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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

16.07.2015

VVN-BdA verurteilt Katastrophenpolitik Berlins und Brüssels gegen das griechische Volk und erklärt sich solidarisch mit ihm

In einer Veranstaltung zur Vorstellung eines Buches zur Erinnerungspolitik erklärte Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA, im Linken Zentrum Lüdenscheids am Donnerstag: Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten fordert, die inhumane Politik der Bundesregierung und der EU gegen das griechische Volk sofort zu beenden. Vor dem Hintergrund der Geschichte kommt es für Deutschland besonders darauf an, humanitären Tragödien in Griechenland zu verhindern. Der Sturz in die Katastrophe muss verhindert werden. Dies auch durch die Rückzahlung der Zwangskredite, die Hitlerdeutschland Griechenland abgepresst hat. Die VVN-BdA erklärt gegenüber den Demokraten und Antifaschisten in Griechenland ihre starke Solidarität und Verbundenheit.

Die Machtpolitik der Bundesregierung erinnert an schlimme Zeiten des rücksichtslosen Wirkens deutscher Politik in der Geschichte. Sie gefährdet den Frieden in Europa, da sie Spannungen zwischen den Völkern schürt.

Wir fordern neben der Rückzahlung der Zwangskredite die Entschädigung der griechischen Juden und der Überlebenden in den griechischen Opfergemeinden, die vom mörderischen Terror der Wehrmacht und SS betroffen waren. Wir fordern Abrüstung und die Sicherung von Mindest-Sozialstandards in der EU auf Kosten der Milliardäre und Bank-Profiteure, die die katastrophale Lage innerhalb der letzten Jahre herbeigeführt haben.

Eine Absage an die brutale Politik, für die besonders Minister Schäuble steht, erfordert auch ein Umdenken in der Justiz.

Nachdem in Lüneburg im Auschwitzprozess nun endlich Abschied genommen wurde von einer Nachkriegsjustiz der selektiven Bestrafung und damit vielfachen Strafbefreiung, soll endlich gelten: Jeder, der in der Mordmaschinerie seinen Platz einnahm, sollte wegen Mord und Beihilfe dazu verurteilt werden. Das erfordert nicht nur die Bestrafung von SS-Leute aus Konzentrationslagern und ihren Helfern, sondern auch der Mitwirkenden an der Mordmaschinerie der Wehrmacht, wie sie in griechischen Städten und Dörfern unbeschreiblich grausam herrschte. Die VVN-BdA verlangt die Wiederaufnahme der Ermittlungen im Falle Komeno und Kephalonia und in anderen Fällen, die von ihr schon vor zehn Jahren beantragt wurden.

Sander berichtete über Bemühungen, Ermittlungsverfahren wieder in Gang zu setzen. So habe der Förderverein Gedenkstätte Steinwache-Internationales Rombergpark-Komitee Strafanzeige gegen Unbekannt, d.h. gegen die Mittäter des  Nazigauleiters Albert Hoffmann erstattet. Im Hotel Dresel in Hagen-Rummenohl hatte Hoffmann seit März  1945 seinen letzten Ausweichsitz eingerichtet. Es ist bekannt, dass er kurz vor Eintreffen der US-Truppen 126 montenegrinische  gefangene Zwangsarbeiter aus der Nähe seines Dienstsitzes „abführen“ ließ, und zwar in seiner Eigenschaft als „Reichsverteidigungskommissar“. Von den abgeführten Gefangenen haben nur zehn überlebt. Erwiesen ist allerdings, dass über 100 Gefangenen nie wieder aufgetaucht sind. Das wurde bei der Dortmunder Sonderstaatsanwaltschaft zur Verfolgung nationalsozialistischer Massenverbrechen angezeigt. Unterlagen aus dem Stadtarchiv Lüdenscheid belasten die Täter.

Die Praxis der deutschen Justiz, Verbrechen alter und neuer Nazis nicht mehr zu verfolgen, wenn der Haupttäter verstorben ist,  überhaupt stets von Einzeltätern auszugehen und mörderische Netzwerke etc. auszuschließen, wird mit dem Urteil vom Mittwoch im Lüneburger Auschwitzprozess endgültig in Frage gestellt. Daher kommt es zu Verfahren der „last chance“ gegen mutmaßliche Mittäter.

