29.10.2015
Dortmunder Nazis an der
Schwelle zu mehr Terror
Lokale
Zeitungen verbreiten eine umfassende Analyse der rechten Szene
Mit Genehmigung der
Gemeinschaftsredaktion von Ruhrnachrichten, Westdeutscher Allgemeiner
Zeitung und Westfälischer Rundschau veröffentlichen
wir eine bemerkenswerte Analyse der Naziszene in der Stadt. Darin
werden erschreckende "Parallelen zwischen dem Faschismus im Dritten
Reich und der Partei 'Die Rechte''' aufgezeigt, wie es
wörtlich heißt. Ein Kommentar aus der VVN-BdA
Dortmund, die die Veröffentlichung
begrüßte, lautet allerdings: "Heuchlerisch sind die
Äußerungen des Verfassungsschutzmenschen. Der
verbreitet Heftchen in den Schulen, in denen die Losung vieler, fast
aller bei Antinazidemos: 'Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist
ein Verbrechen' kriminalisiert wird. Wer diese verwende, nehme anderen
Bürgern ihre Grundrechte, behauptet der VS dreist. Die beiden
Zeitungsseiten vom 23.10. 2015 sind eine eindeutige Aussage
dafür, dass die Losung zutrifft. Ferner: Nach Artikel 139 GG
sind Nazis und ihre Propaganda illegal. Drittens: Die genannte FAP
wurde ganz ohne Bundesverfassungsgericht verboten! Man ging einfach
über ihr angebliches Parteienprivileg hinweg, und das war gut
so. Warum macht man es mit der sog. Partei 'Die Rechte' nicht genauso?
Viertens: Die heutige Nazipraxis, die Sie schildern, entspricht der
"Einblick"-Programmatik des C. Worch von 1992, darüber haben
wir schon damals ausführlich geschrieben. Worch ist noch immer
der Anführer der Nazis auch in Dortmund von heute. 23 Jahre
später wird nun erkannt, was diese Banditen da beabsichtigen.
Wir hatten schon so lange gewarnt, aber es wurde nicht beachtet..."
Erkennbar ist derzeit, dass zwar quantitativ die rechte Szene weniger
wachse (weniger als in Pegida-Orten), sie jedoch eine neue mehr
terroristische Qualität anzunehmen droht.
„Sie sind Nationalsozialisten“
Die Parallelen zwischen dem Faschismus im Dritten Reich und der Partei „Die Rechte" in Dortmund
Der im September 2012 nur wenige Wochen nach dem Verbot des
verfassungsfeindlichen „Nationalen Widerstands Dortmund" gegründete
Landesverband NRW der Partei „Die Rechte" radikalisiert sich mit seinen
Unterorganisationen. Mitglieder verstecken sich mit ihren
menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Positionen nicht.
„Aktionen gerade der Partei ‚Die Rechte‘ zeichnen sich aus durch eine
Wesensverwandtschaft mit der Nationalsozialistischen Deutschen
Arbeiterpartei (NSDAP)", sagt Burkhard Freier, Leiter des
nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes. Dr. Stefan Mühlhofer vom
Dortmunder Stadtarchiv erkennt eine „einhundert-prozentige Anlehnung"
an die Sturmabteilung (SA) der verbotenen NSDAP. „Die sind weit weg von
der alten Säufergeneration. Das offene Kokettieren mit der NSDAP hat
System", sagt Georg Steinert vom Staatsschutz-Kommissariat der Polizei
über die Nazi-Szene in Dortmund und umliegenden Städten. Diese Seite
gibt einen Einblick in ein System, das die Demokratie nicht einfach
kritisiert. Extreme Rechte wollen sich radikalisieren und die
Demokratie „liquidieren". Das sprechen sie öffentlich aus.
Aufmarsch von
Rechtsextremisten im März 2015 auf der Hohen Straße {oben}
und das Hissen der Hakenkreuzfahne durch die Nationalsozialisten am 8.
