29.05.2015
Glückwunsch an Beate
und Serge Klarsfeld
Sie
haben unermüdlich an der Aufklärung von
Naziverbrechen gearbeitet
Dietrich Schulze (Karlsruhe)
und Ulrich Sander (Dortmund), beide Aktivisten der VVN-BdA und der
Friedensbewegung, haben Beate und Serge Klarsfeld (Paris) gratuliert.
Diesen wurde das Bundesverdienstkreuz zugesprochen. Damit wird eine
alte Forderung verwirklicht, die beiden mutigen und
unermüdlichen Ermittler gegen Naziverbrecher zu ehren.
Über die Geschichte der Aktionen zur Strafverfolgung gegen
NS-Verbrecher berichtet Jungle World, ebenso wie Dietrich Schulze.
Beide Beiträge dokumentieren wir im Wortlaut.
Bundesverdienstkreuz
für Ohrfeigen-Beate
Späte
Ehrung für Nazi-Jäger Klarsfeld – das hat
auch mit KIT Karlsruhe zu tun
Von Dietrich
Schulze
Es geschehen noch Zeichen und Wunder 70 Jahre nach
der Befreiung. Vor drei Jahren hatte die Nazi-Jägerin Beate
Klarsfeld aus Paris als Kandidatin der Linken bei der
Präsidentenwahl gegen Joachim Gauck kandidiert. Sie wurde mit
Verleumdungen bedacht wie „Ohrfeigen-Beate
Stasi-gesteuert?“ (FAZ u.a.) und jetzt hat Gauck für
Beate und Serge Klarsfeld die Urkunde für das
Bundesverdienstkreuz unterzeichnet, s. Presseschau 15. Mai [1].
Nazi-Größen aller Art wie
Globke, Kiesinger, Filbinger sind in der Bundesrepublik von Beginn an
vorsätzlich hinein gehievt worden in wichtige
Regierungsstellen wie das Bundeskanzleramt, in wichtige
Verwaltungsposten aller Art, als Nazi-Generäle für
den Bundeswehraufbau und für die Vorbereitung der
NATO-Mitgliedschaft, in die staatliche Forschung und so weiter. Das war
dem Kalten Krieg gegen den „Ostblock“ (Sowjetunion,
DDR, usw.) geschuldet. Adenauer träumte vom Einmarsch der
Bundeswehr in die DDR durch das Brandenburger Tor.
Alle Erkenntnisse der überwiegenden
Bevölkerungsmehrheit unmittelbar nach der Befreiung wurden
nach wenigen Jahren über den Haufen gerannt. „Nie
wieder Krieg von deutschem Boden“ bedeutete damals als
Selbstverständlichkeit „Nie wieder deutsches
Militär“.
Das wurde mit der angeblichen Bedrohung aus dem
Osten mittels der Remilitarisierungskampagne niedergetrampelt. Die
allgemeine Stimmung nach einer gerechten Wirtschaftsordnung gab es in
allen Besatzungszonen.
Wer von den Jüngeren weiß
heute, wer damals - durchaus populistisch - gesagt hatte „Wer
noch einmal ein Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand
abfallen". Es war derjenige, der etwas später zusammen mit
Adenauer die deutsche Atombombe wollte, Franz Josef Strauß.
Wer von den Jüngeren weiß heute, in welchem
Parteiprogramm analysiert und gefordert wurde: „Das
kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen
Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem
furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch
als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung
von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und
wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn-
und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes
sein.“ Es war das Ahlener Programm der CDU von 1947.
Emil Carlebach, Jude, Kommunist und KZ
Buchenwald-Häftling, danach aktiv als Journalist, Buchautor,
dju-Gewerkschafter und hessischer Landtagsabgeordneter, hatte diese
absichtsvoll verschüttete, spannendste Periode der deutschen
Geschichte in der Artikelserie "Das bestgehütete Geheimnis der
Bundesrepublik" in der früheren VVN-Wochenzeitung "Die Tat"
aufgedeckt. Die Neuherausgabe dieser Serie, wie vom Autor zum 65.
