19.11.2015
Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter
Konferenz des
»Joint Air Power Competence Centre« der NATO bereitet Krieg
vor. Friedensdemonstration am 21.11.2015 in Essen.
Zur Vorbereitung der Friedensdemonstration
ab 11.57 Uhr vom Hirschlandplatz in Essen am Samstag, 21.November 2015
schrieb Bernhard Trautvetter, Sprecher des Essener Friedensforums,
worum es geht. (Entnommen der Jungen Welt vom 17.11.15):
Nicht
erst seit den Anschlägen in Paris am vergangenen Freitag wird
offen über die nächsten Kriege diskutiert - bis hin zum
Beschwören des »NATO-Bündnisfalls« als
möglichem Ticket in den syrischen Bürgerkrieg wurde die
Eskalation bereits betrieben. Das westliche Militärbündnis
bleibt eine der maßgeblichen Gefahren für den Weltfrieden.
Daher wird die Friedensbewegung am 21.11.2015 gegen eine
Propagandakonferenz der Militärs in Essen demonstrieren. Denn auf
der soll auch beraten werden, wie die tiefverwurzelte Ablehnung von
Waffengewalt bei der Bevölkerung zu beeinflussen wäre. Ein
bundesweites Bündnis sehr unterschiedlicher Friedenskräfte
ruft dazu auf, dagegen unter dem Motto »Kein NATO-Kriegsrat in
Essen! Die Kriegsgefahr gemeinsam abwenden!« zu demonstrieren.
Zu den Unterstützern zählen der DGB Essen und
die GEW Nordrhein-Westfalen, der Landesverband der Jusos, die VVN-BdA,
der Parteivorstand Die Linke mit vielen weiteren Gliederungen der
Partei, die DKP, der »Aachener Friedenspreis e. V.« sowie
eine Organisation von US-Veteranen gegen den Krieg. Grußworte
kommen von Konstantin Wecker, der »Campaign for Nuclear
Disarmament« mit Worten des Vorstandsmitglieds und Labour- Chefs
Jeremy Corbyn aus Großbritannien sowie vom Hiroshima-Büro
der »Mayors for Peace«. Die »Kritischen
Atomwissenschaftler« haben ihre symbolische Alarmuhr von
fünf vor auf drei vor zwölf vorgestellt. Unter anderem
deshalb, weil die Militärs ständig größer werdende
Gewalt zwischen Islamabad, der Türkei, Nordafrika und Sudan zu
verantworten haben. Aus diesen Gebieten sind nun ungezählte
Menschen auf der Flucht.
General Frank Gorenc, Direktor des Kalkarer »Joint
Air Power Competence Centre« (JAPCC, übersetzt bedeutet dies
in etwa »Vereinigtes Luftwaffenkompetenzzentrum«),
lädt zur NATO- Konferenz »Air Power and Strategic
Communications - NATO Challenges for the Future«, die vom 23. bis
zum 25. November in Essen tagen wird, ein. Er schrieb dazu, es
gäbe »Einheiten« (»entities«), die der
NATO gegenüber feindlich (»hostile«) eingestellt
seien, da sie geschickt die Unterstützung der Bevölkerung
für »Operationen« der Militärs untergraben. Das
Wort »Einheiten« ist so gewählt, dass auch die
Friedensbewegung damit gemeint sein kann, die mit dafür
verantwortlich ist, dass die Bevölkerung kritisch gegenüber
der Bundeswehr bleibt.
Die Organisatoren der Friedensdemonstration verweisen
darauf, dass Meinungsmanipulation seit jeher Instrument der
Kriegsführung war. Das gilt für beide Weltkriege, den
Vietnam- und Balkankrieg, den Krieg gegen den Irak oder den gegen
Libyen. Lügen, beispielsweise die Dämonisierung der Gegner,
werden zu Waffen.
Die Kalkarer Militärstrategen haben, seit sie 2005
mit ihren Jahreskonferenzen begonnen haben, dabei wichtige Konzepte
für ihre Kriegsplanungen vorgestellt (siehe Spalte). Das betrifft
den weltweiten Drohnenkrieg genauso wie die Integration aller
Waffenpotentiale, bis zum Cyber- und Atomangriff im Rahmen des auf der
Jahreskonferenz 2014 »Nexus« genannten Konzepts. Der dort
als »angemessen« bezeichnete Mix nuklearer und sogenannter
konventioneller Potentiale umfasst explizit eine nukleare
Kriegsführungsstrategie.
