18.09.2015
Gedenken mit
„Blumen für Stukenbrock“
Gefordert:
Gebt dem Obelisken die rote Fahne zurück
Prof.Dr. Naumow und seine
Ehefrau Valentina aus Moskau und Hans Coppi, Vorsitzender der VVN-BdA
von Berlin, haben in diesem Jahr in der Gedenkstätte
Stukenbrock bei Stadt Holte Stukenbrock in der Senne die Reden zum
Gedenken an hunderttausende ermordete sowjetische Kriegsgefangenen
gehalten. Aufgerufen von dem Arbeitskreis Blumen für
Stukenbrock waren am 5. September wieder hunderte Friedensfreunde und
Antifaschisten, einen fürchterlichen Wetter trotzend, zur
Gedenkstätte in Ostwestfalen gekommen. Die späten
Zahlungen an überlebende Kriegsgefangene, die zur
Sklavenarbeit ins Ruhrgebiert geschickt worden waren, wurden
begrüßt, aber zugleich wurde heftige Kritik daran
geübt, dass an der Verfälschung des Denkmals, das
1945 von Überlebenden geschaffen wurde, weiter festgehalten
wird. Bei der Einweihung der Gedenkstätte mit dem Obelisken
und der damals vorhandenen roten Fahne darauf war am 2. Mai 1945 auch
Pawel Naumow dabei, damals 16jähriger Zwangsarbeiter. Wir
veröffentlichen hiermit die bei der Gedenkveranstaltung
gehaltenen Reden.
Die Rede von
Prof. Dr. Wladimir Iljitsch Naumov (83):
Sehr geehrter Vorsitzender Herr Hubert Kniesburges!
Sehr geehrter Herr Werner Höner!
Sehr geehrter Herr Jochen Schwabedissen!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich bedanke mich für die
Möglichkeit und die Ehre, in der Gedenkveranstaltung zum 70.
Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs und dem 70. Jahrestag der
Errichtung der Gedenkstätte auf dem Massengrab Stukenbrock
teilzunehmen, wo die Gebeine der sowjetischen Soldaten, Opfer des
Stalags 326, liegen.
Meine Biographie ist mit dem Krieg verbunden. 1941
war ich auf dem besetzten Gebiet in der Gegend von Smolensk. 1943,
während des Rückzuges der deutschen Truppen aus
Smolensk, wurde ich im Alter von elf Jahren nach Deutschland
entführt und arbeitete mit Kriegsgefangenen aus dem Stalag 326
in einer Textilfabrik Bleiche in Brackwede, wurde von US-Truppen am 2.
April 1945 befreit. Am 2. Mai war ich bei der
Eröffnungszeremonie des Denkmals und der Gedenkstätte
an den Massengräber der sowjetischen Kriegsgefangenen in
Stukenbrock mit den befreiten Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern
anwesend.
Die am 2. April befreiten sowjetischen
Kriegsgefangenen begingen eine große Tat: Sie errichteten das
Monument und das Denkmal in einem Monat und verewigten damit ihre
Freunde und Kameraden, die hier begraben wurden.
Ihr, eure Organisation, der Arbeitskreis "Blumen
für Stukenbrock" habt eine weitere große
Tat begonnen, indem Ihr das Denkmal für unsere Nachfahren
geborgen und in eine Tribüne für Friedensfreunde
umgewandelt habt. Die hohe Autorität dieser Plattform
bestätigt sich durch die Teilnahme der wichtigsten deutschen
Öffentlichkeit und Politiker, darunter der Präsident
der Bundesrepublik Deutschland, Herr Joachim Gauck, an den
jährlichen Veranstaltungen und Demonstrationen.
