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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

10.11.2015

Erinnern wir uns und bleiben wir wachsam: VVN-BdA-Bundesvorsitzende sprach in Paris beim Kongress der Partnerorganisation

Cornelia Kerth, Bundesvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten, war  als einziger ausländischer Gast eingeladen zum 39.Kongress und 70. Geburtstag der Fédération Nationale des Déportés, Internés et Patriotes Resistants (Vereinigung der Deportierten, Internierten und Patrioten im Widerstand, FNDIRP), der französischen Partnerorganisation der VVN-BdA. Das Motto beider Tage (30./31 Oktober in Paris) war "Souvenons-nous et restons vigilants" (Erinnern wir uns und bleiben wir wachsam).

Der Wortlaut des Grußwortes von Cornelia Kerth, das mit starkem Beifall aufgenommen wurde:

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

es ist mir eine große Ehre, die brüderlichen und herzlichen Grüße der VVN-BdA, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes- Bund der Antifaschisten in Deutschland zu überbringen, und ich freue mich unsere Glückwünsche anlässlich des 70. Jahrestages der FNDIRP auszusprechen. Vielen Dank für die Einladung und Euren warmherzigen Empfang.

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag FNDIRP!

Erinnern wir uns …

Wir haben nicht nur gemeinsame Wurzeln und eine gemeinsame Tradition. Während vieler Jahrzehnte konnten wir auf die Solidarität der FNDIRP in schwierigen Augenblicken zählen wie

  • beim Prozess mit dem Ziel des Verbots der VVN, die damals, 1962, ausschließlich die Organisation der Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus war. Dieser Prozess wurde dank der großen internationalen Solidarität, in der die FNDIRP spielte eine wichtige Rolle spielte, beendet, als unser Kamerad August Baumgarte Dokumente vorlegte, aus denen hervorging, dass der Vorsitzende des Gerichts ein ehemaliger Nazi war.
  • Oder auch zehn Jahre später anlässlich des Kampfes gegen das Berufsverbot.  Unter den tausenden jungen Menschen, die beobachtet und verhört wurden, und unter den hunderten, die anschließend von einer Anstellung im öffentlichen Dienst ausgeschlossen wurden, befanden sich Söhne und Töchter von ehemaligen Widerstandskämpfern und Opfern des Nazi-Regimes wie unsere Kameradin Silvia Gingold. Die Interventionen der FNDIRP gingen soweit, dass Francois Mitterand einen Brief an Willy Brandt richtete. Dies hat uns geholfen, diese undemokratische Praxis zu beenden.

Der 70. Jahrestag ist ein guter Anlass, Danke zu sagen.

Bleiben wir wachsam …

Heute erfährt Europa eine besorgniserregende Zunahme von neofaschistischen und rassistischen Bewegungen und Parteien.

In Deutschland gibt es derzeit noch keine parlamentarische Vertretung der extremen Rechten wie die Front National in Frankreich, die FPÖ in Österreich und die PIS in Polen, von Ungarn gar nicht zu sprechen. Doch das kann sich schnell ändern.

Gegenwärtig machen uns die rassistischen Mobilisierungen auf den Straßen Angst. Es gibt Pegida, die jeden Montag tausende von Menschen voller Hass auf Kundgebungen in Dresden versammelt. Es gibt weitere Tausende, die die AfD jeden Mittwoch in Erfurt auf die Straßen bringt. Es gibt rassistische Demonstrationen in Dörfern, von denen wir bisher die Namen nicht kannten, oft begleitet von Gewalt. Hinter diesen Aktionen steht die neofaschistische NPD.

Fast jede Nacht brennt ein Haus, das als Flüchtlingsunterkunft vorgesehen war. Die Menschen, die Flüchtlinge unterstützen oder Politiker, die sich verantwortungsvoll für Flüchtlinge einsetzen, werden im Internet, durch Briefe oder Kundgebungen vor ihren Wohnungen bedroht. Vor zwei Wochen wurde ein fast tödliches Attentat auf die neue Oberbürgermeisterin von Köln verübt.