Schon der ehemalige Bundespräsident Gustav
Heinemann (Amtszeit 1969 bis 1974) geißelte die Atombombe als nur
so genannte Waffe, da der Atomkrieg keine Sieger kenne. Wer als erster
schießt, stirbt als zweiter. Das Militärbündnis, das in
den nächsten 30 Jahren 1.000 Milliarden Dollar für die
»Modernisierung« genannte Weiterentwicklung der Atombomben
hin zu lenkbaren Mininukes plant, entwirft eine Militärstrategie,
die mit dem nuklearen Inferno spielt: Im Material der JAPCC-Konferenz
2015 liest man, es sei anzuzweifeln (»it is in some
doubt«), dass es in Europa keinen großen Krieg
(»major war«) mehr geben werde. Damit erklärt die
NATO- Denkfabrik den dritten Weltkrieg für möglich. Man
benötigt für diese letzte Katastrophe noch nicht einmal
Atomwaffen selbst, befinden sich in Europa doch ca. 200 Atomreaktoren.
Das leistungsstärkste Kernkraftwerk Europas steht in der Ukraine,
knapp 200 Kilometer von Donezk entfernt.
Die Demonstration am kommenden Sonnabend in Essen
fordert die Ächtung der Atomwaffen und der Propaganda für den
Krieg, sie fordert zivile und gewaltfreie Konfliktlösungen und die
Schließung des Joint Air Power Competence Centre. Denn diese
Nato- Denkfabrik gefährdet das friedliche Zusammenleben der
Völker. Schon deshalb ist der Betrieb dieser Einrichtung weder mit
dem Völkerrecht, noch mit dem Grundgesetz, geschweige denn mit den
Lebensinteressen der Menschen zu vereinbaren.
http://www.no-natom-krieg.de
http://essener-friedensforum.de
http://nrw.vvn-bda.de/texte/1461_nato_propaganda.htm
Hintergrund: 10 Jahre NATO in Kalkar
Das Joint Air Power Competence Centre (JAPCC) der NATO
in Kalkar existiert seit 2005. Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung
(WAZ) bezeichnete es am 1.11.2010 als »militärische
Denkfabrik für die Welt«. Das verfehlt den Kern seines
Wirkens: Es ist eine Einrichtung gegen den Frieden auf der Welt.
Seit seiner Gründung hat das JAPCC
»maßgeblich ... am Einsatz unbemannter >Drohnen<-
Aufklärungsflugzeuge gearbeitet«, so die WAZ. Diese
Formulierung ist eine Verharmlosung, denn es ging sofort um
»C2«, Command and Control, vor allem im Kampfeinsatz.
Das JAPCC führt jeweils im Herbst hochkarätige
Jahreskonferenzen mit über 200 Teilnehmern aus der
NATO-Führungsriege, der Politik, der Wissenschaft und Industrie
durch. 2006 ging es um die Entwicklung des Konzepts für den
Drohnenkrieg im Rahmen des so genannten Antiterrorkrieges der NATO.
Passend dazu befasste sich die Konferenz 2007 unter
anderem mit »Expeditierenden Sicherheits- und
Stabilisierungsoperationen«, also Angriffen auf Staaten, mit
denen man sich nicht einmal in einem erklärten Kriegszustand
befindet.
Auf allen JAPCC-Konferenzen werden Kriegserfahrungen der
letzten Jahre vom Balkan bis zum Golf und Nordafrika mit einbezogen.
Das 2008er Symposium wandte sich unter dem Titel »Die Zukunft der
NATO mit vereinter Luft- und Allstreitmacht« dem Orbit zu. Die
Kalkarer Militärs nennen dies abwechselnd »Nexus« oder
auch »ALI« (Air-LandIntegration).
2014 wurde ein »Major War«, also ein möglicher dritter Weltkrieg, nicht mehr ausgeschlossen.
Die »Air Power and Strategic
Communications«-Konferenz befasst sich in diesem Jahr mit dem
Thema Information als Waffe: Das Schlachtfeld ist demnach nicht mehr
notwendigerweise ein Gelände. Es liegt in den Köpfen der
Menschen. Was zählt, ist, was sie für wahr halten. Was
für wahr gehalten werden soll, transportieren die Massenmedien.
