31.07.2015
Bundestag verschärft
Asylrecht: Geistige Brandstifter und reale Feuerteufel
Es brennt in Deutschland.
Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte nehmen weiter zu.
In Dresden-Friedrichstadt wurden am 24. Juli drei DemonstrantInnen, die
gegen einen NPD-Aufmarsch vor einer DRK-Notunterkunft für
Flüchtlinge aus Syrien protestierten, von Rechtsradikalen
angegriffen und verletzt.
Der Fremdenhass eskaliert – Hetze und
Gewalt nehmen dramatische Ausmaße an. Lübeck, Vorra,
Freital, Meißen, Reichertshofen, Mengerskirchen –
diese Städte und Gemeinden haben eines gemein-sam: Bevor
Menschen dort Schutz vor Krieg und Verfolgung finden konnten, wurden
ihre Unter-künfte mit Naziparolen beschmiert und
angezündet.
Zuletzt tobte in Freital bei Dresden wochenlang
eine Auseinandersetzung um eine Erstaufnahme-einrichtung.
Rechtsradikale »Wutbürger«, unter ihnen
Pegida-Chef Lutz Bachmann, erzeugten eine progromartige Stimmung. 30
Kilometer entfernt brannte es in der Domstadt Meißen in einer
Unter-kunft, in die 35 AsylberwerberInnen einziehen sollten. Dies
geschah wenige Stunden, nachdem sich der rechte Mob, die
»Initiative Heimatschutz«, zusammengerottet hatte.
In Böhlen, südlich von Leipzig, schossen Unbekannte
auf ein Flüchtlingsheim.
Die Bundesregierung registrierte im Jahr 2013
offiziell 55 Angriffe auf Flüchtlingsheime durch
rechtsmotivierte Täter, in 2014 waren es schon 198 –
ein Anstieg um nahezu das Vierfache. Im ersten Halbjahr 2015 wurden
nach Angaben des Bundesinnenministeriums bereits 202 Attacken auf
Flücht-lingsunterkünfte verübt.
Organisationen wie »Pro Asyl« vermelden eine noch
höhere Zahl von Angriffen: Demnach kam es bereits 2014 neben
36 Brandstiftungen zu 211 Übergriffen, darunter Straftaten wie
Sprengstoffanschläge, Hausfriedensbruch,
Körperverletzung, Sachbeschädigung. Die Amadeu
Antonio Stiftung, die sich dem Kampf gegen rechte Gewalt verschrieben
hat, listet für 2014 darüber hinaus 292
flüchtlingsfeindliche Kundgebungen auf. [1]
Die Zunahme der Anschläge hängt
mit dem Niedergang der NPD zusammen. In ihrer Hochburg Sachsen flog sie
im letzten Jahr aus dem Landtag. Damit scheiterte ihre Strategie,
über die parlamentarische Arbeit zu wachsen. Jetzt nutzt die
NPD die steigende Zahl von Flüchtlingen, um neue
Anhänger zu mobilisieren. So initiiert sie beispielsweise
Bürgerinitiativen besorgter Nachbarn wie, »Nein zum
Heim in Köpenick« oder »Freital wehrt
sich«.
Künstleraktion in Freital/Sachsen,
Quelle: Dies Irae Facebook
Als indirekte Aufforderung, Aktionen gegen die
»Überfremdung« selbst in die Hand zu
nehmen, diente bis vor kurzem [2] eine von Neonazis auf der
Internetseite von Google eingepflegte Deutschlandkarte mit dem Titel
»Kein Asylantenheim in meiner Nähe«.
Darauf waren Hunderte Standorte von
Flüchtlingsunterkünften mit exakter Adresse und
Zusatzinformationen zum Gebäude wie Umbaukosten und Anzahl der
Bewohner verzeichnet.
Während die rechten Hetzer ungehindert
agieren, verstärken Teile der Berliner Großen
Koalition mit ihrer „Politik der Abschottung“ die
Ressentiments gegenüber Flüchtlingen. Sie
schüren in jenen Teilen der Bevölkerung, die vom
Anwachsen der »Flüchtlingsströme«
beunruhigt sind, eine ablehnende, ja feindselige Haltung. Gleichzeitig
wiegeln Biedermänner und geistige Brandstifter mit ihrer
rechtspopulistischen Rhetorik die Menschen auf und liefern den realen
Feuerteufeln die Brandbeschleuniger für ihre
schändlichen Taten.
Wenn der bayerische Ministerpräsident
Horst Seehofer heute erneut, wie das die deutsche Politik schon vor 25
Jahren getan hat, von »massenhaftem Asylmissbrauch«
schwadroniert, muss er sich nicht wundern, wenn heute wie damals,
Flüchtlingsunterkünfte brennen. Heribert Prantl
kommentiert in der Süddeutschen Zeitung: »Man hatte
gehofft, die Politik habe gelernt, dass es
flüchtlingsfeind-liche Hetze wie damals nicht mehr geben darf;
aber die CSU ist offenbar unbelehrbar. « (20.7.2015)
Nicht nur die CSU. Die rechtskonservativen
Kräfte in der Bundesrepublik benutzen seit Anfang der 1990er
Jahre, als sich die rassistischen Gewalttaten in Hoyerswerda und
Rostock-Lichtenhagen zu regelrechten Pogromen gesteigert hatten, die
gleiche Strategie. Sie bedienen mit ihrem Gerede von
»Asylmissbrauch« und drohender
Überfremdung« die Vorurteile jener Bürger,
die Flüchtlinge als Eindringlinge und Schmarotzer betrachten.