Der rassistische Terrorismus ist zu einer täglichen Bedrohung geworden.

In der Tat, wir sind sehr weit entfernt von der neuen Welt des Friedens und der Freiheit, aus dem Schwur der befreiten Häftlinge von Buchenwald, der die Grundlage unserer Aktivitäten ist. Die Welt ist heute geprägt von Kriegen, von der Verfolgung ethnischer, politischer und religiöser Minderheiten. Die Naturkatastrophen aufgrund des Klimawandels verstärken die schreiende Ungerechtigkeit, die das Leben für die Betroffenen unerträglich macht.

Über 20 Jahre Europa versucht, für Flüchtlinge unüberwindbare Grenzen zu errichten. Das Ergebnis ist, dass das Mittelmeer zum Friedhof wurde. Allein die ungeheure Zahl der Hoffnungslosen führt zu der Erkenntnis, dass jede Strategie der Abschottung zum Scheitern verurteilt ist.  Die Flüchtlinge folgen dem Weg, den die Reichtümer ihrer Länder schon lange genommen haben.

Die verantwortlichen Politiker sind immer wieder versucht, die Parolen der Rassisten zu übernehmen  um sie zu beruhigen. Sie sprechen von Kriegsflüchtlingen, die unseren Schutz brauchen und die – dank ihres Niveaus der beruflichen Qualifikation – schnell auf dem Arbeitsmarkt integriert werden können. Und sie sprechen von Flüchtlingen, die unser Sozialsystem missbrauchen und die so schnell wie möglich in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden müssen. Dieses Argument zielt vor allem gegen Roma, die in den ethnisch konstruierten Staaten auf dem Gebiet des ehemaligen Ex-Jugoslawien Diskriminierungen aller Art ausgesetzt sind. 500 000 von ihnen wurden in dem von den Deutschen verübten Völkermord massakriert.

In dieser Situation sind wir zu enormen Anstrengungen verpflichtet, uns in den öffentlichen Diskurs einzumischen und zu fordern, dass Ungerechtigkeit, Armut und Waffenexporte bekämpft werden müssen und nicht die Opfer dieser Weltordnung.

Wir müssen erklären, dass die soziale Spaltung durch die neoliberale Ideologie, die – dank des deutschen Einflusses, ich muss es leider so sagen –  die Politik überall in Europa beherrscht, verantwortlich ist für die Enttäuschung vieler Menschen und für ihre Abkehr vom parlamentarischen System.

Wir müssen den Kampf gegen Nazis und Rassisten führen und uns für eine Politik einsetzen, die jedem und jeder ermöglicht, unabhängig von seiner und ihrer Herkunft in Würde zu leben.

Ich habe die Hoffnung, dass wir es gemeinsam erreichen können. Ich habe die Hoffnung, dass Europa nicht von Rassisten und Neofaschisten beherrscht werden wird. Ich habe diese Hoffnung, weil es Organisationen wie die FNDIRP in Frankreich und die VVN-BdA in Deutschland gibt. Sie halten die Erinnerung an den faschistischen Terror, den Holocaust, den Vernichtungskrieg wach und bezeugen immer wieder, dass Faschismus keine Meinung ist, sondern ein Verbrechen!

Zugleich stehen sie für den Widerstand unter tausendfach schwierigeren Bedingungen als wir sie heute kennen. Sie geben ein Beispiel der Zusammenarbeit und der Solidarität über politische Parteien, persönliche Anschauungen und Nationalitäten hinweg.

Mit unserem Erbe, unseren Erfahrungen, unserer Energie habe ich die Hoffnung, dass wir einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit näher kommen werden.  Packen wir es an, liebe Kameradinnen und Kameraden. In diesem Sinne wünsche ich der FNDIRP ein langes Leben!

Paris, 31.10.2015