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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

12.05.2015

Der 8. Mai und die Rolle des Kapitals

In Siegen wurde über die Kampagne zugunsten der Zwangsarbeiter beraten

Die Rallye „Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945“ geht weiter. Über „Von Arisierung bis Zwangsarbeit“ haben VVN-BdA und andere Antifa-Vereinigungen am 6. Mai im VEB Politik/Kunst/Unterhaltung, Siegen, gesprochen. Im voll besetzten Saal referierte Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA. Er führte aus:

Auf 20 Veranstaltungen wurde bisher das Buch "Von Arisierung bis Zwangsarbeit - Verbrechen der Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933-1945" präsentiert. „Die Rolle der deutschen Großwirtschaft bei der ‚Machtergreifung’ und bundesdeutsche Tabus im Umgang mit den Unternehmern als Täter“

1. Der 30. Januar 1933

Am Abend des 30. Januar 1933 meldete das sozialdemokratische Zentralorgan „Vorwärts“: „Amtlich wird mitgeteilt: Der Reichspräsident hat Herrn Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt und auf dessen Vorschlag die Reichsregierung neu gebildet.“

Vizekanzler wurde Reichskanzler a.D. Franz von Papen, ein ultrarechter Politiker der katholischen Zentrumspartei und Großgrundbesitzer. Außer Dr. Wilhelm Frick und Hermann Göring von der NSDAP gehörten der Regierung noch sieben Konservative an. Deren Parteien stimmten samt und sonders am 23. März 1933 zusammen mit dem Zentrum und Liberalen sowie der NSDAP für das „Ermächtigungsgesetz“ des Adolf Hitler; die SPD stimmte dagegen, und die KPD-Abgeordneten hätten es auch getan, wenn sie nicht an der Ausübung ihres Reichstagsmandats gehindert worden wären. Denn seit sieben Wochen tobten sich da bereits die faschistischen Staatsterroristen der SA, der Nazi-Sturmabteilungen im Regierungsauftrag aus.

Konservative und die Mächtigen der Wirtschaft haben seit Herbst 1931 auf eine rechtsextreme Regierung hingearbeitet, zunächst unter Einbindung, dann ab Herbst 1932 unter Führung der NSDAP und Hitlers.

Doch lange vor dem Treffen der gemeinsamen rechten Harzburger Front im Herbst 1931, - schon seit 1895 besaßen - die Ultrarechten mit dem Programm des Alldeutschen Verbandes ein gemeinsames völkisches

Programm des Krieges und der deutschen Vorherrschaft in Europa. Mitbegründet dieses Verbandes und einer der Schöpfer seines Programms war Alfred Hugenberg, Führer der Deutsch-Nationalen Volkspartei, Krupp-Direktor und Medienzar der zwanziger Jahre. Hugenberg gehörte dann auch dem ersten Kabinett Hitlers als Wirtschaftsminister an.

Bereits im August 1932 hatte der konservative Reichskanzler Franz von Papen Hitler das Amt des Vizekanzlers angeboten. Hitler lehnte ab, er wollte selbst Kanzler werden. Das hielt jedoch Papen nicht davon ab, sich weiterhin für die Stärkung des umworbenen Bündnispartners NSDAP einzusetzen. So erklärte er zwei Tage vor den Reichstagswahlen vom 6. November 1932 in einer Rundfunkansprache an das deutsche Volk:

»Wie hatten wir seinerzeit den Kampfruf Hitlers gegen den Marxismus und für die nationale Erneuerung begrüßt. Wie hatten wir gehofft, dass er die der bolschewistischen Lehre verfallene Arbeiterschaft der nationalen Sammlung zuführen sollte. Indes sein Einbruch in die Reihen der Roten Front ist nur gering geblieben und das ist sicherlich nicht die Schuld dieser (Papens) Regierung, die ihm und seinen Propagandamethoden zum letzten Wahlkampf und auch heute so freie Hand wie nur möglich gelassen hat.«

Aber auch bei dieser Wahl kam nicht der erhoffte Erfolg, im Gegenteil. Die NSDAP verlor zwei Millionen Stimmen. Dagegen hatte jeder sechste Wähler die Kommunistische Partei gewählt.

Nun war für die führenden Finanzkreise, Militärs, Agrarier und Konservativen hohe Eile geboten, denn sie waren ob der Verluste der Nazis und der Gewinne der Kommunisten höchst alarmiert. Es kam zur Industrieelleneingabe – unterstützt von maßgeblichen Angehörigen der ökonomischen Eliten - an den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, einem reaktionären Monarchisten und Weltkriegsgeneral, in der die Übergabe der Regierungsmacht an die faschistische Partei gefordert wurde. Verabschiedet wurde die endgültige Fassung der Petition in den Räumen des Direktionsgebäudes der Commerzbank in Berlin-Mitte am 8. November 1932.

