11.11.2015
Polizeiausstellung „Ordnung und Vernichtung“
Die Polizei im NS-Staat diente dem Verbrechen und nicht der Verbrechensbekämpfung
Seit April 2011 wurde in verschiedenen
Städten die Ausstellung der Deutschen Hochschule der Polizei,
Münster, und des Deutschen Historischen Museums, Berlin, unter dem
Titel „Ordnung und Vernichtung – Die Polizei im
NS-Staat“ gezeigt. In Dortmund wurde Anfang November die
Ausstellung beendet, sie soll jedoch ab April 2016 im
Polizeipräsidium Dortmund ihren endgültigen Standort
erhalten. Für Dortmund wurde sie um sechs Tafeln über die
Polizeigeschichte in Dortmund von 1933 bis 1945 ergänzt. Im
Katalog wird die Ausstellung mit diesem Text vorgestellt: „Die
Polizei war ein zentrales Herrschaftsinstrument des NS-Regimes. Von
seinen Anfängen bis zu seinem Untergang konnte es sich auf die
Polizei stützen.“
Weiter heißt es in der Einleitung: Ausstellung und
Katalog zeigen, dass nicht nur die Gestapo, sondern auch die
Kriminalpolizei und die uniformierte Polizei die politischen und
weltanschaulichen Gegner des NS-Staates verfolgten –
zunächst im Innern des Deutschen Reiches und ab Kriegsbeginn 1939
auch in den von der Wehrmacht eroberten Gebieten. Alle Sparten der
Polizei waren am nationalsozialistischen Völkermord beteiligt, an
der Unterdrückung des Widerstandes und an der Verschleppung von
Zivilisten zur Zwangsarbeit. Diese Verbrechen verübten Polizisten,
die mehr-heitlich in der Weimarer Republik, einem demokratischen
Rechtsstaat, ausgebildet worden waren. Nur wenige von ihnen mussten
sich für ihre Taten nach 1945 vor Gericht verantworten. Viele
konnten in der Bundesrepublik ihre Karrieren im Polizeidienst
fortsetzen.
Der Katalog zur Ausstellung „Ordnung und
Vernichtung – Die Polizei im NS-Staat“ ist erschienen im
Sandstein Verlag Dresden, 320 Seiten, ISBN 978 – 3 – 942422
– 20 – 8, 15,-- Euro
Der Historiker Dr. Stefan Klemp hat an der Dortmunder
Fassung mitgearbeitet. Er wies auf in seinen Führungen besonders
auf zwei Fälle hin, die ein bezeichnendes Licht auf den bisher
üblichen Umgang der Polizei der Bundesrepublik mit ihrer
Geschichte werfen.
Der Fall Paul Riege
Paul Riege (1888 bis 1980) war ein deutscher
Polizeigeneral und SS-Gruppenführer, er war Befehlshaber der
Ordnungspolizei unter anderem in den besetzten Ländern Norwegen,
Polen und CSSR. Er beteiligte sich mit 200 Mann der Ordnungspolizei am
Massaker von Lidice. Nach dem Krieg wurde er Vorsitzender des
Fachausschusses „Polizeigeschichte“ und brachte als Lehrer
hoher Polizeischulen die „Kleine Polizei-Geschichte“
heraus, die viele Jahre in der Polizeiausbildung verbindlich war und
höchst verlogen die „saubere“ Ordnungspolizei im
NS-Staat schildert. Dr. Klemp hat in seinem Buch „Nicht
ermittelt“ über Polizeibataillone und die Nachkriegsjustiz
(Klartextverlag Essen, 2011, ISBN 978-3-89861-381-1, EUR 34,90) den
Skandal Paul Riege öffentlich gemacht.
Der Getto-Prozess von Dortmund im Jahre 1954
Über ihn findet sich bei Wikipedia und Google Search nichts. Fündig wurden wir beim „Neuen Deutschland“:
Sie werden wieder gebraucht - Dortmund (ADN/Eig. Ber.)