Leider sind die Kriegsveteranen, darunter auch die
ehemaligen Kriegsgefangenen, eine fast vergangene Generation. Ich
repräsentiere hier eine jüngere Kategorie, die
ehemaligen jungen Gefangenen des Faschismus. In Russland leben noch
etwa 150.000 Bürger, die in ihren jungen Jahren die
faschistischen Gefängnisse, Konzentrations- und Arbeitslager
überlebt haben. Uns, den Überlebenden der
Tragödie des Krieges, ist die friedensstiftende Ausrichtung
ihrer Bewegung besonders nah und wichtig. Wir haben unsere eigene
Organisation, wir verlegen unsere eigene Zeitung "Schicksal" und werben
für den Frieden in unserem Land.
Die Rede des Präsidenten der
Bundesrepublik Deutschland, Herrn Joachim Gauck, am 6. Mai
dieses Jahres bei der Veranstaltung an den Gräbern von
Stukenbrock machte auf uns alle einen großen Eindruck. Der
Bundespräsident gab eine klare Beurteilung der
Tragödie des Krieges, der Tragödie der
Gefangenschaft, und hat Ihre pazifistischen Aktivitäten
gelobt. Unter anderem erwähnte er, dass unter den toten
Gefangenen Russen, Ukrainer, Kirgisen, Georgier, Usbeken, Turkmenen
waren: Vertreter aller Völker der Sowjetunion.
Massengräber in Deutschland, darunter die Gräber in
Stukenbrock, sind ein Symbol unserer internationalen Einheit
während des Krieges. Die Zeitung "Schicksal"
veröffentlichte den vollständigen Text der Rede des
Bundespräsidenten, und ich habe die große Freude,
Exemplare der Zeitung an die Organisatoren dieser Veranstaltung zu
überreichen.
Es ist für uns besonders wichtig, unsere
lebendige Erinnerung, unseren Schmerz und Ablehnung von Krieg an die
junge Generation zu Hause und in Deutschland zu vermitteln. Vor dem Tag
des Sieges über Nazismus verbreitete unsere russische
Vereinigung der ehemaligen minderjährigen Gefangenen des
Faschismus den Aufruf an die deutsche Jugend, in dem sie ihre
Position zu der aktuellen Situation in der Welt und die Beziehungen
zwischen unseren Ländern formulierte.
Heute sind hier Vertreter der jungen Generation.
Ich hoffe, dass sie das Gute vom Bösen trennen
können, dass sie eine gerechte Beurteilung der Lage und der
Ereignisse in der Welt geben können.
Zum Abschluss bedanke ich mich auch im Namen
meiner Kameraden bei den Organisatoren und Aktivisten des
Arbeitskreises "Blumen für Stukenbrock" für ihre
langjährige fruchtbare Arbeit, mit der sie die Erinnerung an
die Opfer des Krieges erhalten und Frieden unter den Völkern
fördern. Anerkennung aussprechen möchte ich auch der
heute abwesenden ehemaligen Präsidentin der Gesellschaft
Deutschland-Russland in Nordrhein-Westfalen, Frau Walborg
Schröder, die einen großen Beitrag zu den
Begegnungen zwischen den jungen Generationen in Deutschland und
Russland geleistet hat.
Ich wünsche dem Arbeitskreis "Blumen
für Stukenbrock" und allen friedensstiftenden Organisationen
in ganz Deutschland Optimismus und Erfolg in ihren Tätigkeiten
zur Erhaltung des Friedens und der Freundschaft zwischen unseren
Völkern und Ländern.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Die aus
Zeitgründen nicht verlesene Rede von Generalleutnant Wladimir
Grebenjuk:
Russische Veteranenorganisation
Sehr geehrte Teilnehmer der Gedenkveranstaltung in
Stukenbrock, liebe Freunde!
Sie haben den Weg nach Stukenbrock nach
ihrem Gewissen, Ihrer Vernunft und Ihrem Herzen
aufgesucht. Dieser Weg führt zum Guten und zur friedlichen
Zukunft für neue Generationen. Unsere
Veteranenorganisation begrüßt herzlich alle
Teilnehmer der Gedenkveranstaltung. Diese Veranstaltung ist
gewidmet dem 70. Jubiläum des Endes vom Zweiten
Weltkrieg. Gleichzeitig feiern wir das 70. Jubiläum des
Obelisken für die Gräber, wo
65.000 sowjetische Soldaten, Opfer des „Stalag 326“
liegen.
