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Landesvereinigung NRW

 

22.10.2015

Kritik an „Der Staat gegen Fritz Bauer“: Sind wir im falschen Film?

Kurt Nelhiebel (Conrad Taler) ist 88 Jahre alt und lebt in Bremen, Er hat Fritz Bauer gekannt und vom Auschwitzprozess berichtet, auch für die VVN-BdA-Publikationen. Er hat jetzt wieder bei papyRossa „Asche auf vereisten Wegen“ – Berichte vom Auschwitz-Prozess – herausgebracht. Mit dem Film über Fritz Bauer, der jetzt gezeigt und allgemein gelobt wird, ist er sehr unzufrieden. Er gestattete uns, seinen Beitrag für „Ossietzky“ Nr. 20/15, ferner seinen dort auch erschienenen Leserbrief an die taz sowie seinen Brief an den Regisseur des Films, Lars Kraume, zu veröffentlichen.

Conrad Taler: In der falschen Ecke (aus Ossietzky Nr. 20/15)

Fritz BauerWährend meiner Zeit als Nachrichtenchef einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt habe ich die Erfahrung gemacht, dass man es mit der Vereinfachung komplizierter Sachverhalte nicht zu weit treiben darf. Vom Vereinfachen zum Versimpeln ist es nämlich nicht weit, und vom Versimpeln zum Verfälschen ist es nur einen Katzensprung. Das sollten auch Filmemacher bedenken, wenn sie sich mit einer Person der Zeitgeschichte wie Fritz Bauer befassen, der nach den Worten von Andreas Vosskuhle als Demokrat und Patriot an der deutschen Geschichte mitgeschrieben und sie zum Guten hin beeinflusst hat. Leider haben das die Beteiligten am Zustandekommen des Films „Der Staat gegen Fritz Bauer“ nicht bedacht. Sie schieben den hessischen Generalstaatsanwalt in eine Ecke, in die er nicht gehört. Sex and crime ist für Fritz Bauer nicht das angemessene Genre.

Am Anfang stand ein Irrtum, vergleichbar dem eines Vegetariers, der sich von einem Fleischermeister Ratschläge für die Gestaltung seines Speisenplanes erhofft. Die Filmemacher suchten Rat bei einer wissenschaftlichen Einrichtung, die zwar nach Fritz Bauer benannt ist, aber mit ihrem Namensgeber wenig im Sinn hat. „Wozu ein Film über Fritz Bauer?“ blaffte vor Jahren der damalige Direktor des Fritz-Bauer-Instituts die international renommierte Regisseurin Ilona Ziok an, als sie um Material für ihren Dokumentarfilm „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ bat. Sein Nachfolger ließ die Historikerin Irmtrud Wojak am ausgestreckten Arm verhungern, als sie an ihrer Biografie über Fritz Bauer arbeitete. Bis heute werden der Film und die Biografie  vom Fritz-Bauer-Institut boykottiert; der Film, weil er die Gegner Bauers nicht zu Wort  kommen lasse und Mordtheorien stricke, die Biografie weil sie nicht genug Distanz zu Fritz Bauer wahre. Die ARD weigert sich unter Verweis auf nicht näher benannte „gravierende Einwände“, den Film „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ im Ersten Deutschen Fernsehen zu zeigen. Ein medienpolitischer Skandal!

Anders als Ilona Ziok und Irmtrud Wojak wurden die Beteiligten an dem Filmprojekt „Der Staat gegen Fritz Bauer“, darunter der Regisseur Lars Kraume und der Schauspieler Burghart Klaußner, mit offenen Armen empfangen. Sie orientierten sich an einem Buch, an dessen Zustandekommen das Fritz-Bauer-Institut aktiv beteiligt war und das die so bezeichneten  „weißen Flecken“ im Leben Fritz Bauers thematisiert.  Der Verfasser Ronen Steinke schwärmt in seiner Danksagung, das Fritz-Bauer-Institut habe ihm den Status eines Gastwissenschaftlers mit allen dazu gehörigen fachlichen und technischen Hilfestellungen freundschaftlich gewährt, allen voran Werner Renz, der Leiter des Archivs und der Dokumentation des Instituts. Es ist jener Werner Renz, dem der ehemalige Untersuchungsrichter im Auschwitz-Prozess, Heinz Düx, vorgeworfen hat, er betreibe die Demontage und Desavouierung Fritz Bauers. Selbst scheute er sich, öffentlich über die „weißen Flecken“ zu reden, das besorgte der Schnellschreiber Ronen Steinke und das besorgt jetzt der Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“; er stellt den hessischen Generalstaatsanwalt wahrheitswidrig als Homosexuellen und politischen Wendehals dar, der sich durch ein Treuebekenntnis gegenüber der Naziführung die Freilassung aus KZ-Haft erkauft habe.

