23.10.2015
Einer von vielen
Fällen. Hier: Altena
Die
Brandstifter von der Feuerwehr
„Wir
möchten ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus,
rechte Gewalt, unsägliche Flüchtlingsdebatten und
andere menschenverachtende Aktionen setzen.“ Mit diesen
Worten riefen junge Leute in Altena zu einer Protestaktion auf.
„Der feige Brandanschlag am 02. Oktober auf ein Wohnhaus
für Asylbewerber in Alten, aber auch der
fürchterliche Anschlag am 10. Oktober in Ankara sind
beispielhaft Anlässe für unsere Aktion. Ferner machen
wir auf Fluchtursachen aufmerksam und fordern endlich Taten, diese
Umstände nachhaltig im Positiven zu
verändern.“ Zu den Vorgängen in Altena
kommentierte die Süddeutsche Zeitung.
Folkhart Menzel von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund
der Antifaschisten (VVN-BdA) schrieb diese Betrachtung:
Brandstiften hat was. Sucht mensch herum in den
Medien, erstaunt allein schon die Masse. In Hagen rückte die
Feuerwehr in der letzten Woche fünfmal an einem einzigen Tag
zu einer Schule aus. Trotzdem scheint das manchen nicht genug zu sein,
manchen Feuerwehrlern nämlich. So etwa in Altena. Kurz nach
Monatsanfang Oktober brannte es im Dachstuhl in dem
Burgstädtchen an der Lenne in einem schlichten,
alleinstehenden Mehrfamilienhaus. Wie das?
In diesem Haus fanden am Tag zuvor aus Krieg und
Verfolgung Geflohene Zuflucht. Nicht von ungefähr. Der
Bürgermeister, Dr. Andreas Hollstein, war bekannt geworden im
Sauerländer Raum durch seine Aussage, in der jetzigen
"Flüchtlingskrise" mehr Menschen aufnehmen zu wollen als der
Stadt zugewiesen würden. Über Hundert.
Es scheint diese Politik in der von
ständigem Einwohnerschwund geplagten Stadt nicht allen zu
gefallen. Vermutlich will man warten, bis man allein in der Stadt
wohnt, oder so ähnlich.
Jedenfalls schlichen sich ein in
Lüdenscheid arbeitender Feuerwehrmann und sein Kumpel, den
eine Kamera beim Einkauf an einer Tankstelle gefilmt hatte, in den
Keller des Hauses. Dazu schlugen sie ein Kellerfenster ein. Im
Gepäck war der gekaufte sog. Brandbeschleuniger, d.h. Benzin.
Umweltfreundlich und bleifrei. Vom Keller begaben sich die jungen
Männer vorsichtig und ungesehen zum Dachboden, kappten zuvor
noch ganz professionell das Kabel zu einer Feuerwarnanlage - die aber
noch gar nicht in Betrieb war - und tränkten augenscheinlich
an zwei Stellen den Fußbereich tragender Holzpfosten mit der
mitgebrachten Flüssigkeit, entzündeten sie und
machten sich davon. Zwar ging das Feuer wieder aus, das angekohlte Holz
schwelte aber vor sich hin mit nach erst ca. dreizehn Stunden stark
zunehmender, entsprechender Rauchentwicklung.
Das bemerkten zwei Nachbarn, zugleich fiel ihnen
das eingeschlagene Kellerfenster auf. Sie erkannten, dass der Rauch vom
Dachboden kam und warnten die eben erst Eingezogenen, die daraufhin das
Haus unversehrt und glücklicherweise ohne CO-Vergiftung
verlassen konnten. Die echte Feuerwehr kam und löschte. Der
Schaden blieb rel. gering.
Und dem Kumpel des verkehrten Feuerwehrmannes
schlug das Gewissen, er zeigte sich selbst an, der Feuerwehrmann (auf
Probe!) aber wurde kurz darauf gefasst, beide kamen in U-Haft. Im Falle
einer Verurteilung haben sie mit ca. 15 Jahren Gefängnis zu
rechnen.
