07.07.2015
VVN-BdA solidarisch mit dem
griechischen Volk
Eine
sehr rechte Regierung in Kiew wird unterstützt, eine linke in
Griechenland wird bekämpft
Wolfgang Dominik aus Bochum
hat für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund
der Antifaschisten (VVN-BdA) auf einer Solidaritätskundgebung
mit dem griechischen Volk gesprochen und die Solidarität der
deutschen Antifaschisten bekundet. Die Haltung der EU und der
Bundesregierung zu Athen und Kiew ist bezeichnenderweise
gegensätzlich: Die ultrarechte Regierung der Ukraine bekommt
jede Hilfe, der Regierung in Athen wird sie verweigert. Hier
die Rede Dominiks im Wortlaut:
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde!
Am 13. Dezember 1943 umstellten faschistische
Truppen die Kleinstadt Kalavrita in den Bergen des Peleponnes. Am
nächsten Tag gab es Kalavrita praktisch nicht mehr.
Als ich vor ein paar Jahren Kalavrita besuchte,
war der erste Weg rauf auf den Kapi-Hügel. Voller Entsetzen
und schluchzend stand ich vor der Gedenkstätte, die in den
sechziger Jahren zum Gedenken an eines von Hunderten von Massakern, das
die Deutschen in Griechenland verübten, errichtet worden war.
600 Namen von vor allem Jungen und Männern ab 12 Jahre
aufwärts sind dort zu lesen, aber auch viele weitere Kinder
bis hin zu Babys, die sich in Todesangst an ihre Väter oder
Großväter oder älteren Geschwister
geklammert hatten, wurden von den Deutschen erschossen. Diese Namen
erinnern dort an die deutschen Verbrechen. So weit vorhanden, waren die
Fotos von den Massakrierten dort zu sehen. In dem ausliegenden
Kondolenzbuch gab es nur sehr wenige deutsche Eintragungen –
zu weit weg von den Feriengebieten liegt Kalavrita, aber ich bin
sicher: Auch mitten in den Feriengebieten würde das die
Mehrzahl der deutschen Touristen nicht auffallen. In der Schule von
Kalavrita waren die Frauen und noch kleineren Kinder eingesperrt.
Wahrscheinlich sollte die Schule angesteckt werden. Wie durch ein
Wunder gelang es den Frauen und Kindern aber eine unbewachte
Tür zu öffnen und in die Berge zu flüchten.
Das Kapital stampft, wie ein Ökonom des
19. Jahrhunderts es formulierte, alle menschlichen Gesetze unter seinen
Fuß, wenn 100 % Profit zu erreichen sind. Wenn 300 % in
Aussicht stehen, riskiert das Kapital jedes Verbrechen. Der deutsche
Faschismus hat diesen Satz millionenfach bestätigt. Kalavrita
ist nur ein Beispiel. Die Mütter und Väter der 1946
gegründeten Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN)
hatten diese Verbrechen am eigenen Leib erlebt. Der faschistische
Staatsterrorismus hat nicht nur Griechenland, aber vor allem auch
Griechenland auf Jahrzehnte gekennzeichnet. Allein im Winter 1941/42
ließen die Faschisten 100.000 Menschen verhungern.10.000
Ortschaften wurden niedergebrannt, die Rohstoffe und Nahrungsquellen
geplündert, die Banken ausgeraubt. Die sog. deutschen
Reparationen in den 50ger Jahren waren lächerlich gering.
Umgerechnet schuldet jeder Deutsche Griechenland noch 875 Euro.
Wir hören und hörten heute in
kurzen Beiträgen, wie intensiv der alle Menschenrechte
missachtende Sozialraub heute in Griechenland durch die sog. Troika,
also den Vertretern des vor allem auch deutschen Kapitals, betrieben
worden ist. Die Hetze gerade auch der deutschen Elitejournalisten in
den „Qualitätsmedien“, die Lügen
der meisten Beiträge im Fernsehen nehmen extreme
Ausmaße an. Kein Wunder, dass fast 90% der Deutschen sich
diese Feindbilder zueigen gemacht haben. Eine mustergültige
Ausnahme war gestern Abend der Monitor-Beitrag – seht ihn
euch in der Mediathek noch mal an. Eine solch intensive
Feindbildproduktion wie gegen die griechische Regierung gibt es
gegenwärtig nur noch gegen Russland. Wann fängt
eigentlich Staats- und Medienterrorismus an? Der Krieg um die
Köpfe wird in aller ideologischen Brutalität
geführt. Wenn Yanis Varoufakis den Umgang der Troika mit der
griechischen Bevölkerung, angeführt von der deutschen
Regierung, als Folterpraxis, als finanzielles Waterboarding bezeichnet,
jaulen fast alle Medien und Politiker schwer gekränkt auf. Die
griechische Regierung wird als Regierung durchgebrannter Spinner, als
Chaos-Truppe, als Versammlung von Halbstarken, als bösartiger
Falschspieler, als üble Pokerrunde, als Haufen von Erpressern
und ähnliches mehr bezeichnet. Ihr hört hier heute,
dass oft das genaue Gegenteil zutrifft. Ihr könnt euch die
Medienanalyse z.B. von Jürgen Link im Netz selbst ansehen.