Im Dezember 1932 ist dann in einem vertraulichen Bericht aus dem »Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen« (Langnamverein) konstatiert worden, »dass fast die gesamte Industrie die Berufung Hitlers, gleichgültig unter welchen Umständen, wünscht«.

So nahm das Verhängnis seinen Lauf. Eine Gedenktafel der Stadt Köln befindet sich seit 1996 vor dem Hause Stadtwaldgürtel 35, wo sich Hitler, Himmler, Hess, von Papen und der Bankier von Schröder am 4. Januar 1933 getroffen haben. Sie trägt die Inschrift: » … In einem Gespräch wurden (hier) die Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 gestellt und die Voraussetzungen für die menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen Wirtschaft an die SS.«“

Auch die Medien schalteten um, zum Beispiel die einflussreiche „Börsenzeitung“. Schließlich schrieb selbst die »liberale« und auch im Ausland gelesene »Kölnische Zeitung«, Vorläufer des »Kölner Stadt-Anzeigers«, bereits in ihrer Neujahrsausgabe vom 1. Januar 1933: »Auf Hitler kommt es an. Die deutsche Nation braucht den Willen und Schwung einer jungen Bewegung.«

Es begannen zwölf Jahre der grausamsten Diktatur und Gewaltherrschaft in der Menschheitsgeschichte. Der Weltkrieg mit 55 Millionen Toten, die Ermordung von sechs Millionen Juden und einer halben Million Sinti und Romas sowie unzähliger Slawen – allein 3,5 Millionen sowjetischer Kriegsgefangener – folgten.

Der „Vorwärts“ bezeichnete in seinem Bericht über das „Hitler-Papen-Kabinett“ vom 30. Januar 1933 dieses als ein „Kabinett des Großkapitals“ und der „Kapitalistischen Reaktion“. Die enge Verwandtschaft von Kapitalismus und Faschismus wurde seit 1933 und besonders nach 1945 eine allgemeingültige Erkenntnis. Heute gilt jemand als „Verfassungsfeind“ und wird vom deutschen Geheimdienst „Amt für Verfassungsschutz“ diffamiert, wer vom Faschismus als einer möglichen Form des Kapitalismus bzw. der bürgerlichen Gesellschaft spricht. Erinnert wird heute auch nicht mehr daran, dass alle Parteien außer der SPD und KPD Adolf Hitler unterstützt haben, der mit seiner NSDAP zwar erschreckend viele Stimmen bekam, aber nie eine eigene Mehrheit errang. Nach 1945 errangen Politiker wie Adenauer (Zentrum, nun CDU), Heuß (Liberale, nun FDP) und Schäffer (Bayernpartei, nun CSU), die neben anderen die Wahl Hitlers 1932/33 unterstützt hatten – Heuß und Schäffer sogar als Reichstagsabgeordnete, höchste Regierungsposten.

2. Zur Rolle des Kapitals und zum 8. Mai 1945

Das deutsche Großkapital ging insgesamt reicher und mächtiger aus dem Krieg und der Nachkriegszeit hervor als es hineinging.

Und so ging es heraus. Heute erinnern wir an den 8. Mai 1945, den Tag der Befreiung von Krieg und Faschismus. Wir sollten nicht vergessen, wie das Große Kapital sich in diesen Monaten vor dem Mai 1945 verhielt.

Am 10. August 1944 kam es zum Treffen von Konzernvertretern (Krupp, Bosch, Thyssen, VW, Rheinmetall, Saar-Röchling und Messerschmidt), Reichssicherheitshauptamt (RSHA) und Ministerien der Reichsregierung im Hotel „Maison Rouge“ von Strasbourg. Thema war: Überlebensstrategie nach der Kriegsniederlage, Rettung des Nazivermögens und deutscher Potentiale für die Zukunft, Untertauchen oder Flucht tausender Nazis. Gründung oder Übernahme von 750 Firmen im neutralen Ausland.

Noch am 6. Dezember 1944 wurde der Wehrwirtschaftsführer Albert Vogler von Hitler zum Generalbevollmächtigten der Ruhrgebietswirtschaft ernannt. Dieser war offenbar in das Treffen von Straßburg nicht einbezogen worden. Als am 14. April 1945 die Amerikaner versuchten, Albert Vogler in Herdecke festzunehmen, da hatte er sich bereits das Leben genommen. Er war offenbar noch beteiligt an den einsetzenden Kriegsendphasenverbrechen. Dazu ergingen z.B. am 24. und 26. Januar 1945 die RSHA- und Gestapo-Befehle zur Beseitigung von Umstürzlern, Kommunisten und Ausländern per Sonderbehandlung ohne Nachfrage beim RSHA.