März 1933 vor 5000 Menschen auf dem Alten Markt. In der Mahn- und
Gedenkstätte Steinwache fallen die Parallelen zwischen den
Nationalsozialisten vor und nach 1933 mit den Rechtsextremisten heute
auf. Themen, Methoden und Sprache ähneln sich stark und sind
vergleichbar: Auffällig sind Kapitalismuskritik, Rassismus,
Diskriminierung und damals wie heute die Suche nach
„Volksverrätern“. FOTOS BANDERMANN / STEINWACHE
Ein Gespräch mit Dr. Stefan Mühlhofer in der
Mahn- und Gedenkstätte Steinwache führt nicht allein durch
das braune Kapital der Dortmunder Stadtgeschichte. Der Besuch mit dem
46-jährigen Historiker führt auch in die Gegenwart.
„Das rassistische, antisemitische und ausgrenzende Weltbild war
der Kern der NSDAP“, sagt der Leiter des Stadtarchivs, um dann
Gemeinsamkeiten mit der Dortmunder Neonazis-Szene zu nennen.
„Auch sie haben ein rassistisches und
ausgrenzendes Welt-bild. Das verbindet sie mit dem Nationalsozialismus.
Sie sind Nationalsozialisten. Ihre provokanten Anspielungen auf die
NS-Zeit machen sie unterhalb einer strafrechtlich relevanten
Verfolgungsschwelle deutlich.“ Die Farbfotos von marschierenden
Neonazis aus der Gegenwart finden sich als Schwarzweiß-Vorlage in
der Ausstellung wieder. „Das massive Auftreten auf der
Straße ist eine hundertprozentige Anlehnung an die Sturmabteilung
der NSDAP“, sagt Dr. Mühlhofer.
Neonazi Dennis Giemsch
{rechts} neben NPD-Mann Voß aus Unna: „Dem Widerstand
bleibt {...} gar keine andere Möglichkeit, als sich zu
radikalisieren.“ RN-FOTO BANDERMANN
Geschichte und Gegenwart in der Ausstellung sind nicht
nur optisch vergleichbar. Auch die Inhalte liegen passgenau
über-einander. Nationalsozialisten aus der Zeit vor und nach 1933
und die Nationalsozialisten heute verwenden die gleichen Methoden, die
gleichen Inhalte und die gleiche Sprache.
Die Flüchtlinge heute müssen als die Juden von
damals herhalten. In der modernen, über das Internet und bei
Demonstrationen auf der Straße verbreiteten Propaganda soll die
in der Geschichte aufgegangene Sündenbocktheorie erneut greifen.
„Die Asylanten sollen die sein, die dafür
sorgen, dass es uns schlecht geht. Mit dem Thema Asyl wird Angst
gemacht vor dem sozialen Abstieg“, sagt Dr. Mühlhofer
über eine der vielen Parallelen, zu denen auch das Auftreten des
Neonazis Michael Sascha Brück mit Megafon-Aktionen und
ausländerfeindlichen Parolen im Rat der Stadt Dortmund gehört.
Mühlhofer über derlei Inszenierungen:
„Die Störung parlamentarischer Abläufe war eine
Strategie der Nationalsozialisten. Sie wollten die Demokratie
lächerlich machen.“ Heute ist das nicht anders.
Dass die Partei „Die Rechte“ ihr im Mai 2014
erhaltenes Mandat im Rat der Stadt Dortmund für
nationalsozialistische Propaganda nutzen würde, bewies Brücks
Vorgänger Dennis Giemsch im November 2014 mit seiner
„Juden-Anfrage“. Der Dorstfelder wollte wissen, „wie
viele Menschen jüdischen Glaubens“ in Dortmund leben.
Historisches Original dafür war die „Juden-Kartei“ der
Nationalsozialisten.
