04.12.2015
Schäuble ante Portas
– Anti-antifaschistische Gemeinsamkeiten seit vielen Jahren
Hätte die Justiz und
die Polizei den unverkennbaren faschistischen Aufruf zur allgemeinen
Lynchjustiz und den Appell zum Auskundschaften und Beseitigen des
Gegners ernst genommen, wäre uns möglicherweise der
NSU erspart geblieben. Dieser Aufruf der Nazis lautete schon Anfang der
90er Jahre: „Jeder von uns muß selbst wissen, wie
er mit den ihm hier zugänglich gemachten Daten umgeht. Wir
hoffen nur, ihr geht damit um!" Über die damals
begründete terroristische Anti-Antifa und die kurz zuvor im
Bundesinnenministerium ersonnene staatliche Anti-Antifa berichtet
Ulrich Sander (VVN-BdA-Bundessprecher) in einem Beitrag in der
Zeitschrift „Ossietzky“, mit dem ein Bogen
geschlagen wird über 25 Jahre Rechtsentwicklung bis heute, da
ein Wolfgang Schäuble mal wieder als möglicher
Kanzler gehandelt wird. Hier der Beitrag:
Ulrich Sander:
Republik der Anti-Antifa
Was wird aus „Wir schaffen
das“, was wird aus dem Land des Lächelns
für die Neuankömmlinge, aus der Versicherung, dass
die Zahl der Asylanten nicht zu begrenzen und die Genfer
Flüchtlingskonvention unbedingt einzuhalten ist? Statt einer
Willkommenskultur nun eine Ausweisungsunkultur und ein
Pegida-Rassismus. Zwar setzt die Mehrheit der Menschen im Lande noch
immer auf das „Refugees welcome!“ – aber
das ist nicht die Mehrheit, die sich die Regierungsparteien
wünschen. Und so setzen die Unionsleute auf das, was die
Rassisten wollen: Stacheldraht, Rausschmiss, kein Herz sondern Hetze.
Und so gerät sogar der Sessel von Angela Merkel ins Wanken.
Immer wieder wird dieser Tage Wolfgang
Schäuble als Schattenkanzler bezeichnet. Seine
körperliche Verfassung verbietet es zu sagen, er sitze in den
Startlöchern, seine geistige Verfassung erlaubt dieses Bild
durchaus. Er widersprach der Kanzlerin und erinnert öffentlich
daran, dass er nun in einem Alter sei, in dem Adenauer erstmals zum
Kanzler gewählt wurde. Schon einmal hielt sich
Schäuble bereit. Das war, als er „die Einheit
aushandelte“ und dann als Innenminister für die
Staatssicherheit zuständig war, die Sicherheit des neuen
Gebildes. Damals setzte er auf Partner von rechts.
Für das Neue Deutschland (siehe ND
3.12.91) nahm ich im Herbst 1991 in Hahnenklee/Westharz an einer
Propagandakonferenz des Schäuble-Innenministeriums und des
Bundesverfassungsschutzes teil, zu der über hundert zumeist
junge Journalisten aus den „neuen Ländern“
eingeladen worden waren, um auf Linie gebracht zu werden. Die Arbeiten
von Verfassungsschutzwissenschaftlern nach dem Strickmuster
„rot ist schlimmer als braun, weil noch wirksam“
spielten eine große Rolle. Der inzwischen emeritierte
Professor Eckhard Jesse, Referent in Hahnenklee, hatte in einem
Grundsatzartikel in der FAZ vom 28.8.91 der Hoffnung der Ultrarechten
Ausdruck gegeben: „Vielleicht werden die frühen
neunziger Jahre dereinst als eine Inkubationszeit für den
Beginn eines ‚Anti-Antifaschismus‘
gelten.“ Bald danach wurde diesem Begriff von Neonazis mit
terroristischen Methoden Nachdruck verliehen.
Es wurden in Hahnenklee politische
Bildungsmaterialien präsentiert, die den Anti-Antifaschismus
begründeten, bevor die Neonazis selbst auf die Idee AntiAntifa
kamen. So gab es eine Broschüre zur „Inneren
Sicherheit“ mit dem Titel „Bedeutung und Funktion
des Antifaschismus“. Im Vorwort prangert das
Schäuble-Ministerium den angeblichen Missbrauch des
Antifaschismus an: „Die Linksextremisten sehen in ihm ein
neues Schwerpunktaktionsfeld für sich, nachdem
Friedensbewegung und Anti-Kernkraft-Bewegung abgeflaut sind. Sie setzen
auf die traditionelle Zugkraft des Antifaschismus, um so ihre
Bündnisfähigkeit
zurückzugewinnen.“ (hg. vom Bundesinnenministerium,
1990)
Einer der Verfassungsschutz-Professoren war bis
Mitte der 90er Jahre noch Hans-Helmuth Knütter. In einer vom
Innenministerium verbreiteten Broschüre kam dieser Professor
mit rechtsextremen Verbindungen zu Wort: Die Broschüre
„Antifaschismus als innen- und außenpolitisches
Kampfmittel“, sie „dient der Enttabuisierung des
,Faschismus’ und der Kritik am Antifaschismus“.
