14.10.2015
Über den Krieg gegen
Flüchtlinge und Wilde
In der Zweiwochenzeitschrift
„Ossietzky“ hat der Bundessprecher der VVN-BdA
Ulrich Sander über die Tonlage berichtet, in der in der
Bundeswehr über Migranten gesprochen wird, sowie über
die angebliche Gefahr, die von ihnen ausgehe, weshalb man auch
militärisch handeln müsse. Hier der Wortlaut aus
„Ossietzky“ Nr. 20/15 vom 10. Oktober 2015:
Bestürzt nahmen manche Medien zur
Kenntnis, dass Ungarn Truppen zur Abwehr der Flüchtlinge
einsetzen will. Dies ist jedoch durchaus auch Norm in der
Bundeswehrplanung. Erinnern wir uns: Das Wahljahr 1998 wurde zwar nicht
von außenpolitischem Streit geprägt;
Außenpolitik wurde gar bewusst ausgeklammert aus dem
Wahlkampf. Wer sich aber für die Äußerungen
der Militärpolitiker interessierte, erfuhr dies: Da berichtete
die Allgäuer Zeitung vom 15. Mai 1998 über den
Wahlkampfauftritt von CDU-Bundeswehrminister Volker Rühe vor
Bundeswehrangehörigen in Marktoberdorf, wo er die Schaffung
eines neuen völkischen Kleinstaates Kosovo –
zunächst auf dem Territorium Serbiens –
ankündigt, an der sich die Bundeswehr mit Waffengewalt
beteiligen will, auch um Flüchtlinge fernzuhalten:
„Wenn wir“, so Rühe, „im Kosovo
nicht richtig reagieren, haben wir noch mehr Flüchtlinge im
Land.“ Deshalb werde eine Studie erstellt, die ebenso
militärische Gesichtspunkte berücksichtige. Das war
die Vorbereitung eines Angriffskrieges zur Abwendung von
„Flüchtlingsströmen“.
In Information für die Truppe wurde der
„Wandel der NATO von einer Verteidigungsallianz aus Zeiten
des Kalten Krieges hin zur Ordnungs- und
Stabilitätsinstitution in und für das Europa des 21.
Jahrhunderts, ein Europa mit absehbaren Instabilitäten an
seiner Peripherie“ (IfdT, März 1999) immer wieder
propagiert. Das Feindbild der Bundeswehr: „Proliferation,
politischer Fundamentalismus und Terrorismus stellen eine Bedrohung
für alle dar. Darüber hinaus wirken sich Verknappung
von Ressourcen und Migrations- und Flüchtlingsbewegungen auch
auf die europäischer Sicherheitslage aus.“ In der
Ausgabe zu „50 Jahre NATO“ wirbt IfdT unverhohlen
für die Selbstmandatierung der NATO unter dem Vorwand,
„humanitäre Katastrophen“ zu
bekämpfen. OSZE und UNO werden beiseitegeschoben, da ihre
Beschlüsse eine „unzulässige
Einschränkung des Handlungsrahmens der Atlantischen
Allianz“ erbringen könnten. Unter der
Überschrift „Eine globale Rolle für die
NATO?“ wird dem „Krisenmanagement jenseits der
Bündnisgrenzen“ das Wort geredet.
Bundeswehraktivitäten haben auch den
reaktionären Vertriebenenverbänden in einer anderen
zentralen Frage Auftrieb gegeben. Der Krieg gegen Jugoslawien und die
Forderung nach Rückführung der Flüchtlinge
brachten sie auf die Idee, die in Potsdam 1945 von den Alliierten
beschlossenen Umsiedlungen der Deutschen aus ehemaligen deutschen
Gebieten erneut zu thematisieren und eine
Rückgängigmachung der
„Vertreibung“ der Deutschen zu verlangen. Und der
damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) schalt die Linken, sich
der Erörterung der
„Vertreibungsverbrechen“ bisher verweigert zu haben
(Frankfurter Rundschau, 29.5.1999). Sie müssten nun,
„da der Kosovo-Krieg das alte Unrecht von 1945 wieder
aufscheinen lasse, den Mut zu klarer Sprache aufbringen“.
Während es gute
„Deutschstämmige“ gab, begegneten wir auch
den „Wilden“. Der Begriff der Zivilisation, die es
gegen Wilde zu verteidigen gilt, er war wieder da. Und die Wilden, die
kleinen bösen Krieger auch, die laut (kursiv)
Truppenpraxis/Wehrkunde mit allen Mitteln zu bekämpfen sind.
Der Fundamentalismusbegriff wurde in den Bundeswehrpublikationen oft
vollkommen rassistisch angewendet. Der künftige Feind erschien
als Monster, der kein Völkerrecht und keine Landkriegsordnung
einhalten wird, weshalb ein Freibrief gegen ihn, ein Freibrief zu
Kriegsverbrechen gegen den Kriegsverbrecher nahegelegt wird. Der
Bundeswehr wurde mit Truppenpraxis/Wehrausbildung, Heft 2 und 3/96,
eingetrichtert, dass „Zivilisationskriege die vorherrschende
Konfliktform des nächsten Jahrhunderts sein“ werden.
Und „Deutschland wird um eine Beteiligung an diesen Kriegen
gebeten werden.“
Noch immer ist eine Kaserne – in Lebach
an der Saar – nach dem
„Zivilisationskrieger“ General Graf Haeseler
benannt. Er hat im Jahre 1893 seinen Truppen zugerufen: „Es
ist notwendig, dass unsere Zivilisation ihren Tempel auf Bergen von
Leichen, auf einem Ozean von Tränen und auf dem
Röcheln von unzähligen Sterbenden
errichtet.“
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