11.05.2015
Der Umgang der BRD mit
Widerstandskämpfern und heutigen Antifaschisten
Referat
von Silvia Gingold, Kassel
Die Konferenz der VVN-BdA und der
Marx-Engels-Stiftung "8. Mai 1945: Befreiung – Was sonst!? zum
bundesdeutschen Umgang mit den Tätern und Opfern des
Naziregimes" fand am 18. April 2015 in Düsseldorf statt. Die
Referate von Prof. Ludwig Elm, Jena, "„Freiheit der Wissenschaft“ im
Dienste der Unfreiheit. Hitlers Professoren in der frühen
Bundesrepublik", Ulrich Sander, Dortmund, "Wiederbewaffnung und
Demokratenverfolgung in der Adenauerära" und Prof.
Manfred Weißbecker, Jena, "Russlandbilder im deutschen
Faschismus" wurden im Heft 3/2015 der "Marxistischen Blätter"
veröffentlicht (http://www.marxistische-blaetter.de/).
Das vierte Referat von Silvia Gingold wird im Folgenden
dokumentiert:
Ich möchte am Beispiel meiner Familiengeschichte
berichten, was Verfolgte und Widerstandskämpfer gegen das
Naziregime im Nachkriegsdeutschland erleben mussten und was die in
ihrer Tradition stehenden Nachkommen bis heute erleben müssen.
Ich beginne mit der aktuellen Auseinandersetzung, die
ich seit 2012 mit dem Landesamt für Verfassungsschutz Hessen
führe.
Vor drei Jahren fragte ich beim Landesamt für
Verfassungsschutz Hessen an, welche Daten dort über mich
gespeichert sind. Ich bekam die Auskunft, dass ich seit dem Jahr 2009
im Bereich „Linksextremismus“ gespeichert sei, etwaige
zeitlich früher entstandene Daten nicht vorhanden seien. Es wurde
angeführt, dass ich auf einer von der Anti-Nazi-Koordination
organisierten Demonstration in Frankfurt/M eine Rede zum Thema
„40 Jahre Berufsverbote in der BRD“ gehalten,
außerdem mit einem „Funktionär der VVN“
während einer Lesereise durch Bayern aus den Erinnerungen meines
Vaters Peter Gingold gelesen habe.
Meiner Forderung nach vollständiger Auskunftserteilung, könne man nicht entsprechen, so der VS: „Im
konkreten Fall hat eine weitergehende Begründung zu unterbleiben,
da die Mitteilung Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand in dem
Beobachtungsfeld insgesamt ermöglichen würde. Bei Offenlegung
der Daten wäre zu befürchten, dass die weitere Beobachtung
erheblich erschwert, in Teilbereichen sogar unmöglich gemacht
würde, weil sich die Betroffenen auf die Arbeitsweise,
insbesondere die Art und Weise nachrichtendienstlicher
Informationsbeschaffung des Landesamtes für Verfassungsschutz
einstellen dürften.“
Antifaschistin wird jahrelang bespitzelt
Nachdem ich Widerspruch und Klage gegen den Hessischen
Verfassungsschutz erhoben habe, wies dieser die Klage mit der
Begründung zurück, dass
„...die
Klägerin offen mit linksextremistischen Kräften zusammen
arbeitet…, die ein kommunistisch orientiertes
Antifaschismusverständnis vertreten“ „Die
‚Antifaschismus-Arbeit’ gehört seit jeher zu den
Kernaktivitäten von Linksextremisten. Die Aktivitäten richten
sich nur vordergründig auf die Bekämpfung
rechtsextremistischer Bestrebungen. Ziel ist vielmehr der Kampf gegen
die freiheitliche demokratische Grundordnung als
‚kapitalistisches System’, um die angeblich diesem
Gesellschaftssystem immanenten Wurzeln des ‚Faschismus’ zu
beseitigen.“
Mir wird in dem Papier vorgeworfen, in einer Rede
anlässlich des Berufsverbots von Michael Csaszkoczy anhand meiner
eigenen Familiengeschichte eine Kontinuität zwischen der
Gesinnungsverfolgung während der Nazizeit und der Bundesrepublik
festgestellt zu haben. Ich hätte in dieser Rede davon gesprochen,
dass höchste Institutionen im Nachkriegsdeutschland mit
Kräften besetzt wurden, die schon den Nazis gedient und den
faschistischen Terror mitgetragen hatten. Außerdem hätte ich
in einer anderen Rede behauptet, dass staatliche Organe wie der
Verfassungsschutz augenscheinlich überfordert sind, Naziterror zu
verhindern.
