14.04.2015
Gedanken zur Frage: Wie wird
die Friedensbewegung wieder mehr?
Zu den Ostermärschen
2015: Fünf Thesen zur Stärkung der deutschen
Friedensbewegung von Karl-Heinz Peil vom Bundesausschuss
Friedensratschlag.
1. Die
Zusammenarbeit in der Friedensbewegung kann und muss verbessert werden.
Die deutsche Friedensbewegung war in der letzten
Zeit weniger in ihrer Gesamtheit, als vielmehr durch den
»Friedenswinter« in den Medien präsent.
Dieser war ein Versuch, angesichts realer friedenspolitischer
Zuspitzungen der Notwendigkeit wirksamer Kampagnen gerecht zu werden.
Bei den traditionellen Strukturen der Friedensbewegung fand der
»Friedenswinter« aber aus unterschiedlichen
Gründen keine Zustimmung. Sowohl der
»Bundesausschuss Friedensratschlag« als auch die
»Kooperation für den Frieden« lehnten eine
Beteiligung ab. Bei der letztgenannten Dachorganisation gab es sogar
eine ausgeprägte Polarisierung von Befürwortern und
Gegnern, d.h. eine wechselseitige Blockade. Auf der
»Friedenswinter«-Aktionskonferenz am 14.
März wurde nun die Fortsetzung der Kampagne bis zum 10. Mai
beschlossen, von dem eine überregionale bzw. (je nach Lesart)
bundesweite Demonstration anlässlich des 70. Jahrestages der
Befreiung vom Faschismus in Berlin stattfinden soll. Wie es danach
weitergeht, ist derzeit noch offen. Insgesamt gesehen hat sich der
»Friedenswinter« als temporäre Struktur
von wichtigen Teilen der Friedensbewegung als nicht hilfreich erwiesen.
Die in diesem Kontext erfolgten Debatten haben die eigentlich
notwendige Außenwirkung massiv behindert. Natürlich
ist dafür auch die von außen geschürte
Kampagne in bezug auf angeblich oder tatsächlich nicht
erfolgte Abgrenzungen gegen rechts verantwortlich, die sich vor allem
auf die am »Friedenswinter« beteiligten
örtlichen Mahnwachen bezieht.
Zumindest bei den anstehenden
Ostermärschen ist aber die übergreifende Struktur der
»Friedenswinter«-Kampagne
überflüssig und eher kontraproduktiv. Deshalb sollten
bei weiteren bundesweiten Aktionen nach dem 10. Mai wieder die
gewachsenen Strukturen der deutschen Friedensbewegung mit der
Kooperation für den Frieden und dem Bundesausschuss
Friedensratschlag maßgebend sein.
Nach den Ostermärschen und den Aktionen
zum 8. Mai steht im August der 70. Jahrestag der
Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki an. Im Kampf
für ein atomwaffenfreies Deutschland und weltweite atomare
Abrüstung gibt es bereits eine langjährige Kampagne
(atomwaffenfrei.jetzt), die im kleineren Aktivenkreis diesen Jahrestag
vorbereitet und auf die gesamte Breite der Friedensbewegung angewiesen
ist. Schließlich ist die Atomkriegsgefahr derzeit durch die
Neuauflage des Ost-West-Konfliktes um die Ukraine so hoch wie nie zuvor
seit Ende des Kalten Krieges.
Zum jährlichen Antikriegstag am 1.
September – der traditionell auch im gewerkschaftlichen
Umfeld stark verankert ist – kann auf die aktuell in den
Gewerkschaften wiederbelebte Debatte zur Rüstungskonversion
zurückgegriffen werden. Eine große Rolle spielen
hierbei vorhandene Anträge zum nächsten
IG-Metall-Kongress im Spätherbst.
Gedenktage wie diese sind deshalb gute
Anlässe, die in der Vergangenheit erfolgte kampagnenbezogene
Zusammenarbeit der Friedensbewegungsstrukturen wieder aufzugreifen und
darüber hinausgehend zu optimieren.
2. Die
Vernetzung mit anderen sozialen Bewegungen und Initiativen kann stark
ausgebaut werden.
Die Mobilisierungsschwäche der
Friedensbewegung erfordert nicht nur ein Hinterfragen eigener
Strukturen und Aktionsformen. Lohnenswert ist ein Blick auf die
Teilnehmerzahlen von Demonstrationen aus anderen Anlässen. So
haben zahlreiche Umweltverbände am 17. Januar in Berlin etwa
50.000 Teilnehmer aus ganz Deutschland mobilisiert, um gegen
Tierfabriken, Gentechnik und TTIP bzw. für eine Agrarwende zu
demonstrieren. Ebenso sind die regionalen Teilnehmerzahlen der
Demonstrationen gegen Pegida beachtlich. Dies zeigt, dass eine
Massenmobilisierung erheblich einfacher ist, wenn sich
persönliche Betroffenheit mit der konkreten Wahrnehmung
politischer Gegner verbindet.