Gut, dass wir in einer Demokratie mit
Gewaltenteilung leben, Gut, dass deshalb über das
längere Inhaftieren Verdächtiger ein Staatsanwalt zu
entscheiden hat und nicht irgendwer im Polizeidienst. Der für
Altena zuständige Staatsanwalt in Hagen hat mehr als
dreißig Jahre Berufserfahrung. Er entschied, die beiden nicht
länger einzusperren und gab Order, sie freizusetzen.
Das empfanden viele Menschen als
unverständlich und unerhört. Der Staatsanwalt
rechtfertigte sich damit, dass das Feuer von zwei geständigen,
in ihr soziales Umfeld eingebetteten Bürgern, ohne
Fluchtgefahr, gelegt worden sei, um die Asylsuchenden zu vertreiben,
aber nicht um sie zu verletzen oder gar zu ermorden. Weil
nämlich in letzterem Fall man so eine Brandstiftung im Keller
macht.
Was so ein Staatsanwalt alles weiß!
Indirekt gibt er eine Gebrauchsanweisung für
zündelnde Verrückte aller Schattierungen, manche
nennen die beiden Altenaer gar Rassisten und Faschisten. Diese
temporäre Freilassung und besonders ihre Begründung
war einigen AntifaschistInnen aus der näheren und weiteren
Nachbarschaft denn doch zu viel. Gerade in diesem Land. Gerade in
diesem Land, in dem sich die furchtbaren Tage und Nächte um
den 9ten 11ten herum bald zum 77sten Mal jähren. Gerade in
diesem Land, in dem die Ortsnamen Mölln, Solingen,
Hoyerswerda, Wismar, Rostock-Lichtenhagen und andere ein
unauslöschliches Stigma tragen.
Sie organisierten eine Demonstration, die jede
Gewalt gegen Menschen anklagte. Am Rande: Der scheint‘s so
progressive CDU-Bürgermeister (z.Zt. in Urlaub) lehnte eine
Mitwirkung ab.
*
Nach der Aktion am 17. Oktober 2015 in Altena
„Gegen Fremdenfeindlichkeit, Rechtsradikalismus, Gewalt und
andere Zündeleien“ schrieb unser Autor weiter:
Ein Teilnehmer der etwa 200 fast nur aus der
Umgebung von Altena Gekommenen meinte danach, für Altena sei
das viel gewesen - wann gibt es da schon mal eine Demo? - aber
ansonsten nichts Besonderes. Original-Antwort: "War halt viel
für Altena, aber nicht sonderlich berauschend."
Immerhin. Der Staatsanwalt wurde weltweit
kritisiert. Und das ist auch gut so!
Den drei Frauen, eine von ihnen schwanger, dem
15jährigen Mädchen und den drei Männern aus
Syrien aber ist zu wünschen, dass sie in einer anderen
Unterkunft sich wohl fühlen und auch da genauso nette Nachbarn
haben: es fanden sich nämlich an ihrer unbewohnbar gewordenen
Unterkunft schnell viele ein, die ihnen Sitzgelegenheiten brachten, sie
trösteten, mit Getränken usw. versorgten; und dass
sie nun vor Allem verinnerlichen, dass das, was ihnen hier widerfuhr,
von so gut wie allen im Lande mit Nachdruck verurteilt wird als
menschenverachtende Tat verabscheuungswürdiger
Rassisten.
Ebenfalls aus Hagen stammt dieser Bericht von Rosalinde Siebenhaar, die sich in Altena umhörte und -sah:
Lesen macht schlau, Reisen auch, also besuchte ich den
schönen Ausflugsort Altena im Sauerland, idyllisch gelegen an der
Lenne mit Blick auf die stolze Burg oberhalb.
Altena war durch den angebrannten Dachstuhl eines vor
kurzem von sieben syrischen Flüchtlingen bezogenen Hauses und
damit im Zusammenhang stehender, vom Staatsanwalt aus der
U-Haft entlassener Tatverdächtiger, in die Medien geraten.
Ich hatte im Ohr, dass der Bürgermeister von Altena
kurz vorher bekundet hatte, hundert Flüchtlinge zusätzlich
aufzunehmen, da viele Wohnungen leer stünden, Flüchtlinge
willkommen seien, der Rat hinter ihm stünde wie auch viele
freiwillige Helferinnen und Helfer.
