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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

25.09.2015

Rücktritt des kämpferischen Antifaschisten Guntram Schneider als Landesminister wird bedauert

Vorstellung der Untersuchung über die Nazivergangenheit der Dortmunder Nachkriegspolizei

Ulrich Sander aus Dortmund, Bundessprecher der VVN-BdA, hat dieses Schreiben abgesandt: „Lieber Guntram Schneider, ich habe mit Bedauern erfahren, dass du der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen nicht mehr angehörst. Zum 3. 9. 2011 hast du den denkwürdigen Aufruf „Dortmund nazifrei“ mit herausgegeben, den auch ich unterschrieb. Damit hast du dem Gedanken, dass man die Faschisten blockieren muss, zum Durchbruch verholfen. Andere Minister, die mit der Sache zu tun hatten, haben nicht unterschrieben, aber sie gehören der Regierung noch an.“

Guntram Schneider auf unserer Landesdelegiertenkonferenz 2008 (-jovofoto-)Die Frage stellt sich, ob nicht statt des Ministers für Arbeit und Integration Schneider der Innenminister Ralf Jäger hätte aus der Landesregierung entlassen werden müssen. Die Verzögerung bei der Aufklärung des Zusammenspiels des Verfassungsschutzes mit dem NSU im Lande geht ebenso auf sein Konto wie die unterbliebene Verfolgung der Naziformation „Die Rechte“ als Nachfolgeorganisation des illegalen Nazismus. Auch die unsägliche Weisung an die Schulen, die Losung „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ zu meiden, weil sie Nazis ihre Bürgerrechts streitig mache und nicht auf dem Boden der Freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) stehe, geht auf Jägers Konto.

Mit den Innenministern hatte NRW im Laufe der Geschichte meist Pech. Dadurch wurde es z.B. einem Will Weyer (NSDAP, später FDP) möglich, den Nazis Schutz zu geben, wenn sie sich das Demonstrationsrecht anmaßten, - was sie laut Grundgesetz Artikel 139 und Völkerrecht (Potsdamer Abkommen) nicht haben. Das stellte Ulrich Sander in einer Veranstaltung im Kultur- und Bildungszentrum „Z“ am Dortmunder Borsigplatz fest, in der er seine Recherche „Es begann nicht mit der Borussenfront – eine kurze Geschichte des nachhaltigen Nazieinflusses im Nachkriegs-Dortmund“ vorstellte.

Der VVN-BdA-Sprecher kommt zu dem Ergebnis, „dass es nicht ausreicht zu sagen ‚Unsere Stadt muss wieder nazifrei werden‘. Sie ist es leider nie gewesen“. In Justiz und Polizei wurden im Kalten Krieg jene Kräfte wieder aktiv, die dort auch schon vor 1945 wirkten. Es genüge auch nicht, wie es jetzt oft geschehe, nur die Dortmunder Polizei und Justiz ins Visier der Kritik zu nehmen, während die Landesregierungen seit Jahren und oft auch heute untätig blieben. Sie hätten unsägliche Anweisungen erteilt oder gar die Hand über die Nazis  gehalten, so Sander weiter.

Eine Aufbereitung der Geschichte sollte nicht nur die Zeit bis 1945 umfassen, sondern auch die Zeit danach. „Das Grundgesetz bietet Möglichkeiten, die seit Gründung der Bundesrepublik gemachten schweren Fehler zu beheben, – wenn es nur gewollt ist“, zog der VVN-BdA-Sprecher Bilanz und verwies besonders auf den Grundgesetz-Artikel 139 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus.

Seine Broschüre gibt Anregungen für alle Städte, die Wiedererlangung von Einfluss der Nazis im lokalen und regionalen Maßstab zu untersuchen. „Es gab nicht nur die Globkes im Bundesmaßstab, es gab auch die alten Kader unter den Oberstaatsanwälten und den Polizeioffizieren, die sich lokal und regional wieder breitmachten.“ Und dies natürlich nicht nur in Dortmund. Allein in Kassel hat es drei hoch angesehene SPD-Oberbürgermeister gegeben, die als vormalige Mitglieder und Aktivisten der NSDAP eigentlich für alle Zeiten hätten suspendiert werden müssen. Man schaue auch die Gerichte in ganz Westdeutschland an, die mit Nazijuristen besetzt waren, und die dann wieder über ihre alten Gegner zu Gericht sitzen konnten, diesmal allerdings, ohne das Todesurteil aussprechen zu dürfen. Die Strafbefreiung für alte Nazis war legendär. Es habe nicht ein einziges Urteil gegen Nazis gegeben, weil sie die verbotene NSDAP weiter betrieben hätten, es habe aber rund 10.000 Urteile gegen Kommunisten gegeben, weil diese gegen das KPD-Verbotsurteil verstoßen hätten. Und warum dies alles? Sander zitierte den verstorbenen Polizisten und Polizeihistoriker Alexander Primavesi, der zwei Gründe benannte: So habe der US-Oberbefehlshaber und spätere Präsident Dwight D. Eisenhower bald nach Kriegsende gesagt, man solle nicht die Deutschen hängen, sondern sie als militärisches und politisches Bollwerk gegen den Osten einsetzen. Und zudem wurde vom westdeutschen Gesetzgeber schon bald das 131er Gesetz geschaffen, das die Wiederverwendung von Beamten aus der Nazizeit den Behörden zwingend vorschrieb.

Mit dieser Wiederverwendung hatten es die Briten als Besatzungsmacht an Rhein und Ruhr besonders eilig. Die derzeitig im Polizeipräsidium gezeigte Ausstellung „Polizei im NS-Staat“ habe auch ihn überrascht, sagte Sander, der dort die Information vorfand, dass die Briten sofort nach Kriegsende den hohen Polizeioffizier Oberst Wilhelm Stöwe zum Chef der Dortmunder Polizei machten, obwohl sie wissen mussten, dass er Tage zuvor noch damit beschäftigt war, 30.000 Zwangsarbeiter zu ermorden. Dies war ihm nicht gelungen, weil die Bergbauunternehmer, in deren Stollen die Zwangsarbeiter ertränkt werden sollten, dies nicht mitmachten.

Die Broschüre ist hier zu finden:

http://www.nrw.vvn-bda.de/brosch.htm#borussenfront