Am 7. Januar jeden Jahres veranstalten wir in Dortmund an der Ecke Hainallee/ Eintrachtstraße in Dortmund Innenstadt-Ost eine Mahnwache an der ehem. Villa Springorum abgehalten. Es geht um die Fortsetzung unserer Spurensuche „Verbrechen der Wirtschaft“. Um die Lehren für das Heute.

Zur Villa Springorum in Dortmund an der Hainallee – ehemals Rathenauallee, dann Hitlerallee - : hier tagte am 7. Januar 1933 die industrielle Ruhrlade, um weitere Schritte hin zur Machtübertragung an Hitler zu beraten. Drei Tage vorher hatten Naziführer und Wirtschaftsbosse in Köln (Villa Schröder am Stadtwaldgürtel) eine grundsätzliche Einigung erzielt. Nun mußte noch u.a. das Geld für die NSDAP in Pleitenähe beschafft werden. Deshalb kam es zu den Nachfolgetreffen am 5. und 7.1.33 in Mülheim (Hitler, Kirdorf u.a.) und Dortmund (Papen, Vögler, Reusch, Springorum u.a.)

Es war von uns beabsichtigt, im Rahmen unserer Aktion Spurensuche „Verbrechen der Wirtschaft“, eine Gedenktafel anzubringen. Dies war der vorgeschlagene Text:

„Hier an der Ecke Eintrachtstraße/Hainallee stand die Villa Springorum. Es trafen sich darin am 7. Januar 1933 Franz v. Papen und führende Ruhrindustrielle der ‚Ruhrlade’, um über die Machtübertragung an Hitler weiter zu beraten. Sie erfolgte am 30. Januar 1933, und viele Ruhrindustrielle unterstützten sie. Sie profitierten von Krieg, Zwangsarbeit und Antisemitismus.“

Wir wiederholten damit eine Forderung und einen Antrag, der gestellt wurde, als unsere Aktion startete. Stadtrat Jörg Stüdemann antwortete uns: „Seit der Sitzung des zuständigen Ausschusses für Bürgerdienste, öffentliche Ordnung, Anregungen und Beschwerden am 3. Februar 2009 hat sich inhaltlich an der Stellung der Stadt Dortmund zu dieser Frage nichts geändert. Zentral bleiben für uns – wie für nahezu die gesamte Fachwissenschaft – hier weiterhin die von Henry Ashby Turner 1985 in seinem zentralen Werk „German Big Business and the Rise of Hitler“ dargestellten und in gründlicher Quellenarbeit erarbeiteten Ergebnisse. Eine intensive Diskussion auf fachwissenschaftlicher Ebene wird es zur Frage Wirtschaft und Nationalsozialismus vor 1933 auf regionaler Ebene sicher im Rahmen der Neugestaltung der Dauerausstellung der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache geben.“

Will die Stadt Dortmund nun nach dem Turner-Freispruch für das Kapital die Dortmunder Gedenkstätte Steinwache umgestalten? Dort heißt es immerhin bis jetzt noch: „Die Schwerindustrie setzt auf Hitler.“ Turner hingegen schreibt: „Entspricht die weit verbreitete Ansicht, dass der Faschismus ein Produkt des modernen Kapitalismus ist, den Tatsachen, dann ist dieses System kaum zu verteidigen.“

Dies System soll aber unbedingt verteidigt werden. Wollen die Stadtoberen Dortmunds - und der Mainstream der Historiker - wider bessere Erkenntnis die Kapitalismuskritik unterbinden? Wie dies schon in den Gedenkstätten von Oberhausen und Essen geschah? Nicht zu vergessen: Buchenwald.

Zwölf Jahre später – nach dem Krieg mit vielen Millionen Toten und einem verwüsteten Europa – hat das große Kapital eine bessere Bilanz ziehen können als viele Siegermächte. Deutschland hatte den Krieg verloren, aber am Krieg gewonnen. (Ulrich Herbert) Die heutige ökonomische Stärke Deutschlands und Vormachtstellung in der EU ist auch ein Resultat des Krieges, der alle europäischen Nachbarn nachhaltig schwächte – und das ist bis in die heutige Krise sichtbar.