Dieser Obelisk wurde von den befreiten
Kriegsgefangenen am 2. April 1945 zur Erinnerung an die umgekommenen
Genossen aufgebaut.
Dank ihrer Mühe steht der Obelisk immer
noch. Das heutige Stukenbrock ist eine Tribüne des Kampfes
gegen den Faschismus, eine Tribüne des Friedens und
der Zusammenarbeit. An den von Ihnen jährlich
durchgeführten Gedenkveranstaltung und Demonstrationen nehmen
bekannte Personen und Politiker verschiedener Länder teil. Am
6. Mai dieses Jahres ist hier der Bundespräsident Joachim
Gauck aufgetreten. Seine Rede wurde vollständig in der
Zeitschrift „Schicksal“
veröffentlicht.
Wir haben niemals das Hitlerregime dem
deutschen Volke gleichgesetzt. Verstärkung des Friedens,
des gegenseitigen Verständnisses und der
Freundschaft zwischen unseren Völkern –
das ist das höchste Ziel der gesellschaftlichen
Tätigkeit unserer Organisation. Sie, liebe Freunde,
haben eine bemerkenswerte Spur in der Beziehung zwischen unseren
Völkern gelassen. Die Tätigkeit des Arbeitskreises
„Blumen für Stukenbrock“ ist ein Beispiel
für Humanismus, Großmut, Menschlichkeit,
Respekt gegenüber anderen Völkern und Opfern des
Nazismus.
Unsere Veteranenorganisation vertritt
ehemalige minderjährige Gefangene verschiedener
Konzentrationslager, Kinder der Zwangsarbeiter und ehemalige
Kriegsgefangene. Sie alle bedanken sich ganz herzlich für den
Erhalt der Gräber unserer Landsleute, die die
Gefangenschaft nicht überlebt haben. Wir
wünschen allen Teilnehmern des Gedenkens Gesundheit,
Wohlbefinden und uns allen- einen friedlichen Himmel über dem
Kopf.
Der erste Stellvertretende des Vorsitzenden
General-Leutnant
Wladimir Grebenjuk
Moskau, 5 September 2015
Die
nachredigierte Rede von Hans Coppi:
In wenigen Tagen wird die Bundesregierung eine
Richtlinie zur Auszahlung der Entschädigungsbeiträge
für frühere sowjetische Kriegsgefangene erlassen.
Dies war ein langer Weg. Erst 70 Jahre nach der Befreiung von
Faschismus und Krieg konnte sich am 18. Mai der Bundestag
fraktionsübergreifend zu diesem symbolischen Schritt
durchringen. Dies wäre bereits vor 15 Jahren möglich
gewesen, als sich Ende der 1990er Jahre bei der Debatte um die
Entschädigung der Zwangsarbeiter
zivilgesellschaftliche Initiativen wie der Arbeitskreis
„Blumen für Stukenbrock“,
„Kontakte-Kontakty“, die VVN-BdA und auch
Bundestagsabgeordnete für die Einbeziehung der sowjetischen
Kriegsgefangenen einsetzten. Wer als Zivilist zur Zwangsarbeit nach
Deutschland verschleppt wurde, konnte Leistungen aus dem Fonds der
Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft beantragen. Wer als
sowjetischer Kriegsgefangener unter KZ-ähnlichen Bedingungen
inhaftiert und zu schwerster Arbeit gezwungen worden war, erhielt
nichts. Das Lager Stukenbrock war ein Umschlagplatz, ein Sklavenmarkt
für die Kohlengruben und Stahlwerke im Ruhrgebiet,
für das Torfstechen und für SS- Betriebe. Zum
Aufpäppeln kamen sie in die Landwirtschaft, um danach erneut
an die Industrie verliehen zu werden. 1944 mussten zwei Millionen
Kriegsgefangene Zwangsarbeit leisten. Die Industrie profitierte davon
enorm. Als Zwangsarbeiter wurden sie ausgebeutet. Als NS-Opfer wurden
sie weder in Deutschland noch in der Sowjetunion und noch in den
Nachfolgestaaten anerkannt und begünstigt.