Bernhard Trautvetter
Nach Osten! Das Ziel der NATO-Strategen ist Russland - nicht erst seit Eskalation des Konflikts um die Ukraine
Kern der neuen, gegen Russland gerichteten
NATO-Aktivitäten ist die Schaffung einer superschnellen
»Eingreiftruppe«, die in den Medien oft als
»Speerspitze« bezeichnet wird. Deren Aufbau war am 5.
September 2014 auf dem Gipfeltreffen des Kriegsbündnisses im
britischen Newport beschlossen worden. Im Militärsprech
heißt sie »Very High Readiness Joint Task Force«
(VJTF) und bezeichnet eine Streitmacht von etwa 5.000 Soldaten, die
binnen zwei Tagen für Einsätze überall auf der Welt
bereitgestellt werden kann. Die VJTF ist eine multinationale Truppe, in
der die Bundeswehr in diesem Jahr eine führende Rolle spielt und
auch im Jahr 2019 als »Rahmennation« den Ton angeben wird.
Sie ist Teil der NATO Response Force (NRF), einer Eingreiftruppe aus
Land-, Luft-, See- und Spezialkräften, die ebenfalls weltweit
eingesetzt werden kann, abgesehen von ihrer »Speerspitze«
eine etwas längere Vorbereitungszeit benötigt, dafür
aber bis zu 40.000 Militärs umfasst. Im Ernstfall würde also
zunächst die VJTF blitzschnell intervenieren, der Rest der NRF
käme bei Bedarf nach. Geführt wird die VJTF vom
Multinationalen Korps Nordost im polnischen Szczecin, dessen
Stärke im Sommer auf 400 Soldaten verdoppelt wurde. Deutschland
stellt am »Auge und Ohr der NATO in Osteuropa« (O-Ton
Bundeswehr) derzeit 100 Soldaten und mit Generalleutnant Manfred
Hofmann den Kommandeur.
In Verbindung mit dem Aufbau der VJTF hat die NATO
Stützpunkte in sechs Ländern Ost- und Südosteuropas
eingerichtet - in Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien und
Bulgarien. Je ein weiterer soll in Ungarn und der Slowakei folgen. Die
Stützpunkte - bei den Militärs heißen sie NATO Force
Integration Units (NFIU) - sind eine Art Minihauptquartiere, über
die im Ernstfall der Einsatz der »Speerspitze« organisiert
werden kann. In den NFIU sind dauerhaft rund 40 Militärs
präsent, die Hälfte davon aus den Standortstaaten. Diese
Gruppierungen existieren, weil die NATO ihre Beziehungen zu Russland
noch nicht vollständig zerstören und deshalb die
NATO-Russland-Grundakte von 1997 wenigstens dem Wortlaut nach
einhalten will. Der ist recht schwammig, macht aber
immerhin deutlich, dass eine »dauerhafte« Stationierung
»substantieller Kampftruppen« in den Staaten der ehemaligen
Warschauer Vertragsorganisation unerwünscht wäre. Also hat
die NATO abgespeckte Hauptquartiere fest installiert, lässt
»substantielle Kampftruppen« aber rotieren, nicht zuletzt
im Rahmen immer häufiger durchgeführter Manöver.
Rotation bedeutet freilich auch, dass eine
größere Anzahl NATO- Soldaten Gelegenheit bekommt, in Ost-
und Südosteuropa zu trainieren. Die Bundeswehr etwa hat dort in
diesem Jahr mit rund 4.400 Soldaten an NATO-Manövern teilgenommen.
Sie wird 2016 sogar rund 5.000 Militärs zu Manövern in den
Osten schicken,
vermutlich auch zu den traditionellen in der Ukraine.
Rotiert wird zudem bei der Luftraumüberwachung (»Air
Policing«) in den baltischen Staaten, die seit 2004 von der NATO
durchgeführt wird. Seit September hat die deutsche Luftwaffe dabei
wieder einmal die Führung. Sie hat dazu fünf Eurofighter und
rund 200 Soldaten unweit Tallinn stationiert. Besonders fleißig
schickte Washington seine Truppen hin und her. Sie haben zum Beispiel
im Sommer begonnen, Kriegsmaschinen für eine Kampfbrigade von rund
5.000 Soldaten nach Osteuropa zu verlegen, darunter 250 Panzer. Die
Gerätschaften würden dort für Manöver und andere
Rotationsmaßnahmen gebraucht, erläuterte
US-Verteidigungsminister Ashton Carter.
Jörg Kronauer
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