Jahrestag der Befreiung vorgeschlagen, harrt weiter der Realisierung
[2a] [2b].
Beate Klarsfeld hatte beim Bundesparteitag der CDU
am 7. November 1968 in Berlin Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger eine
schallende Ohrfeige mit dem Ausruf „Nazi“ verpasst.
Sie brachte den Nazi-Mörder und ehemaligen Pariser
Gestapo-Chef Kurt Lischka vor Gericht.
Serge und Beate Klarsfeld jagten unter
Lebensgefahr Klaus Barbie, den „Schlächter von
Lyon“. In dem Film "Die Hetzjagd" ("La Traque") wird die
dramatische Barbie-Spurensuche nachgezeichnet.
Und hier ergibt sich die Brücke nach
Karlsruhe. Am 18. Oktober 2013, am Vorabend der Symposiums „Der
vergessene Whistleblower Léon Gruenbaum (1934 –
2004)“ zeigte der Arbeitskreis Kultur und Kommunikation des
AStA der Universität Karlsruhe (KIT) in der Uni eben jenen
Film "La Traque".
Das Symposium des „Forum - Ludwig Marum"
am 19. Oktober [3] im ver.di-Haus Karlsruhe hatte den Charakter einer
inspirierenden Geschichtswerkstatt mit fünf konzentrierten
Lernstunden über die Zivilcourage eines französischen
Wissenschaftlers aus einer von den Nazis verfolgten jüdischen
Familie und dessen zweite Verfolgung durch den Atom-Manager Rudolf
Greifeld am Kernforschungszentrum, einem der KIT-Vorläufer.
Gruenbaum hatte mit Unterstützung der Klarsfelds nachgewiesen,
dass Greifeld im besetzten Paris eine ranghohe Wehrmachtfunktion inne
hatte und an der Verfolgung der Juden beteiligt war. Umfangreiche
Dokumente für das Symposium sind in [3] nachlesbar. Greifeld
war Sprecher der deutschen Besatzer im Großraum Paris (unter
Einschluss des Durchgangslagers Drancy zur Hölle Auschwitz)
gegenüber der französischen Vichy-Regierung. Sein
Vichy-Gegenpart Edouard Bonnefoy war aber kein Kollaborateur, sondern
arbeitete mit der Resistance zusammen. Dessen Mitschriften
über die Greifeld-Anweisungen konnten gerettet und
veröffentlicht werden. Daraus ergaben sich neue Beweise
für Greifelds Antisemitismus, die in einer Dokumentensammlung
zusammen gestellt wurden [4].
An Léon Gruenbaums wissenschaftlichem Nachlass
wird energisch gearbeitet. Nur ein einziges typisches Zitat
über dessen Breite und Tiefe an Erkenntnissen. Auf Robert
Jungks Frage bei einem Besuch 1975 in Paris während Gruenbaums
Ausarbeitung seiner Monographie „Genese der
Plutoniumgesellschaft“, ob der Nazi-Einsatz in der deutschen
Kernforschung für die Gegenwart von Bedeutung sei, antwortete
er: „Gewiß. Ich meine, es ist doch wohl kein
Zufall, dass diese Männer sich gerade so sehr für die
Atomindustrie interessiert haben. Sie müssen sich schon zu
einem frühen Zeitpunkt gesagt haben, dass hier eine
Schlüsselindustrie entsteht, die einmal alle anderen an
Machtfülle und Einfluss überflügeln
würde. Doch dann kommt vielleicht noch ein anderes Motiv dazu:
der Wunsch der Deutschen, auch einmal Atombomben zu haben –
oder zumindest die Verfügung über industrielle
Kapazitäten, die eine Herstellung der ihnen verbotenen
Waffengattung bei Bedarf ermöglichen.“ Zitat aus
Jungks „Atomstaat“.