Zugleich schaffen sie in diesem aufgeheizten Klima gesetzliche Fakten,
indem sie das Asylrecht verschärfen.
Anfang Juli verabschiedete der Bundestag das
»Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der
Aufenthaltsbeendigung«. Nach Auffassung von Experten ist
dieses Gesetz die einschneidendste Verschärfung seit der
Asylrechtsänderung im Jahr 1993.
Das Positive vorweg: Jungen Flüchtlingen,
die bisher alle sechs Monate zur Ausländerbehörde
gehen müssen, um ihre Duldung verlängern zu lassen,
kann, wenn sie eine Ausbildung machen, die Duldung für die
Dauer ihrer Lehre verlängert werden. Eine sichere
Aufenthaltserlaubnis ist das jedoch nicht. Erleichterungen gibt es auch
für Ausländer, die seit vielen Jahren mit einer
Duldung in Deutschland leben. Wenn sie gut integriert sind und ihren
Lebensunterhalt selbst bestreiten können, kann ihnen unter
bestimmten Bedingungen eine gesicherte Aufenthaltserlaubnis erteilt
werden.
Alle anderen Bestimmungen des neuen
Aufenthaltsgesetzes laufen auf eine Kriminalisierung der
Flüchtlinge hinaus und zwar einschließlich der
Möglichkeit ihrer umgehenden Inhaftierung. In Zukunft soll
u.a. in Abschiebehaft genommen werden können, wer hohe
Geldsummen an Schleuser gezahlt hat. Im Gesetzestext wird das damit
begründet, dass ein Flüchtling, der viel Geld
für seine Einreise nach Deutschland investiert hat,
verdächtig ist, sich seiner Auslieferung zu entziehen.
Verhaftet werden können auch diejenigen,
die ihre Identität per »Unterdrückung oder
Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten«
verschleiern. Dies trifft vor allem jene, die ohne ihre Papiere fliehen
mussten. Das neue Gesetz ermöglicht die Internierung von
Flüchtlingen, die über Ungarn oder Italien nach
Deutschland gekommen sind. Flüchtlinge, die aufgefordert
worden sind, Deutschland zu verlassen, können vier Tage vor
ihrem Abschiebetermin in Gewahrsam genommen werden.
Das alles beinhaltet ein Gesetz, das den
Aufenthalt von Menschen regeln soll, die ihre Heimat
verließen, weil sie politisch verfolgt wurden oder vor
menschenunwürdigen Verhältnissen in den
Kriegsgebieten geflohen sind, um sich in Europa eine neue Zukunft
aufzubauen. Tatsächlich ist seit der ersten Änderung
des Asylparagrafen 16 jede sogenannte Reform der Asyl- und
Aufenthaltsgesetz-gebung nichts als eine Verschärfung der
inhumanen Haltung gegenüber Schutzsuchenden.
Die Absurdität der deutschen Asylpolitik
wird nur noch von der bayerischen Staatsregierung übertroffen,
die nach Verabschiedung des Gesetzes sofort die Einrichtung von zwei
neuen »Asylzentren für Flüchtlinge mit
geringer Bleibewahrscheinlichkeit« an ihren Landesgrenzen zu
Südost-Europa verkündete. In diesen Abschiebelagern
sollen vor allem Asylbewerber aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten
wie Serbien, aber auch aus Albanien, Kosovo und Montenegro interniert
werden. In beschleunigten Verfahren sollen sie möglichst
schnell wieder in ihre Heimat abgeschoben werden.
Diese Politik der Abschreckung findet nicht nur
die ungeteilte Zustimmung der Bundesregierung, sondern fällt
auch beim Deutschen Städte- und Gemeindebund auf fruchtbaren
Boden, denn dies könne, so der
Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg im WDR-Radio,
»die Städte und Gemeinden entlasten, die an die
Grenze ihrer Leistungsfähigkeit geraten sind«.
Natürlich sind die Probleme der Kommunen real und mit den
Mitteln vor Ort nur schwer beherrschbar.
Doch so wie es aussieht, sind die politischen
Hauptkräfte – die sich zunehmend unter
rechtspopulistischem Druck wähnen – kaum zu
Verfahrensänderungen in der Lage. Politik erweist sich hier
nicht als Bewältigung eines Notstands, sondern als Teil
desselben.
[1] Vgl. Rassistische Gewalt gegen
Flüchtlinge nimmt dramatisch zu. www.mut-gegen-rechte-gewalt.de,
30.6.2015.
[2] Inzwischen hat Google auf die Proteste
reagiert. Wie der Internetkonzern über Twitter verlauten
ließ, wurde die Karte gelöscht www.netzwelt.de
21.7.2015.
Kommentar
von Otto König, ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG
Metall (Hattingen) und Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift
Sozialismus (Hamburg) auf www.sozialismus.de
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