Denn „Formeln wie ,die finsterste Zeit der deutschen
Geschichte’ erhellen nichts, klären nicht auf, legen
Bekenntnisse der Gesinnungstüchtigkeit ab und markieren
Opportunismus, sind pseudomoralisch und tabuisieren dadurch. Das gilt
es zu überwinden.“ (hg. vom Seminar für
politische Wissenschaft der Universität Bonn und verbreitet
vom Bundesinnenministerium seit 1991) So sollte der Faschismus wieder
salonfähig gemacht werden – aus Steuermitteln
finanziert.
Was wir dieser Tage erleben, erinnert an die
Anti-Antifa der Neonazis seit etwa 1991. Damals wurde die Programmatik
für das formuliert, was wir heute vorfinden: den
Übergang der neonazistischen Bewegungen zum nazistischen
Terror. Die Programmatik wurde regionalen Drohlisten als
Präambel vorangestellt und vor allem im Zusammenhang mit der
Schwarzen Liste „Einblick“ bekannt. Diese Liste
wurde von Neonazis versendet – und von antifaschistischen
Journalisten öffentlich angeprangert. Die Behörden
wiegelten ab. Uns Betroffenen wurde bei Konsultationen mit der Polizei
sogar amtlich mitgeteilt, dass die Anti-Antifa nichts anderes sei als
die Reaktion der Rechtsextremen auf die Bedrohung durch die Linken. Den
von Anti-Antifa Bedrohten, die auf der Liste standen, wurde eiskalt
bedeutet, das Bundeskriminalamt wolle den Nazigeheimbund, der mit
„Einblick“ immerhin zur
„endgültigen Ausschaltung“ seiner Gegner
aufruft, nicht als kriminelle oder terroristische Vereinigung einstufen.
Der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen nannten
1993 in ihren Verfassungsschutzberichten vor allem Christian Worch aus
Hamburg als Anführer der Anti-Antifa und
„Einblick“-Chef. Die grundsätzliche
„Einblick“-Präambel enthielt eine
Einschätzung, die der des Innenministeriums ähnelte:
Die einzige Übereinstimmung der Nazigegner „mit dem
dummprogrammierten Bundesbürger bleibt das ‚ewige
Zugpferd‘ der deutschen Linken, bleibt der
‚Antifaschismus‘“. Daher sei
Anti-Antifaschismus dringend geboten. Andersdenkende seien zu
„bestrafen“.
Die Neonazis drängten also schon seit
Anfang der neunziger Jahre auf immer neue Maßnahmen gegen den
„Ethnozid an den Deutschen“ (so wörtlich
im „Einblick“). Und so wollen sie die
Maßnahmen durchsetzen: „Der eigentliche Gegner ist
nicht der Asylant, der Zigeuner, der Wirtschafts- oder
Kriegsflüchtling. Wir müssen uns an die halten, die
uns die Suppe eingebrockt haben.“ Und das seien „1.
der deutsche Gesetzgeber, die deutsche Regierung und alle
nachgeordneten deutschen Behörden, 2. die deutschen
Parteipolitiker von CDUCSUSPDFDPPDSGRÜNEN, 3. deutsche
Juristen, 4. deutsche Kirchenvertreter, 5. deutsche
Gewerkschaftsfunktionäre, 6. deutsche Unternehmer, die
‚billige Ausländer‘ beschäftigen,
7. deutsche Medienvertreter, 8. deutsche Lehrer aller Schulstufen und
Professoren, 9. deutsche Schriftsteller und andere Kunstschaffende, 10.
Funktionäre deutscher Sportvereine und -verbände, 11.
verschiedene Bürgerinitiativen, gesellschaftliche
Gruppierungen, Vereine und Verbände, 12. mehr oder weniger
bekannte und einflussreiche deutsche
Einzelpersönlichkeiten.“ Sie alle seien
„Inländerfeinde“ (zitiert aus
„Einblick“).
