin der „Association des prisonniers de guerre Hemer
et Dortmund“.
Die Mitglieder dieser Vereinigung sind
Angehörige von französischen und belgischen
Kriegsgefangenen, die ab 1940 im Stalag VI A in Hemer und im Stalag VI
D in Dortmund registriert wurden.
Außerdem begrüße ich
die Vertreterinnen und Vertreter des Hagener Friedenszeichens, des
örtlichen Geschichtsvereins und des DGB Kreis Hagen.
Sie werden heute erstmals einen Kranz am Mahnmal
niederlegen, um der Opfer aus Hagen und Hohenlimburg zu gedenken.
Auch Herrn Prof. Dr. Herbert aus Freiburg
heiße ich willkommen. Er wird später in seinem
Vortrag noch einmal näher auf die Verbrechen der letzten
Kriegstage eingehen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ein breites Bündnis unterschiedlicher
gesellschaftlicher Akteurinnen und Akteure stellt sich in Dortmund der
Verantwortung.
Wir pflegen eine Kultur der Erinnerung an die
Gräueltaten der Nationalsozialisten. Nicht nur diese
Gedenkveranstaltung ist fester Bestandteil dieser Erinnerungsarbeit.
Fest verbunden mit dieser Gedenkstunde ist seit
nunmehr 12 Jahren der
„Heinrich-Czerkus-Gedächtnislauf“, den die
NaturFreunde Kreuzviertel, das Fan-Projekt Dortmund und der BVB-Fanclub
Heinrich Czerkus gemeinsam mit dem BVB jährlich an Karfreitag
durchführen.
Auch in diesem Jahr sind wieder hunderte
Teilnehmerinnen und Teilnehmer die 7 km lange Strecke vom Stadion Rote
Erde bis hierher gejoggt, gewalkt, gewandert oder geradelt, um damit
ein starkes Zeichen gegen Rechts, gegen Rassismus und gegen
Antisemitismus zu setzen.
Darüber freue ich mich sehr. Mein Dank
und mein Gruß gehen an alle Beteiligten.
Das Karfreitagsgedenken in der Bittermark steht in
engem inhaltlichen Zusammenhang zu anderen Gedenkveranstaltungen in
unserer Stadt, wie beispielsweise dem Internationalen
Holocaust-Gedenktag am 27. Januar oder dem jährlichen Gedenken
an das November-Pogrom am 09. November.
Auch durch die Mahn- und Gedenkstätte
Steinwache, die derzeit modernisiert wird, halten wir in unserer Stadt
die Erinnerung an die menschenverachtenden Taten des Nazi-Regimes
aufrecht.
An vielen Stellen im Stadtgebiet haben wir
Korbinian-Apfelbäume als Zeichen der Erinnerung gepflanzt.
Heute ist hier in der Bittermark ein weiterer hinzu gekommen.
Eine Selbstverständlichkeit und ein
Bekenntnis zur Vergangenheit und zur Zukunft ist für uns
unsere Mitgliedschaft in der Organisation Amcha. Dieser
Verein leistet wertvolle psychosoziale Unterstützung der
Überlebenden des Holocaust.
Heute Mittag wurde mir durch Madame Godard die
goldene Ehrenmedaille am Blauen Bande der Verbundenheit des ehemaligen
Verbandes der Zwangs- und Arbeitsdeportierten verliehen.
Diese ehrenvolle Auszeichnung würdigt
mein Engagement gegen das Vergessen. Ich möchte jedoch
ausdrücklich betonen: Ich habe sie stellvertretend
für alle Dortmunderinnen und Dortmunder entgegen genommen, die
Erinnerungsarbeit leisten.
An dieser Stelle geht mein Dank an alle, die an
der Gestaltung dieser Veranstaltung beteiligt waren. Das sind
insbesondere das Internationale Rombergpark Komitee und die
Botschafterinnen und Botschafter der Erinnerung.
Über das
außergewöhnliche Engagement dieser jungen Menschen,
das weit über diesen Tag hinaus geht, freue ich mich ganz
besonders.
