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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

05.01.2016

Gedanken zum Gedenken in Nordrhein-Westfalen

Gedenkstätten im Widerstreit: Tendenz geht zu mehr höchst genehmer Auswahl des Gebotenen

Im Magazin der VVN-BdA „antifa“, Januar/Februar-2016-Ausgabe, hat Ulrich Sander kritische Überlegungen zur Gedenkarbeit angestellt und dabei besonders die Gedenkstätten im Lande in den Blick genommen. Hier der Beitrag im Wortlaut:

Der SPD-Politiker Mathias Platzeck sagte kürzlich, er wünsche sich, dass  die sowjetischen Opfer genauso Platz in der Erinnerung finden, wie die Opfer des Holocaust. Der Aufsatz von Volkhard Knigge (Gedenkstätte Buchenwald) am 11.12.15 in der Süddeutschen Zeitung signalisiert hingegen erneut: Die Gedenkstättenleiter, und nicht nur sie, betonen, dass die Anerkennung des Holocaust „als Menschheitsverbrechen zur Staatsräson der Bundesrepublik gehört“. Also nicht ebenso die Anerkennung des faschistischen Vernichtungskriegs mit seinen über 50 Millionen Toten?

Gedenkstättenarbeit tendiert in unserem Land immer mehr zu Erinnerungsorten vorwiegend an die Judenverfolgung – andere Verfolgtengruppen, die Sinti und Roma, die Toten der Widerstandsbewegung haben zurückzutreten oder werden nur noch in Einzelbeispielen genannt. Organisiert war der Widerstand wohl nicht? Kommunistischer Widerstand, der laut „Institut für Zeitgeschichte“ in München 70 Prozent des politischen Widerstandes ausmachte, bleibt somit weitgehend außen vor. Auch die Absicht, mehr „die Täter“ in den Blick zu rücken, bezieht sich ausschließlich auf KZ-Wächter und ähnliche Untergeordnete. Die Arisierungsverbrecher wie Flick und Quandt werden nicht benannt, wie auch insgesamt die Darstellung der Verbrechen der Wirtschaft von 1933 bis 1945 unterbleibt.

Nach dem Anschluss der DDR - der verbunden war mit Bilderstürmerei, Straßenrückbenennungen, Gedenkstättenumwandlungen - da wurde im Landtag von NRW seitens der CDU verlangt, auch im Westen die Orte der „kommunistischen Verbrechen“ zu kennzeichnen. Das war den Gedenkstätten selbstverständlich nicht möglich, aber sie lösten das Problem dadurch, dass sie zum Beispiel aus dem gemeinsamen Gedenkstättenkatalog von NRW die VVN-BdA mit ihren Dokumentationszentrum in Duisburg herauszensierten. Duisburg ist nun nicht mehr unter den anerkannten Gedenkstätten vertreten.  

Kürzlich lud die Landeszentrale für politische Bildung zu einer Geburtstagfeier zu „20 Jahre Arbeitskreis NS-Gedenkstätten und Erinnerungsorte“ nach Düsseldorf ein. Hauptthemen waren: Wie bekommen die Gedenkstätten mehr Förderungsmittel und mehr Hauptamtliche. Ehrenamtliche Kräfte schienen nicht mehr so sehr erwünscht zu sein, nachdem die alten Zeitzeugen weg sind. Der VVN-BdA-Vertreter wollte gern Glückwünsche aussprechen – auch seitens der „Kinder des Widerstandes“, die sich bemühen, die Zeitzeugenarbeit ihrer Eltern und Großeltern fortzusetzen -, doch Wortmeldungen waren nicht möglich. Die größte Opferorganisation blieb von der Mitgliedschaft ausgegrenzt.

Mitglieder und aktive Mitstreiter sind die VVN-BdA-Leute jedoch in örtlichen Fördervereinen für die Gedenkstätten. So erhielten wir von diesen Aktivisten aus Düsseldorf und Lüdenscheid begeisterte Zuschriften, in denen die dort neu erstandenen Gedenkstätten als sehr gelungen beschrieben werden. Kritik kam jedoch aus Oberhausen und Essen. Obwohl in Oberhausen das Schwerpunktthema nunmehr die Zwangsarbeit ist, wird kaum ein kritisches Wort über die industriellen Profiteure und Sklavenhalter verloren. Und in Essen ist seit 2008 die Ausstellung „Verfolgung und Widerstand in Essen 1933-1945“ geschlossen. Ernst Schmidts legendäre Sammlung über den Widerstand ist nur nach vorheriger Anmeldung einzusehen.

Wie zu erfahren war, wird nun auch die Dortmunder Ausstellung zu „Widerstand und Verfolgung“ in Bälde „weiterentwickelt“, wie es heißt. In welche Richtung es geht, ist zwar beschlossen, aber nicht öffentlich bekannt. Jörg Stüdemann, Stadtkulturdezernent, hat schon  in einem Schreiben an die VVN-BdA vom 14. 01 2009 angedeutet, wohin nach seiner Meinung die Ausstellung tendieren soll. Ausschlag gebend seien „Henry Ashby Turners 1985 in seinem zentralen Werk ‚German Big Business and the Rise of Hitler‘ dargestellten und in gründlicher Quellenarbeit erarbeiteten Ergebnisse.“

In der jetzigen Ausstellung in der Dortmunder Gedenkstätte Steinwache heißt es zur Situation 1932/34:  „Die Schwerindustrie setzt auf Hitler.“ Der amerikanische Historiker H. A. Turner (1932-2008)  hingegen schreibt: „Entspricht die weit verbreitete Ansicht, dass der Faschismus ein Produkt des modernen Kapitalismus ist, den Tatsachen, dann ist dieses System kaum zu verteidigen.“

Wir fragten: Soll die derzeitige Inschrift entsprechend dem Freispruch des Mr. Turner für den Kapitalismus verändert werden? Eine Antwort bekamen wir nicht. Allerdings kündigte Stüdemann eine „intensive Diskussion auf fachwissenschaftlicher Ebene“ an und zwar zur Frage Wirtschaft und Nationalsozialismus und diese „im Rahmen der Neugestaltung der Dauerausstellung der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache“. Ob es zu dieser Diskussion kam, ist nicht bekannt. Das Kuratorium der Gedenkstätte, einst vom Oberbürgermeister zusammen mit ehemaligen KZ-Opfern gegründet, wurde jedenfalls nicht einberufen.