Irmtrud Wojak, die zehn Jahre über Fritz Bauer geforscht hat, schreibt in einer Besprechung des Films, Fritz Bauer erscheine darin  als eine Karikatur seiner selbst, als Verräter der Juden, der Sozialdemokraten und der Homosexuellen. Das sei die missratene und gewiss nicht unschuldige Botschaft dieses Films. All das, wogegen Bauer sein Leben lang gekämpft habe, solle er selbst gewesen sein. Hat Lars Kraume, der über Fritz Bauer sagt, sein Mut und seine Hartnäckigkeit seien eine wunderbare Inspiration für jeden, der sich in unserer modernen Gesellschaft gegen Unmenschlichkeit zu Wehr setzt, etwas übersehen?  Fritz Bauer wurde wegen seiner politischen Haltung bekämpft. Ich habe das selbst miterlebt. Seine Bemühungen, die Ursachen der von den Nazis begangenen Verbrechen bloß zu legen, machten vielen ein schlechtes Gewissen. Burghart Klaußners Aussage, es sei alles andere als denunziatorisch, zu zeigen, dass der Schwulenparagraph über Bauers Haupt geschwebt habe, hat mit der historischen Wahrheit nichts zu tun. Auch eine gut gemeinte Geschichtsfälschung ist und bleibt eine Fälschung.

Was Fritz Bauer wichtig war

Leserbrief zu dem Artikel von Jan Feddersen „Die Denunziation“ (taz  8. 10. 2015)

In meinem langen Journalistenleben habe ich verschiedentlich mit homosexuellen Kollegen zusammengearbeitet, die ich wegen ihres freundlichen Wesens und ihrer Sachkunde auf  Anhieb gemocht habe. Auch wenn wir  unterschiedlicher Meinung waren, hörte ich von ihnen nie ein verletzendes Wort. Umso enttäuschter bin ich, dass Jan Feddersen in dem Artikel „Die Denunziation“ (taz, 8.10. 2015) gegenüber dem „Zeit“-Kollegen Adam Soboczynski, einen so gehässigen Ton anschlägt, nur weil es dieser nicht richtig findet, dass Fritz Bauer in dem Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ als schwuler Mann dargestellt wird.  Soboczynski und auch dem dienstältesten Generalstaatsanwalt der Bundesrepublik, Erardo C. Rautenberg, vorzuwerfen, in ihren Texten schimmere der „übelste Verrat an Fritz Bauer durch“, hat mit sachlicher Kritik nichts zu tun, sondern ist verletzend und bösartig.

Auch gegenüber der Historikerin Irmtrud Wojak schlägt er einen unangemessenen Ton an. Ihre wissenschaftlich fundierte Fritz-Bauer-Biografie, mit der sie sich habilitierte, nennt er „bizarr lückenhaft“. Dagegen habe der SZ-Redakteur und Jurist Ronen Steinke in einer zweiten Biografie eine „echte Würdigung Bauers“ vorgelegt. Wie soll man sich diese unterschiedliche Bewertung erklären? Anscheinend stört sich Jan Feddersen daran, dass Irmtrud Wojak die Unterstellung der dänischen Fremdenpolizei, Fritz Bauer habe im Exil Umgang Homosexuellen gehabt, nicht zu einem Hauptthema macht, während Ronen Steinke  Fritz Bauer als einen Mann präsentiert, den die Schwulengemeinde nachträglich als ihren Helden verehren kann. Auf Seite 102 seines Buches räumt Steinke ein, dass Äußerungen, auf die sich die Annahme stützen könnte, Bauer habe sich selbst als schwul gesehen, nicht bekannt seien. Am 19. November 2013 sagte er bei der Vorstellung seines Buches in Berlin, es gebe niemanden, der in der Nachkriegszeit in irgendeiner Weise bestätigt habe, dass Fritz Bauer ein homosexueller Mann gewesen sei.