Die Inszenierung eines uniformierten „Rechten
Stadtschutzes“, die Gewalt gegen politische Gegner als ein laut
Mühlhofer „gängiges Mittel der politischen
Auseinandersetzung“, der Hass auf Juden, Flüchtlinge, Roma
und Behinderte sowie die konsequente Arbeit mit dem
„Volksverräter“-Begriff sind die unverkennbaren
Bezüge zum früheren Nationalsozialismus.
„Aufheizen, einschüchtern und provozieren -
das ist exakt die Machart in der Zeit vor 1933. Sie drohen mit subtilen
Mitteln unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“, sagt auch Burkhard
Freier als Leiter des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes
über das Auftreten der Szene in Dortmund.
„Diese Szene ist gekennzeichnet durch die Partei
‚Die Rechte‘. Sie ist weniger eine Partei, sondern eine
Neonazigruppe, die den Parteienstatus wie ein Schutzschild gegen
staatliche Repressionen vor sich herträgt“, sagt der Jurist
über das Taktieren im rechtsextremistischen
„Gravitationszentrum“ in NRW.
Die Dortmunder Szene bildet mit ihren 80 aktiven
Anhängern den strategischen Schwerpunkt in NRW. 25 Aktivisten
bilden in Dorstfeld den harten Kern, der bei öffentlichen
Provokationen mit einem hohen Empörungs-Faktor arbeitet. Berichten
Medien über Provokationen nicht, versucht man sie mit E-Mails oder
Twitter-Nachrichten anzuschieben. Anonyme Absender fordern dann dazu
auf, Nazi-Aktionen nicht länger zu verschweigen.
Recherchen über die Absender führen ins Netz
der Nazis. Tatsächlich schaffen Neonazis nur über
Provokationen, Propaganda und Gewalt den Sprung in die
Öffentlichkeit. Dass „solche Massen wie in ostdeutschen
Bundesländern“ mit Neonazis auf die Straße gehen, kann
der Verfassungsschutz NRW zurzeit nicht erkennen. „Aber eine
Sache sehen wir mit Sorge“, sagt Freier: „Das Thema
Flüchtlinge ist für Rechtsextreme ein Nährboden. Sie
glauben, damit ein hohes öffentliches Interesse zu
erreichen.“
Marschieren mit einem
ausgrenzenden Weltbild und martialischem Auftreten: „Mit dem
Thema Asyl wird Angst gemacht vor dem sozialen Abstieg.“ Oben
Nationalsozialisten in Dortmund früher, unten im Mai 2014 in
Westerfilde. FOTOS STEINWACHE UND BANDERMANN
In diesem Zusammenhang ist eine Zahl interessant: Laut
Verfassungsschutz stammen bei Übergriffen gegen Asylbewerberheime
70 Prozent der Täter aus dem nachbarschaftlichen Umfeld. Nur 30
Prozent dieser Täter standen schon vor der Tat im Fokus der
Polizei.
Die unübersehbare Radikalisierung. Der Anstieg von
Gewaltstraftaten und die Gewalt als Teil einer nationalsozialistischen
Ideologie.
Rassismus, Ausgrenzung und ein
aggressiv-kämpferisches Auftreten zur Durchsetzung politischer
Interessen - „das sind die Voraussetzungen für ein
Vereinsverbot, ist aber noch nicht die Hürde für den
Terrorismus“, sagt Burkhard Freier über die Position des
Verfassungsschutzes gegenüber der Partei „Die Rechte“,
deren Mitglieder „in geschlossenen Kreisen noch ganz anders reden
als in der Öffentlichkeit. Innen sprechen sie viel schärfer
als draußen.“
Freier erkennt über die von Neonazis kommunizierte
Radikalisierung hinaus die Gefahr, dass im Umfeld der Nazi-Partei
„terroristische Kleingruppen“ entstehen könnten.
Wie offen die Szene gegen Demokratie und Freiheit
auftritt, zeigte sich auch während einer Demonstration mit
Dortmunder Rechtsextremisten am 3. Oktober 2015 in Hamm.