Sämtliche 20 Angeklagte im sogenannten Getto-Prozeß wurden
am Mittwoch (31. 3. 54) vom Dortmunder Schwurgericht freigesprochen,
obwohl sie als Angehörige eines Nazi-Polizeibataillons an der
Erschießung von mindestens 110 jüdischen Getto-Bewohnern
Warschaus im Jahre 1942 beteiligt waren. In der Beweisaufnahme hatte
der Zeuge Ruschkowski unter Eid ausgesagt, dass die Mörder
untereinander Wettbewerbe über die Erschießung der meisten
Getto-Bewohner abgeschlossen hatten. Mehrere der Verbrecher stehen
heute bereits wieder im Polizeidienst, so u.a. der Angeklagte Bayer als
Kripo-Sekretär und der ehemalige Hauptfeldwebel Brunst als
Polizei-Fachlehrer. (aus: Neues Deutschland vom 2. April 1954, Seite 8)
Dr. Klemp, der in seinem Buch auch über diesen
Skandal berichtet, machte bei seinen Führungen diese Anmerkung
zum Ghetto-Prozess:
Dieser Ghetto-Prozess von 1954 vorm Dortmunder
Landgericht prägte einen skandalösen Umgang mit Mördern
und Verbrechern in Polizeiuniform. Die Mörder wurden
freigesprochen. Sie kamen u.a. aus dem 61. Polizeibataillon.
Später wurde das Urteil zum Musterurteil: Staatsanwaltschaften und
Gerichte haben sich in vielen Fällen daran gehalten. Man habe
keine Beweise, und überlebende
Opfer wurden zumeist nicht gehört oder als unglaubwürdig
dargestellt. Auch disziplinarisch wurden die Täter nicht belangt,
sie blieben im Dienst.
Ausführlich wurde Klemps Arbeit in einer Rezension
aus dem Jahre 2006 gewürdigt und dargestellt. Der Autor ist
Andreas Hilger, Hamburg. Die „Vierteljahreshefte für
Zeitgeschichte“ beteiligten sich.
Zu Stefan Klemp: "Nicht ermittelt"
Spätestens mit den Diskussionen um Brownings "Ganz
normale Männer" und Goldhagens "Willige Vollstrecker" wurde die
todbringende Tätigkeit deutscher Polizeibataillone im Zweiten
Weltkrieg wieder in das Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit
gerückt. Dass somit auch die Ordnungspolizei in hohem Ausmaß
an deutschen Kriegs- und Gewaltverbrechen im Ausland, vor allem in
Osteuropa beteiligt war, verweist letztlich auf die letzten
rassenideologischen Prämissen Hitler-Deutschlands zurück. [1]
Stefan Klemp hat sich in seinem Handbuch nun die
überfällige Gesamtdarstellung dieser Verbrechen von
Polizeibataillonen zur Aufgabe gemacht. Die Studie geht auf ein
Forschungsprojekt zurück, in dem Quellen und besonders
Ermittlungsverfahren zu Polizeibataillonen systematisch erfasst und
ausgewertet wurden. Schon von daher lag es nahe, die Behandlung der
Polizeibataillone durch die westdeutsche Nachkriegsjustiz in die
Gesamtdarstellung zu integrieren. Klemp konnte hierfür 75
Ermittlungsverfahren, die in Nordrhein-Westfalen gegen Angehörige
von 45 Polizeieinheiten, darunter 41 Bataillone, durchgeführt
wurden, sowie 110 Ermittlungsverfahren anderer Bundesländer gegen
Angehörige von 59 Einheiten (50 Bataillone) auswerten.
Klemp hat durch akribische Recherchen Daten zu 125
Bataillonen ermittelt. Mindestens 75 davon standen im Verdacht, direkt
oder indirekt an Massenverbrechen beteiligt gewesen zu sein. Die Morde
begannen bereits im Herbst 1939 in Polen, ohne dass hierfür
Einsatzbefehle höchster Stellen vorgelegen haben. Auch in der
Folgezeit lag der eindeutige Schwerpunkt der Verbrechen im Osten: Sie
wurden im Kontext des Holocaust, der Ermordung sowjetischer
Kriegsgefangener und der so genannten Partisanenbekämpfung
begangen. Anhand seiner Einzelstudien gelangt Klemp zu dem Schluss,
dass direkten Aktionen der ca. 50.000 Bataillonsangehörigen
"mindestens eine halbe Million Menschen" zum Opfer fielen; dies
entspricht früheren Schätzungen Goldhagens. Darüber
hinaus waren die Bataillone indirekt, etwa durch Transportbegleitung
und Vertreibungen, an der Ermordung "von etwa einer weiteren Million
Menschen beteiligt" (70 f.).
