17.02.2016
Deutschland muss mehr Kritik
an Israel wagen
Ein
Kommentar Israel betreffend in der Süddeutschen
Zeitung vom 15.2.2016
Peter Münch,
Redakteur der Süddeutschen Zeitung und für sie
Korrespondent in Tel Aviv, hat sich kritisch zur Israel-Politik der
Bundesregierung geäußert. Eine nicht
alltägliche Pressestimme. Münch schreibt: Israels
rechte Regierung hat sich in den vergangenen Jahren weit von dem
entfernt, was in Deutschland und Europa immer noch hochgehalten wird:
Im Kabinett sitzen erklärte Gegner einer
Zwei-Staaten-Lösung, der völkerrechtswidrige
Siedlungsbau wird vorangetrieben, Friedensgespräche mit den
Palästinensern gibt es schon seit fast zwei Jahren nicht mehr.
Der Kommentar im Wortlaut:
Wenn Deutschland und Israel über
Zukunftsfragen reden, dann ist dies angesichts der historischen
Belastung per se eine gute Nachricht. Zusammenarbeit beim Kampf gegen
Cyberkriminalität, Digitalisierung, erneuerbare Energien - all
das sind Themen bei den Regierungskonsultationen, zu denen
Premierminister Benjamin Netanjahu an diesem Dienstag mit seinem halben
Kabinett in Berlin weilt.
Demonstriert wird, dass die Freundschaft gut
gediehen ist in den fünf Jahrzehnten seit der Aufnahme der
diplomatischen Beziehungen. Sie sollte aber auch so gut sein, dass
Unstimmigkeiten nicht weiterhin rituell unter den roten Teppich gekehrt
werden.
Israels rechte Regierung hat sich in den
vergangenen Jahren weit von dem entfernt, was in Deutschland und Europa
immer noch hochgehalten wird: Im Kabinett sitzen erklärte
Gegner einer Zwei-Staaten-Lösung, der
völkerrechtswidrige Siedlungsbau wird vorangetrieben,
Friedensgespräche mit den Palästinensern gibt es
schon seit fast zwei Jahren nicht mehr. Das alles ist nicht neu; neu
aber ist, dass die Jerusalemer Regierung mittlerweile jede Kritik an
ihrem Kurs sofort bestraft.
So traf die EU vorübergehend ein
Bannstrahl, weil Brüssel eine Kennzeichnungspflicht
für Siedlerprodukte eingeführt hatte. Schwedens
Außenministerin ist in Israel wegen unerwünschter
Äußerungen zur Persona non grata erklärt
worden, und regierungskritische israelische
Menschenrechtsorganisationen werden als ausländische Agenten
geschmäht, wenn sie Geld von fremden Regierungen annehmen,
unter anderem auch von der deutschen.
Deutschland wird bei allen Rundumschlägen
Israels explizit ausgenommen
Netanjahu scheint politisch gewinnen zu wollen,
indem er auch immer mehr Verbündete zu Gegnern
erklärt. Ein Freund kann aus seiner Sicht nur noch sein, wer
bequem und unkritisch ist. Die Bundesregierung hat sich in seinen Augen
wohl als ein solcher Freund bewährt und wird deshalb bei allen
Rundumschlägen aus Jerusalem explizit ausgenommen. Die
israelische Außenpolitik unterscheidet zwischen den guten und
den bösen Europäern - und versucht so, einen Keil in
die Nahost-Politik der EU zu treiben. Doch dafür sollte sich
Berlin nicht hergeben.
Wenn EU-Institutionen oder EU-Kollegen abgestraft
werden, dann sollte Berlin auch gegenüber Israel
europäische Solidarität zeigen. Wenn Menschenrechtler
wegen Zahlungen aus Deutschland in Kritik geraten, dann muss die
Bundesregierung klarstellen, dass Finanzhilfe für die
Zivilgesellschaft genauso Teil der Verantwortung gegenüber
Israel ist wie Subventionen für U-Boote. Und wenn Israel die
letzten Chancen zur Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung unter
dem Beton des Siedlungsbaus begräbt, dann muss auch Berlin
dies offen kritisieren.
Von einem früheren Besuch Netanjahus ist
der Satz von Kanzlerin Angela Merkel in Erinnerung geblieben, dass man
sich einig sei, nicht einig zu sein. 2012 hat sie das gesagt. Wenn aber
solche Sätze unter Freunden reine Floskeln bleiben, dann steht
die Freundschaft auf tönernen Füßen.
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