20.10.2015
VVN-BdA Bayern wehrt sich
weiter gegen die Landesregierung
Diskriminierender
Eintrag in VS-Berichte soll aufhören
2011 reichte der Landesverband
Bayern der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der
Antifaschisten (VVN-BdA) beim Verwaltungsgericht München Klage
gegen den Freistaat Bayern ein und verlangte die Streichung aus den
Berichten des Verfassungsschutzes. Die Klage wurde abgewiesen, nun
streitet die VVN-BdA um die Zulassung der Berufung, denn auch die wurde
der VVN-BdA verweigert. Die Entscheidung über den Entzug der
Gemeinnützigkeit wurde von der Finanzverwaltung bis zum
Abschluss des Rechtsstreits zurückgestellt. Der Ausgang des
Rechtstreits ist für die gesamte VVN-BdA von Bedeutung, denn
die Sanktionen, die gegen die bayerische VVN-BdA erhoben werden
könnten, können gegen sämtliche
Landesverbände der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes/Bund der Antifaschisten gelten. Darüber informiert
die Landessprecherin der bayerischen Organisation Renate Hennecke in
einem Beitrag für Ossietzky. Sie ruft zur
Unterschriftensammlung auf: „Unter der Adresse http://www.solidaritaet-vvn.de
läuft zurzeit eine Unterschriftensammlung zu einer Gemeinsamen
Erklärung ‚Für eine offene Gesellschaft!
Gegen die Diffamierung der VVN-BdA!‘.“ Der Wortlaut
des Artikels:
Wie Bayern die Verfassung schützt
Wer sich in Bayern um eine Anstellung im
öffentlichen Dienst bewirbt, erhält eine
„Bekanntmachung“ der bayerischen Staatsregierung
„betr. Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen
Dienst (Verfassungstreue – VerftöD)“ und
ein „Verzeichnis extremistischer oder extremistisch
beeinflusster Organisationen“, untergliedert in
„Linksextremismus“,
„Rechtsextremismus“,
„Ausländerextremismus“ und
„Extremismus anderer Art“. Dazu einen Fragebogen,
in dem nach Mitgliedschaft in einer oder mehreren der genannten
Organisationen oder sonstiger Unterstützung gefragt wird.
Neben den im Abschnitt
„Rechtsextremismus“ genannten faschistischen
Formationen und Terrorgruppen wie NPD, Bürgerinitiative
Ausländerstopp, Gesellschaft für freie Publizistik
e.V., der Deutschen Division von Blood & Honour sowie
zahlreichen Al-Kaida-Ablegern findet man in dem seitenlangen
Verzeichnis unter „Linksextremismus“ auch die
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen
und Antifaschisten (VVN-BdA). Die bundesweite antifaschistische
Organisation, die 1947 von KZ-Überlebenden und aus dem Exil
zurückgekehrten NS-Verfolgten gegründet wurde und
sich der Gewaltfreiheit verpflichtet fühlt, in einer Reihe mit
faschistischen Terrorgruppen?
Näheres liefert der jährliche
bayerische Verfassungsschutzbericht. Der Text über die VVN-BdA
wird seit Jahrzehnten fast gleichlautend von Jahr zu Jahr
übernommen. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass sich in der
überparteilichen, überkonfessionellen VVN (seit der
Öffnung für Menschen, die nicht selbst verfolgt
wurden, im Jahr 1971 VVN-BdA) von Anfang an auch Kommunisten
organisierten. Schließlich wurden sie von den Nazis mit
besonderem Eifer verfolgt und bildeten einen großen Anteil
des deutschen Widerstands. Daraus wird ein „kommunistisch
orientierter Antifaschismus“ konstruiert, bei dem
antifaschistische Aktivitäten angeblich dazu dienen,
„Einfluss auf demokratische Institutionen, Organisationen und
Repräsentanten auszuüben bzw. ihn bei diesen zu
gewinnen“. Originalton Verfassungsschutz:
„Linksextremisten nutzen den breiten gesellschaftlichen
Konsens gegen den Rechtsextremismus für ihre politischen
Ziele, die allerdings weit über die Bekämpfung des
Rechtsextremismus hinaus reichen.“ Dabei sollen
„öffentliche Zeitzeugenauftritte von
früheren KZ-Häftlingen .. der Organisation .. einen
demokratischen Anstrich verleihen“. Wie sehr doch diese
Geheimdienstleute nur in ihren eigenen Kategorien denken
können!