Proteste gingen einher mit solidarischer Hilfe.
Der Arbeitskreis Blumen für Stukenbock sammelte –
1996 beginnend – Spenden, die seitdem die
Überlebenden erreichen. Der Berliner Verein Kontakte-Kontakty
rief 2004 zum Bürger-Engagement für NS-Opfer in
Ländern der ehemaligen Sowjetunion, denen die Bundesstiftung
„Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ keine
Zuwendungen übermitteln konnte. Tausende sowjetischer
Kriegsgefangener wurden angeschrieben. Die Veteranen waren sehr
überrascht aber auch hoch erfreut, dass Menschen in
Deutschland an sie denken und mehr über ihr Schicksal erfahren
wollten. In vielen Briefen schildern die Betroffenen ihre Odyssee durch
die Lager, berichten von Hunger, Kälte, Zwangsarbeit,
Misshandlungen und auch von Solidarität, die ihnen das
Überleben ermöglichte. Aus eingeworbenen Spenden
erhielten Tausende ehemalige Kriegsgefangene eine einmalige Zuwendung
von 300 Euro. Briefe der bewegenden Korrespondenz kann man auf der
Website des Vereins „Kontakte Kontakty“ einsehen.
Am 6. Mai suchte zum ersten Mal ein
Bundespräsident Stukenbrock auf, den
größten Friedhof für sowjetische
Kriegsgefangene in Deutschland. Joachim Gauck erinnerte an eines der
schändlichsten Verbrechen des Naziregimes, das bisher in der
deutschen Erinnerungskultur kaum zur Kenntnis genommene Leiden und das
millionenfache Sterben von Rotarmisten in deutscher Gefangenschaft. Es
gab und gibt in der deutschen Öffentlichkeit immer noch einen
großen Nachholbedarf an Wissen um das Geschehene. Oftmals
fehlt auch die Empathie, sich dem Schicksal der Opfer des deutschen
Raub- und Vernichtungskrieges zu öffnen. Der Sowjetsoldat
– mehr als der Russe“ bekannt –
galt im Kalten Krieg noch lange als Feind, so auf CDU-Plakaten in
Wahlkämpfen der frühen Bundesrepublik.
Dieser Friedhof war dank des
bürgerschaftlichen Engagements des Arbeitskreises
„Blumen für Stukenbrock“ einer der wenigen
Orte, an denen bereits seit 1967 der Opfer des einstigen Kriegsgegners
gedacht wurde. Seine Arbeit war lange Zeit von Vorbehalten begleitet.
Die Aktivisten galten einigen sogar als
„Nestbeschmutzer“. Ich möchte allen
Mitstreiterinnen und Mitstreitern des Arbeitskreises
für ihre jahrzehntelange unermüdliche Arbeit
für Völkerverständigung und Frieden danken.
Dank der Öffnung von Archiven und neuer
Veröffentlichungen haben sich in den letzten 25 Jahren die
Kenntnisse über das Ausmaß der Verbrechen an
sowjetischen Kriegsgefangenen beträchtlich erweitert.
Gedenkstätten wurden eröffnet. Überlebende
und Angehörige waren und sind sehr dankbar, dass seit 1996 die
Dokumentationsstätte in Stukenbrock ausführlich
über das Lager und die Insassen berichtet und dass nunmehr
viele der Toten auf zahlreichen Tafeln wieder ihre Namen erhalten.
Die befreiten Gefangenen errichteten im April 1945
den Obelisk – an der Spitze mit einer gläsernen
roten Fahne der Sowjetunion. Es war das erste Denkmal in Deutschland,
das an ihre ermordeten, verstorbenen und verscharrten Kameraden
erinnerte. Mitte der 1950er Jahre – in Hochzeiten des Kalten
Krieges – wurde die Fahne durch ein orthodoxes Kreuz ersetzt.