Die Hauptthese der Geschichtsschreibung a la Turner ist die, dass „die Wirtschaft“ erst nach dem 30. Januar 1933 sich notgedrungen mit dem NS und Hitler arrangierte und dass vorher keine wirklich bedeutenden Beziehungen zwischen ihnen bestanden, die dann zur „Machtergreifung“ führten. Deutsche Großunternehmer seien keine wichtigen finanziellen Unterstützer Hitlers gewesen, und der Nationalsozialismus sei nicht als Exponent des kapitalistischen Systems zu deuten, so Turner. Das wird durch Gustav Luntowski und Adam Tooze in ihren Büchern widerlegt. Tooze lässt zudem deutlich werden, dass auch die aufgenommenen Beziehungen von Industrie und Kapital zum deutschen Faschismus noch in der Zeit Januar 1933 bis Juni 1934 geeignet waren, das Regime entscheidend zu stärken, ja seine Existenz zu sichern. Industrie und Kapital hätten es auch nach dem 30. Januar 33 noch in der Hand gehabt, den Faschismus auszuschalten, wenn sie nur gewollt hätten. Sie wollten nicht, denn ihr politisches und ökonomisches Programm glich viel zu sehr dem der Nazis. [Um diese Bücher geht es uns: Gustav Luntowski, Hitler und die Herren an der Ruhr. Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich, Frankfurt am Main  - Bern 2000; Adam Tooze, Ökonomie der Zerstörung. Geschichte der Wirtschaft im  Nationalsozialismus, München 2007.]

In den Beschlüssen des Rates der Stadt Dortmund zur Umwandlung der Gedenkstätte Steinwache (sie liegen uns vor) wird ausgeführt: Geld für die Umwandlung der Gedenkstätte wurde von außerhalb Dortmunds bewilligt. Fast eine Million Euro will die Bundesregierung beisteuern, sie setzt allerdings voraus, dass nach ihren in der „Gedenkstättenkonzeption“ dargelegten  Vorgaben [Siehe „Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption des Bundes“, Drucksache 16/9875 vom 19.06.2008. Darin heißt es: Aufgabe „ist es aber auch, an das Unrecht der SED-Diktatur zu erinnern“, es gelte, den antitotalitären Konsens in der Gesellschaft zu festigen“.] gehandelt wird, die Antikapitalismus und einen fairen Umgang mit Kommunisten im Arbeiterwiderstand nicht vorsehen. Zudem sind Gedenkstätten zumeist auf Drittmittelfinanzierungen seitens der Unternehmen angewiesen – mit allen Konsequenzen.

Erinnerungsarbeit wird somit Klassenkampf.

Friedrich Engels schrieb vor über 140 Jahren: „Die Bourgeoisie macht alles zu einer Ware, also auch die Geschichtsschreibung. (…) Und diejenige Geschichtsschreibung wird am besten bezahlt, die im Sinn der Bourgeoisie am besten verfälscht ist.“ [Aus den Fragmenten zur Geschichte … In: MEW Bd. 16, S. 499/500]

Die Gedenkhalle in Oberhausen trug bis zu ihrer Umgestaltung das Motto „Faschismus kommt nicht über Nacht, er wird vom Kapital gemacht“. Die neue Ausstellung kommt ganz ohne Aussagen dazu aus, wie „Faschismus kommt“. Er beginnt nun wirklich „über Nacht“, und zwar am 30. Januar 1933, er heißt nur noch „Nationalsozialismus“, denn der Begriff Faschismus ist aus der offiziellen Geschichtsschreibung vertrieben worden. An eine Beschreibung der Vorgeschichte des „Nationalsozialismus“ wagt man sich nicht mehr heran. Wer dazu etwas erfahren will, muss 700 km weit fahren – nach München. Das dortige neue „NS-Dokumentationszentrum“ beginnt mit einer großen Abteilung zum Thema „Ursprung und Aufstieg der NS-Bewegung 1918-1933“. Dieses Dokumentationszentrum läßt nichts aus, - und dies in Bayern, wo derjenige in den Verfassungsschutzbericht gelangt, der die enge Verzahnung von Faschismus und Kapitalismus aufzeigt. In München wird entsprechend dem Vermächtnis von Primo Levi gehandelt: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“

Im Vorwort von „Geschichte und Verantwortung“ zur Gedenkstättenarbeit in NRW wird hingegen ein anderer Auschwitzüberlebender abschließend zitiert, der meint, seine Erfahrungen von Auschwitz-Birkenau hätten für „ähnliche Situationen in der Zukunft“ null Bedeutung: „Gar keine. Aus dem einfachen Grund, weil es ähnliche Situationen nicht gibt.“ Da sind sich die Münchner Ausstellungsgestalter nicht so sicher: Ans Ende ihrer Dokumentation stellten sie einen großen Bildschirm mit den ständig neuen Meldungen von Brandstiftungen und Pogromen im heutigen Deutschland. Denkbar wäre auch, die sich häufenden Kriege, auch der deutschen, dort zu benennen.