15.11.2015
Zu Paris: Den IS zu
bekämpfen ist eine politische Aufgabe, die nicht
militärisch gelöst werden kann
Otmar Steinbicker ist
Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de. Zu den
Attentaten In Paris und zum politischen Echo darauf betont er, dass der
IS nur wirksam zu bekämpfen sei, wenn dies als eine politische
Aufgabe angesehen wird, die nicht militärisch gelöst
werden kann. Der Beitrag vom 14. 11. 2015 wurde uns von einem
Friedensfreund übersandt, der ihm die Worte von Ingeborg
Bachmann voranstellte: "Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte ist alltäglich
geworden" Der Wortlaut von Otmar Steinbickers Beitrag lautet:
Otmar
Steinbicker: Den IS zu bekämpfen ist eine politische Aufgabe,
die nicht militärisch gelöst werden kann
Frankreichs Präsident François
Hollande hat am Samstag die schreckliche Attentatsserie vom Vortag in
Paris als „Kriegserklärung“ des IS gegen
Frankreich bezeichnet. In der NATO wird bereits über die
Ausrufung des Bündnisfalls wie nach den Attentaten vom
11.9.2001 diskutiert. Ob und inwieweit die Pariser Attentate auf das
Konto des IS gehen, blieb zunächst ungeklärt.
Der Kampf gegen den IS ist bereits seit
längerem Realität: Es gibt Erkenntnisse über
die Herkunft und die Arbeitsweise des IS und es gibt Erfahrungen mit
militärischem Vorgehen. Wer intensiver hinsieht, sieht eine
Komplexität von Problemen, die einem militärischen
Herangehen keine Erfolgsaussichten geben.
„Warum Goliath nicht gewinnt“
lautete am 21. August 2015 eine Kommentar-Überschrift in der
Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). Dort hieß es:
„Worin liegt das Geheimnis des syrisch-irakischen
Terror-Kalifats? Frustriert sprach ein amerikanischer General vor einem
Jahr eine simple Wahrheit aus: ‚Wir verstehen diese Bewegung
nicht, und bevor wir dies nicht können, werden wir sie auch
nicht besiegen.‘“
Bei allen widersprüchlichen Berichten
über den IS erscheint eines sicher: er ist eine Sumpfpflanze
auf dem Morast des Irak-Krieges 2003, in dem der Irak komplett von den
USA und der „Koalition der Willigen“ besetzt wurde,
es keine anschließende politische Lösung gab und das
Land zwischen Kurden im Norden, Sunniten in der Mitte und Schiiten im
Süden zerfiel.
Wer immer nach einer Lösung des
IS-Problems sucht, muss eine Antwort auf die Frage nach einer
politischen Lösung finden. Das gilt für Versuche
einer militärischen Lösung ebenso wie für
Versuche einer nichtmilitärischen Lösung.
Die Wurzeln des IS liegen im sunnitischen
Widerstand gegen die US-Besatzung im Zentralirak. Im
berüchtigten Abu-Ghraib-Gefängnis in der
Nähe der Stadt Falludscha, die 2004 zum Schauplatz heftiger
Kämpfe zwischen US Truppen und Rebellen wurde, fanden
islamistische Widerständler und ehemalige
militärische und zivile Funktionsträger des
Baath-Regimes Saddam Husseins zusammen. Ab Ende 2013 begannen
Kämpfer der IS-Vorläufer-Organisation
„Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIS)“
die Städte Falludscha und Ramadi unter ihre Kontrolle zu
bringen. In Auseinandersetzung mit der schiitischen Regierung des Irak
und den schiitischen Milizen, denen ähnliche Kriegsverbrechen
wie dem IS vorgeworfen werden, konnte sich der IS als Schutzmacht der
Sunniten profilieren. Darin liegt seine wesentliche politische
Stärke. Die alten Kader des Baath-Regimes sichern dem IS die
militärische Stärke und sorgen für sein
ökonomisches und verwaltungstechnisches Überleben.
Wer angesichts dieser Problematik den IS allein
auf den schrecklichen Aspekt einer Terrormiliz reduziert, greift zu
kurz. Die Terrormiliz kann nur dann besiegt werden, wenn es gelingt,
sie von der großen Mehrheit der sunnitischen
Bevölkerung zu isolieren. Das aber ist eine politische
Aufgabe, die militärisch nicht gelöst werden kann.
Weder kurdische noch schiitische Milizen können dazu
beitragen, auch nicht die irakische Armee, wenn diese von den Sunniten
als Instrument der schiitischen Regierung wahrgenommen wird und schon
gar nicht ausländische Truppen. Wer den IS von der Mehrheit
der sunnitischen Bevölkerung isolieren will, der muss diesen
Menschen eine bessere Perspektive bieten als der IS es vermag.
Der IS lässt sich allerdings leider auch
nicht isoliert als irakisches oder irakisch-syrisches Problem
betrachten. Könnte man es, so wären
Lösungsansätze leichter zu finden. Der Konflikt um
den IS ist eingebunden in den Kampf der Regionalmächte um
Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten. Hauptakteure sind
Saudi-Arabien (mit den Golfstaaten), Iran und die Türkei.