Das genau war das Strauß-Motiv
für den Einsatz des bewährten Nazis Greifeld (seit
1937 NSdAP-Mitglied) 1956 als administrativen
Geschäftsführer der Kernreaktor Bau- und
Betriebsgesellschaft, dem späteren Kernforschungszentrum und
heutigen KIT Campus Nord. Mit Ritter und Brandl kamen zwei weitere
hinzu und 1960 Walter Schnurr (Hitlers Sprengstoff-Pabst) als
wissenschaftlicher Geschäftsführer. Greifelds
Nazi-Vergangenheit war bis zur Aufdeckung durch Gruenbaum/Klarsfeld in
der Pressekonferenz am 23.10.1975 in Strasbourg absichtsvoll
verschwiegen worden.
Mitte 2012 hatte sich herausgestellt, dass
Greifeld 1969 von der Universität Karlsruhe die
Ehrensenatorenwürde verliehen worden war, offenbar in
Unkenntnis von dessen Nazi-Vergangenheit. Die seither
unablässig von vielen Organisationen und Personen erhobene
Annullierungsforderung ist bis heute nicht Rechnung getragen worden.
Das KIT-Präsidium und die Ethik-Kommission hatten den
Historiker Prof. Bernd A. Rusinek vom Forschungszentrum Jülich
beauftragt, ein Gutachten zu erstellen. Die Fertigstellung ist auch
nach Vorlage der o.g. neuen Beweise gegen Greifeld immer wieder mit
unterschiedlichen Begründungen verschoben worden. Der Autor
hatte Rusinek der Abhängigkeit von der Atomlobby geziehen [5].
Dazu zwei widersprüchliche
Schlussbemerkungen.
Die Karlsruher Atomlobby hatte 2010 garniert mit
Prominenten das Buch „Karlsruhe meets India“
herausgebracht [6]. Darin wird Greifelds Verdienst der
Gründung der Karlsruher Zweigstelle der
„Deutsch-Indischen Gesellschaft“ (DIG) 1960 mit
großem Lob geschildert. Die DIG war 1942 gegründet
worden. Wörtlich im Buch: „Rabindranath Tagore wurde
als erstem Asiaten in Anerkennung seines literarischen Werks, vor allem
der Gedichtsammlung Gitanjali, 1913 der Nobelpreis für
Literatur zuerkannt. Mit seiner Weltsicht des Friedens und der Toleranz
stieß er nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs
insbesondere in Deutschland auf positive Resonanz. Bei einer
deutsch-indischen Veranstaltung im Jahre 1942 in Hamburg wurde die von
Rabindranath Tagore 1915 gedichtete und kornponierte spätere
Nationalhymne Indiens erstmals in der Öffentlichkeit
gespielt.“ Wann im Jahre 1942 war das denn? Zitat in [7]:
"Nur wenige wissen, dass die spätere indische Nationalhymne
„Jana Gana Mana“ im September 1942 im Hamburger
Hotel Atlantic uraufgeführt wurde. Und zwar
anlässlich der Gründung der Deutsch-Indischen
Gesellschaft (DIG) zu einer Zeit, als Indien noch britische Kronkolonie
war." Das ist kaum zu fassen. Im selben Monat beginnt die deutsche
Vernichtungsschlacht gegen Stalingrad. Ausgerechnet ein Friedensmann
wird zum Gründungspaten einer indogermanisch-faschistoiden DIG
gemacht. Weniger erstaunlich, dass der AltNazi Greifeld begierig diese
DIG und die Wirtschafts- und Atombeziehungen zu Indien zu seinem
Herzensanliegen machte. Die Atomlobby wird angesichts solcher
Huldigungen unbedingt verhindern wollen, dass ihr Ehrensenator durch
die Aberkennung der KIT-Würde beschmutzt wird.
Den Autor bewegt nach dem Gauck-Schwenk
bezüglich der Ehrung der Klarsfelds ein selbstkritischer
Gedanke. Er war mit deftigen Worten von der Abhängigkeit
Rusineks von eben jener real existierenden Atomlobby ausgegangen. Der
Bundespräsident hat von seiner Unabhängigkeit
Gebrauch gemacht und der Geschichtsaufarbeitung wie der
deutsch-französischen Freundschaft einen Dienst erwiesen.