„Es ist unser Auftrag, das volksfeindliche Regime
zu liquidieren“, grölte ein Redner ins Mikrofon, nachdem er
die „etablierten Volksbetrüger“ als Verantwortliche
für „Asylmissbrauch“ und „sozialen
Raubbau“ benannt hatte. Der Dortmunder Neonazi Christoph Drewer
ist Mitglied des Bundesvorstands der Partei „Die Rechte“.
Während einer Rede auf einer Demonstration am 7. September 2015
gegen Flüchtlingsunterstützer sagte er: „Ich hoffe
(...), dass die Männer unter euch brutal zusammengeschlagen und
ausgeraubt werden. Und den Frauen unter euch wünsche ich dazu noch
eine Vergewaltigung von den Asylbetrügern.“
Dennis Giemsch, einer der führenden Köpfe in
der Dortmunder Nazi-Szene, erkennt einen Zwang zur Radikalisierung.
Politiker, Medien und andere Repräsentanten würden der
nationalen Bewegung keine andere Wahl lassen: „Dem Widerstand
bleibt (...) gar keine andere Möglichkeit als sich zu
radikalisieren“, verkündete er im Internet.
Der 1. Kriminalhauptkommissar Georg Steinert vom
Staatsschutz der Dortmunder Polizei erkennt darin den Versuch einer
„ethischen Begründung für alles das, was jetzt kommen
wird“. Mit dieser „Schuldverschiebung“ werde die
Gesellschaft für ein zwangsläufig noch radikaleres Auftreten
zur Verantwortung gezogen.
Steinert: „Die machen sich damit frei von einer
Hemmschwelle. Um da hin zu kommen, muss man einen Prozess
durchleben“, sagt der Kriminalbeamte mit Blick auf die
Entwicklungen in den vergangenen Jahren. Und er warnt: „Wenn ich
das weiterdenke, dann haben wir morgen einen neuen Gewaltbegriff gegen
Sachen und Übergriffe gegen Personen. Wir müssen da genau
hinsehen.“
Nahkampfausbildungen und Training seien ein
systematischer Akt zur Auseinandersetzung. „Die sind weit weg von
einer alten Säufergeneration“, sagt der 57-Jährige
über die Szene, die Abgänge durch Akquise ausgleiche. Wo
klassische Jugendangebote aufhörten, fange die Arbeit der Neonazis
an. „Neueinsteiger werden aus dem sozialen Umfeld herausoperiert
und mit einem Rund-um-die-Uhr-Betreuer in das soziale Umfeld der
Rechten reinoperiert.“ - „Uns fehlen in Dortmund praktische
Ansätze für den Ausstieg“, analysiert Georg Steinert.
Staatliche Repression helfe allein nicht weiter.
Einen Anschluss an die Dortmunder Stadtgesellschaft
erkennt der 1. Kriminalhauptkommissar nicht. Die Kommunalwahl-Kampagne
des Borussenfront-Gründers Siegfried Borchardt („Von der
Südtribüne ins Rathaus“) oder der 25-Punkte-Plan der
Partei „Die Rechte“ für die Kommunalpolitik in
Anlehnung an das 25-Punkte-Programm der NSDAP seien ein „offenes
Kokettieren mit dem Nationalsozialismus.“ Steinert: „Das
ist zu offen und kann die Masse nicht überzeugen.“
Vor einer Verharmlosung der Neonazis warnt Ula Richter
vom 2000 gegründeten „Bündnis Dortmund gegen
Rechts“, obwohl die Extremisten in der Stadt nicht Fuß
fassen. „Die Szene in Dortmund ist hartnäckig und tief
verwurzelt. Und sie ist außerordentlich gefährlich.“
Ula Richter fordert ein Verbot - denn: „Das ist keine Partei,
sondern eine Tarnorganisation.“ Dortmund müsse Widerstand
zeigen. Das sei „mühsam, aber nötig.“
In der Neonazi-Szene gibt es Diskussionen über Sinn
und Zweck von Demonstrationen, weil der Anschluss an die Gesellschaft
in Dortmund mit solchen Protestaktionen ebenso wenig gelingt wie die
konstruktive Mitarbeit in den demokratischen Kommunalparlamenten.