Damit begründet und rechtfertigt der VS meine Einordnung und Beobachtung im Bereich „Linksextremismus“.
Dabei entspricht es den Tatsachen und ist mittlerweile
in der Öffentlichkeit längst als allgemein bekannt, dass
dieses Amt über ein Jahrzehnt offensichtlich nicht fähig
– oder besser gesagt – nicht willens war, die kriminellen
und mörderischen Aktivitäten von NSU und Neonazis zu
erkennen, zu verfolgen und zu verhindern. Eine Aufklärung wurde
und wird vernebelt, verfälscht, behindert, es werden Zeugen und
Dokumente, Beweise beseitigt, um Verbindungsleute, die tief in diese
Mordserie verwickelt sind, zu schützen und deren Aufdeckung zu
verhindern.
Keinen Aufwand scheut man hingegen, Nazigegner zu
observieren, ihre Handydaten millionenfach zu speichern, sie zu
kriminalisieren und Strafverfolgungen auszusetzen, wie dies in z.B. in
Dresden geschehen ist.
Verfassungsschutz – von Nazis aufgebaut
Das ist kaum verwunderlich, bedenkt man, dass dieser
Verfassungsschutz maßgeblich aufgebaut wurde von früheren
Mitarbeitern der NS- Geheimdienste, die bis in die 70er Jahre in
führenden Positionen des VS tätig waren. Dieses Amt machte
sich von Anfang an die Erfahrungen von früheren Mitarbeitern von
SS, Gestapo und NS-Geheimdiensten zu Eigen.
Es gab hochrangige Mitarbeiter, die in den ersten Jahren
unter falschem Namen im Bundesamt für Verfassungsschutz
arbeiteten, weil sie fürchteten, wegen Kriegsverbrechen verfolgt
zu werden. Kurt Klaus Lischka, ehemaliger SS-Obersturmbannführer,
für die Deportation von 76.000 Juden aus Frankreich in die
Konzentrationslager verantwortlich, war Mitarbeiter des
Verfassungsschutzes.
Der aus der Nazizeit hinübergerettete antikommunistische Geist prägte dieses Amt nachhaltig und wirkt bis heute nach.
Und nicht nur im Verfassungsschutz fanden sich seit den 50er Jahren wieder ehemalige Nazifunktionäre: „Alles konnten sie hier werden“, schreibt mein Vater, „Dr.Hans
Globke, der die juristischen Grundlagen und Kommentare zu den
Nürnberger Rassegesetzen verfasst hatte, wurde unter Adenauer
Staatssekretär im Bundeskanzleramt. Die einstigen Nazis
saßen in der Ministerialbürokratie, in den
Führungsetagen der Verwaltung, der Wirtschaft, der Justiz, der
Hochschulen, der Medien, bauten das Militär und die Geheimdienste
auf.“
Dominik Rigoll stellt in seinem Buch „Staatsschutz in Westdeutschland“ fest: “Speziell
in Deutschland wurde…den Belasteten und Mitläufern
signalisiert, dass die Treue, die sie dem Dritten Reich erwiesen
hatten, sowohl aus der Sicht fast aller Bundestagsparteien als auch der
westalliierten Regierungen kein dienstrechtliches Problem mehr
darstellte…“ (S.90)
Als meine Eltern 1945 aus der Emigration nach
Frankfurt/M zurückkehrten, wollten sie und mit ihnen viele
überlebende Antifaschisten daran mitwirken, dass keiner mehr aus
politischen, ethnischen oder religiösen Gründen diskriminiert
und verfolgt werden dürfe. Ihre Hoffnungen hatten sich bald
zerschlagen.