Ihr, liebe Botschafterinnen und Botschafter der
Erinnerung, tragt maßgeblich dazu bei, dass die historischen
Verbrechen auch zukünftig nicht in Vergessenheit geraten. Eure
Leistung verdient große Anerkennung.
Allein der „Weg der
Erinnerung“, der auch heute hier wieder zu sehen
ist, beeindruckt mich immer wieder.
Ich halte es für ausgesprochen wichtig,
dass gerade Jugendliche sich mit den Themen Nationalsozialismus und
Demokratie auseinander setzen. Denn sie sind die Zukunft unserer
Gesellschaft.
Leider erleben wir derzeit auch in Deutschland,
was für weite Teile Europas gilt: Einen fatalen Ruck nach
Rechts. Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien haben europaweit
erheblichen Zulauf.
An dieser Stelle ist die Zivilgesellschaft
aufgefordert, klare Grenzen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu
setzen. Wir dürfen Rechtsextremistischen und ihren
vermeintlich bürgerlichen Mitläufern keinen Raum
lassen.
Wir dürfen nicht wegschauen, wenn in
unserem Land vor Flüchtlingsheimen demonstriert wird, Menschen
angegriffen werden oder sogar um ihr Leben fürchten
müssen.
Es gilt, rechtspopulistischen Tendenzen und
(verbaler) Radikalisierung mit demokratischen Debatten und sachlichen
Auseinandersetzungen zu begegnen.
Wir dürfen nicht nachlassen, uns
gemeinschaftlich für eine vielfältige, tolerante und
demokratische Gesellschaft einzusetzen.
Dazu zählt auch, Gedenktage wie diesen zu
begehen. Lassen Sie uns daher gemeinsam hoffnungsvoll in die Zukunft
schauen – ohne dabei die Vergangenheit aus dem Blick zu
verlieren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Glück auf et merci!
Oberbürgermeister Ullrich Sierau
Die Rede des Vorsitzenden des
Fördervereins Gedenkstätte Steinwache/Intern.
Rombergparkkomitees, Ernst Söder, ist hier: https://irpk.wordpress.com/2016/03/31/die-reden-2016/.
Der Vortrag von Prof. Ulrich Herbert, Freiburg,
wird ab 7. April hier zu finden sein: Seite der Steinwache http://www.steinwache.dortmund.de/.
Katrin Rieckermann: Gedenkkundgebung im Südpark in Lünen, Karfreitag 2016
Es gilt das gesprochene Wort.
Liebe Anwesende, sehr geehrte Damen und Herren,
Mein Name ist Katrin Rieckermann. Ich bin Mitglied im
Förderverein Steinwache in Dortmund und ich freue mich, dass ich
heute zu Ihnen und zu euch sprechen darf.
An diesem Ort gedenken wir der Ereignisse vor 71 Jahren - dessen, was kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs hier geschah.
Im Rombergpark und in der Bittermark in Dortmund fanden
vom 8. März bis zum 12. April
Massenerschießungen statt. Dabei kamen fast 300 Menschen
verschiedener Nationalitäten zu Tode.
Zu ihnen gehörten auch sechs Lünener
Kommunisten. Johann Berg, Jakob Bink, August Dombrowski, Bernhard
Höltmann und Johann König wurden am 30. März, dem
Karfreitag 1945, verhaftet und kurz darauf von der Gestapo erschossen.
Josef Kriska wurde am 1. April im Gestapo-Gefängnis in
Dortmund-Hörde erschossen, nachdem er zuvor aufs Schwerste
misshandelt worden war.
Was die Menschen einte, die in den letzten Kriegstagen
in unserer Region ermordet wurden, war ihre Gegnerschaft gegen den
Faschismus und ihre Gegnerschaft gegen den Krieg.
Schon vor der Machtübertragung an die Nazis im Jahr
1933 lautete ihre Losung: „Wer Hitler wählt, wählt
Krieg.“ Faschismus und Krieg, das sind die zwei Seiten der
gleichen Medaille.
Was bedeutet das nun für uns, die wir im Jahr 2016 hier stehen?