Otto Köhler schrieb: "Tatsächlich gehörte Westdeutschland, das mit seiner schnellen Währungsreform die kleinen Sparer enteignete und den Besitz von Sachwerten und Produktionsmitteln unangetastet ließ, wirtschaftlich zu den Gewinnern des Zweiten Weltkrieges. Die Sachwerte und Produktionsmittel waren zuvor aus ganz Europa zusammengeplündert worden - (und zudem waren 15 Millionen Sklavenarbeiter hierhergeholt worden, die unentgeltlich schuften mussten.) Der deutsche Wohlstand nach 1945 und Ludwig Erhards vermeintliches Wirtschaftswunder beruhen auf dem durch den deutschen Angriffskrieg verlorenen Wohlstand der Völker Europas." (Otto Köhler in Ossietzky 1/13.)

Andere Wissenschaftler haben schon lange festgestellt: Wir stehen als Nutznießer alle in der Schuld der Opfer der deutschen NS-Wirtschaft, der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Der Ökonom und Historiker Prof. Dietrich Eichholz schrieb: »Die westdeutsche Industrie ist gestärkt aus dem Krieg hervorgegangen; sie hat nicht den Krieg, wohl aber am Krieg gewonnen. Ihr Anlagevermögen war bei Kriegsende erheblich höher als bei Kriegsbeginn, selbst unter Anrechnung der Zerstörungen und Demontagen. Heute zählen die deutschen Großkonzerne zu den mächtigsten der Welt. Ihre Gewinne haben eine außerordentliche Höhe erreicht. Ihre heutige Machtstellung ist zum Teil aus den Kriegsprofiten erwachsen: Dazu hat auch die Zwangsarbeit beigetragen.“ [»Neues Deutschland«, 22.10.1998]

Auch der Freiburger Prof. Ulrich Herbert, Verfasser mehrerer Veröffentlichungen zum Thema Sklavenarbeit in der NS-Zeit, hat auf die Frage: Wie begründet ist der Verdacht, unser Reichtum beruhe auch auf der Ausplünderung von Zwangsarbeitern? dies geantwortet:

»Im Sommer 1944 war jede dritte bis vierte Arbeitskraft in der Industrie ein Zwangsarbeiter. Schon Ende 1941 gab es auf dem freien Arbeitsmarkt keine Deutschen mehr, nur noch Ausländer. Diese Größenordnungen sind der Öffentlichkeit nicht klar. Es gibt Analysen, die zeigen, dass ein erheblicher Teil unseres Wirtschaftswunders auf der Entwicklung in diesen Kriegsjahren beruht, auf der Ausbeutung Europas und der Zwangsarbeiter (…).«

Diese wurden nicht entschädigt. Mit unserer Kampagne wollten und wollen wir Wissenslücken füllen.

Die Verweigerung der Entschädigung für die Zwangsarbeiter wurde für Westdeutschland Anfang der 50er Jahre im Rahmen eines weitgehenden Schuldenerlasses auf der Londoner Schuldenkonferenz beschlossen – westdeutscher erfolgreicher Verhandlungsführer war der Chef der Deutschen Bank, der einschlägig bekannte Hermann Josef Abs. Ein solcher Schuldenerlass wurde den Griechen bis heute verweigert. Erlassen wurden den Deutschen auch die Schulden gegenüber Griechenland, das von 1941 bis 1945 ausgeplündert wurde. Würden nur diese deutschen Schulden aus dem Hitlerkrieg den Griechen bezahlt, wäre deren Krise überstanden.

Die Hauptthese der Geschichtsschreibung a la Turner ist die, dass „die Wirtschaft“ erst nach dem 30. Januar 1933 sich notgedrungen mit dem NS und Hitler arrangierte und dass vorher keine wirklich bedeutenden Beziehungen, die dann zur „Machtergreifung“ führten, zwischen ihnen bestanden. Das wird durch Gustav Luntowski und Adam Tooze in ihren Büchern widerlegt. Tooze lässt zudem deutlich werden, dass auch die neuaufgenommenen Beziehungen von Industrie und Kapital zum deutschen Faschismus aus der Zeit Januar 33 bis Juni 34 geeignet waren, das Regime entscheidend zu stärken, ja seine Existenz zu sichern.

Industrie und Kapital hätten es auch nach dem 30. Januar 33 noch in der Hand gehabt, den Faschismus auszuschalten, wenn sie nur gewollt hätten. Sie wollten nicht, denn ihr politisches und ökonomisches Programm glich viel zu sehr dem der Nazis.