Als Träger
„linksextremistischer Beeinflussung“ wurde im
bayerischen Verfassungsschutzbericht 2010 Ernst Grube genannt. Als
Neunjähriger war er mit seiner Mutter und seinen Geschwistern
ins KZ Theresienstadt verschleppt worden. Durch die Rote Armee befreit,
schloss er sich später der KPD an und ist bis heute Mitglied
der DKP. Er bekleidet zahlreiche Ämter in angesehenen
Organisationen und wurde von der Landeshauptstadt München mit
der Medaille „München leuchtet“ geehrt.
Mittlerweile 82 Jahre alt, wird er nicht müde, bei
Schulveranstaltungen, offiziellen Gedenkstunden, antifaschistischen,
antirassistischen und Antikriegskundgebungen zu sprechen und
über den verbrecherischen Charakter faschistischer Bewegungen
aufzuklären. Ernst Grube als einer, der „einen
demokratischen Anstrich verleihen soll“? Das ist so
hanebüchen, dass selbst CSU-Politiker wie Karl Freller,
Stellvertretender Vorsitzender der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag
und Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, gemeinsam
mit Sozialdemokraten, Grünen, Gewerkschaftern und
Kirchenleuten dagegen vorgingen. Grube wird in den VS-Berichten der
letzten Jahre nicht mehr genannt – beobachtet wird er
ausdrücklich immer noch.
Besonders suspekt ist den bayerischen
Verfassungsschützern, dass in der VVN-BdA auch die Frage nach
einem Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus gestellt wird
– ohne dass es eine einheitliche Meinung dazu gibt. In der
geheimdienstlichen Interpretation wird daraus die unsinnige Behauptung,
dass „alle nicht-marxistischen Systeme – also auch
die parlamentarische Demokratie – als potenziell
faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus
betrachtet (werden), die es zu bekämpfen gilt“. Da
bleibt nicht nur die Logik auf der Strecke. Der Versuch, die politische
Auseinandersetzung auf herrschaftskonforme Meinungen
einzuschränken, beschädigt die Demokratie.
Die genannten Unterstellungen dienen dazu, das
Ansehen ehemaliger NS-Verfolgter und Widerstandskämpfer
herabzusetzen, die antifaschistische Tätigkeit zu behindern
und die VVN-BdA zu isolieren (viele Lehrer trauen sich zum Beispiel
nicht, Mitglieder der VVN-BdA als Referenten einzuladen,
öffentliche Veranstaltungsräume werden der VVN-BdA
verwehrt, Mitveranstaltern Fördergelder gestrichen). Seit 2009
droht der Entzug der Gemeinnützigkeit, wenn eine Organisation
auch nur in einem Bundesland im Verfassungsschutzbericht genannt wird.
Das bedeutet: Steuernachzahlung für zehn Jahre oder
Übertragung des gesamten Vermögens an eine andere
gemeinnützige Organisation.
2011 reichte der Landesverband Bayern der VVN-BdA
beim Verwaltungsgericht München Klage gegen den Freistaat
Bayern ein und verlangte die Streichung aus den Berichten. Anfang
Oktober 2014 wurde die Klage abgewiesen. Fünf Monate brauchte
das Gericht, um seine Begründung zu Papier zu bringen. Dabei
hatte der Verfassungsschutz schon das meiste vorformuliert. Berufung
gegen das Urteil wurde nicht zugelassen, die Zulassung muss jetzt
erstritten werden. Die Entscheidung über den Entzug der
Gemeinnützigkeit wurde von der Finanzverwaltung bis zum
Abschluss des Rechtsstreits zurückgestellt.
Unter der Adresse http://www.solidaritaet-vvn.de
läuft zurzeit eine Unterschriftensammlung zu einer Gemeinsamen
Erklärung „Für eine offene Gesellschaft!
Gegen die Diffamierung der VVN-BdA!“. Die Erklärung
richtet sich an die bayerische Staatsregierung mit der Forderung, die
Diffamierung der VVN-BdA zu beenden und die Organisation nicht mehr im
bayerischen Verfassungsschutzbericht zu nennen. Bitte unterschreiben!
Renate
Hennecke
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