Besonders taten sich hierbei u. a. die Bataillone 3, 9
oder 320 hervor, die alleine fast 250.000 Menschen töteten. Den
Kern der Darstellung bildet eine numerisch geordnete Vorstellung der
Einheiten - neben den Bataillonen sind sinnvollerweise Reitereinheiten,
Regimenter und Schützen-Regimenter erfasst. Genannt werden in
einer knappen Zusammenfassung jeweils Marschwege, Einsatzorte und
-bilanzen. Dazu kommt jeweils ein Abriss des Umgangs der
Nachkriegsjustiz mit den geschilderten Verbrechen. Das
Kontrollratsgesetz Nr. 13 ermöglichte der westdeutschen Justiz ab
dem 1. Januar 1951 die Verhandlung von Straftaten, die Deutsche gegen
Ausländer begangen hatten. 1954 kam es in Dortmund zum ersten
westdeutschen Gerichtsverfahren gegen ein deutsches Polizeibataillon,
das 1939 bis 1942 in Polen gewütet hatte (Nr. 61). Die
Freisprüche stellen nichts weniger als einen Justizskandal und
damit ein weiteres Beispiel für die westdeutsche
Vergangenheitsbewältigung nicht nur in den 1950er-Jahren dar.
Dabei haben sich Angehörige gerade dieses Bataillons nicht
gescheut, ihre Untaten und ihre antisemitische Grundstimmung unter
anderem in Fotos eindeutig zu dokumentieren.
Auch in anderen detaillierten Schilderungen aus
Kriegstagebüchern oder Ermittlungen wird die Mordlust von
Tätern deutlich. Anhand dieser Berichte und der skizzierten
Dimensionen ergibt sich die Frage nach den Antriebskräften von
selbst. Klemps Fazit schreibt letztlich Goldhagen ausdifferenziert
fort: Er sieht zumindest die Offiziere als "homogene Einheit von
Weltanschauungskriegern", die die Vernichtung in "Eigenregie"
durchführten (408). Und auch bei den Mannschaftsdienstgraden ist
sich Klemp sicher, dass sich unter ihnen ein "menschlicher Bodensatz
bestehend aus Rassisten, Schlägern, Sadisten und Mördern
unter der Obhut der fanatischen Offiziere durchsetzte" (409). Diese
Bestimmtheit lässt für frühere
Alternativerklärungen oder zusätzliche Motive wenig Raum,
obwohl die Kollektivbiografien der Bataillone erst noch zu schreiben
sind.
Ein in der Nachkriegszeit von den Angehörigen aller
(bewaffneten) Organe des 'Dritten Reichs' beliebtes
Exkulpationsmodell greift allerdings für die Polizeibataillone
sicher nicht: Polizisten, die verbrecherische Befehle verweigerten,
hatten offenbar keine schweren Strafen zu fürchten. In einem Fall
wurde ein Oberleutnant und Kompaniechef zwar vor ein SS- und
Polizeigericht gestellt und schließlich auf Veranlassung Himmlers
nach Buchenwald eingewiesen.
Dieses harsche Vorgehen lag aber offenbar darin
begründet, dass Oberleutnant Hornig zugleich noch andere
Kompanieoffiziere über die Möglichkeit aufklärte,
verbrecherische Befehle zu verweigern (§ 47 des
Militärstrafgesetzbuches) und SS-Führer, die die Exekutione
durchführten, beschimpfte. Zudem hatte der Chef der
Ordnungspolizei, Kurt Daluege, Ordnungspolizisten keineswegs so
früh respektive strikt die Beteiligung an Erschießungen
verboten, wie hochrangige Polizisten der Nachkriegsjahre glauben
machen wollten. [2]
In einem abschließenden Abschnitt widmet sich
Klemp noch einmal ausführlich den Gründen dafür, dass
diese und andere Verteidigungsstrategien ehemaliger Ordnungspolizisten
in Westdeutschland so viel Erfolg haben konnten. Von 185
Ermittlungsverfahren, die in Westdeutschland seit den 1950er-Jahren
eröffnet worden waren, wurden 149 eingestellt, in mindestens 29
Fällen kam es zur Anklage. In Nordrhein-Westfalen, das die meisten
Verfahren anstrengte, war die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung am
niedrigsten: Die oft langjährigen Ermittlungen resultierten hier
in nur zwei Fällen in Schuldsprüchen, in anderen
Bundesländern in 13 Fällen (399 f.).