Ich verweise auf Seite 129 bei Tooze über das wenig bekannte »Spenden-Rendezvous« Hitlers mit der Schwerindustrie drei Wochen nach der Machtübergabe in Görings Reichstagspräsidentenpalais: „Einmal ganz abgesehen von den Folgen, zählt dieses Treffen vom 20. Februar [1933] zu den berüchtigtsten Beispielen für die Bereitschaft des deutschen Großunternehmertums, Hitler bei der Aufstellung seines diktatorischen Regimes beizustehen.« ... »Krupp und Konsorten (wurden) von Hitler nie gezwungen, sich seinem gewalttätigen Antisemitismus oder sich seinen Eroberungsplänen anzuschließen.«

Entscheidend war das, was Hitler den Industriellen versprochen und schließlich auch durchgesetzt hatte: »Das Ende der parlamentarischen Demokratie und die Vernichtung der deutschen Linken« (S. 129). Die »gesunden Profite« lockten. Tooze eindeutig: »Und für genau dieses Versprechen leistete ein hoher Prozentsatz der deutschen Großindustrie gerne eine gehörige Anzahlung« (ebd.).

Allein bei diesem Treffen waren es drei Millionen Reichsmark für den Fonds zur Wahl im März, die – das war korrekt versprochen – nun wirklich die letzte sein sollte. Der britische Historiker: »Krupp und Konsorten waren willige Partner bei der Vernichtung des politischen Pluralismus in Deutschland« (ebd.).

Tooze: »Faktisch aber waren es die Spenden vom Februar und März 1933 gewesen, die einen wirklich entscheidenden Beitrag leisteten. Denn sie waren für die Partei just in dem Moment eine kräftige Finanzspritze, als die ungemein knapp bei Kasse war und, wie Göring so richtig vorausgesagt hatte, vor der letzten Wahl ihrer Geschichte stand.«

Am Ende seines Buches stellte Tooze die Frage, warum die Lobby der deutschen »Privatwirtschaft« dann den »drastischen Eingriff der Staatsmacht nach 1933« überhaupt tolerierte, immerhin habe doch das Großunternehmertum zuvor das »Reformstreben« der Weimarer Republik noch massiv behindert (S. 757). Tooze: Zwar widersprach die »autokratische nationalsozialistische Wende« deutlich der »internationalen Agenda« – den Exportinteressen –, die die deutsche Privatwirtschaft pflegte, doch der »autoritäre Stil«, den Hitlers Koalition in der Innenpolitik pflegte, »gefiel ihr dafür ausnehmend gut, nicht weniger gut als die gesunden Profite, die seit Mitte der dreißiger Jahre auf sie zurollten« (ebd.).

Wer an das Dogma glaubt, dass die Unterstützung der Großindustrie für Hitler ein »Mythos« sei, dem macht Tooze deutlich, dass sie sich 1933 »dem politischen Wandel nicht entgegen [stellte], wie während der ersten Revolution in Deutschland 1918/19, sondern sich Hitlers ›Nationaler Revolution‹ in vielen entscheidenden Punkten als willfähriger Partner« anbot (S. 166). Selbst an privatwirtschaftlichen Schauplätzen, wo man eigentlich »etwas Widerstand« erwartet hätte, stießen die Vertreter der Nazipolitik, schreibt der Autor in seiner »Ökonomie der Zerstörung«, auf »bereitwillige Kollaborateure«. Ob Autarkieprogramm, die Aufrüstung oder sogar die große Zahl neuer Überwachungsbehörden – »alles fand den Beifall und die tatkräftige Unterstützung von erfahrenen Firmenchefs, deren Fachwissen dem Regime mit freundlicher Genehmigung der gesamten deutschen Industrie zur Verfügung gestellt wurde« (ebd.).

Zurück zum Datum 7.1. und zur Dortmunder Rathenauallee heute Hainallee und zur Vorgeschichte: Um sich im engsten Kreise vertraulich über wichtige Fragen abzustimmen, schlossen sich im Januar 1928 zwölf Industrielle zusammen, die sich selbst als die „maßgebenden Herren der westlichen Industrie“ bezeichneten. Ihre Vereinigung nannten sie die „Ruhrlade“. Mit ihr und ihrem „engeren Kreis“, dem Krupp, Klöckner, Reusch, Springorum, Thyssen, Vögler und Poensgen angehörten, hat sich der langjährige Dortmunder Stadtarchivar Gustav Luntowski in seinem Buch „Hitler und die Herren an der Ruhr – Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich“ befasst. Er konnte aus bisher ungenutzten Quellen, darunter den Privatarchiven der Herren der Ruhrlade, schöpfen und kam nicht umhin festzustellen, dass „eine Mitverantwortung der Industriellen für das nationalsozialistische Unrechtssystem“ nicht zu verneinen sei. Stärkere Urteile wären aufgrund des zusammengetragenen Materials möglich gewesen, erschienen dem Historiker aber wohl nicht opportun.