Zunächst waren es die „45er“, wie sie
Dominik Rigoll in seinem Buch „Staatsschutz in
Westdeutschland“ bezeichnet, also jene überlebende
NS-Verfolgte oder Widerstandskämpfer, die unmittelbar nach
Kriegsende wegen ihrer politischen Verlässlichkeit in
Spitzenpositionen gelangt waren. Ich nenne hier exemplarisch die
Frankfurter Kommunisten Emil Carlebach, Mitbegründer und
Lizenzträger der Frankfurter Rundschau, und Oskar Müller, der
erste hessische Arbeitsminister nach Kriegsende. Sie wurden nach und
nach von den „49ern“ verdrängt. Das waren all jene
Belasteten und Mitläufer des NS-Regimes, die es durch die von
Adenauer forcierte Personalpolitik geschafft hatten, in Staat und
Gesellschaft wieder verantwortliche Positionen einzunehmen.
Dazu Rigoll: „Denn
spätestens seitdem die Besatzungsbehörden am 30.August 1950
vom State Departement angewiesen wurden, ‚in Zukunft nur noch
Fälle exzessiver Renazifizierung zu untersuchen – und wenn
überhaupt, dann in aller Stille’, waren KPD und ihr Umfeld
die einzigen verbleibenden politisch relevanten Kräfte, die mit
Nachdruck jenen ‚inneren Frieden’ störten, den sich
Adenauer und McCloy für die NS-Bediensteten so sehr
wünschten.“ (S.78) McCloy war hoher amerikanischer
Kommissar der alliierten Siegermächte, bekannt für die
endgültige Begnadigung der in Nürnberg verurteilten
Kriegsverbrecher und auch dafür, eine juristische Verfolgung von
Kriegsverbrechern zu verhindern.
NS-Funktionäre bleiben im Dienst – Linke werden entfernt
Im Zusammenhang mit der Renazifizierung fragt Rigoll: „Kam
keiner der an der Genese des Adenauererlasses beteiligten Akteure auf
die Idee, dass auch in der fast ausnahmslosen Wiederverwendung
einstiger NS-Funktionäre ein Risiko für den Bestand der
jungen Demokratie liegen könnte?“ (S.10)
Wie sehr die Demokratie gefährdet war, wurde
deutlich in der Politik der Remilitarisierung der BRD, der
Aushöhlung des Grundgesetzes durch die Notstandsgesetze, des
KPD-Verbots und damit der Stigmatisierung und Kriminalisierung des
kommunistischen Umfelds sowie der demokratischen- und Friedensbewegung
in den 50er Jahren.
Ich erinnere mich an die Hausdurchsuchung in unserer
Wohnung am Tag des KPD-Verbots im August 1956. Zufällig waren
meine Großeltern zu Besuch, die die Nazizeit in Frankreich
überlebt hatten und dort geblieben waren. Empört sagten sie
den Polizisten, die unsere Wohnung nach kommunistischen Materialien
durchsuchten, dass sie so etwas auch schon 1933 erlebt hätten.
Nach dem KPD-Verbot wurden unsere deutschen Pässe
eingezogen, wir wurden ausgebürgert und zu Staatenlosen
erklärt. Irgendein Beamter muss wohl damals – vermutlich
weil wir als engagierte Antifaschisten und Kommunisten unter
Beobachtung standen - in unserer Familienakte geforscht und
festgestellt haben, dass es nie ein Einbürgerungsverfahren gegeben
hatte. Mein Vater, zwar in Deutschland geboren, besaß jedoch vor
der Emigration einen polnischen Pass, da seine Eltern aus Polen nach
Deutschland eingewandert waren. Nun hatten wir als Staatenlose den
Status von Ausländern, wurden nur geduldet und mussten
jährlich unsere begrenzte Aufenthaltsgenehmigung verlängern
lassen. Wir beantragten die deutsche Staatsangehörigkeit, die
zunächst durch die hessischen Instanzen befürwortet wurde,
bis der Antrag viele Jahre später bei dem damaligen
Bundesinnenminister Genscher landete. Der lehnte unsere
Einbürgerung mit der Begründung ab, als Kommunisten
würden wir nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die
freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten, die gleiche
Begründung mit der ich später Berufsverbot erhielt.