Im Kampf gegen das transatlantische
Freihandelsabkommen TTIP geht es im Kern um die Verhinderung von
Demokratieabbau, z.B. bei notwendigen
Umweltverträglichkeitsprüfungen, weshalb vor allem
Umweltaktivisten alarmiert sind. Es gilt aber auch klarzumachen, dass
dahinter die gemeinsame Strategie von USA und EU steht, den
weltwirtschaftlich sich abzeichnenden Bedeutungsverlust
gegenüber den BRICS-Staaten mit einer
»Wirtschafts-NATO« aufzuhalten.
3. Die
Entwicklung von Medienkompetenz ist eine zunehmende Herausforderung.
Trotz der zunehmenden Relevanz von Onlinemedien
haben immer noch die Printmedien vorrangige Bedeutung. Hier muss man
sich damit auseinandersetzen, dass diejenigen, die für
Friedensaktionen zu mobilisieren sind, primär immer
noch zur Leserschaft der vormalig linken Tageszeitung Frankfurter
Rundschau oder der pseudolinken Tageszeitung taz gehören.
Beide Blätter haben sich in den zurückliegenden
Monaten auch vehement darum bemüht, die Debatte um den
»Friedenswinter« als Spaltpilz für die
Friedensbewegung zu instrumentalisieren.
Die Wahl von
»Lügenpresse« zum Unwort des Jahres 2014
hat sicher dazu beigetragen, der notwendigen Kritik an der deutschen
Medienlandschaft die Spitze zu nehmen. Albrecht Müller als
verantwortlicher Betreiber des Internetportals Nachdenkseiten hat dazu
den Vorschlag gemacht, anstelle des aus guten Gründen
abzulehnenden Wortes »Lügenpresse« von
»Kampfpresse« oder auch von
»Kampagnenjournalismus« zu sprechen.
Beim letzten Friedenspolitischen Ratschlag in
Kassel gab es im Rahmen einer Podiumsdiskussion konkrete
Vorschläge zum Umgang mit den Medien in bezug auf Onlineblogs
und klassische Leserbriefe in den Printmedien, die immer noch eine
wichtige Rolle spielen. Letztlich geht es darum, ein Modell
einzufordern, wie es die
»öffentlich-rechtlichen« Rundfunk- und
Fernsehsender gemäß ihrem
verfassungsmäßigen Auftrag darstellen
müssten. Denn auch Internetbeiträge kosten Geld.
Qualifizierter und unabhängiger Journalismus ist nur jenseits
von politischer Einflussnahme und frei von wirtschaftlichen
Zwängen möglich.
4. Alle
Aktivitäten und Aktionsformen sollten auf den
Prüfstand.
Bei Streitfragen darüber, ob ein
»Mehr« an Friedensaktionen möglich ist
oder nur ein nicht zielführender Aktionismus, spielt auch die
notwendige Diskussion über die Sinnhaftigkeit von
Aktionsformen eine Rolle. Seit einigen Jahren kursiert der Begriff
»Latschdemo« in der Kommunikation linker
Aktivisten. Nun ist durchaus zu hinterfragen, inwieweit klassische
Protestformen noch zeitgemäß sind, vor allem
deshalb, weil heutzutage Massenmedien im Unterschied zu früher
nicht nur die Anzahl von Demonstrationsteilnehmern
kleinrechnen, sondern selbst bei Großdemonstrationen eine
Berichterstattung immer häufiger völlig
unterschlagen. Sehr populäre Straßenaktionen sind
heute Flashmobs, die aber in bezug auf Breitenwirkung keine Alternative
zu klassischen Demos sind und eher den Bedürfnissen nach
spontanen Aktionen mit den Mobilisierungspotentialen in sozialen
Netzwerken entspringen.
5. Neue
Kampagnenfähigkeit erfordert vor allem neue Friedensaktivisten.
Zweifellos gehört die Altersstruktur in
der Friedensbewegung zu deren größten Problemen. Die
Ursachen der stark zugenommenen Protestaktionen – auch in der
politischen Bandbreite im rechten Spektrum – beruhen auf den
zu recht wahrgenommenen Krisensymptomen. Die Frage ist dabei:
Führt dieses zum Verständnis der wahren Ursachen
– gegen die es zu kämpfen gilt – oder zur
Manipulation von Wahrnehmungen. Am deutlichsten zeigt sich dieses bei
dem notwendigen Schutz von Menschen, die von Krieg,
Übergriffen und Diskriminierungen betroffen sind, was im
rechtspopulistischen Spektrum mit
»Flüchtlingsströmen« umschrieben
wird. Damit werden Ressentiments und Rassismus gefördert,
anstelle einer notwendigen Aufklärung und Debatte
über die Verantwortung der deutschen Politik für
deren Entwicklungen.
Karl-Heinz Peil
Der Autor ist Mitglied des Bundesausschusses
Friedensratschlag und verantwortlicher Redakteur der
Zweimonatszeitschrift Friedensjournal. Eine umfassendere Fassung des
Beitrages findet sich unter www.friedensratschlag.de.
Aus: JUNGE WELT Ausgabe vom 21.03.2015, Seite 3 /
Schwerpunkt: Wie wieder mehr werden?
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