Die Pläne zur Ausmerzung dieser
zwölf Personengruppen sind nicht zu den Akten gelegt. Nicht
nur Brandanschläge gegen
Flüchtlingsunterkünfte stehen auf der Tagesordnung,
sondern auch Mordanschläge auf jene, „die uns die
Suppe eingebrockt haben“ – daher der Mordanschlag
auf Henriette Reker, inzwischen Oberbürgermeisterin von
Köln. Der Mordversuch wurde laut Kölner
Stadt-Anzeiger von einem Parteigänger der FAP verübt.
Stellvertretender Vorsitzender dieser heute verbotenen
„Freiheitlich Deutschen Arbeiterpartei“ war
Christian Worch, der heute die Partei Die Rechte anführt, der
die Behörden das Parteienprivileg zubilligen, obgleich sie
über beträchtliches terroristisches Potential
verfügt. Von den dreizehn Mitgliedern der rechtsextremen
Terrorgruppe in Bamberg, die bei einer Razzia am 21. Oktober 2015
festgenommen wurden, stammt ein erheblicher Teil aus der Mitte und dem
Umfeld dieser Partei; bei der Gruppe wurden Anschlagspläne,
Waffen und Sprengstoff gefunden. Christian Worch distanzierte sich
nicht von den Terroristen, er bemängelte nur ihre Fehler im
Konspirieren.
Über ihre Feinde schrieb die
Nazi-Anti-Antifa: „Alle diese Leute müssen wissen,
dass sie die Zielscheibe künftiger grundstürzender
Veränderungen sein werden und dass sie unter
Umständen ein gewisses Risiko eingehen, wenn sie ihre
Aktivitäten fortsetzen.“ (Nation Europa 11/12-92)
Die staatliche Anti-Antifa bestand und besteht in
der Durchsetzung der Totalitarismustheorie, in der
Rechts-Links-Gleichsetzung und damit Reinwaschung des Faschismus. Die
Gefahr einer Rechtsentwicklung der Mitte ist offensichtlich. Sie
fällt in zwei Teile: einerseits Anwachsen des Neofaschismus,
Duldung und Förderung der Neonazis als mögliche
gesellschaftliche Reserve durch den Staat und andererseits Abbau von
Grundrechten durch den Staat, dies auch durch zunehmende
Militarisierung und Ausbau des Überwachungsstaates.
Das Konzept des früheren
Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble war dem
„Spiegel vom 9. Juli 2007 zu entnehmen und ist in diesem
Zusammenhang bezeichnend. Ich hatte in Vorträgen kommentiert,
das Konzept mache allen rechtsextremen Putschplänen Ehre, was
mir den mehrjährigen Eintrag im Verfassungsschutzbericht des
Landes Bayern eintrug. Es besage, so führte ich entsprechend
dem Spiegel-Bericht in öffentlichen Diskussionen aus (die
Fakten wurden vielfach in Medien gebracht): Beseitigung des
verfassungsmäßig nicht veränderbaren
Artikels 1 des Grundgesetzes (Schutz der Menschenwürde und des
Lebens), Einsperren von „Verschwörern und
Gefährdern“ in Lager, gezielte Tötungen von
Regimegegnern, Kommunikationsverbote für politisch Missliebige
und ganze Bevölkerungsgruppen, Hausdurchsuchungen ohne
Anwesenheit von Zeugen und Betroffenen, denn das sind die geheimen
Onlinedurchsuchungen privater Computer, weiter: Einsatz von
Militär mit Waffen gegen Demonstranten und umfassende
Bespitzelung der Bürger durch Polizei und Geheimdienste
(Rasterfahndung).
Das war Schäubles extrem rechter Katalog,
und es gibt keine Hinweise, dass Schäuble inzwischen umgedacht
hat. Angela Merkel ermutigte Schäuble damals: keine
Denkverbote im Kampf gegen den Terror. Merkel sagte: Die Trennung von
innerer und äußerer Sicherheit ist „von
gestern“ – um zum Vorgestern
zurückzukehren? Schäuble brachte jetzt als erster
laut Medienberichten vom 19. November den Einsatz der Bundeswehr im
Innern als Konsequenz aus den Anschlägen in Paris ins Spiel.
Zu den weiteren Schäuble-Plänen gehörten
2007: Fingerabdrücke aller Bundesbürger werden bei
der Passbehörde gespeichert, Mautdaten werden für
Fahndungszwecke verwendet. Sodann sollen erfolterte
Geständnisse verwendet werden. Es soll Vorratsspeicherungen
der Verbindungsdaten aller Arten elektronischer Kommunikation geben.
Wolfgang Schäuble als neuer Kanzler
– das könnte auf die Führung einer Republik
der Anti-Antifa hinauslaufen, in der sich faschistische Terroristen
weitgehend unbehelligt tummeln dürfen.
Aus: Ossietzky vom 5. Dezember 2015, Nr. 24/15
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