Könnte es nicht sein, dass Prof. Rusinek in einem
ähnlichen Sinne von seiner Unabhängigkeit als
Historiker Gebrauch macht und der KIT-Ethik-Kommission die Aberkennung
des Greifeld-Titels empfiehlt, damit die dargestellten Fakten
würdigt und Beate und Serge Klarsfeld auf seine Weise ehrt
für die Mithilfe bei der Aufdeckung der Fakten?
(PK)
Nachtrag des
Autors vom 19.05.15 zur DIG
aufgrund der F E S T S C H R I F T zum
50-jährigen Bestehen der Deutsch-Indischen Gesellschaft
1953–2003
http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/savifadok/40/1/DIG_Festschrift.pdf
Die LeserInnen werden gebeten, sich die folgenden
Passagen daraus zu Gemüte zu führen:
Seite 29
„Nehru verurteilte das
nationalsozialistische Regime in Deutschland. Hingegen suchte Subhas
Chandra Bose, der frühere Oberbürgermeister von
Kolkata und ehemalige Präsident des Indischen
Nationalkongresses, aber eher der militante Freiheitskämpfer
für die indische Unabhängigkeit, den Kontakt mit dem
NS-Regime. Dieses stand einer militärischen Kooperation, wie
sie Bose andachte, ablehnend gegenüber. Doch wurde in Berlin
mit diplomatischem Status eine Zentrale Freies Indien errichtet, und in
Hamburg kam es in Anwesenheit von Subhas Chandra Bose am 11. September
1942 zur Gründung der ersten Deutsch-Indischen Gesellschaft in
Deutschland.“
Seite 62
„An der Gründungsfeier im
Hamburger Atlantic-Hotel nahm als herausragende Persönlichkeit
der Führer des auf den militärischen Freiheitskampf
ausgerichteten Flügels der indischen
Unabhängigkeitsbewegung, Subhas Chandra Bose, teil. In seiner
Festansprache verlieh er der Überzeugung Ausdruck, dass Indien
aus dem Zweiten Weltkrieg als unabhängiger Staat hervorgehen
werde. Subhas Chandra Bose war während des Krieges nach
Deutschland gekommen, um die Möglichkeiten einer politischen
und militärischen Zusammenarbeit mit Deutschland bei den
Unabhängigkeitsbestrebungen Indiens auszuloten. Ergebnislos
reiste er später in einem deutschen U-Boot nach Asien
zurück.“
Seite 63
„Mit dem Ausgang des Krieges erlosch die
personelle Zusammensetzung der Organe der
Deutsch-Indischen Gesellschaft. Sie konstituierte
sich neu nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im
Jahre 1949 und der Bildung eines Deutsch-Indischen Dachverbandes in
Stuttgart im Juni 1953 in Stuttgart unter dem Vorsitz von Dr. Seifriz.