Für einen ihrer Wortführer, Dennis Giemsch, ist die
Radikalisierung ein konsequenter Schritt. Ein Schritt, den auch die
Nationalsozialisten vor und ab 1933 gegangen sind. Dr. Stefan
Mühlhofer: „Einen Zivilisationsbruch wie ab 1933 hat den
Deutschen niemand zugetraut. Wir müssen also aufmerksam
sein.“
Peter Bandermann
„Wir müssen den harten Kern der Szene aufspalten“
Interview: Strategien gegen Neonazis
Die
Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und Sprecherin des
Arbeitskreises gegen Rechtsextremismus Jutta Reiter (Foto),
befürwortet ein Verbot der Partei „Die Rechte“.
Für sie ist das Verbot nur ein kleiner Teil einer noch zu
er-arbeitenden Strategie, wie sie im Interview mit unserem Redakteur
Peter Bandermann erläutert.
Frau Reiter, 1995 ist die FAP
verboten worden, 2012 der „Nationale Widerstand Dortmund“
(NWDO) und die „Skinheadfront Dorstfeld“. Allzu große
Erwartungen stellen Sie an ein Verbot der Nazi-Partei „Die
Rechte“ nicht. Warum befürworten Sie es dennoch?
Wir dürfen von einem Verbot nicht erwarten, dass
wir allein damit rechtsextreme Ideologien und Strukturen beseitigen.
Sicher ist nur, dass wir nach einem Verbot die Partei und ihre
Köpfe nicht mehr mit Sitzungsgeldern aus Steuermitteln
mitfinanzieren.
Wo steht Dortmund heute im Einsatz gegen den Rechtsextremismus?
Ich sehe eine Patt-Situation. Auf der einen Seite die
Rechtsextremisten, die Straftaten geschickt vermeiden oder ihre
Straftaten entideologisieren, wie das auch die Nationalsozialisten
getan haben. Auf der anderen Seite gibt es eine Zivilgesellschaft, die
sich klug aufstellt und von den Rechtsextremisten nicht mehr treiben
lässt. Dortmunds Bürger lassen sich nicht in die
Nazi-Strategien einbinden und bieten ihnen keine Öffentlichkeit.
Patt bedeutet Stillstand. Wie muss es weitergehen?
Um das Patt zugunsten unserer Demokratie
aufzulösen, ist uns bereits etwas Wichtiges gelungen: Wir
ermöglichen den Rechtsextremisten keine Wachstumsstrategie. Wenn
wir den harten Kern der Szene aber auch aufspalten wollen, dann muss
uns mehr einfallen.
Was?
Erstens: Wir müssen die Repressionen des Staates
weiter stärken und der Justiz verdeutlichen, dass es bei
rechtsextremen Straftaten auch Zusammenhänge geben kann. Wenn die
Juristen uns sagen, dass gesetzliche Grundlagen fehlen, dann muss die
Politik diese Grundlagen schaffen.
Zweitens: Wir brauchen eine Ausstiegsberatung auf
lokaler Ebene, die nicht nur die Ränder abgreift, sondern aktiv
ins Zentrum geht, um Ausstiege zu organisieren und dem
Rechtsextremismus die Basis zu entziehen. Das ist Hardcore-Arbeit. Wenn
wir da rein wollen, braucht es Expertise. Die haben wir in Dortmund
nicht.
Rechtsextremisten kriminalisieren Flüchtlinge. Geht die Strategie auf?
Wir müssen der Verunsicherung in der Bevölkerung entgegenwirken und sie nicht noch anheizen.
