30.01.2016
»Der Merkelsche
Biedermeier ist vorbei«
Frederic Wester macht
sich im Neuen Deutschland (27. Januar 2016) Gedanken
über bisherige Antifa-Konzepte, die neue Bewegung gegen rechts
und „das Ende der Gemütlichkeit“
– und darüber, dass viele Antifa-Inis aus ihrer Enge
herauskommen und die Willkommenskultur ernst nehmen sollten. Wir
dokumentieren das Interview von Ines Wallrodt. Frederic Wester (32) ist
aktiv bei der Frankfurter Gruppe Kritik und Praxis, die als Teil von
Ums Ganze das bundesweite Antifa-Treffen am kommenden Sonntag, 31.01.16
Wochenende mit organisiert.
»Der
Merkelsche Biedermeier ist vorbei«
Frederic
Wester über ausgediente Antifa-Konzepte, die neue
Antifra-Bewegung und das Ende der Gemütlichkeit
Frederic
Wester ist aktiv bei der Frankfurter Gruppe Kritik und Praxis, die als
Teil von Ums Ganze das bundesweite Antifa-Treffen am kommenden
Wochenende mit organisiert. Mit dem 32-Jährigen sprach Ines
Wallrodt.
Was ist der
Ausgangspunkt für die Einladung zu einem bundesweiten
Antifa-Treffen? Flapsig formuliert: Nazis als Hauptgegner abhanden
gekommen und kein Rezept gegen Pegida und AfD?
Die Nazis gibt es immer noch und sie werden im
Windschatten von Pegida und AfD wieder frecher. Nicht nur in Sachsen
hat das Selbstbewusstsein von Neonazis deutlich zugenommen. Zugleich
ist es aber eine ungelöste Frage, wie man auf AfD und Pegida
reagieren soll, weil man denen nicht nur mit den klassischen
Antifa-Methoden beikommt.
Welche
wären das und warum funktionieren die nicht?
Der übliche Antifaansatz war,
neonazistische Positionen durch Skandalisierung zu marginalisieren.
Aber bei einer Massenbewegung wie Pegida verfängt das nicht,
weil die Inhalte nicht mehr marginal sind, sondern bereits von einer
großen Anzahl von Leuten geteilt werden. Es findet gerade ein
völkischer Rollback statt und bei den Anschlägen auf
Flüchtlingsheime kommt man immer zu spät –
während die neoliberale Mitte von Grün über
die SPD bis zur CDU/CSU das Asylrecht schleift und die Festung Europa
renoviert. Die Linke hat noch keinen Punkt gefunden, etwas dagegen zu
setzen.
Es gibt die
Willkommensinitiativen. Sind die kein Anknüpfungspunkt?
Es wird tatsächlich nicht alles nur
schlimmer. Es gibt einen großen Teil von Leuten, der sich
politisiert hat und in der Flüchtlingshilfe aktiv ist oder
gegen die AfD demonstriert. Wir müssen uns nun fragen, wie wir
diese Leute ansprechen und einbinden können.
Gar keine
Berührungsängste mehr gegenüber
Bürgerinis, die nicht eindeutig links sind?
Wie viele andere Menschen auch sind radikale Linke
in ihrem Wohnumfeld für Flüchtlinge aktiv. Ein
wichtiger Ansatz sind auch die »Stadt für
alle«-Initiativen, die aus dem Umfeld der
Interventionistischen Linken initiiert wurden und den Kampf um die
soziale Frage mit der Flüchtlingsfrage zusammenbringen. Die
radikale Linke sollte sich aktiv in die Auseinandersetzung innerhalb
der Willkommensinis über ihr Selbstverständnis
einbringen und die unterstützen, die Flüchtlingshilfe
als explizit politische Soliarbeit und nicht nur als
Charity-Veranstaltung verstehen. Das findet bereits statt, aber es gibt
auch Teile des Antifa-Spektrums, die noch nicht so einen Ort gefunden
haben, um sich einzubringen.
Wird jetzt
deshalb Antifa durch »Antifra« ersetzt, wie in der
Einladung zum Treffen?
Das ist zugegeben ein ziemliches Wortmonster. Was
es sagen will, ist aber richtig: Wir dürfen nicht dahin
zurückfallen, dass weiße Mittelstandskids Antifa
machen und parallel dazu eine antirassistische Bewegung auf der
Straße ist, beide aber wenig miteinander zu tun haben. Es
macht keinen Sinn, allein den rechten Rand als Problem zu sehen. Die
Entrechtung von Geflüchteten wird aus der Mitte der
Gesellschaft vorangetrieben. Eine praktische Verbindung von Antifa und
Antira ist wichtig. Wir erhoffen uns vom Sonntag, dass er ein Schritt
auf dem Weg dahin ist.
Vor ein paar
Monaten schienen die Willkommensinitiativen hegemonial in Deutschland.
Ist die Stimmung inzwischen gekippt?