Berufsverbot für Silvia Gingold
Holländische Freunde sandten uns Unterlagen
über sieben Holländer zu, die als Freiwillige in der SS an
Kriegsverbrechen teilgenommen hatten, in Holland zum Tode verurteilt,
dann begnadigt worden waren und lebenslänglich im Zuchthaus von
Breda einsaßen. Ende der 50er Jahre gelang ihnen die Flucht in
die BRD. Als die holländische Regierung ihre Auslieferung
forderte, erhielten die sieben Kriegsverbrecher unverzüglich die
deutsche Staatsbürgerschaft. Diese skandalösen Tatsachen
stellten wir unserer Familiengeschichte gegenüber und machten dies
öffentlich. Mein Vater erklärte: „Hätten
meine Frau und ich damals mit der SS gekämpft, uns an
Kriegsverbrechen beteiligt, wären wir würdig gewesen,
Deutsche zu werden“. Unter dem Druck einer empörten Öffentlichkeit wurden wir schließlich im Jahr 1974 wieder eingebürgert.
Dann kam mein Berufsverbot. Nach vierjähriger
Tätigkeit als Lehrerin wurde ich 1975 aus dem hessischen
Schuldienst entlassen.
Vorausgegangen war eine Anhörung beim
Regierungspräsidium Kassel, in deren Verlauf mir seit meinem
17.Lebensjahr gesammelte „Erkenntnisse“ des hessischen
Verfassungsschutzes vorgelegt wurden, so u.a. die Teilnahme an einer
Demonstration gegen den Krieg in Vietnam, an einer
„Wissenschaftlichen Tagung“ der „Marxistischen
Blätter“, an den Weltjugendfestspielen in Sofia,
Flugblattverteilerin anlässlich des 12. Jahrestags des
KPD-Verbotes... - alle Aktivitäten mit genauer Zeit- und
Ortsangabe dokumentiert. Ich nenne sie exemplarisch für über
3,5 Millionen vom Verfassungsschutz angelegte Dossiers über
Bewerber für den öffentlichen Dienst, die das ganze
Ausmaß der Gesinnungsschnüffelei in erschreckender Weise
verdeutlichen. Hierzu stellte Prof. Dr. Abendroth auf der
Internationalen Konferenz gegen die Berufsverbote in Darmstadt im
Januar1979 fest: „Wir haben in
der Bundesrepublik Deutschland ein politisches Überwachungssystem,
wie es in dieser Perfektion und in diesem Umfang in keiner anderen
bürgerlichen Demokratie besteht, noch nicht einmal in den
Vereinigten Staaten, etwa in der Zeit des Kalten Krieges. Das
Bundesverfassungsschutzamt kombiniert millionenfach Zählkarten und
Akten über fast jedermann, der irgendwann einmal kritisch im
politischen Leben aufgetaucht ist“.
Per Regelanfrage wurden 3,5 Millionen Menschen vom
Verfassungsschutz überprüft, es kam zu 11.000
Berufsverbotsverfahren, 2.200 Disziplinarverfahren, 1250 Ablehnungen
von Bewerbungen und 265 Entlassungen.
Grundlage für die Entlassung bzw. Nichteinstellung
von Beschäftigten oder Bewerbern lieferte der Beschluss der
Ministerpräsidentenkonferenz unter dem Vorsitz von Bundeskanzler
Willy Brandt vom 28.Januar 1972 – bekannt als
„Extremistenbeschluss“ oder „Radikalenerlass“.
Danach sollte ein Bewerber für den öffentlichen Dienst
abgelehnt werden, der „verfassungsfeindliche
Aktivitäten“ entwickelt oder „einer Organisation
angehört, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt“ und
somit „Zweifel begründet, ob er jederzeit für die
freiheitliche und demokratische Grundordnung eintritt“.
Betroffen waren ausschließlich Linke: Lehrerinnen
und Lehrer in Schule und Hochschule, Juristinnen und Juristen,
Postbedienstete, Lokführer, Beschäftigte im Sozial- und
Gesundheitswesen. Es waren Mitglieder und Sympathisanten der DKP oder
anderer marxistischer und sozialistischer Organisationen,
Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, Kriegsdienstverweigerer,
Jungsozialisten. Ihr „Vergehen“: Sie engagierten sich im
Sinne des Grundgesetzes gegen Demokratie- und Sozialabbau, gegen
Neonazismus und Krieg, und setzten sich für eine sozialistische
Alternative ein. Genau dieses Engagement sollte mit dem Instrument des
Radikalenerlasses eingedämmt und verhindert werden.