Hohe Hürden für ein Verbot von Parteien
Nach dem 2012 ausgesprochenen Verbot des
„Nationalen Widerstands Dortmund“ (NWDO) und der
„Skinheadfront Dorstfeld“ mit ihren gewalttätigen
Mitgliedern war es den Rechtsextremisten untersagt, NWDO-Kennzeichen
öffentlich in Schrift, Wort und Tonträgern zu verwenden und
zu verbreiten. Verboten war auch die Bildung einer Ersatzorganisation
oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisation
fortzuführen. Grundlage war damals das Vereinsgesetz.
Die Gründung der Partei „Die Rechte“
durch den Neonazi Christian Worch bereits vor dem NWDO-Verbot war ein
geschickter Schachzug. Unter ihrem Dach gründeten Neonazis bei
Treffen in Dorst-feld den Landesverband NRW und einen regionalen
Kreis-verband. Als Partei genießen die Rechtsextremisten jetzt
jene Schutzrechte, die als Konsequenz aus der NS-Diktatur nach dem
Zweiten Welt-krieg in das Grundgesetz eingeflossen sind. Denn die
Nationalsozialisten hatten politische Organisationen für verboten
erklärt und ihre politischen Gegner verfolgt, gefoltert und
getötet. Die Hürden für ein Parteienverbot sind in
Deutschland deshalb hoch.
Laut Parteiengesetz (§ 33) ist die Gründung
von Organisationen, die verfassungswidrige Bestrebungen verfolgen,
verboten. Eine Partei verbieten kann nur das Bundesverfassungsgericht.
Ein Verbotsverfahren kann viele Jahre dauern. Spricht das
Bundesverfassungsgericht ein Verbot aus, kann das den Verlust von
Mandaten auch während einer Wahlperiode bedeuten. Dann erhalten
die Abgeordneten keine öffentlich finanzierten Sitzungsgelder
mehr. ban
Mandatsinhaber der Partei
„Die Rechte" erhalten bis zur nächsten Kommunalwahl 2019 in
Dortmund insgesamt voraussichtlich rund 65 000 Euro an Sitzungsgeld.
„Direkt köpfen, ohne lang zu überlegen“
Analyse: Die Hetze im Internet
»Diese öffentlich
und in vielen Fällen mit Klarnamen angezeigten Beiträge
zeigen deutlich die Radikalisierung der gesamten rechten Szene sowie
ihren Einfluss.«
Die Neonazis Dortmunds und Deutschlands entdeckten das
Internet für Propagandazwecke schon in den 1990er-Jahren. In
sozialen Netzwerken sowie auf eigenen Blogs und Internetseiten
veröffentlichen sie vermeintliche Nachrichten, hetzen gegen
Flüchtlinge, die herrschende Demokratie, die Polizei, Justiz und
gegen politische Gegner. Dort zeigt sich wie auch auf der Straße:
Dortmund ist ein „Gravitationszentrum“ der Rechtsextremen
in NRW, wie es Burkhard Freier vom Verfassungsschutz nennt.
Ein Blick in die öffentlichen Kanäle bei
Facebook und Twitter sowie offen rechte Blogs über den Zeitraum
von einer Woche (5. bis 12 Oktober) verdeutlicht es in Zahlen:
Während auf den Facebook-Seiten von Einzelpersonen wie Siegfried
Borchart oder Dennis Giemsch fünf beziehungsweise lediglich ein
Beitrag bei Facebook erschienen sind - von ihnen selbst verfasst auf
ihrer „Pinnwand“ hinterlassen -, waren es bei der Seite von
„Die Rechte Dortmund“ 238. Auf den Seiten der Verbände
aus Hamm, Aachen und Sachsen sind im selben Zeitraum 4, 12 und 129
Beiträge erschienen.