Als VVN-Mitglied frage ich euch, ob Demokratie
noch irgendwas mit Volksherrschaft zu tun hat. Die Kanzlerin hat
dankenswerter Weise unsere Demokratie „marktkonforme
Demokratie genannt. Heißt das nicht zu gut deutsch: Diktatur
des Finanzkapitals und z.B. gerade auch in Griechenland des deutschen
Rüstungskapitals?
Scheitert Syriza in Griechenland, wird das auch
für andere Länder bedeuten, dass Wahlen
völlig überflüssig sind. Wenn das Volk nicht
„marktkonform“ wählt, wird es einfach
ökonomisch erdrosselt. Es wird und wurde ja heute schon
mehrmals darauf hingewiesen: Es geht gar nicht um Schuldenabbau. Es
ging vor allem der deutschen Regierung zunächst im Winter
2014/15 darum, eine Wahl von Syriza von vornherein zu verhindern, da
sie neoliberale Prinzipien aushebeln wollte.
Schon 1967 installierte die NATO nach dem
Prometheus–Plan in Griechenland eine faschistische
Militärdiktatur, bevor in den geplanten Wahlen vom
griechischen Volk unvernünftigerweise eventuell eine linke
Regierung gewählt würde. Zu diesem Plan griff die EU
diesmal (noch) nicht. Die Faschisten griffen damals schon zum direkten
Waterboarding!
Als diese Einmischung in die Wahlen im Januar
misslang, ging es nur noch und ausschließlich darum, diese
vom Volk demokratisch gewählte Regierung aus dem Amt zu jagen,
weil diese Regierung die Wolfsgesetze des Kapitals an einigen Stellen
zu durchbrechen versuchte und ungehörig gegenüber der
Troika Wahlversprechungen erfüllen wollte, z.B. die die seit
2010 grassierende Armut und z.B. die u.a. von Deutschland verordnete
medizinische Katastrophe einzudämmen. Und das darf nicht sein!
Syriza darf kein Vorbild für andere Länder werden. Es
geht also um Demokratieabbau in ganz Europa. Für die
ukrainische von Faschisten durchsetzte Oligarchenregierung in Kiew
stellen Europa und die USA andauernd zig Milliarden Euro und Dollar zur
Verfügung. Die sind ja marktkonform und wollen auch Krieg
gegen Russland.
Dass überall in Europa
reaktionäre, faschistoide und faschistische Parteien sich
entwickeln, ist unter den herrschenden ökonomischen
Rahmenbedingungen nicht erstaunlich. Im Schwur von Buchenwald wurde von
den gerade befreiten KZ-Häftlingen versprochen, die Ursachen
des Faschismus zu beseitigen. Oder wie es das Ahlener Programm der CDU
von 1947 sinngemäß formulierte: Kapitalismus
führt unter bestimmten Bedingungen zum Faschismus. Diese
kapitalistische Wirtschaftsordnung dürfe keine Zukunft haben.
CDU 1947!
Wenn Syriza scheitert, fährt der
europäische Zug mit der deutschen Lokomotive weiter nach
rechts. Kalavrita kann viele Gesichter haben. Es gibt heute viele
Kalavritas. Es gibt viele Formen des Waterboardings. Versuchen wir,
noch mehr zu verhindern!
Die Rede hielt Wolfgang Dominik am Freitag um 18.00 Uhr auf dem Dr.-Ruer-Platz in Bochum.
Siehe auch:
Griechenland-Solidarität
Es geht um einen Regime Change
http://www.bo-alternativ.de/2015/07/03/es-geht-um-einen-regime-change/
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