22.07.2015
Ein Mutmacher
Ulrich Schneider, Generalsekretär der FIR, über antifaschistischen Kampf gestern und heute im Neuen Deutschland.
Der Mut des Einzelnen: Nur
ein Werftarbeiter verweigert bei der Taufe eines Schiffs in Hamburg am
13. Juni 1936 den Hitlergruß. Foto: ND-Archiv
Was kann uns die Erinnerung an diesen, über 70 Jahre zurückliegenden Kampf heute noch sagen?
Sehr viel. Zum einen verdankt sich unsere Demokratie in
starkem Maße dem Kampf europäischer Antifaschisten gegen die
NS-Herrschaft. Zum anderen kann der antifaschistische Widerstand auch
»Mutmacher« für heute sein - für die
Auseinandersetzungen mit Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und
Rechtspopulismus, Neofaschismus und Antisemitismus, gegen
Kriegspolitik, soziale Ungerechtigkeiten, für Frieden und für
eine solidarische Gesellschaft.
Auf Solidarität hoffte
das griechische Volk dieser Tage vergebens. Ist das auf Druck von
Berlin den Griechen diktierte, rigide Sparprogramm ein Thema in der
Fédération Internationale des Résistants?
In der FIR diskutieren wir seit vielen Jahren die
griechische Situation - nicht erst seit der Euro-Krise. Den Aufschwung
der rechtsextremistischen Partei »Goldene Morgenröte«
und die verhängnisvolle Politik der vorherigen Regierungen haben
wir öffentlich kritisiert. Die FIR unterstützt vorbehaltlos
die Forderung der Angehörigen von Opfern faschistischer Verbrechen
nach Entschädigung wie auch die Forderung nach Rückzahlung
der Zwangskredite. Was die gegenwärtige Erpressungspolitik der
EU-Regierungschefs betrifft, so sind wir solidarisch mit dem
griechischen Volk, das in dem Referendum deutlich »Oxi«
gesagt hat.
Diskussionen gibt es in der FIR aber, wie eine
Gegenstrategie aussehen muss. Die Mehrheit der griechischen
Verbände unterstützt die Haltung der KKE zur
grundsätzlichen Abkehr von der EU, während andere
FIR-Verbände für eine aktive Einflussnahme auf die
europäischen Institutionen und die Zusammenarbeit mit
antifaschistischen Abgeordneten im Europäischen Parlament
plädieren.
Im EU-Parlament ist der Einfluss rechtpopulistischer, nationalistischer Parteien enorm gestiegen.
Gerade weil extreme Rechte und rechtspopulistische
Kräfte im Europäischen Parlament deutlich an Einfluss
gewonnen haben, so auch durch die Gründung einer eigenen Fraktion
der vor wenigen Wochen, können wir als internationale
antifaschistische Organisation nicht schweigen. Wir sind zutiefst
beunruhigt. Spätestens im Frühjahr 2016 wollen wir gemeinsam
mit Abgeordneten verschiedener linker und demokratischer Fraktionen ein
politisches Hearing zum Thema organisieren, das der Bestandsaufnahme
und der Debatte dienen soll. Das wird gewiss interessant, da in den
verschiedenen europäischen Ländern sehr unterschiedliche
gesellschaftliche Kräfte über antifaschistische Strategien
diskutieren. FIR erhebt keinen »Alleinvertretungsanspruch«
in Sachen Antifaschismus, sondern versteht sich als ein europaweites
Netzwerk, das sich anbietet, diverse antifaschistische
Handlungsansätze und Aktionsformen zusammenzuführen.
Wie schätzen Sie die Erinnerungs- und Gedenkkultur an den antifaschistischen Widerstand in Deutschland ein?
Insbesondere das Jahr 2015 hat gezeigt, dass das
Interesse der gesellschaftlichen Öffentlichkeit und besonders der
nachgeborenen Generationen an der Erinnerungsarbeit zum deutschen
Faschismus ungebrochen ist. Die Monstrosität der Verbrechen gegen
die Menschlichkeit, die Massenvernichtung und die Kriegsverbrechen
werden als Mahnung und Verpflichtung wahrgenommen.
Alles gut also? Keine Defizite oder Desiderata in der Erinnerung?
Doch, die gibt es. Ein Desiderat ist die Erinnerung an
diejenigen Frauen und Männer, die tatsächlich und von Anfang
an gegen das verbrecherische Hitler-Regime Widerstand geleistet haben.