Tausende waren betroffen
Tausende Bewerber für den öffentlichen Dienst
wurden Verhören unterzogen und ausgefragt über ihre
politischen Aktivitäten, ihre Einstellung zum Marxismus, zum
Eigentum, zu den sozialistischen Ländern. Die Schnüffelei
ging bis zur Ausforschung privater Bereiche, beispielsweise, dass sie
in einer „linken“ Kneipe verkehrten, in einer
Wohngemeinschaft mit Kommunisten lebten oder Familienangehörige
sich in kommunistischen Organisationen betätigten.
Mit der Verschärfung der ökonomischen Krise
Anfang der 70er Jahre, dem Anwachsen der Arbeitslosigkeit, der
Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen eines großen
Teils der Bevölkerung, verschärften sich auch die sozialen
Auseinandersetzungen: Streikbewegungen in Betrieben, Proteste gegen
Sozialabbau nahmen zu, beflügelt durch die vorausgegangene 68er
Protestbewegung, die gegen den Krieg in Vietnam, gegen die
Notstandsgesetzgebung, gegen Demokratieabbau und das Wiedererstarken
alter und neuer Nazis aufbegehrte.
Die immer stärker zutage tretenden
Widersprüche des kapitalistischen Systems lösten bei vielen
Menschen Fragen nach gesellschaftlichen Alternativen aus. Marxistische,
sozialistische Ideen und Organisationen wie die DKP bekamen
stärkeren Zulauf.
Dieser für die Regierenden bedrohlichen Entwicklung
sollte ein Riegel vorgeschoben werden. Der
„Radikalenerlass“ diente als Disziplinierungsmittel, sollte
die Menschen zu angepasstem Verhalten, zum Duckmäusertum zwingen,
demokratisches Engagement sollte zum persönlichen Wagnis werden,
ein Klima der Angst und Einschüchterung sollte politisches
Engagement im Keim ersticken.
Aber diese Rechnung der Regierenden ging nicht
vollständig auf: Jeder einzelne Berufsverbotsfall löste eine
Welle von Protesten und Solidarität mit den Betroffenen aus. Es
bildeten sich regionale und das bundesweite Komitee gegen „Weg
mit den Berufsverboten“, die die skandalösen
Gesinnungsverfolgungen in die Öffentlichkeit trugen und die
demokratischen Rechte für die Betroffenen einforderten.
Empörung im Ausland
„Le Berufsverbot“ fand in den 70er Jahren
als nicht übersetzbare Vokabel Eingang in den Sprachschatz der
französischen Medien und wurde in Frankreich zum Begriff für
die antidemokratische Praxis in der Bundesrepublik Deutschland, auf die
viele Franzosen mit Unverständnis reagierten.
Mein Berufsverbot jedoch erregte in Frankreich besonders
große Empörung, da meine Eltern während der deutschen
Besatzung an der Seite der Résistance zusammen mit Franzosen
gegen die Nazis gekämpft hatten. Dafür wofür wurden sie
von der französischen Regierung mit dem Befreiungsorden
ausgezeichnet. Junge Deutsche, die in der antifaschistischen Tradition
der Widerstandskämpfer standen, bekamen Berufsverbot wegen ihres
Engagements gegen Neonazis, Rassismus und Krieg. Urteile, die sie zu
„Verfassungsfeinden stempelten, wurden teilweise von Richtern
verhängt, die schon im Dienste der Nazis gestanden hatten. All das
löste in Frankreich heftige Proteste und große Beunruhigung
aus.
