21.12.2015
"Die Möglichkeiten des gesamten rechtens Spektrums würden durch ein NPD-Verbot erheblich eingeschränkt"
Interview mit Cornelia Kerth; VVN-BdA-Bundesvorsitzende, zum NPD-Verbotsverfahren
Die VVN-BdA hat einen erheblichen Anteil
daran, dass das Verbotsverfahren gegen die NPD nun vorankommt. Dies
wurde von der VVN-BdA-Vorsitzenden Cornelia Kerth in einem Interview
mit der Zeitung "Unsere Zeit" hervorgehoben.
Das Interview hat diesen Wortlaut:
UZ: Das
Bundesverfassungsgericht (BVG) hat endlich beschlossen, das
Hauptsacheverfahren über die Anträge des Bundesrates zum
Verbot der NPD durchzuführen. Die VVN-BdA hat das in einer
Erklärung begrüßt …
Cornelia Kerth:
Seit es die NPD gibt, haben wir darauf hingewiesen, dass sie als
NSDAP-Nachfolgeorganisation allein schon nach Art. 139 des
Grundgesetzes gar nicht existieren dürfte. In den 1990er Jahren
konnte sie sich als die erfolgreichste Struktur der extremen Rechten
zum Bindeglied zwischen deren verschiedenen Fraktionen etablieren, was
sie – trotz Schwächen – bis heute ist. Sie hat schon
damals wesentlichen Anteil an der Entstehung des Milieus gehabt, aus
dem heraus bis heute fast 200 Menschen umgebracht wurden, weil sie im
Menschenbild der Nazis als „minderwertig“ oder als
„Feinde“ denunziert werden. In den verschiedenen
NSU-Untersuchungsausschüssen ist auch die Verbindung zwischen der
NPD und dem terroristischen Untergrund immer wieder deutlich geworden.
Dass nun das BVG endlich das Hauptverfahren eröffnet, ist u. E.
überfällig. Seit 2007 haben wir mit unserer nonpd-Kampagne
darauf hingewirkt.
UZ: Was ist
heute anders als 2001–2003, als die damalige Bundesregierung
einen Antrag beim BVG mit dem Ziel einreichte, die
Verfassungswidrigkeit der NPD feststellen zu lassen und damit ein
Verbot dieser Partei zu erreichen? Bundestag und Bundesrat folgten mit
eigenen Anträgen. Oder was ist anders als 2013?
Cornelia Kerth:
Zunächst einmal muss daran erinnert werden, dass das Verfahren
2003 ja eingestellt wurde, weil das Gericht angesichts der Menge an
Nazis, die als „V-Leute“ vom Verfassungsschutz finanziert
und „geführt“ wurden, der Meinung war, es sei nicht
nachweisbar, welche Äußerungen und Aktivitäten
tatsächlich der NPD und welche dem VS zuzuordnen seien. Damit hat
das Gericht zugleich schon auf die skandalöse Verquickung der
Geheimdienste mit der Nazi-Szene hingewiesen, die auch beim Thema NSU
eine große Rolle spielt und übrigens bis jetzt nicht im
Ansatz angemessen aufgeklärt ist. Nun haben Bundes- und
Länderbehörden nach eigener Auskunft ihre
„Quellen“ zumindest in den Leitungsebenen der NPD
abgeschaltet. Man kann nur hoffen, dass dem so ist.
Der Verbotsantrag von 2013 ist natürlich auch eine
Folge der zufälligen Entdeckung des NSU und der ersten
Ermittlungsergebnisse dazu gewesen. Inzwischen kommt dazu, dass die NPD
als Drahtzieherin hinter den meisten rassistischen Mobilisierungen vom
Typ „Nein zum Heim“ steht. Da es kaum ermittelte Täter
für die fast täglichen gewalttätigen Angriffe auf
Unterkünfte für Geflüchtete gibt, kann man diese
natürlich nicht einfach der NPD zurechnen; die Vermutung, dass sie
von deren Propaganda aufgeputscht sind, liegt aber nahe. Dass
natürlich auch einschlägige Äußerungen
(un-)verantwortlicher PolitikerInnen RassistInnen in ihrem Wahn
bestätigen, sie exekutierten durch Mord, Totschlag und
Brandstiftung einen „Volkswillen“, ändert daran nichts.
UZ: Ein Verbot der NPD ist jetzt möglich: Was würde das konkret bedeuten?
