25.09.2015
Rücktritt des
kämpferischen Antifaschisten Guntram Schneider als
Landesminister wird bedauert
Vorstellung
der Untersuchung über die Nazivergangenheit der Dortmunder
Nachkriegspolizei
Ulrich Sander aus Dortmund,
Bundessprecher der VVN-BdA, hat dieses Schreiben abgesandt: „Lieber
Guntram Schneider, ich habe mit Bedauern erfahren, dass du der
Landesregierung von Nordrhein-Westfalen nicht mehr angehörst.
Zum 3. 9. 2011 hast du den denkwürdigen Aufruf
„Dortmund nazifrei“ mit herausgegeben, den auch ich
unterschrieb. Damit hast du dem Gedanken, dass man die Faschisten
blockieren muss, zum Durchbruch verholfen. Andere Minister, die mit der
Sache zu tun hatten, haben nicht unterschrieben, aber sie
gehören der Regierung noch an.“
Die Frage stellt sich, ob nicht statt des
Ministers für Arbeit und Integration Schneider der
Innenminister Ralf Jäger hätte aus der
Landesregierung entlassen werden müssen. Die
Verzögerung bei der Aufklärung des Zusammenspiels des
Verfassungsschutzes mit dem NSU im Lande geht ebenso auf sein Konto wie
die unterbliebene Verfolgung der Naziformation „Die
Rechte“ als Nachfolgeorganisation des illegalen Nazismus.
Auch die unsägliche Weisung an die Schulen, die Losung
„Faschismus ist keine Meinung, sondern ein
Verbrechen“ zu meiden, weil sie Nazis ihre
Bürgerrechts streitig mache und nicht auf dem Boden der
Freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) stehe, geht auf
Jägers Konto.
Mit den Innenministern hatte NRW im Laufe der
Geschichte meist Pech. Dadurch wurde es z.B. einem Will Weyer (NSDAP,
später FDP) möglich, den Nazis Schutz zu geben, wenn
sie sich das Demonstrationsrecht anmaßten, - was sie laut
Grundgesetz Artikel 139 und Völkerrecht (Potsdamer Abkommen)
nicht haben. Das stellte Ulrich Sander in einer Veranstaltung im
Kultur- und Bildungszentrum „Z“ am Dortmunder
Borsigplatz fest, in der er seine Recherche „Es begann nicht
mit der Borussenfront – eine kurze Geschichte des
nachhaltigen Nazieinflusses im Nachkriegs-Dortmund“
vorstellte.
Der VVN-BdA-Sprecher kommt zu dem Ergebnis,
„dass es nicht ausreicht zu sagen ‚Unsere Stadt
muss wieder nazifrei werden‘. Sie ist es leider nie
gewesen“. In Justiz und Polizei wurden im Kalten Krieg jene
Kräfte wieder aktiv, die dort auch schon vor 1945 wirkten. Es
genüge auch nicht, wie es jetzt oft geschehe, nur die
Dortmunder Polizei und Justiz ins Visier der Kritik zu nehmen,
während die Landesregierungen seit Jahren und oft auch heute
untätig blieben. Sie hätten unsägliche
Anweisungen erteilt oder gar die Hand über die Nazis
gehalten, so Sander weiter.
Eine Aufbereitung der Geschichte sollte nicht nur
die Zeit bis 1945 umfassen, sondern auch die Zeit danach.
„Das Grundgesetz bietet Möglichkeiten, die seit
Gründung der Bundesrepublik gemachten schweren Fehler zu
beheben, – wenn es nur gewollt ist“, zog der
VVN-BdA-Sprecher Bilanz und verwies besonders auf den
Grundgesetz-Artikel 139 zur Befreiung von Nationalsozialismus und
Militarismus.
Seine Broschüre gibt Anregungen
für alle Städte, die Wiedererlangung von Einfluss der
Nazis im lokalen und regionalen Maßstab zu untersuchen.
„Es gab nicht nur die Globkes im Bundesmaßstab, es
gab auch die alten Kader unter den Oberstaatsanwälten und den
Polizeioffizieren, die sich lokal und regional wieder
breitmachten.“ Und dies natürlich nicht nur in
Dortmund. Allein in Kassel hat es drei hoch angesehene
SPD-Oberbürgermeister gegeben, die als vormalige Mitglieder
und Aktivisten der NSDAP eigentlich für alle Zeiten
hätten suspendiert werden müssen. Man schaue auch die
Gerichte in ganz Westdeutschland an, die mit Nazijuristen besetzt
waren, und die dann wieder über ihre alten Gegner zu Gericht
sitzen konnten, diesmal allerdings, ohne das Todesurteil aussprechen zu
dürfen. Die Strafbefreiung für alte Nazis war
legendär. Es habe nicht ein einziges Urteil gegen Nazis
gegeben, weil sie die verbotene NSDAP weiter betrieben hätten,
es habe aber rund 10.000 Urteile gegen Kommunisten gegeben, weil diese
gegen das KPD-Verbotsurteil verstoßen hätten. Und
warum dies alles? Sander zitierte den verstorbenen Polizisten und
Polizeihistoriker Alexander Primavesi, der zwei Gründe
benannte: So habe der US-Oberbefehlshaber und spätere
Präsident Dwight D. Eisenhower bald nach Kriegsende gesagt,
man solle nicht die Deutschen hängen, sondern sie als
militärisches und politisches Bollwerk gegen den Osten
einsetzen. Und zudem wurde vom westdeutschen Gesetzgeber schon bald das
131er Gesetz geschaffen, das die Wiederverwendung von Beamten aus der
Nazizeit den Behörden zwingend vorschrieb.
Mit dieser Wiederverwendung hatten es die Briten
als Besatzungsmacht an Rhein und Ruhr besonders eilig. Die derzeitig im
Polizeipräsidium gezeigte Ausstellung „Polizei im
NS-Staat“ habe auch ihn überrascht, sagte Sander,
der dort die Information vorfand, dass die Briten sofort nach
Kriegsende den hohen Polizeioffizier Oberst Wilhelm Stöwe zum
Chef der Dortmunder Polizei machten, obwohl sie wissen mussten, dass er
Tage zuvor noch damit beschäftigt war, 30.000 Zwangsarbeiter
zu ermorden. Dies war ihm nicht gelungen, weil die Bergbauunternehmer,
in deren Stollen die Zwangsarbeiter ertränkt werden sollten,
dies nicht mitmachten.
Die Broschüre ist hier zu finden:
http://www.nrw.vvn-bda.de/brosch.htm#borussenfront
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