Der französische Rechtsanwalt und Sprecher der
französischen „Komitees für Meinungsfreiheit und gegen
Berufsverbote“, Pierre Kaldor, der mich als einer der
Anwälte vor dem hessischen Verwaltungsgerichtshof in meinem
Prozess gegen das Land Hessen vertrat, betonte:
„Dies ist keine
Einmischung in die Innenpolitik der Bundesrepublik, da die
Berufsverbote als Angriff auf die Menschenrechte ein Hindernis für
eine Politik der internationalen Entspannung darstellen…“ Er erklärte weiter: „Bei
der Résistance traf ich auch deutsche Antifaschisten, die
gemeinsam mit uns Franzosen unter Einsatz ihres Lebens gegen die
Nazi-Okkupation kämpften. Diesen Deutschen fühle ich mich
seither tief verpflichtet.“ (aus „Ein Bilderbuch über deutsche Zustände“, Pahl-Rugenstein-Verlag)
Auch für den französischen Publizisten Alfred
Grosser waren die Berufsverbote ein Thema. Anlässlich der
Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels in der
Frankfurter Paulskirche 1975 stellte er fest: „Vielleicht
bin ich zu sehr Franzose oder denke ich zu sehr an 1933, aber es
scheint mir doch, als ob in der Bundesrepublik immer mehr von der
Verteidigung der Grundordnung durch den Staat die Rede sei und immer
weniger von der Verteidigung der Grundfreiheiten gegen den Staat.
(…) Aber wenn jeder Anwärter auf eine Stellung im
öffentlichen Dienst auf Herz und Nieren geprüft werden soll,
wenn er Fragebögen auszufüllen hat, wenn dem Gymnasiasten
schon klar wird, was er zu unterlassen und was er brav zu sagen hat, um
später keine Schwierigkeiten zu bekommen, so vermeidet man weniger
Gefahren für die Grundordnung, als dass man junge Generationen zum
Konformismus und zu einem gefährlichen Mitläufertum
verleitet.“
Nicht nur aus Frankreich, auch aus vielen anderen
europäischen Ländern hagelte es Kritik an den Berufsverboten.
In den europäischen Nachbarländern war die Erinnerung an die
Verbrechen der Nazis, die Verfolgung der Hitlergegner und der
Kommunistenhass noch äußerst präsent. In der
Nazipropaganda waren Kommunisten die „Volksfeinde“, in der
Kontinuität dieses Antikommunismus galten sie in der
Bundesrepublik nun als die „Verfassungsfeinde“. In vielen
europäischen Ländern waren Kommunisten, die im
antifaschistischen Widerstandskampf standen, hingegen hoch angesehen.
Die Kritik aus dem europäischen Ausland, die
Appelle der Schwesterparteien der SPD brachten die verantwortlichen
Politiker in der BRD mehr und mehr in Bedrängnis. Sie trugen
schließlich dazu bei, dass Willy Brandt 1976 die mit dem
Ministerpräsidentenerlass eingeleitete Praxis, die der Demokratie
mehr Schaden als Nutzen eingebracht habe, als „Irrtum“
eingestand.
Wann erfolgt die Rehabilitierung?
Trotz dieses Eingeständnis, sich
„geirrt“ zu haben, trotz der Verurteilung der
Berufsverbotspraxis durch den Europäischen Gerichtshof im Jahr
1995 im Fall der Lehrerin Dorothea Vogt wurde bis heute weder
öffentlich eingeräumt, dass diese Praxis Unrecht war, noch
wurden die Betroffenen jemals rehabilitiert. Um dieser Forderung
Nachdruck zu verleihen, fanden sich anlässlich des 40.Jahrestages
der Verabschiedung dieses Ministerpräsidentenbeschlusses 2012
ehemals vom Berufsverbot Betroffene zu einer Initiative zusammen. Mit
zahlreichen Aktivitäten erinnerten sie und tun es weiter an die
Zeit der Berufsverbote. Durch ihre Initiative wurde z.B. erreicht, dass
die LINKE im Februar 2012 einen Antrag im Bundestag zur Rehabilitierung
der Betroffenen einreichte, den Wolfgang Gehrcke begründete.