Bei der Neubildung in Hamburg im November 1953 wurde der Indologe
Professor Dr. Alsdorf, der zu den Beratern von Subhas Chandra Bose in
Deutschland gehört hatte, zum Vorsitzenden der Hamburgischen
Zweiggesellschaft gewählt. Die im Laufe des Krieges
geschmiedeten Verbindungen zwischen Deutschen und Indern haben 1953 an
der Wiege der Gründung der Deutsch-Indischen Gesellschaft in
Stuttgart und der Zweiggesellschaft in Hamburg gestanden.“
Bitte studieren Sie dazu den Wiki-Eintrag zu
Ludwig Alsdorf http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Alsdorf
Interessant im Kontext die Passage:
„1941 wurde er nach der Flucht Subhas Chandra Bose
nach Deutschland ins Auswärtige Amt
berufen und dem Sonderreferat Indien zugeteilt.“
Mit dem Wiki-Eintrag von Bose http://de.wikipedia.org/wiki/Subhash_Chandra_Bose
schließt sich der Kreis mit folgender
Passage: „Bose wollte mit militärischen Mitteln die
Unabhängigkeit Indiens erreichen und floh 1941 schlussendlich
aus Indien, um im Ausland militärische Hilfe zu erbitten. Nach
mehreren erfolglosen Verhandlungen wurde er 1944 (zur Zeit des
Zweiten Weltkriegs) Mitbegründer und Anführer der
sogenannten Indischen Legion, einem der deutschen Waffen-SS
unterstellten, aus indischen Freiwilligen gebildeten Kampfverband,
sowie später der Indian National Army, einer Hilfstruppe der
japanischen Armee.“
Quellen:
[1] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20150515.pdf
[2a] http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0608_befreiung.htm
[2b] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14876
[3] http://www.forum-ludwig-marum.de/veranstaltungen/symposium-gruenbaum/
[4] http://www.stattweb.de/files/civil/Doku20140627.pdf
[5] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20753
[6] „Karlsruhe meets India“
Info Verlag GmbH Karlsruhe 2010 ISBN 978-3-88190-574-9
[7] http://www.hamburg.de/indien/
Dr.-Ing.
Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger
Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984
bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe (jetzt
KIT Campus Nord). 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe
die Initiative gegen Militärforschung an
Universitäten (WebDoku http://www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf).
Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative
für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der
Initiative „Hochschulen für den Frieden –
Ja zur Zivilklausel“ und publizistisch tätig. Er ist
Mitglied der DFG-VK und Kreisvorstandsmitglied der VVN-BdA Karlsruhe.
Erstveröffentlichung in Neue Rheinische
Zeitung am 20.05.2015
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21625
»Wir
sind sehr besorgt«
Beate und Serge Klarsfeld haben gerade das
Bundesverdienstkreuz erhalten. Ende März erschienen im Pariser
Verlag Fayard ihre »Mémoires«. Serge
erlebte im Alter von acht Jahren in Nizza, wie sein Vater Arno
Klarsfeld von einem Sonderkommando der SS unter Führung von
Alois Brunner verhaftet wurde und aus Auschwitz nicht
zurückkam. Brunner war 1943 bis 1944 Leiter des
Sonderkommandos der Gestapo in Frankreich und Befehlshaber des
Sammellagers von Drancy, in das die französischen
Juden, Roma und andere Häftlinge gebracht wurden, bevor sie in
die Vernichtungslager transportiert wurden. Beate Klarsfeld, geboren
1939 in Berlin, musste 1971 fünf Wochen ins
Gefängnis, weil sie versucht hatte, den Nazi Kurt Lischka nach
Frankreich zu entführen. Der SS-Obersturmbannführer
war im besetzten Frankreich Polizeichef und Gestapo-Kommandeur der
Region Paris gewesen. Nach 1945 klagte ihn die französische
Justiz an, einer der Hauptverantwortlichen für die Deportation
von 76 000 Juden aus Frankreich in die Vernichtungslager
gewesen zu sein. In Abwesenheit wurde er zu lebenslanger Haft
verurteilt. Doch Lischka lebte seit 1950 unbehelligt in Köln,
wo er zehn Jahre zuvor seine Gestapo-Karriere begonnen hatte. 1971
wurde er von Beate Klarsfeld ausfindig gemacht, 1980
schließlich doch noch zu zehn Jahren Haft verurteilt und nach
fünf Jahren wieder freigelassen. Mit Beate Klarsfeld sprach
die Jungle World über das jahrelange Bemühen der
Klarsfelds, NS-Täter doch noch vor Gericht zu bringen, und
über den heutigen Antisemitismus.
Interview:
Eva Zum Winkel
Sie und Ihr Mann
werden oft als »Nazijäger« bezeichnet, was
nicht immer freundlich gemeint ist, an dieser Stelle aber allemal.
Können wir die Liste der Nazis durchgehen, die Sie gejagt
haben?