Potenzial im Netz
Die Seite der Rechten Dortmunds hat zudem das Potenzial,
die meisten Menschen zu erreichen: Während bei der Seite von
„Die Rechte“ aus Hamm 1471 Menschen auf „Gefällt
mir“ gedrückt haben und die Beiträge verfolgen, sind es
bei der Dortmunder Gruppe 10 446 (Stand jeweils 12. Oktober).
„Die Rechte“ aus Sachsen verfolgen auf diese Weise 3524
Menschen bei Facebook.
Ähnlich sieht es beim Kurznachrichtendienst Twitter
aus: Mit 1417 Menschen, die die Nachrichten der Dortmunder
„Rechte“ verfolgen, liegt die Gruppe weit vor
Einzelpersonen oder anderen Verbänden der Partei. Das Publikum,
das mit diesem Profil interagiert, ist überwiegend männlich
(68 Prozent).
Eindringlicher als die Zahlen sind allerdings die
Beiträge selbst: Unter einem Facebook-Beitrag über
linkspolitische Gegendemonstranten fordert ein Nutzer unter seinem
Klarnamen „direkt köpfen ohne lang zu überlegen“.
Zu Berichten über die rechtsextreme Demonstration am 3. Oktober in
Hamm wird kommentiert, dass es angesichts der herrschenden Demokratie
„ein 4.“ bräuchte.
Neuauflage des 3. Reichs
Unübersehbar eine Anspielung darauf, dass es laut
Meinung des Kommentarverfassers eine Neuauflage des 3. Reichs
bräuchte, um die Interessen der Rechtsextremisten durchzusetzen.
Diese öffentlich und in vielen Fällen mit Klarnamen
angezeigten Bei-trägen zeigen deutlich die Radikalisierung der
gesamten rechten Szene sowie ihren Einfluss: Die Verfasser sind zum
größten Teil keine der bekannten Rechtsextremisten. Diese
halten sich zurück, bieten mit vermeintlichen Nachrichten,
tendenziösen Darstellungen etwa von Polizeiberichten sowie
hetzenden Falschmeldungen lediglich die Bühne. Die Menschen aus
der Nachbarschaft kommentieren, teilen und hetzen weiter.
Tim Stobbe
Die bei der Analyse
eingesetzte Software Brandwatch verwenden Unternehmen, um zu verfolgen,
wie ihre Namen oder Marken im Internet und vor allem in sozialen
Netzwerken wie Facebook und Twitter erwähnt werden. Dafür
greift die Software öffentliche Kanäle ab, analysiert die
Inhalte und stellt sie übersichtlich dar.
Das ist die Steinwache
Die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache. RN-FOTO BANDERMANN
- In den 1920er-Jahren entstand an der
Steinstraße ein Polizeigefängnis. Die Nationalsozialisten
nutzten die Steinwache auch als Bestandteil ihres Verfolgungssystems
als Foltergefängnis.
- Nach dem 2. Weltkrieg war die Steinwache ein
britisches Militärgefängnis. Später nutzte die Polizei
wieder die Arrestzellen, bevor die Stadt Dortmund dort eine
Obdachlosenunterkunft einrichtete.
- In den 1980er-Jahren drohte der Abriss. Nach Initiativen der Stadtgesellschaft entstand 1992 die Mahn- und Gedenkstätte.
- Etwa 22 000 Besucher besichtigen pro Jahr die
Ausstellung über die Nazizeit in Dortmund. Darunter sind 400
Schulklassen. Historiker führen durch die Ausstellung.
- Aktuelle Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, Steinstraße 50. Der Eintritt ist frei.
- Das Stadtarchiv plant eine Neukonzeption der
Ausstellung für das Jahr 2018. 2017 ist die Gedenkstätte
deshalb geschlossen.
- Bei iTunes und Google gibt es auch Apps.
http://www.steinwache.dortmund.de
Siehe auch:
HINTERGRUND: Die Neonazi-Partei „Die Rechte“, der Hass gegen Flüchtlinge und die Sorge vor Rechtsterrorismus
http://nordstadtblogger.de/36236
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