Krieg, Rüstungsexporte und die Ausbeutungspolitik
der reichen Länder gehören zu den wichtigsten Fluchtursachen.
Dort, wo Länder brutal zerstört, ausgeplündert und
zugrunde gerichtet werden, bleibt den Menschen keine andere
Möglichkeit als die Flucht.
Wir erleben, dass hunderttausende Menschen in Europa Schutz suchen.
Trotz der fortschreitenden Aushöhlung des Asylrechts gelangen viele von ihnen auch nach Deutschland, zu uns.
Zunächst wurden viele Geflüchtete willkommen geheißen.
Mittlerweile hat sich jedoch die Stimmung gewandelt:
Flüchtlingsunterkünfte werden angezündet, die Menschen
werden entrechtet und abgeschoben, und die rechte AfD gewinnt an
Wählerstimmen.
Angesichts dieser Ereignisse witterten auch in Lünen die braunen Brandstifter Morgenluft.
Im Herbst 2015 versuchte die Crème der Dortmunder
Neonazis zusammen mit ihren Lünener Gesinnungsgenossen, als
„Pegida“ getarnt durch die Innenstadt zu laufen. Es gab
eine große Gegenkundgebung der demokratischen Bevölkerung,
und mangels Masse wurde der zweifelhafte „Spaziergang“ dann
abgeblasen.
Einen weiteren Versuch, mit ihren menschenverachtenden
Parolen in Lünen Gehör zu finden, unternahmen Mitglieder der
Partei „die Rechte“ Anfang des Jahres mit einer so
genannten „Mahnwache“ an der Persiluhr, mitten in der
Stadt. Auch hier gab es eine große Gegenveranstaltung.
Nichtsdestotrotz konnten die Nazis fast ungestört zwei Stunden
lang gegen Flüchtlinge und Migranten hetzen.
Es ist ja auch so einfach:
Da kommen Menschen in unser Land, und wir müssen
vermeintlich das Wenige, das wir haben, teilen. Jedes Kind weiß,
dass man mehr vom Pudding hat, wenn man ihn alleine aufessen kann.
Diese Kindergartenargumentation machen sich die Nazis und ihre braunen Kumpels von der AfD zunutze.
In unserem Land erleben wir, dass Löhne, Renten und
die Arbeitslosenunterstützung gekürzt werden. An der Bildung
für unsere Kinder wird gespart, ebenso an der Gesundheit. Dass es
den Alteingesessenen oft am Nötigsten fehlt und sich die Schere
zwischen Arm und Reich vergrößert, ist kein Geheimnis.
Aber was ist die Lösung?
Nach unten zu treten?
Vor die Unglücksunterkünfte zu ziehen, die
Asylbewerberheime genannt werden? Fremde undifferenziert als
Vergewaltiger und Terroristen wahrzunehmen?Migrantinnen und Migranten
als Konkurrenten zu betrachten und auszugrenzen?
Oder vielleicht dort zu protestieren, wo das Geld, welches uns allen fehlt, mit vollen Händen ausgegeben wird?
Wer genauer hinschaut, kann sehen, dass in Deutschland
Milliarden und Abermilliarden – unvorstellbare Summen, die
woanders dringend benötigt werden - in die Rüstung investiert
werden.
So darf unsere Verteidigungsministerin in den kommenden
Jahren 130 Milliarden Euro extra ausgeben. (Ich möchte die Zahl
noch einmal wiederholen: 130 Milliarden Euro.) Darüber hinaus soll
die Bundeswehr vergrößert und die Zahl der Soldatinnen und
Soldaten um 7000 aufgestockt werden.
Hier lässt sich nun sagen, dass ebenfalls jedes
Kind weiß, dass zusätzliche Waffen und Soldaten nicht zu
einem Mehr an Frieden führen.
So schließt sich dann der Kreis zu den Zielen der Ermordeten der Kar- und Ostertage 1945.
Sie kämpften gegen Faschismus und Krieg.
Kämpfen wir für eine solidarische und
demokratische Gesellschaft und für die Beseitigung der
Fluchtursachen – also für Frieden!
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