Gefragt wird: „ Wohin gerieten die Gefangenen nach dem 5. April 1945? Was geschah in der Woche danach bis zum Eintreffen der US-Truppen? Wurden die Gefangenen ins nahe gelegene Kriegsgefangenenlager Stalag IV A in Hemer gebracht? Starben sie in Hemer?“ Und weiter: „Oder sind sie  unter den Opfern der sogenannten Gestapomorde vom Karfreitag in Dortmund, die in den Monaten März und April 1945 verübt wurden?“

„Wenn auch Albert Hoffman verstorben ist, so dürften noch an der Verhaftung beteiligte Gestapobeamte und mitschuldige Mitarbeiter der Stahlindustrie am Leben sein.“

Sie sollten nun zur Verantwortung gezogen werden.

Die Strafanzeige wird bei der Staatsanwaltschaft unter dem AZ 45 AR 13/15 geführt.

Im Rahmen der Buchvorstellung führte Sander aus:

Ungesühnten Verbrechen dem Vergessen entrissen - Sklavenschicksale neben uns. So könnte das Buch auch überschrieben werden. Wir nannten es: „Der Iwan kam bis Lüdenscheid“. Dieses Protokoll einer Recherche zur Zwangsarbeit, möchte ich hiermit vorstellen. (erschienen bei papy rossa, Köln, ISBN 978-3-89438-582-8, 15,90 Euro plus 1,80 Euro Versandkosten)

Eine Beschreibung des Buches:

Der Autor hatte das Glück, rund  7500 Personalien zu erkunden und damit vermutlich 1500 überlebenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern aus dem Raum Lüdenscheid zu einer Entschädigung verhelfen zu können,  als Mitarbeiter des „Heimatvereins Lüdenscheid e.V.“  und mit Hilfe des Stadtarchivs.  In der Provinz, in einer Industriestadt konnte der Autor pars pro toto - der Teil fürs Ganze - repräsentative Fakten über ein besonders schweres Verbrechen des deutschen Faschismus erarbeiten. Er wirkte in der entscheidenden Phase des Ringens um Zwangsarbeiterentschädigung, als US-Konzerne sich anschickten, mit juristischen Mitteln deutsche Konzerne wegen ihrer Marktvorteile zu Zeiten des Krieges und der NS-Zwangsarbeiterausbeutung vom Markt zu verdrängen. Da wurde es möglich, die  55 Jahre erfolglos aufgestellte Forderung der Opferverbände nach Entschädigung von 13 Millionen Opfern auf die Agenda zu setzen – bis dann 2001 ein entsprechendes Gesetz angenommen wurde. Die Nachweiserbringung wurde auch in Lüdenscheid den Archivaren nicht leicht gemacht. Von Versuchen der Verhinderung des Projekts durch örtliche Wirtschaft und konservative Politik bis zum Einbruch und Datenklau im Rathaus, in den Räumen des Stadtarchiv, falschen Auskünften bis Verweigerungen der Mitarbeit, etwa des größten KFZ-Herstellers (in Spielzeugform), der Fa. Sieper, reichte die Einflussnahme. Der Mord an einer unbekannten Zahl von Montenegrinern auf Befehl des Gauleiters wie an Insassen des Arbeitserziehungslagers Hunswinkel gehört zu den düstersten Enthüllungsgeschichten des Arbeitsjournals, das hier vorgelegt wird und das bisweilen zu einem sehr persönlichen, ungewöhnlichen Tagebuch gerät. Die darin erzählte Geschichte findet auch heute noch keinen Abschluß. Entschädigungsforderungen für sowjetische Zwangsarbeiter mit Kriegsgefangenenschicksal, Forderungen an die Bahn, die Verbrechen der Reichsbahn betreffend, und an die ganze deutsche Republik, den griechischen und italienischen Opfern zu helfen, geraten wieder auf die Tagesordnung. Die Erfahrungen aus diesem Buch aus der Zeit, da Iwan und all die anderen Sklaven bis nach Lüdenscheid kamen, bleiben aktuell.