Erwartungsgemäß wurde der Antrag mehrheitlich
abgelehnt. Helmut Brandt, Abgeordneter der CDU/CSU erklärte dazu:
Ich zitiere ihn deshalb, weil seine Erklärung den Geist der
Gesinnungsverfolgung der 70er Jahre atmet: „Ein
Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist angesichts
der immer noch währenden Gefahr des Links- und Rechtsextremismus
nach wie vor erforderlich. … Die Gewähr, jederzeit für
die demokratische Grundordnung einzutreten, ist Teil der von der
Verfassung geforderten Eignungsvoraussetzungen für die Einstellung
in den öffentlichen Dienst; Diese Rechtslage bestand bereits zum
Zeitpunkt des sogenannten Extremistenbeschlusses und gilt bis heute
fort. Die Mitgliedschaft eines Beamten in einer Vereinigung, die
Pläne zur Systemüberwindung hatte oder hat – Herr
Gehrke, ich glaube, dass Sie einer solchen Partei zumindest
angehört haben – und deren Schriften zur
Systemüberwindung aufriefen bzw. aufrufen, ist mit dem
Verhältnis eines Beamten zum Staat nicht vereinbar… Soweit
ein Bewerber in der Vergangenheit nicht in den öffentlichen Dienst
aufgenommen wurde, weil eine Abfrage beim Verfassungsschutz
begründete Zweifel an der Verfassungstreue ergaben, ist dies mit
den Grundrechten vereinbar und entschädigungslos
hinzunehmen.“ So weit der Umgang der heute Regierenden mit den Berufsverbotsopfern der 70er Jahre.
Im Niedersächsischen Landtag hatte die
Initiativgruppe mehr Erfolg. Sie konnte immerhin erreichen, dass ein
von der Fraktion der SPD und der Grünen eingebrachter Antrag
angenommen wurde, der die Einrichtung einer „Kommission zur
Aufarbeitung der Schicksale der von Berufsverbot betroffenen
Personen“ vorsieht. Auch im Hessischen Landtag beabsichtigt die
Fraktion die LINKE einen entsprechenden Antrag zur Aufarbeitung der
Berufsverbote einzubringen.
In Bayern: Neue Verfolgung der VVN-BdA
KPD-Verbot und „Radikalenerlass“ wirken bis in die Gegenwart.
Wer sich heute in Bayern für den öffentlichen
Dienst bewirbt, muss in einer Liste von vorwiegend als
linksextremistisch gehaltene Organisationen dokumentieren, ob er diesen
angehört.
Mitglieder und Aktive der VVN-BdA vorübergehend
werden überwacht, in Rheinland-Pfalz wurde der VVN die
Gemeinnützigkeit aberkannt.
Hingegen ist der Verfassungsschutz, sind die
verantwortlichen Politiker offensichtlich nicht interessiert daran,
Demonstrationen der rechten PEGIDA-Bewegung und ihre volksverhetzenden
Parolen zu verbieten und deren neonazistisches Umfeld zu kontrollieren.
Anstatt Anschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte, Angriffe
gegen Ausländer, gegen jene, die sich für den Schutz der
Flüchtlinge einsetzen ,wie kürzlich in Tröglitz
geschehen, zu vereiteln, wird jetzt eine groß angelegte
Vorratsdatenspeicherung realisiert, die jeden Bürger unter
Generalverdacht stellt.
Vor sieben Jahren hielt ich eine Abschiedsrede in meiner
Schule, in der ich dann doch immerhin nach meinem Berufsverbot noch 32
Jahre als Angestellte unterrichten durfte. Ich erinnerte an die Zeit
der Berufsverbote. Die Resonanz darauf machte mir bewusst, dass die
meisten jungen Kolleginnen und Kollegen zwar viel von Stasi aber nichts
vom Ausmaß der Bespitzelungen und dem Klima der Angst und
Einschüchterung der 70er Jahre in der BRD gehört haben.
Auch während der zahlreichen Lesungen aus den
Erinnerungen meines Vaters mache ich immer wieder die Erfahrung, dass
viele Zuhörer die Kontinuität der Gesinnungsverfolgung am
Beispiel meiner Familie bewegt und empört.
Das Kapitel „Radikalenerlass“ ist nicht
abgeschlossen. Die Forderung nach der Rehabilitierung der vom
Berufsverbot Betroffenen ist gleichzeitig Bestandteil des aktuellen
Kampfes gegen die Diffamierung und Kriminalisierung von Nazigegnern,
Blockupy- und Friedensaktivisten, Linken und Kommunisten.
Siehe auch:
Reader: Konferenz: 8. Mai 1945 - Befreiung - Was sonst!?
Zum bundesdeutschen Umgang mit den Tätern und Opfern des Naziregimes
http://www.nrw.vvn-bda.de/brosch.htm#8mai
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