Vertreter der Landesregierung in Düsseldorf
begrüßten 2005 den Wunsch von Überlebenden,
auf dem Obelisk die gläserne sowjetische Fahne erneut
anzubringen, um damit den authentischen Zustand des am 2. Mai 1945
eingeweihten Denkmals wieder herzustellen. Diesen Konsens stellten 2013
Politiker aus Westfalen in Frage. Ohne die früheren
Häftlinge und den ihre Interessen vertretenden Arbeitskreis
„Blumen für Stukenbrock“
anzuhören, wurde im Dezember 2014 in einer
großen Runde von Politikern in der Landeshauptstadt
entschieden, das orthodoxe Kreuz an der Spitze zu belassen.
Für mich richtete sich dieser bizarre
„Flaggenstreit“ letztendlich gegen den
„letzten Willen“, gegen das Testament der
hochbetagten früheren Insassen des Lagers, was ich sehr
bedauere. Unter dem roten Banner mit Hammer und Sichel haben
sowjetische Soldaten ihr Vaterland verteidigt und gemeinsam mit den
Alliierten Europa vom Naziregime befreit. Diese Fahne war in den
Kriegsjahren für Churchill, Roosevelt, De Gaulle und
für Millionen Menschen ein Hoffnungszeichen. Dies gilt ebenso
für viele Widerstandskämpfer in Deutschland, auch
für meine Eltern. Sie wurden wegen ihrer Mitarbeit in
Widerstandskreisen der „Roten Kapelle“, zum Tode
verurteilt und in Plötzensee hingerichtet. Ich habe sie mein
Leben lang vermisst.
In das heutige Gedenken möchte ich auch
die Gefangenen einbeziehen, die im Herbst 1941 in Konzentrationslagern
ermordet wurden. Im Juli 1941 wurden auf deutschen
Truppenübungsplätzen Lager für über
120.000 sowjetische Kriegsgefangene eingerichtet. SS-Einsatzkommandos
überprüften sie vor ihrem Zwangsarbeitseinsatz und
sonderten willkürlich entgegen den Genfer Konventionen
Verdächtige aus. Es handelte sich um Juden,
"Intelligenzler”, Funktionäre der Kommunistischen
Partei, "Aufwiegler”, "fanatische Kommunisten” und
auf Wunsch der Wehrmacht sogar unheilbar Kranke. Die Entlassung von
Gefangenen aus der „Obhut“ der Wehrmacht in die
Verfügungsgewalt des Sicherheitsdienstes war die Voraussetzung
für die darauf folgende Mordaktion. Nach Bestätigung
durch die Gestapoleitstellen wurden die Gefangenen, zur
„Sonderbehandlung“ in die Konzentrationslager
überstellt. An die KZ-Kommandanten erging der Befehl, die
Kriegsgefangenen nach ihrer Ankunft zu exekutieren. In Sachsenhausen
wurde in einer nahe dem Lager gelegenen Baracke eine Genickschussanlage
errichtet und hinter der Baracke vier transportable Feldkrematorien
aufgestellt. Das Oberkommando der Wehrmacht lieferte Öl
für die Feuerung der Öfen und Pistolenmunition.
Über 10.000 Kriegsgefangene wurden im Herbst 1941 Opfer des
Massakers. Der aufsteigende Rauch von verbranntem Menschenfleisch legte
sich bei Windstille über das Lager und den nahegelegenen Ort
Sachsenhausen bis nach Oranienburg. Kinder riefen auf den
Straßen SS-Angehörigen
„Russenbrenner“ nach. Über 4.000 weitere
ausgesonderte Gefangene wurden auf dem SS-Schießplatz
Herbertshausen nahe bei Dachau erschossen und 8.000 per Genickschuss in
Buchenwald getötet, davon 4.000 aus Stukenbrock. Die 1500 in
Auschwitz durch den Ersteinsatz von Zyklon B ermordeten sowjetischen
Kriegsgefangenen erwähnte Joachim Gauck am 27. Januar
anlässlich der Gedenkfeier im Bundestag zur Befreiung des
Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee vor 70 Jahren.