Für sich allein genommen müssen diese Zahlen
nicht unbedingt etwas bedeuten. Aber Klemp legt in seiner Studie eine
Fülle von Belegen für haarsträubende Ermittlungsfehler,
offenkundige Verschleppungen, direktes Desinteresse und schlichte
Verdrehungen der Fakten vor. Dass Richter und Staatsanwälte immer
wieder zumindest einen "subjektiven" Befehlsnotstand ausriefen, war
nur ein Merkmal zahlreicher Prozesse. Zudem konnte eine selbst
ernannte Kameradenhilfe Verdächtige und Angeklagte lange Jahre
illegal beraten und sogar auf Zeugen Druck ausüben. So liegt der
Schluss nahe, dass sich Justizpersonal mit eigener "brauner"
Vergangenheit anderen NS-belasteten Gruppen gegenüber
unverhältnismäßig milde verhielt. In
Nordrhein-Westfalen beispielsweise war mit Werner Pfromm ein
ehemaliger NS-Führungsoffizier Generalstaatsanwalt in Köln,
die 1961 gegründeten Zentralstellen zur Verfolgung von
NS-Verbrechen standen zunächst einmal unter der Leitung ehemaliger
Parteigenossen. Die bundesdeutsche Gesetzeslage mit ihren unseligen
Verjährungsbestimmungen und Täterdefinitionen tat das Ihre
dazu, dass auch dieser Bereich der juristischen Aufarbeitung der
NS-Vergangenheit zumindest in Teilen bewusst zu einer Farce verkam. Im
Landtag von Nordrhein-Westfalen hat das armselige Ergebnis
langjähriger Ermittlungen 1994 schließlich zu einer
entsprechenden "Großen Anfrage" geführt. (…)
Anmerkungen:
[1] Christopher Browning: Ordinary men: Reserve Police
Bataillon 101 and the final solution in Poland, New york 1992; Daniel
Jonah Goldhagen: Hitler's willing executioners, New York 1996; Heiner
Lichtenstein: Himmlers grüne Helfer. Die Schutz- und
Ordnungspolizei im "Dritten Reich", Köln 1990.
[2] Der Befehl wurde bereits 1996 beschrieben: Dieter
Pohl: Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien 1941-1944.
Organisation und Durchführung eines staatlichen
Massenverbrechens, München 1996, 180.
Die Westfälische Rundschau, Lokales, vom 1. April 1954, Seite 7, berichtet:
Exekution war Massenmord
Notstand begründet Freisprüche im Gettoprozeß
Nach sechs Verhandlungstagen sprach das Dortmunder
Schwurgericht im Warschauer Gettoprozeß gestern 18 ehemalige
Angehörige des Polizeibataillons 61, denen Beihilfe zum Mord
vorgeworfen wurde, wegen erwiesener Unschuld frei. Der Angeklagte Franz
Klippert aus Gladbeck wurde von der Anklage des Mordes wegen erwiesener
Unschuld und der wegen Mordes in zwei Fällen angeklagte Franz
Bayer aus Gladbeck wurde in einem Falle wegen erwiesener Unschuld und
einem Falle mangels Beweises freigesprochen.
Nach den Feststellungen des Gerichtes haben 16
Angeklagte im Sommer 1942 bei der Exekution von 110 jüdischen
Männer und Frauen aus dem Getto von Warschau als Gehilfen
mitgewirkt. Aus den Begleitumständen dieser Erschießung geht
hervor, daß es sich um einen aus Antisemitismus geborenen
Massenmord handelte. Keine Beihilfe zum Mord stellte das Gericht nur
bei den Angeklagten Brunst, Fiegel und Delitsch fest, weil sie zur
Exekution als Kompaniehauptwachtmeister, Bataillonsadjutant und
Kompaniefotograf keinen Tatbeitrag geleistet haben.
Es sprach trotzdem auch die Angeklagten frei, deren
Beihilfe zum Mord feststeht, weil viele Zeugen bestätigt hatten,
daß für den Tatbeitrag dieser Gehilfen ein Notstand gegeben
war, durch den eine strafbare Schuld vom Gesetz ausgeschlossen wird.
Bei dem fanatischen Judenhass ihres Kompaniechefs und der grausamen
Schärfe der SS- und Polizeigerichtsbarkeit in Polen sah es das
Gericht als erwiesen an, daß diese Angeklagten eine akute Gefahr
für Leib und Leben vor Augen hatten, als sie es nicht wagten, sich
dem Exekutionsbefehl durch offene Meuterei zu widersetzen.
Den Notstandsparagraphen billigte das Gericht auch dem
wegen Mordes angeklagten Franz Klippert zu, weil der Vorwurf widerlegt
werden konnte, er habe sich zur Exekution freiwillig als
Pistolenschütze gemeldet. Es sah ferner als erwiesen an, daß
der Angeklagte Brunst am Tage der Exekution bereits auf Urlaub in
Dortmund war. Die Mordanklage in zwei Fällen gegen Franz Bayer sah
das Gericht nur in einem Falle weder als widerlegt noch als erwiesen
an. Im zweiten Falle haben Zeugenaussagen auch die Unschuld dieses
Angeklagten ergeben.
Siehe auch:
In Dortmund fing es nicht mit der Borussenfront an
Untersuchung über den nachhaltigen Nazieinflusses in einer Reviergroßstadt
http://www.nrw.vvn-bda.de/brosch.htm#borussenfront
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