Gejagt haben wir sie, sofern sie im Ausland waren.
Für uns war am wichtigsten, dass wir den Kölner
Prozess gegen Hagen, Lischka und Heinrichsohn, die
Hauptverantwortlichen für die Deportation der Juden aus
Frankreich, initiieren und eine Verurteilung erreichen konnten. Dann
der Prozess gegen Klaus Barbie, den Gestapochef von Lyon, den wir in
Bolivien aufspüren konnten. Schließlich der Prozess
gegen Alois Brunner, der sich nach Syrien abgesetzt hatte. Seine
Ausweisung haben wir nicht erreicht, aber in Frankreich fand 2001 ein
Verfahren gegen ihn statt, in dem er in Abwesenheit zu
lebenslänglicher Haft verurteilt wurde. Seine Schuld war
offensichtlich, er war ja der Chef von Drancy. Außerdem haben
wir uns auch im Fall Mengele engagiert.
Hier leider
erfolglos.
Wenigstens haben wir erreicht, dass die
Kölner Staatsanwälte nach Günzburg fuhren
und die Firma Mengele Agrartechnik durchsuchten, wo sie auch Dokumente
fanden. Wir hatten herausbekommen, dass der Sohn in Verbindung mit dem
Vater stand, der sich zunächst in Paraguay und dann in
Brasilien aufgehalten hatte. Dann gab die Staatsanwaltschaft bekannt,
er sei in Brasilien irgendwo an der Küste ertrunken.
Auch gegen Ernst Ehlers, den Leiter der
»Judenabteilung« der Gestapo im besetzten
Brüssel, und gegen seinen
»Judenreferenten« Kurt Asche, beide verantwortlich
für die Deportationen aus Belgien, konnten wir ein Verfahren
einleiten. Ehlers war zu dem Zeitpunkt Richter in Schleswig-Holstein.
Vor Beginn der Hauptverhandlung beging er Selbstmord. Asche wurde in
Kiel zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt.
Anders als heute im Lüneburger
Gröning-Prozess mussten in diesen Prozessen individuelle
Tatbeteiligungen dokumentiert werden. Seit dem Münchner
Demjanjuk-Prozess braucht man keine Augenzeugen, keine Dokumente mehr:
Es genügt, an dem Ort beschäftigt gewesen zu sein, an
dem Juden ermordet wurden. Demjanjuk wurde als KZ-Wärter von
Sobibor zu sechs Jahren verurteilt; er starb, bevor sein
Revisionsantrag vor dem Bundesgerichtshof verhandelt wurde. Wir waren
als Nebenkläger in Frankreich, aber nicht in München
zugelassen.
Oskar Gröning wurde 1985 schon einmal
angeklagt. Das damals eingestellte Verfahren ist jetzt wieder
aufgenommen worden. Nach seinen eigenen Angaben hatte er in Auschwitz
die Aufgabe, die Devisen, die die Juden bei sich hatten, einzusammeln
und an eine Bank in Berlin zu transferieren. Gröning ist sehr
aktiv, hat Tagebuch geschrieben und berichtet, wie es war: wie die
Juden in die Gaskammern geschickt und ermordet wurden. Er selbst sei
angeblich nur mit den Devisen beschäftigt gewesen.
Natürlich ist es gut, dass ein Verfahren gegen ihn
eröffnet wurde. Es wird noch einmal dokumentiert, dass es den
Holocaust gegeben hat und was in Auschwitz passiert ist. Aber ob es
wirklich zu einer Bestrafung kommen wird?
Gibt es derzeit
noch weitere Verfahren, an denen Sie beteiligt sind?