Ich habe den Eindruck, dass sich in diesem Jahr
der Umfang der Berichterstattung aber auch der Ton verändert
hat, in dem über die Rotarmisten und das Schicksal
der sowjetischen Kriegsgefangenen berichtet wurde. Am 8. Mai gedachte
der Bundespräsident in der
Kriegsgräberstätte im Brandenburgischen Lebus der
sowjetischen Soldaten, die im Kampf um die Befreiung Deutschlands
gefallen waren. Es folgte am 10. Mai der Besuch von Angela Merkel am
Mahnmal des unbekannten Soldaten in Moskau. Sicherlich sind all dies
wichtige Gesten in Zeiten zunehmender Konfrontation zwischen Russland
und Deutschland. Die Politik benötigt jedoch nicht nur
Symbole. Aus der Erinnerung an die Verbrechen des Naziregimes heraus
erwächst eine historische Verantwortung, alles für
die Bewahrung des Friedens in der Welt zu tun. Es geht auch um den
inneren Frieden, gilt es doch Menschen in Deutschland zu
schützen, die in größter Not aus
Kriegsgebieten geflohen waren. Neonazis, Wut- und Hassbürgern
greifen Flüchtlinge an, ihre Unterkünfte brennen. Die
NPD als geistiger Brandbeschleuniger sollte nicht weiter von V-Leuten
des Verfassungsschutzes alimentiert sondern endlich verboten werden.
Der kriegerische Konflikt in der Ukraine
hinterlässt bei Veteranen der Roten Armee einen
großen Schmerz. Zum 1. September 2014 riefen zwei
ehemalige sowjetische Kriegsgefangene in einem Friedensappell
zur Versöhnung zwischen Ukrainern und Russen auf:
Wir Veteranen der Roten Armee gerieten als
Frontkämpfer in deutsche Gefangenschaft. Wir sind
Überlebende eines Menschheitsverbrechens, dem über
drei Millionen unserer Kameraden zum Opfer fielen. Wir
überlebten, weil wir solidarisch waren. Russen, Belorussen,
Ukrainer, Kaukasier, Mittelasiaten teilten das gleiche Schicksal in den
Lagern der Wehrmacht und halfen sich brüderlich. Wir alle
riefen nach der Befreiung dasselbe: NIE WIEDER KRIEG! Es ist eine
einfache Lehre, die wir aus unserer harten Lebensgeschichte ziehen:
Nationaler Egoismus, Nationalismus ist die Keimzelle des Unfriedens
zwischen Nachbarvölkern. Die Deutschen haben dies gelernt und
leben in friedlicher Union mit ihren einstigen Feinden. Wir
sowjetischen Kriegsveteranen glaubten nach der Befreiung, alle
Bürgerinnen und Bürger unserer multinationalen Union
hätten als Überlebende und Besieger des
faschistischen Terrors umso mehr gelernt. Unvorstellbar war der
Gedanke, dass sich dereinst unsere Völker in Hass und
nationalem Dünkel gegenüber stünden. Es
heißt, wir seien Brudervölker. Wer ist hier Kain,
wer Abel? Die Medien beider Länder nennen die einen
„Terroristen“, die andern
„Faschisten“.
Besinnt Euch! Erstickt Euren Hass, redet
miteinander statt aufeinander zu schießen! Blickt
zurück: Krieg und Stalinismus belasteten Russen und Ukrainer
gleichermaßen. Die Nazis wollten uns gegeneinander hetzen, um
beide Seiten besser zu beherrschen. Wo es ihnen gelang, floss auf
beiden Seiten Blut. Ihr jungen Leute mit der Kalaschnikow in
ungeübter Hand, respektiert Eure Großväter,
die mit ihrer Waffe einen wirklichen Feind vertrieben. Hört
auf uns, die in faschistischen Lagern das wenige Brot miteinander
teilten. Benehmt Euch wie Mitglieder einer Familie, in der man sich
streitet im Bewusstsein gegenseitigen Respekts und sich wieder
verträgt.
Macht endlich Frieden miteinander!