3. Zur Zwangsarbeiterentschädigung

Wir benutzen diese Formel:

Liste der Firmen, die mit Sicherheit Zwangsarbeiter ausgebeutet haben:
http://www.nrw.vvn-bda.de/texte/0874_liste_zwangsarbeit_fonds.htm

Liste der Firmen, die einen Beitrag zur Zwangsarbeiterentschädigung eingezahlt haben:
http://www.verbrechen-der-wirtschaft.de/texte/0050_liste_zwangsarbeiter.htm

Firmen, die in der oberen, nicht aber der unteren Liste genannt werden, haben sich um die Zahlung herumgedrückt.

Unser Buch dient in starkem Maße der weiteren Entschädigung.

Zunächst dies: Es entstand erstmals seit 1990 wieder eine Gesamtschau über die Geschichte des Unternehmertums in jener Zeit. Einzelne Bücher gab es immer wieder – zu einzelnen Firmen. Zum Beispiel: Gottfried Plumpe, ein Bayer-AG-Angestellter, hat 1990 ein Buch über die Geschichte der I.G.Farben herausgegeben („I.G.Farbenindustrie AG“ 1904-1945, Berlin 1990), das unter den Mitgliedern der „Gesellschaft für Unternehmensgeschichte“ kursiert und von ihnen gern zitiert wird. Diese Gesellschaft hat keinesfalls eine Gesamtschau über das Unternehmertum und das NS-Regime hervorgebracht; dazu wurde sie ja auch nicht 1976 gegründet, und zwar mit dem allerhöchsten Segen von Hermann Josef Abs, über den in diesem Buch berichtet wird. Es galt, ein „Gegenpol“ zur marxistischen Geschichtswissenschaft zu schaffen. Gottfried Plumpe gibt, so erfahren wir bei Otto Köhler in einem Beitrag vom 26.11.2007 in der Jungen Welt, ein Musterbeispiel dafür ab, dass nicht einmal vor plumpen Fälschungen zurückgeschreckt wird, wenn es darum geht, das Unternehmertum und seine NS-Geschichte weißzuwaschen. Es gebe „keine gegenlautende Aussagen oder Dokumente“ zur Aussage von Carl Krauch aus der I.G.Farben-Spitze im Nürnberger Prozess. Dieser hatte geleugnet, jemals die Zurverfügungstellung von Zwangsarbeitern für das Werk der I.G. in Auschwitz beantragt zu haben. Krauch hat gelogen und Plumpe auch. Das Dokument für Krauchs Antrag auf Zwangsarbeiter wurde im Plumpe-Buch um die vier Worte „Auf meinen Antrag und“ gekürzt. Der gerichtsbekannte Brief, den Krauch am 4. März 1941 an seinen für Auschwitz zuständigen Vorstandskollegen, den Giftgasexperten Otto

Ambros, richtete, lautete: „Auf meinen Antrag und auf Weisung des Herrn Reichsmarschalls“ habe der Reichsführer SS unter dem 26. Februar angeordnet, dass der Aufbau des Werkes in Auschwitz „durch die Gefangenen aus dem Konzentrationslager in jedem nur möglichem Umfange zu unterstützen sei.“ Dieses Zitat fanden auch die Rechercheure der VVN-BdA aus Recklinghausen wieder, und sie haben es unter www.nrw.vvn-bda.de veröffentlicht.

Zur Zwangsarbeiterentschädigung: Sie hat nicht einmal ansatzweise das ergeben, was erforderlich war. Vor allem sei daran erinnert, dass die Zwangsarbeiter, die als Kriegsgefangene aus der Sowjetunion und aus Italien nach Deutschland kamen, nicht einen Pfennig oder Cent Entschädigung gesehen haben. Die größte Gruppe der Nichtentschädigten stellen die sowjetischen Kriegsgefangenen dar. Fünf Millionen sowjetischer Soldaten waren in deutscher Kriegsgefangenschaft, von denen nur 1,7 Millionen überlebten, aber dies zumeist bei qualvoller Zwangsarbeit.

Den Überlebenden zu ihrem Recht zu verhelfen, an ihr Leiden zu erinnern und vor ihren Peinigern zu warnen, soll uns Verpflichtung sein.