In einem sehr wichtigen Fall bin ich gerade stark
engagiert. Dabei geht es um Werner Christukat, der zu jener Einheit der
Waffen-SS gehörte, die am 10. Juni 1944 das
südfranzösische Dorf Oradour-sur-Glane niederbrannte
und 642 Einwohner ermordete, das heißt fast alle. Christukat
gibt zu, bei dem Massaker dabei gewesen zu sein; er habe aber
»keinen Schuss« abgegeben. Wir vertraten als
Nebenkläger den Bruder von Denise Bardet, die damals 24 Jahre
alt war und Lehrerin in Oradour. Sie wurde mit den Kindern in der
Kirche eingesperrt und verbrannt. Christukat stand vor den Scheunen, in
denen die Männer erschossen wurden, und er war
Maschinengewehrschütze. Aber wie soll man beweisen, dass er
abgedrückt hat? Mit der Begründung ist das Verfahren
vom Kölner Landgericht Ende 2014 eingestellt worden. Die
Justiz lässt die Sache an sich herankommen, es wird Anklage
erhoben, manchmal ein Prozess eröffnet, und dann ist Schluss.
Immerhin wird über die Täter und ihre Taten
berichtet. Doch die Strafen, die schon vor 60 Jahren hätten
verhängt werden können, bleiben aus.
»Meine
Probleme in Bolivien begannen, als diese Frau kam,« sagte
Klaus Barbie bei seiner ersten Vernehmung durch die
französische Justiz. Am Ende landete er im selben
Gefängnis von Lyon, in dem er früher gefoltert hatte.
Die Welt hingegen schrieb 2012, dabei werde die Rolle der Klarsfelds
überbewertet.
Unsere eigenen Aktivitäten gegen Barbie
begannen 1971. Die VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes,
Anm. d. Red.) hatte schon 1960 Klage gegen ihn erhoben. 1971 stellte
der Münchner Staatsanwalt Rabl das Verfahren wegen der
Verschickung der Kinder von Izieu ein. Barbie habe zwar am
6. April 1944 die Anweisung gegeben, die 44
jüdischen Kinder aus Izieu nach Drancy zu schicken. Man
könne aber nicht beweisen, dass ihm das Schicksal der Kinder,
das heißt der Weitertransport nach Auschwitz, klar gewesen
sei.
Das war für Serge und mich der
Auslöser. Aus Lima erreichte uns die Information, es gebe da
einen Klaus Altmann, der Barbie ähnele. Den suchte der
französische Journalist Ladislas de Hoyos 1972 in einem
bolivianischen Gefängnis auf, wo er gerade wegen
Steuerhinterziehung einsaß, und filmte ihn, wie er sagt:
»Ich bin nicht Klaus Barbie.« Wir hatten die
Unterstützung von zwei Müttern, Fortunée
Benguigui und Ita-Rose Halaunbrenner, deren Kinder in Izieu verhaftet
worden waren. Mit Frau Benguigui reiste ich nach Bolivien, und wir
ketteten uns vor Barbies Büro an. Zusammen mit
Régis Debray und Exil-Bolivianern bereiteten wir eine
Entführung vor. Der Plan scheiterte, bevor er umgesetzt werden
konnte, an einem Autounfall. Schließlich hatten wir das
Glück, dass Gustavo Sánchez, der an dem
Entführungsprojekt beteiligt war, nach dem Sturz der
bolivianischen Militärdiktatur 1983
Innenstaatssekretär in der neuen sozialistischen Regierung
wurde. Barbie verbüßte wieder einmal eine Haftstrafe
aus Steuergründen. Sánchez holte ihn aus dem
Gefängnis und brachte ihn zum Flughafen. Die Deutschen waren
froh, dass die Franzosen ihn übernahmen.
Die Verteidigung
Barbies übernahm einer, der als Linker gegolten hatte,
nämlich Jacques Vergès. Im Prozess redete er
über Algerien und Palästina, weil man über
Barbie nicht urteilen könne, ohne über den
französischen Kolonialismus zu urteilen. Sie selbst haben
ähnliche Erfahrungen mit einem Anwalt gemacht, Horst Mahler.
Mit Mahler hatten wir schon Probleme, als Serge
und ich ihn zum ersten Mal in seinem Büro aufsuchten, damit er
mich gegen die Anklage wegen der Kiesinger-Ohrfeige 1968 verteidigt.