Nun wollte ich wissen, was denken die Altenaerinnen und
Altenaer darüber. Auf dem Weg zum Rathaus befragte ich junge
Menschen, die gerade aus dem Burggymnasium kamen. Bereitwillig,
freundlich und anteilnehmend gaben sie mir Auskunft: sie bedauerten
sehr, dass in ihrer Stadt das gerade bezogene Haus angezündet
worden sei. Sie freuten sich, dass eine syrische Mitschülerin
soeben eine eigene Wohnung bekommen habe. Sie meinten, die
Asylsuchenden kämen aus einem Land, in dem es Krieg gebe, sie
seien Menschen wie wir, denen müsse doch geholfen werden! Ein
junger Mann wusste von der Entscheidung des Staatsanwalts und sagte:
„Wir sollen dafür sorgen, dass die Stimmung im Land besser
wird, aber der Staat überlässt uns allein die Verantwortung,
tut selber nichts, lässt den Brandstifter frei herumlaufen. Ich
verstehe den Staat nicht.“
Im Bürgeramt wollte man mir die Adresse des Hauses
nicht geben, obwohl ich sowohl meinen Personalausweis als auch mein
Mitgliedsbuch der VVN-BdA vorlegte. Aber ein freundlicher Mann in einem
Büro kopierte mir einen Ausschnitt des Straßenplans und
zeichnete darauf den Weg ein.
Nebenher sah ich im Bürgeramt ein polizeiliches
Fahndungsplakat: ein Mann war vor kurzem unterhalb der Burg ermordet
worden. Jetzt verstand ich endlich, warum mehrere Leute von einem Toten
sprachen.
Ich wurde öfters gefragt, ob ich etwa Journalistin
sei und “einen Bericht schreiben wolle für eine
Zeitung“. Erst als ich das verneinte, kamen Gespräche zu
Stande. `Bloß keine negativen Berichte mehr über unsere
schöne Stadt! Da müssen Sie mal im Sommer kommen. Wir haben
zwei neue Strandcafés, so schön!´
Ich besuchte einige Geschäfte, dort war man
interessiert an Ruhe und – Geschäften, die Ereignisse waren
entweder unbekannt oder schienen sie nicht zu tangieren.
Eine Dame um die Achtzig äußerte sich
besorgt, dass sie erneut durch Flüchtlinge Nachteile erleiden
sollte, hatten sie und ihr Bräutigam doch als junge Leute keine
Wohnung zugewiesen bekommen. Damals seien Ostflüchtlinge bevorzugt
worden. Dann hätte sie erleben müssen, wie vor einigen
Jahren Flüchtlinge ins Haus zogen, die laut und lästig waren.
„Wo soll das alles hinführen“, lamentierte sie.
Leute erzählten mir, in drei Tagen würden
hundert Flüchtlinge erwartet. Im Altenaer Kreisblatt las ich, die
Stadt habe Wohnungen für sie gemietet, jeder dieser Wohnungen bzw.
ihren Bewohner/innen ist ein “Pate“ als Ansprechpartner/in
zugeordnet. Man werde sie mit einer Begrüßungsmappe in vier
verschiedenen Sprachen, mit Stadtplan und einem Starter-Set mit
Geschirr, Besteck und weiteren Utensilien für die Erstausstattung
empfangen. Die “Silberdisteln“ laden ins
“Knusperhäuschen“ zum Begegnungs-Kaffe ein.
Die Redaktion der Zeitung stellte mir unentgeltlich alte
Ausgaben zur Verfügung. So las ich einen langen Artikel, mit Foto
vom Rentner mit jungem Afrikaner, mit der bemerkenswerten
Überschrift: „Alle sehen, dass ich nicht gefressen
werde.“ Und im Untertitel „T.D. engagiert sich als
ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer.“ Auf Grund der
auffälligen Frisur entdeckte ich den Afrikaner in der
Fußgängerzone, die auffallend leer war und nur einige
Ureinwohner/innen und wenig Zugereiste waren zu sehen. - Wie mag sich
Abdoulaye wohl fühlen in dieser exquisiten, gepflegten
weißen Stadt, in der er nun schon zwei Jahre auf eine
Entscheidung wartet?
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