Dieser Kampf wird zum Teil auch auf der religiösen Ebene
geführt. Saudi-Arabien versucht dabei, die wahhabitische Form
des Sunnismus, der zu exportieren, Iran versucht sich als Schutzmacht
der Schiiten zu profilieren. Die Türkei hat ihre eigenen
Interessen im zerfallenden Syrien und fürchtet vor allem das
Entstehen eines Großkurdistan. Die syrisch-kurdische Partei
PYD ist eng mit der PKK verknüpft und führt in Syrien
vor allem den militärischen Kampf gegen den IS.
Das heißt: Es wird kaum eine
Lösung des IS-Problems geben können ohne eine
Beilegung der Auseinandersetzungen zwischen den
Regionalmächten.
Dass der IS überhaupt als
staatsähnliches Gebilde militärisch und
ökonomisch agieren kann, setzt aktive Kontakte zum Ausland
voraus, z.B. um Öl zu verkaufen und um den Nachschub an Waffen
zu decken. Beides kann der der IS nur über die Landgrenzen zu
Nachbarstaaten abwickeln. Schon lange kursieren Hinweise auf Sponsoren
in Saudi-Arabien und den Golfstaaten sowie auf
Geschäftspartner für das Ölgeschäft
in der Türkei. Das solche Öl-und Waffenlieferungen
völlig ohne Zustimmung, stillschweigende Duldung oder gar
Wissen der jeweiligen Regierungen erfolgen kann, ist nicht anzunehmen.
Wer den IS in diesen für ihn lebenswichtigen Bereichen
isolieren will, muss Druck auf die betreffenden Regierungen
ausüben. Hier sind der UNO-Sicherheitsrat und die Regierungen
der UNO-Mitgliedsstaaten gefragt.
Der Versuch des IS, seine Herrschaft als
„Kalifat aller Gläubigen“ zu
präsentieren, knüpft geschickt an ideologische
Entwurzelungen und an die Erinnerung an die historische
Blütezeit des Islam im 9./10. Jahrhundert an. Historisch wird
eine Gegenposition zum Kolonialismus aufgebaut, in dessen Kontext
Großbritannien und Frankreich 1916 im Sykes-Picot-Abkommen
ihre Interessen im Nahen Osten abstimmten und Irak als britische und
Syrien als französische Einflusszonen aus der Konkursmasse des
Osmanischen Reiches entstanden. Dass eine irakische oder syrische
Staatsidentität in den Bevölkerungen kaum
ausgeprägt und die Politik der ursprünglich
laizistischen, also nichtreligiösen, eher sozialistisch
ausgerichteten Baath-Parteien in die diktatorischen Regimes Saddam
Husseins und des Assad-Clans mündeten, erleichtert die
Ausbreitung einer solchen Ideologie.
Dennoch bleibt die vom IS propagierte
religiös formulierte Ideologie, die stark vom saudischen
Wahhabismus beeinflusst ist und im Bereich des Irak und Syriens keine
starken religiösen Wurzeln hat, eine Ersatzideologie, deren
Tragfähigkeit sich zeigen muss. Hier gab es bereits eine
deutliche Distanzierung durch namhafte Gelehrte der islamischen Welt,
die damit einen spezifischem Beitrag zur Isolierung des IS leisteten.
Ein weiterer Aspekt ist das Auftreten extrem
brutal agierender ausländischer Kämpfer als Milizen
des IS. Viele von ihnen stammen aus dem destabilisierten Nordafrika,
andere aus dem Kaukasus, wo es Russland noch nicht gelungen ist, eine
akzeptierte Friedenslösung zu präsentieren. Nicht
wenige dieser ausländischer Kämpfer kommen aber auch
aus Westeuropa, darunter auch aus Deutschland. Gerade die letzte Gruppe
hat keinerlei originären Bezug zu den Konflikten im Irak und
in Syrien. Deutlich wurde das vor allem am Beispiel der
„Lohberg-Brigade“, Jugendlichen aus dem Dinslakener
Stadtteil Lohberg, die für den IS in den Krieg zogen. Ihre
Motive entwickelten sich aus sozialen Problemen in ihrer von hoher
Arbeitslosigkeit gekennzeichneten Umgebung und aus
Integrationsproblemen. Da erschien der IS als
Projektionsfläche für eigene Wünsche, als
erfolgreiche Persönlichkeit
(„Kämpfer“) wahrgenommen zu werden. Hier
prophylaktisch aktiv zu werden, um den IS zu isolieren, ist durchaus
ein Aufgabenfeld für die deutsche Zivilgesellschaft.
Generell lässt sich sagen, dass die
eigenartige Mischung des IS aus am Wahhabismus orientierten Islamisten,
nichtreligiösen Funktionsträgern des
Saddam-Hussein-Regimes und ausländischen Kämpfern,
die keine Verbindung zur Region haben, einerseits die Stärke
des IS ausmacht, andererseits aber auch Sollbruchstellen aufweist, die
bei der Suche nach einer politischen Lösung zu beachten und zu
nutzen sind.
Die Komplexität des Problems IS macht
zugleich die Unmöglichkeit deutlich, militärisch eine
Lösung herbeizuführen.
Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener
Friedensmagazins http://www.aixpaix.de.
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