Als das Gespräch auf Israel kam, spürten wir die
Differenzen. Die gab es auch mit dem Berliner SDS. Für sie war
Israel der Alliierte der Vereinigten Staaten. Das war nicht meine
Linie. Unsere Wege haben sich bald getrennt, obwohl sie beim Thema
Kiesinger Unterstützung leisteten.
Vor 50 Jahren gehörte Mahler zur extremen
Linken, er wurde dann Nazi; ich war eine »gute«
Deutsche und bin immer aktiv geblieben in meiner Solidarität
mit den Juden und dem Staat Israel.
Die deutsche
Dominanz in der EU verleitet zu historischen Vergleichen. Inwiefern
treffen sie zu?
Was Griechenland betrifft, kommen immer mehr
Tatsachen über die Nazi-Massaker dort ans Licht. Deutschland
sollte sich großzügiger zeigen und sich an den
Marshall-Plan erinnern. Man müsste dankbarer sein, auch den
Amerikanern gegenüber.
Und Frankreich?
Wie kann das Erstarken des Front National (FN) aufgehalten werden?
Als wir kürzlich eine Auszeichnung von
Präsident Hollande erhielten, ergriff Serge, mit einem kleinen
Verstoß gegen das Protokoll, das Wort, um die beiden
großen Parteien Frankreichs dazu aufzurufen, ein
Bündnis gegen den FN zu schließen. Wir haben zwar
immer wieder Strafanträge gegen Jean-Marie Le Pen gestellt und
auch gewonnen. Er behält seine Kundschaft, während
die Tochter versucht, eine andere Klientel an sich zu ziehen. Marine
hat die rechtsextremen Inhalte etwas verwässert, aber sie tut
das nur, um ihr Ziel zu erreichen, Präsidentin zu werden.
Die
jüdische Gemeinde Frankreichs debattiert über
Auswanderung, viele sehen sich akut bedroht, mehr von der extremen
Linken und von den Islamisten als vom FN. Die Attentate im Januar auf
die Redaktion von Charlie Hebdo und den koscheren Supermarkt Hyper
Casher wurden ja von islamistischen Terroristen verübt. Was
bedeutet das für antifaschistische Politik?
Es brauchte im Januar etwas Zeit, ehe von einem
antisemitischen Anschlag im Laden Hyper Casher gesprochen wurde. Nach
den Mordtaten Mohammed Merahs vor drei Jahren in Toulouse gingen
weitaus weniger Menschen auf die Straße. Das kleine
Mädchen, das Merah an den Haaren zog, um sie aus
nächster Nähe umzubringen, hatte das nicht
ausgelöst. Die Staatschefs kamen im Januar wegen des Angriffs
auf die Pressefreiheit. Gut, Charlie Hebdo hätte anders
bewacht werden müssen, das ist ein Skandal. Doch der
antisemitische Mordanschlag trat in den Hintergrund. Letztes Jahr wurde
beim Anschlag auf das jüdische Museum in Brüssel
Dominique Sabrier ermordet. Sie war Mitglied unseres Verbands
»Fils et filles des déportés juifs de
France« (von den Klarsfelds 1979 gegründete
»Vereinigung der Söhne und Töchter der
jüdischen Deportierten Frankreichs«, Anm. d. Red.).
Ihre Familie wurde von den Nazis umgebracht, sie selbst von einem
anderen Feind des jüdischen Volkes. Daher ist auch unter Juden
die Illusion verbreitet, der FN könne ein Bollwerk gegen die
Islamisten sein. Tatsächlich muss die Überwachung
gegen die Islamisten verbessert werden.
Wir sind sehr besorgt. Wie kann man die Franzosen
und ihre Parteien davon überzeugen, dass man mehr tun muss?
Jeder will seine eigene Macht behaupten, es gibt keine
Solidarität gegen den gemeinsamen Hauptfeind: den Front
National.
Quelle:http://jungle-world.com/artikel/2015/21/52007.html
|