An sie wird immer noch deutlich weniger erinnert als etwa an die Opfer
der NS-Rassenpolitik oder an Stauffenberg und seine Mitstreiter. Zudem
fordert die schwindende Zahl von Zeitzeugen, wie zum 70. Jahrestag
besonders deutlich wurde, neue Überlegungen zur Weitergabe ihres
Vermächtnisses. Mit der Erarbeitung der Ausstellung
»Antifaschistischer Widerstand in Europa 1922 - 1945«, die
in diesem Jahr bereits in Bremen, Hamburg und Berlin für jeweils
mehrere Wochen gezeigt worden ist, hat FIR einen wichtigen Schritt
getan. Und der dieser Tage erschienene Katalogband trägt
sicherlich dazu bei, deren Inhalte und Materialien dauerhaft und an ein
größeres Publikum weiterzugeben.
Nach unserer Erfahrung stoßen verschriftlichte
oder vertonte Berichte von Zeitzeugen sowie von Angehörigen der
zweiten und dritten Generation auf erfreulich große Resonanz. Wir
werden jedoch weiter daran arbeiten müssen, öffentlich
bewusst zu machen, dass es nicht nur Opfer der faschistischen
Verbrechen gab, sondern Frauen und Männer mit konträren
politischen, religiösen oder gesellschaftlichen Überzeugungen
sich selbst unter den schlimmsten Bedingungen diesen Verbrechen mutig
entgegengestellt haben. Auf diese Weise möchten wir - im Sinne von
Peter Gingold - vor allem jungen Menschen Mut machen, sich für
eine andere, eine bessere, eine solidarischere Welt zu engagieren.
Gibt es eine Positionierung
der FIR zum Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, die unter
deutsch-faschistischer Okkupation die größten Opfer
verzeichneten?
Die Einschätzung des Ukraine-Konfliktes ist
innerhalb der FIR-Verbände nicht einheitlich, es gibt aber
Gemeinsamkeiten. Mit großer Sorge verfolgen wir den massiven
Einfluss der faschistischen Kräfte in der Regierung und auf das
gesellschaftliche Leben des Landes. Wir unterstützen die Minsker
Vereinbarungen, sehen aber, dass Kiew - mit Rückendeckung von
politischen Vertretern der EU und der USA - diesen in vielen Punkten
zuwider handelt. Wir sehen es als eine Aufgabe an, für die
Einhaltung der Minsker Vereinbarungen einzutreten und die politisch
Verantwortlichen der europäischen Staaten aufzufordern, ihren
Einfluss auf die ukrainische Regierung zu nutzen, dass diese endlich
alle darin enthaltenen Verpflichtungen umsetzt.
Zweitens fordern wir, im Dialog mit den Vertretern
Russlands nach Lösungen zu suchen und nicht durch Sanktionen oder
Ausgrenzung - wie bei der aktuellen parlamentarischen Versammlung der
OSZE in Helsinki - die Türen zuzuschlagen.
Russland erhält beängstigenden Zuspruch von rechtsextremer Seite.
In der Tat. Ein verhängnisvolles Ergebnis
ignoranter, konfrontativer Politik ist, dass sich die russische Seite
auch Kräften öffnet, die zur extremen Rechten in Europa
gehören oder Rechtspopulisten sind, die ihr eigenes Süppchen
kochen und noch mehr Unfrieden in Europa stiften wollen. Wenn man
seitens der Europäischen Union nicht will, dass russische Stellen
mit solchen Gruppen konferieren, dann muss man den Dialog führen.
Wir haben jedenfalls in diesem Frühjahr mehrfach das politische
Gespräch mit unseren russischen und ukrainischen Kameraden und
Freunden gesucht und sind auf große Dialogbereitschaft
gestoßen.
Zur Person
Die 1951 in Wien gegründete
Fédération Internationale des Résistants (Internationale Föderation der
Widerstandskämpfer, FIR) ist die Dachvereinigung von Organisationen
ehemaliger Widerstandskämpfer, Partisanen, Angehörigen der
Anti-Hitler-Koalition, Verfolgten des Naziregimes und Antifaschisten
heutiger Generationen aus über zwanzig Ländern Europas und Israels. Mit
deren Generalsekretär Ulrich Schneider.
Mit freundlicher Genehmigung der ND: http://www.neues-deutschland.de/artikel/978467.ein-mutmacher.html
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