Nikolaj Lebedew, Russland Semen, Iwtschenko,
Ukraine.
Verbreiten wir ihr Vermächtnis, die
Botschaft des Friedens und der Versöhnung in einer von Kriegen
bedrohten Welt.
Die
Eröffnungsrede von Werner Höner,
Dokumentationsstätte Stalag 326
Vor Beginn: Liedbeitrag von Wolfgang Mac Gregor
mit seiner Gitarre
Eröffnungsrede
zur Mahn- und Gedenkveranstaltung am 5.09.2015 auf dem Sowjetischen
Soldatenfriedhof in Stukenbrock
Entschuldigung der Vorsitzenden
Begrüßung der Teilnehmer:
Prof.Dr. Naumow und seine Ehefrau Valentina.
Prof. Dr. Naumow, der als 13 jähriger
Junge im Jahr 1941 aus Minsk von der Wehrmacht nach Brackwede zur
Zwangsarbeit verschleppt wurde und in einem Außenlager des
Stalag 326 leben musste. Er stand am 2.Mai 1945 bei der Einweihung
dieses Obelisken hier an dieser Stelle.
Ganz herzlich begrüßen wir den
neuen Generalkonsul der Russischen Föderation, Herrn Vladimir
Sedykh,
Herrn stellvertr. Bürgermeister der Stadt
Schloß Holte-Stukenbrock Herrn Heinz- Wilhelm Tzschentke.
Wir begrüßen die Mitglieder des
Deutschen Bundestages, Herrn Blienert und Frau Höger
Mitglieder des Landtages von NRW, der Landesschülervertretung
sowie Vertreter von Parteien und Gewerkschaften.
Eröffnungsrede:
Unsere heutige Mahn- und Gedenkveranstaltung hier
am Obelisken findet genau der Stelle statt, an der am 2. Mai 1945 die
Einweihung dieses, von den Überlebenden des Stalag 326
gebauten Obelisken stattfand.
Damals waren nur wenige Deutsche dabei. Einer
davon war auch der Stukenbrocker Antifaschist Heinrich Henkenjohann,
der an dem Denkmal kräftig mitgearbeitet hat. Die
Überlebenden haben seine Hilfe immer wieder anerkennend
erwähnt.
Der Obelisk wurde seitdem dankenswerter Weise des
Öfteren restauriert.
Aus politischen Gründen aber wurde er
nicht wieder so hergestellt, wie ihn die Überlebenden gebaut
hatten. Sie gaben dem oberen Abschluss dieses Denkmals symbolisch als
Zeichen des Sieges der roten Armee über den Faschismus die
Form eines Bajonetts mit der Fahne ihres Sieges.
Die Glasplastik der roten Fahne wurde im Kalten
Krieg ohne Zustimmung der Erbauer des gegen ein orthodoxes Kreuz
ausgetauscht. Obwohl 2005 und 2012 die Landesregierung signalisierte,
der Bitte der Überlebenden entsprechend die Spitze des
Obelisken wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu
versetzen, brach sie ihr gegebenes Versprechen im vergangenen Jahr.
Wir bedauern das sehr. Den Überlebenden,
die den Antrag gestellt hatten, teilte man bis heute nicht einmal die
Gründe für das Nichteinhalten ihres Versprechens mit.
Wir haben es begrüßt, dass
erstmalig am 6. Mai in diesem Jahr der Bundespräsident
anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung, den Weg hier
nach Stukenbrock fand um der 65.000 Toten zu gedenken.
Seine Rede fand große Beachtung.
Offiziell würdigte er darin u.a. das Engagement unseres
Arbeitskreises.
Er sagte: „Damit die Erinnerung nicht
verwelkt, darum gab und gibt es die Initiative Blumen für
Stukenbrock“. Natürlich würdigte er auch
das Engagement der Dokumentationsstätte.