Ich sehe noch keinen Rechtsruck, sondern eher eine
Polarisierung. Die Willkommensinitiativen gibt es nach wie vor, lokal
geben sie oft weiterhin den Ton an. Aber auf Bundesebene beherrscht die
Auseinandersetzung inzwischen den Kurs der Bundesregierung –
Abschottung light – und einer hardcore-rechten Position die
Debatte. Immer mehr treibt eine rechtsradikale Opposition die
Bundesregierung vor sich her. Wir wollen bei unserem Treffen deshalb
auch darüber diskutieren, wie man diese Diskurssituation
aufbrechen kann.
Neue Ideen?
Wir haben den Stein der Weisen natürlich
auch nicht gefunden. Aber ein paar Ansätze. Wir werden die AfD
als organisatorisches Rückgrat des Rechtspopulismus bei ihrem
Wahlkampf verfolgen. Dabei wollen wir jenseits der klassischen
Skandalisierung mehr auf kreativen
»Konfettiaktivismus« setzen, der etwa
Wahlkampfstände begleitet, ohne hoch konfrontativ zu sein.
Klassische Bündnisarbeit und direkte Aktionen müssen
aber auch weiterhin einen Platz haben. Und nicht zuletzt gibt es eine
Menge Möglichkeiten, die Produzenten von Fluchtursachen, wie
deutsche Rüstungskonzerne, öffentlich zu markieren.
Auch unter
Linken gibt es Bedenken und Unsicherheit ob der ankommenden
Flüchtlinge. Warum sind Grenzkontrollen und Obergrenzen
falsch? Die bisherigen Antworten scheinen nicht alle zu
überzeugen.
Dieses linke Liebäugeln mit der
Abschottung zeigt vor allem, wie wichtig auch eine inhaltliche
Auseinandersetzung ist. Was man dem entgegenhalten kann: Eine
Gesellschaft, die sich abschottet mit Grenzzäunen oder
Militär ist nicht nur eine humanitäre Katastrophe
für die betroffenen Menschen, sondern würde die
Demokratie bei uns endgültig vor die Wand fahren.
Wie meinen Sie
das?
Demokratie ist im Kapitalismus ja immer eine sehr
begrenzte Angelegenheit. Aber wenn Europa sich weiter abschottet, wird
das auch zu einer massiven Brutalisierung der Gesellschaft hier
führen und außerdem verhindert es den
nötigen Aufbau einer grenzübergreifenden
Solidarität gegen das Hamsterrennen in der Standortkonkurrenz.
Mit anderen Worten: National oder sozial – die Linke muss
sich heute entscheiden.
Und wen das noch
nicht überzeugt...?
... dem würde ich sagen, dass man nicht
vergessen darf, dass die Welt vorher auch nicht in Ordnung war. Was wir
jetzt zu spüren bekommen, ist nur ein Hauch von dem, was in
anderen Teilen der Welt längst los ist. Das
Verdrängte weiter verdrängen, das weiß man
aus der Psychologie, führt nicht dazu, dass es einem besser
geht, sondern absehbar zu einer Verschärfung des Konflikts.
Man wird den Krisenprozess nicht los, indem man hier die Luken dicht
macht. Die Linke hat viel Hoffnung in Prozesse in Südeuropa
gesteckt. Nun gibt es eine Chance, die sozialen Verhältnisse
auch im Herzen des Krisenregimes gemeinsam durcheinander zu bringen.
Was, wenn davon
die Rechten mehr profitieren? Nicht wenige Menschen haben Angst, dass
die Polarisierung zu bürgerkriegsähnlichen
Zuständen hierzulande führt.
Ich würde nicht so schwarz sehen. Lange
war für radikale Linke klar, dass wir zwar ein bisschen gegen
rassistische Gewalt protestieren können, aber wirklich
ändern wird sich nichts. Diese Zeit ist jetzt zu Ende. Der
Merkelsche Biedermeier ist vorbei und die Welt in Deutschland
angekommen. Politik kann nicht mehr in dem gemütlichen Modus
weiter gehen wie in den letzten Jahren. Das kann man nervig finden,
aber wenn wir eine emanzipatorische Gesellschaft wollen,
dürfen wir uns jetzt nicht wegducken, sondern müssen
eine aktive Rolle spielen.
Antifa-Treffen
Was: ein bundesweites Treffen, bei dem sich
radikale Linke darüber austauschen wollen, wie sie angesichts
von Fluchtbewegungen, Rassismus auf den Straßen und
staatlichen Abschottungsversuchen gemeinsam und bundesweit in die
Offensive kommen
Wann: Sonntag, 31. Januar
Wo: Frankfurt am Main
Wer: Eingeladen hat das antinationale
Ums-Ganze-Bündnis, das sich zwischen dem orthodoxen
antiimperialistischen und dem antideutschen Spektrum verortet. Zum
Treffen am Wochenende haben sich aber Antifa-Gruppen mit verschiedenem
politischen Hintergrund angekündigt. nd
Quelle: http://www.neues-deutschland.de/artikel/999475.der-merkelsche-biedermeier-ist-vorbei.html
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