Wir möchten mit unserer Kampagne einen Beitrag zur Freiheit der historischen Wissenschaft leisten, indem wir konkrete Belege vorweisen. Denn den Zusammenhang von Kapitalherrschaft und NS-Regime aufzuzeigen, führt bisweilen zu Diffamierungen z. B. durch Einträge in die Verfassungsschutzberichte. Davon weiß ich ein Lied zu singen. Kapitalismus muss nicht zum Faschismus führen. Es ist aber bei uns so geschehen, und die Sozialisierungsartikel im Grundgesetz, in der hessischen und der nordrhein-westfälischen Landesverfassung zeugen noch heute davon, dass daraus nach 1945 die Lehren gezogen wurden.

Allerdings waren diese Lehren bald vergessen. Indem wir daran erinnern, erkämpfen wir Grundfreiheiten und schützen die Verfassung.

Vor allem darf diese Lehre nicht vergessen werden, die am 11. Februar 2012 zur Überschrift „Ein Geschenk für Hitler“ im Neuen Deutschland führte, und darunter stand: Die Weltwirtschafts- und die Weltbankenkrise von 1929 bis 1933 „steht am Beginn von Adolf Hitlers kometenhaftem Aufstieg.“ Die Krise war ein Geschenk an die Nazis und sie ist heute ein Geschenk für alle Antidemokraten.

Abbau von Demokratie wird heute wieder möglich, und die Zahl der Millionäre vergrößert sich trotz Krise – oder wegen der Krise – immens. Das Neue Deutschland über die Krise ab 1929: „Kalte Wut auf das ‚System’ verdichtete sich zu einer hochexplosiven Mischung. Die Perspektivlosigkeit breiter Massen, ein völlig überforderter Staat und ein zusammenbrechendes soziales Sicherungssystem treiben den Nazidemagogen Millionen von Wählern zu.“ [Neues Deutschland. 11. Februar 2012.]

Diese Millionen Wähler, dieser gewaltige Masseneinfluss des deutschen Faschismus, das war der entscheidende Faktor für das Votum der führenden Wirtschaftskreise für die Nazis. Diese Kreise hatten sich nie mit der Weimarer Republik und der bürgerlichen Demokratie abgefunden. Sie drängten auf Revanche für den verlorenen Krieg. Sie strebten die Beseitigung der Demokratie mittels einer Militärdiktatur, mittels eines Präsidialregimes, mittels einer monarchistischen Renaissance an. Aber diese Modelle hatten einen Nachteil, sie wurden nicht von den Massen getragen. Nur die Nazis konnten Massen in Bewegung setzen und Massen lähmen – je nachdem, was gewollt war. Der deutsche Faschismus war nicht nur Terror, sondern auch Verführung. Auch deshalb kam es zum 30. Januar 1933. Hinter Hitler stand zwar nie eine Mehrheit, aber doch fast die Hälfte der Wählerschaft.

Noch einige Beispiele:

Neben Leverkusen birgt auch Marl eine Stätte der IG Farben-Verbrechen. Auf dem Gelände des heutigen Chemieparks Marl befanden sich die Chemischen Werke Hüls, die zu 74 Prozent der I.G.Farben gehörten. Die Firma bestand von 1938 bis 1998 und wurde dann von der Evonik Degussa, übernommen. Degussa wiederum war ebenfalls lange Zeit eng mit der I.G.Farben verbunden. Degussa wurde ab 1999 über Zwischenstationen bei VEBA, Ruhrkohle AG u.a. zum Teil der neuen Fa. Evonik Degussa mit Sitz in Essen und Produktionsstätten u.a. in Marl. Auch dort streben Antifa-Gruppen an, dass an die mörderische Geschichte von Degussa mit Mahntafeln erinnert wird.

Überlebende des Holocaust haben 1998 in den USA gegen die Fa. Degussa eine Sammelklage erhoben, um sie zur Zahlung von Entschädigung zu bewegen. In einer Antwort hat die Degussa zur Entschuldigung auf ihre seinerzeitige „Einbindung des Unternehmens in das totalitäre nationalsozialistische Wirtschaftssystem" hingewiesen. Nicht freiwillig habe man an Raub, Sklavenarbeit und Mordbeihilfe Unsummen verdient, sondern unter Zwang.

Mit „Einbindung" wollen Manager wie die von Degussa eine Fessel ins Spiel bringen, mit der ihren Vorgängern angeblich von den Nazis die Hände gebunden waren. Opferorganisationen stellten dazu fest [Siehe „Gerechtigkeit für die Überlebenden der NS-Zwangsarbeit“, hg. VVN-BdA, März 2000, 2. überarbeitete Auflage]:

In den Sammelklagen gegen Degussa und die IG Farben i. A. (in Abwicklung, so hieß der I.G.-Rest nach 1945) sowie gegen die I.G.- Farben-Nachfolger-Firmen Bayer, Hoechst und BASF kulminiert gewissermaßen die Anklage gegen die Verbrecher aus der deutschen Wirtschaft von 1933 bis 1945: Hier geht es um Massenmord und schwerste Kriegsverbrechen. Auch Degussa hat von „normaler" Sklavenarbeit profitiert.

