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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

27.08.2015

Presseerklärung des DISS: An jedem Tag ereignen sich in Deutschland Anschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte: Das Problem heißt Rassismus

Über 200 Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte wurden allein im ersten Halbjahr 2015 vom bundesdeutschen Innenministerium gezählt. Das bedeutet, dass in diesem Jahr in Deutschland jeden Tag Anschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte verübt wurden. Mit großer Sorge beobachten wir, das Duisburger Institut für Sprache und Sozialforschung, dass die weit verbreitete öffentliche Stimmung gegen Geflüchtete auch durch Äußerungen bundesdeutscher Politikerinnen begünstigt wird. Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung schreibt weiter:

Hier ist zum Beispiel Horst Seehofer zu nennen, der unlängst von „massenhaftem Asylmissbrauch“ sprach. Mit dem Vorschlag separater „Auffanglager“, mit den Forderungen, weitere Balkanstaaten zu „sicheren Drittländern“ zu erklären, Personenkontrollen an innereuropäischen Grenzen wieder einzuführen und „Einreisesperren für Ausgewiesene“ zu erzwingen und mit der Sachleistungsdiskussion wird der Auffassung Vorschub geleistet, es seien die Flüchtlinge selbst, die eine rassistisch aufgeladene Stimmung provozierten. All dies erinnert uns fatal an die Zustände in Deutschland in den frühen 1990er Jahren – auch wenn wir durchaus Unterschiede bemerken.

Damals schlossen sich die bundesdeutschen Medien nahezu durchgängig an einen rassistisch aufgeladenen Diskurs an und befeuerten diesen. Dies ist heute in dieser Breite nicht der Fall. Jedoch ist in den Medien auch derzeit von „Ansturm“ und „Flüchtlingsströmen“ die Rede. Nahezu ein Konsens ist die angebliche „Überschreitung der Belastungsgrenze“. Die hohe Zahl der Flüchtlinge erzeuge einen Staatsnotstand. Die Bilder, die damit hervorgerufen werden, sind dazu geeignet, die Situation zu verschärfen und Menschen als bedrohliche Massen wahrzunehmen. Auch ist es eine unverantwortliche Verharmlosung, wenn rassistische Protagonistinnen als „Asylgegner“ oder „Asylkritiker“ und rassistische Angriffe als „Protest“ bezeichnet werden. Mehrheitlich schließen sich die Medien auch heute den Vorstellungen der Politik an, wenn sie z.B.

eine Beschleunigung der Asylverfahren fordern, da andernfalls die Stimmung in der Bevölkerung zu „kippen“ drohe, wobei mit „Beschleunigung“ oftmals euphemistisch ein weiterer Abbau von Rechtsstaatlichkeit in Asylverfahren bezeichnet wird. Nicht zu übersehen ist aber auch, dass sich viele Medien bemühen, einer eskalierenden rassistischen Aufladung des Diskurses entgegenzusteuern, indem offen rassistische Äußerungen kritisiert und zurückgewiesen werden.

Im Hinblick auf die deutsche Wirtschaft wird die derzeitige Situation widersprüchlich beurteilt. So stellte Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn Anfang des Jahres gegenüber der FAZ Einwanderung als Verlustgeschäft für die deutsche Wirtschaft dar. In einer Klarstellung ruderte er dann in einem Spiegel-Online-Interview zurück: Migration sei wichtig für die Rentenproblematik und den Arbeitsmarkt – aber nur, wenn nicht zu viele Geringqualifizierte kämen, die der Sozialstaat als „subventionierte Billiglöhner“ ins Land locke. Das sei teuer und verschärfe die sozialen Probleme. Er fordert deswegen eine hinreichend qualifizierte Migration aus EU-fernen Drittländern.

Auf diese Weise werden die Menschen, die zurzeit nach Deutschland kommen in zwei Gruppen unterteilt: ‚nützlich für unsere Gesellschaft‘ und ‚schädlich für unsere Gesellschaft‘. Deutschland formuliert einen Anspruch auf „nützliche Einwanderer“ und damit diese möglichst wenige Ansprüche an Deutschland formulieren können, sollten sie besser aus EU-fernen Drittländern kommen – und natürlich „hinreichend qualifiziert“ sein.

Die Entwicklung der extremen Rechten, die wir seit nunmehr 28 Jahren in unserem Institut beobachten und analysieren, lässt uns die augenblickliche Situation als im wahrsten Sinne des Wortes „brandgefährlich“ erleben.

So fertigten Neonazis der Kleinstpartei „Der III. Weg“ im März 2015 eine interaktive Landkarte an, auf der bundesweit über 2000 Flüchtlingsunterkünfte eingetragen wurden. „Der III. Weg“ ist eine Organisation, die sich nach dem Verbot militanter neonazistischer Kameradschaften gründete und inzwischen in etlichen Bundesländern aktiv ist. Wir werten diese Karte als eine Veröffentlichung potentieller Anschlagsziele. Im Rahmen ihrer Kampagne gegen Flüchtlinge wurde von dieser Partei eine Broschüre veröffentlicht, die eine Anleitung erhält, wie Neonazis, getarnt als Bürgerinitiativen, gegen Flüchtlingsunterkünfte vorgehen sollen, um die Stimmung innerhalb der Bevölkerung gegen Flüchtlinge anzuheizen. Vor diesem Hintergrund ist es alarmierend, dass Pegida auch nach fast einem Jahr regelmäßig mit mehreren tausend Menschen in Dresden aufmarschiert. Das Kalkül der extremen Rechten scheint aufzugehen.

In unseren Studien zum alltäglichen Rassismus haben wir festgestellt, dass rassistische Einstellungen nicht zwingend daran gebunden sind, ob es viele oder wenige Migrantinnen in einer Region gibt. Vielmehr zeigen rassistische Einstellungen das Bestreben, die eigene Vormachtstellung zu erhalten und zu sichern. Deshalb gilt heute wie in den 1990er Jahren auch: Das Problem heißt Rassismus.

Während Geflüchtete durch rassistische Agitationen bedroht werden, grenzt ihre „Unterbringung“ an eine humanitäre Katastrophe. Mitten in einem der reichsten Länder der Welt werden Zeltstädte oder Container errichtet, aus zahlreichen Unterkünften wird berichtet, dass den Geflüchteten nicht ausreichend Nahrung, Wasser und Hygieneartikel zur Verfügung gestellt werden und die Menschenrechte auf Gesundheit und Privatsphäre außer Kraft gesetzt sind. Wer solch einen künstlichen Notstand erzeugt, ist mitverantwortlich für die Taten der rechtsterroristischen Brandstifter.

Statt die Rechte von Geflüchteten noch weiter einzuschränken, muss es um den wirksamen Schutz von Flüchtlingen gehen. Deshalb sollten sich sowohl die zivilgesellschaftlichen wie auch die institutionellen Kräfte darauf konzentrieren, jedwede Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte zu verhindern und die Würde des Menschen zu achten.

http://www.disskursiv.de/2015/08/25/diss-presseerklaerung-das-problem-heisst-rassismus/

Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung e.V.