Im Gegensatz zu dem abfälligen Urteil Jan Feddersens nannte die langjährige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, Irmtrud Wojaks Buch über Fritz Bauer „eine Biografie mit Spürsinn“, die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb, die „umfassend recherchierte Arbeit“ würdige Bauers juristisches und publizistisches Lebenswerk, die „Süddeutsche Zeitung“ stellte fest: „Eine exzellente Biographie“.  Ronen Steinke  bezieht sich in seinem Buch nicht weniger als 41 Mal auf die  Biografie Wojaks und bezeichnet sie als „hervorragende wissenschaftliche Arbeit“. Zusätzlich beruft er sich 36 Mal auf Irmtrud Wojak als Mitherausgeberin des Buches „Die Humanität der Rechtsordnung“, in dem sie zusammen mit Joachims Perels ausgewählte Schriften Fritz Bauer der Öffentlichkeit zugänglich macht.

Eine persönliche Bemerkung sei mir am Schluss gestattet: Während meiner Frankfurter Zeit habe ich Fritz Bauer bei mehreren Gelegenheiten kennen gelernt und fühlte mich als politisch Verfolgter des Naziregimes ihm verbunden. Ich weiß, wie unfreundlich die deutsche Wohlstandsgesellschaft mit ihm umgegangen ist, weil er die Ursachen der Naziverbrechen bloßlegte und Vielen damit ein schlechtes Gewissen machte. All denen, die sich für Fritz Bauer interessieren, sage ich: Fritz Bauer war ein durch und durch politischer Mensch, weitblickend und gütig. Beschäftigt Euch mit dem, was ihm wichtig war, beschäftigt Euch mit den Ursachen des Bösen, das nach Ansicht Fritz Bauers Auschwitz  möglich gemacht hat. Beschäftigt Euch mit seiner Mahnung: „Nichts gehört der Vergangenheit an, alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.“

Kurt Nelhiebel Bremen.

Brief an Lars Kraume

Sehr geehrter Herr Kraume,

in einem Interview  mit Almode Film zu "Der Staat gegen Fritz Bauer" sagen Sie, Sie hätten bei den Vorarbeiten in einer großen Ausstellung des Fritz-Bauer-Instituts im Frankfurter Jüdischen Museum "viele interessante Dokumente" gesehen. Ich vermute, dass Sie zum Einen die Auszüge aus einer dänischen Polizeiakte meinen, die gewissen Leuten als Nachweis für die unbewiesene Behauptung dient, Fritz Bauer sei schwul gewesen, und zum Anderen das von den Nazis fabrizierte Treuebekenntnis gegenüber der Naziführung, das eben diesen Leute als Nachweis dient, Fritz Bauer sei als Häftling im Gegensatz zu Kurt Schumacher weich geworden und habe so seine Freilassung erkauft.

Ich habe gleich zu Beginn der Ausstellung gegenüber dem Direktor des Fritz-Bauer-Instituts, Raphael Gross, die unkommentierte Wiedergabe des für Fritz Bauer nachteiligen Nazidokuments im Ausstellungskatalog  kritisiert und die Schwärzung der betreffenden Stellen gefordert. Herr Gross hat meine Kritik akzeptiert und erklärt, dass das bei einer Neuauflage geändert werde. Auch in der Ausstellung sollten entsprechende Erläuterungen angebracht werden. Nichts davon wurde umgesetzt. Der hessische Minister für Wissenschaft und Kunst, Boris Rhein, der dem Stiftungsrat des genannten Instituts angehört, hat sich meine Kritik zu eigen gemacht und eine Diskussion darüber im Stiftungsrat angekündigt. Inzwischen hat Raphael Gross seinen Hut genommen.

Ich bedaure, dass Sie sich bei den Vorarbeiten für Ihren Film einseitig informiert haben. Weder Fritz Bauers Herkunft aus einer assimilierten jüdischen Familie, noch seine sexuelle Orientierung spielten in den politischen Auseinandersetzungen während der 1960er Jahre eine Rolle. Mit Ihrer entgegengesetzten Deutung bedienen sie Vorteile und Klischees, wonach es die Deutschen einem schwulen Juden, der vor Hitler zu Kreuze gekrochen ist, zu verdanken haben, dass ihnen Auschwitz immer noch als Klotz am Bein hängt.

Mit freundlichen Grüßen

Kurt Nelhiebel