Es wäre gut, wenn es nun zur
Normalität würde, dass sich die
Repräsentanten unseres Landes hier vor den Toten verneigen
würden,
dass sie die Mahnung von Stukenbrock
„und sorget Ihr, die Ihr noch im Leben steht, das Frieden
bleibt, Frieden zwischen den Menschen, Frieden zwischen den
Völkern“ allseitig zur Richtschnur deutscher Politik
machen würden.
Ja es wäre notwendig, wenn man sich jetzt
entschließen würde, den 8. Mai zu einem gesetzlichen
Feiertag zu machen.
Wir begrüßen es, dass nun
endlich nach vielen vergeblichen Mühen , auch unseres
Arbeitskreises, der Bundestag im Mai dieses Jahres beschlossen hat, den
noch lebenden ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen eine
Entschädigung zu zahlen.
70 Jahre mussten diese Menschen warten, bis ihnen
eine symbolische Anerkennung zugesprochen wurde. Im Herbst soll mit der
Auszahlung begonnen werden. Unabhängig davon werden wir unsere
Solidarität mit den Überlebenden des Stalag 326
fortsetzen. Dazu sind uns Spenden stets willkommen.
Ich bitte sie nun, sich von den Plätzen
zu erheben und in einer Schweigeminute der hier zu Tode
gequälten Menschen zu gedenken. In dieses Gedenken beziehen
wir alle Opfer des Faschismus und des von ihm aus ausgelösten
Krieges ein.
Wir gedenken der zahllosen Opfer der Kriege und
nicht zuletzt der Menschen, die auf der Flucht vor den Schrecken der
Kriege ihr Leben lassen mussten.
Wir meinen, dass es auch 70 Jahre nach dem Ende
des 2. Weltkrieges unerlässlich ist, gerade hier in
Stukenbrock Erwartungen an die Politik zu richten, so wie wir das seit
1967 tun!
Heute geht es erneut um nichts Geringeres als um
den Frieden! Ich denke hier u.a. an die Ukraine:
Wir sagen: Nur mit Russland wird es einen sicheren
Frieden in Europa geben. Die Menschen in Russland müssen
wissen, dass ihre Sorgen bei uns im Westen ernst genommen werden. Ihnen
ist es nicht gleichgültig, dass inzwischen entgegen dem
Versprechen des Westens im Zusammenhang mit der deutschen
Wiedervereinigung Soldaten der NATO an ihren Grenzen üben.
Wir sind davon überzeugt, dass Sanktionen
gegen Russland nur das Klima verschlechtern und Waffenlieferungen an
die Ukraine nur die vorhandene Kriegsgefahr verschärfen
würden.
Ja, das Völkerrecht sollte für
alle gelten. Für die NATO- Staaten und ihre Politiker und
natürlich auch für Russland!
Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie
ihren Einfluss international geltend macht, dass alle Seiten alle
Verpflichtungen des Minsker Abkommens über die Waffenruhe in
der Ukraine erfüllen!
Von der Bundesregierung erwarten wir auch, dass
sie auf den NATO-Partner Türkei mehr Druck ausübt,
dass dieser endlich mit dem Krieg gegen das Volk der Kurden
aufhört! Nicht die Kurden, sondern der IS bedroht den Frieden
in der Region und darüber hinaus.
Uns alle berührt sehr das Schicksal der
vielen Menschen, die gegenwärtig vorwiegend durch die Kriege
im Nahen Osten und in Afghanistan ihre Heimat verlassen mussten und die
bei uns Asyl beantragen. Ihnen gehört unsere
Solidarität. Rassismus, Fremdenhass und
Ausländerfeindlichkeit werden stets auf unseren Widerstand
stoßen.
Es wird endlich Zeit, dass gerade die Staaten
Westeuropas und der USA solche Hilfen in den Heimatländern
dieser Menschen leisten, damit sie dort eine Zukunft haben. Auch hier
ist Frieden das erste Gebot.
70 Jahre nach der Befreiung arbeiten wir weiter
gegen das Vergessen!
Sorgen wir gemeinsam dafür, dass die
Blumen von Stukenbrock niemals verwelken, wie es der unvergessliche
Günter Gaus einmal formuliert hat.
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