Cornelia Kerth:
Auf jeden Fall würde das bedeuten, dass damit ein
öffentliches Signal gesetzt wäre, dass Faschismus keine
Meinung ist. Die NPD könnte nicht mehr die Vorteile des
Parteienprivilegs in Anspruch nehmen und sie würde ihr
Vermögen verlieren: vor allem staatliche Zuwendungen an
MandatsrträgerInnen der NPD und steuerbegünstigte Spenden
sowie Einnahmen aus dem Vertrieb von Presseerzeugnissen, Büchern
und allerlei Szene-Accessoires. Sie könnte nicht mehr in der
„Deutschen Stimme“ hetzen und sie könnte ihr
DS-Verlagshaus in Riesa nicht weiter unterhalten, von wo aus das braune
Netz über ganz Sachsen gesponnen wird. Ihre Möglichkeiten,
die pogromartigen Mobilisierungen gegen Geflüchtete und ihre
Unterkünfte zu organisieren, würden deutlich
eingeschränkt und vielleicht wäre dann die Situation in
Sachsen ein bisschen weniger bedrückend …
UZ: Bestehen
aber inzwischen nicht mit der Partei „Die Rechte“ u.
ä. Organisationen, mit Pegida und Co., aber vor allem mit der AfD,
bereits „Auffanglinien“ für die NPD? Und die AfD
gewinnt mit ihren Positionen gegen Flüchtlinge, ihrer Hetze und
sozialen Demagogie laut aktueller Umfragen immer mehr auch bei Wahlen
an Zustimmung. Sie könnte in den nächsten Bundestag einziehen
…
Cornelia Kerth:
Ja, es gibt „Die Rechte“ und es gibt den „Dritten
Weg“ und auch weiterhin diejenigen, die gar keine
parteiförmige Organisation wollen. Aber bisher jedenfalls ist
nicht erkennbar, dass eine dieser Formationen die Rolle der NPD als
strukturierendes Zentrum übernehmen könnte. Es ist zudem im
Verbotsantrag auch ein Verbot von möglichen Ersatz- und
Nachfolgeorganisationen enthalten, so dass NPD-Kader nicht geschlossen
übertreten können.
Pegida und die AfD stellen allerdings ein Problem ganz
anderer Dimension dar. Beide finden erhebliche Zustimmung und Zulauf in
der „Mitte“ der Gesellschaft, d. h., bei Menschen, deren
erster Satz ist „Ich bin kein Nazi, aber …“ und die
dann immer offener all‘ das sagen, wovon wir durch viele Studien
wissen, dass sie es schon lange im Kopf haben, aber zumindest nicht
laut zu sagen wagten. Bei Pegida treffen sich Nazis und der deutsche
Stammtisch, die AfD trägt diese Mischung in die Parlamente –
Frau Petry vielleicht mit etwas Scheu nach ganz rechts, Herr Höcke
ganz gezielt.
UZ: Reicht
deshalb ein NPD-Verbot? Muss nicht in der Gesellschaft mehr gegen
Faschisten und Rassisten getan werden? Müssen antifaschistische
Traditionen und antifaschistisches Handeln nicht ein anderes Gewicht
erhalten statt staatlicherseits Antifaschistinnen und Antifaschisten zu
kriminalisieren, die sich faschistischen Aufmärschen oder auch
Pegida und Co. entgegenstellen?
Cornelia Kerth:
Natürlich reichen Verbote nicht. Das haben wir auch nie behauptet.
Das Verbot ist ein wichtiger Schritt, ein klarer Schnitt zwischen
Faschismus und verfassungsmäßig garantierter
Meinungsäußerung, eine sichtbare Grenze für alle, die
glauben, was legal ist, sei auch legitim. Eine gesellschaftliche
Auseinandersetzung mit faschistischer und rassistischer Ideologie
bleibt zwingend erforderlich
Wir haben ja schon über Pegida und AfD gesprochen.
Angesichts der Tatsache, dass die Zahl der Menschen, die nach
Deutschland flüchten, in den kommenden Jahren – allen
Versuchen, die Grenzen dicht zu machen zum Trotz – eher steigen
wird und angesichts der fast jede Nacht brennenden Häuser, stehen
wir vor einer riesigen Herausforderung. Gar nicht davon zu reden, dass
sich in der Regierung und den sie tragenden Parteien diejenigen
durchgesetzt haben, die Deutschland schon jetzt
„überfordert“ sehen.
Das heißt, wir müssen auch weiterhin mit
möglichst vielen BündnispartnerInnen rassistischen
Mobilisierungen entgegentreten, offene Grenzen und gleiche Rechte
für alle Menschen einfordern. Zum Glück gibt es in jeder
Stadt und selbst auf dem platten Land auch die vielen, die den
Geflüchteten zur Seite stehen. Das birgt die Chance, dass wir am
Ende der gesellschaftlichen Auseinandersetzung einen Schritt weiter
sind …
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