Degussa hat sich, so heißt es in einer Klage, „arisierten" Besitz angeeignet [Siehe die TV-Filme von Conrad Schuhler „Das letzte Tribunal“. Süddeutsche Zeitung/Deutsche Welle, 1998 und „Blutige Beute“ – Das SS-Raubgold und die verschwundenen Akten, Südwestfunk.1998]. Sie hat gemeinsam mit der I.G. Farben die Firma Degesch, jene Gesellschaft für „Schädlingsbekämpfung" unterhalten, die das Gas Zyklon B für den millionenfachen Mord lieferte und mittels dieser Mordbeihilfe viele Millionen verdiente. Sie hat als „Deutsche Gold- und Silberscheideanstalt" das Gold geschieden, auch „Bruchgold" aus den Mündern der - laut Behördenpost - „Abgänge der Konzentrationslager", um es, zu Goldbarren verarbeitet, an die Banken weiterzuliefern. Degussa hat auch - so 1943 in ihren chemischen Werken in Gleiwitz - Häftlinge ausgebeutet, die, nachdem sie arbeitsunfähig waren, nach Auschwitz ins Gas geschickt wurden. Sie hat eigene Firmen-KZs unterhalten, und wer nicht mehr mitkam, musste sterben, wie die TV-Sendung „Angeklagt: Die Deutsche Wirtschaft" im Dezember 1998 berichtete. Der Degussa-Konzern profitierte wie kaum ein anderer von den Naziverbrechen.

Was nun die Degussa- und I.G.-Farben-Aktivitäten zur massenhaften Tötung mittels Zyklon-B-Giftgas anbelangt, so war dafür vor wie nach 1945 Prof. Carl Wurster die einflussreiche helfende Hand. Wurster war vor 1945 einer der leitenden Männer der IG Farben und der Degesch mbH., die Degussa und I.G. gemeinsam betrieben, wie wir heute wissen. Dabei war Degussa federführend. Nach 1945 wurde Wurster nur kurz als Angeklagter im IG-Farben-Prozess behelligt, um dann BASF-Vorsitzender und Degussa-Aufsichtsratsmitglied zu werden, ferner Mitglied in vielen Wirtschaftsgremien, so in Aufsichtsräten der Deutschen Bank und mancher Degussa-Tochter.

Übrigens: Auch die letzten Unterlagen über Zahngold und andere Wertsachen, die Juden in KZs geraubt worden waren, sind aus dem Bundesarchiv verschwunden, wie dies [laut afp vom 28.7.1998] in den sechziger und siebziger Jahren mit vielen Unterlagen geschehen ist.

Zudem: Wenn die Wirtschaft zur Aufarbeitung ihrer Geschichte aufgefordert wird, geht es gar nicht um die Aufforderung zum Antikapitalismus, sondern um die Klärung der Rolle von Industriellen, Bankern, Agrariern usw. in einer ganz bestimmten, aber entscheidenden Situation. Das darf doch wohl 80 Jahre danach erwartet werden.

Und zwar in einer Zeit, da die Kriegsgewinnler von 1933 bis 1945 derzeit wieder am Krieg verdienen und an dritter Stelle in Rüstungsproduktion und Waffenexport weltweit stehen.

Literaturhinweise

Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländereinsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn 1999

Gustav Luntowski, Hitler und die Herren an der Ruhr. Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich, Frankfurt am Main - Bern 2000

Adam Tooze, Ökonomie der Zerstörung. Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, München 2007

Henry Ashby Turner, Faschismus und Kapitalismus in Deutschland. Göttingen 1972

Henry Ashby Turner, Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers, Berlin 1985

Die Quelle zu dem Text zum Treffen in Straßburg im August 1944 ist:

  1. Heinz Bergschicker „Deutsche Chronik 1933-1945“, Verlag der Nation Berlin 1982, Seite 534. - Unter der Überschrift „Konzern-Strategie“ wird ein Agentenbericht an das US-State Department vom 7. November 1944 über ein Treffen am 10. August 1944 im Hotel Rotes Haus in Strasbourg zitiert.
  2. Andere Quelle: „Der Banditenschatz“ von Julius Mader (Dokumentarbericht über Hitlers geheimen Gold- und Waffenschatz), Deutscher Militärverlag, Berlin 1966, Seite 9 ff.