06.04.2015
Auftrag zur
Aufklärung über alte und neue Nazis
Katrin
Rieckermann auf der Gedenkkundgebung für die
Kriegsendphasenopfer im Südpark in Lünen am 03.04.2015
Auf der Gedenkkundgebung
für die Kriegsendphasenopfer aus Lünen sprach am
Karfreitag Katrin Rieckermann (Förderverein
Steinwache Dortmund) im Südpark in Lünen.
Liebe Anwesende, sehr geehrte Damen und Herren,
Mein Name ist Katrin Rieckermann. Ich bin Mitglied
im Förderverein Steinwache in Dortmund und ich möchte
mich für die Einladung, hier zu sprechen, herzlich bedanken.
Zunächst einmal möchte ich meine
Freude darüber zum Ausdruck bringen, dass heute so viele
Menschen gekommen sind, um sich an die Ereignisse vor 70 Jahren, an
das, was in den letzten Kriegstagen 1945 geschehen ist, zu erinnern.
In Lünen gab es vielfältigen
Widerstand gegen den Faschismus. Mitglieder der SPD und der KPD, der
Kirchen sowie viele Unorganisierte zeigten ihre Gegnerschaft zum
Hitlerregime. Nicht wenige bezahlten ihre Überzeugung mit
Arbeitslosigkeit, Folter, der Haft in Konzentrationslagern oder dem Tod.
Was aber geschah kurz vor Kriegsende 1945?
Vom 8. März bis zum 12. April 1945 fanden
im Rombergpark und in der Bittermark in Dortmund
Massenerschießungen statt, bei denen fast 300 Menschen
verschiedenster Nationalitäten den Tod fanden.
Unter ihnen waren auch sechs Lüner
Kommunisten, von denen fünf am 30. März, also dem
Karfreitag 1945 verhaftet und kurz darauf von der Gestapo und SS
erschossen wurden.
Johann Berg, Jakob Bink, August Dombrowski,
Bernhard Höltmann und Johann König fanden sich unter
den Ermordeten.
Josef Kriska wurde am Ostersonntag 1945, dem 1.
April, nach schweren Misshandlungen im Gestapo-Gefängnis
Dortmund-Hörde erschossen.
Heutzutage fällt es schwer, sich
vorzustellen, was es bedeutete, sich konsequent gegen die Nazis zu
stellen und seiner politischen Überzeugung treu zu bleiben.
Ich möchte hier stellvertretend
für alle Ermordeten vorlesen, was Fredy Niklowitz vom
Stadtarchiv über Jakob Bink schreibt:
Der Maurer Jakob Bink, geboren am 5. Juni 1886 in
Roßrechtenbach bei Wetzlar, war mit Hedwig Köchling
verheiratet hatte fünf Kinder. Seit 1919 war er Mitglied und
Funktionär der KPD. 1923 und 1927 wurde er zum
Stadtverordneten gewählt.
Am 23. März 1933 wurde Jakob Bink
festgenommen und in das Polizeigefängnis Lünen
eingeliefert. Anschließend saß er im
Gerichtsgefängnis Lünen und in der Strafanstalt Werl
ein, aus der man ihn am 17. Juli 1933 entließ. Danach war
Jakob Bink erneut vom 7. Dezember 1935 bis zum 16. Juni 1938 sowie vom
25. Juni 1938 bis zum 19. April 1939 in verschiedenen Polizei-,
Gerichtsgefängnissen und Konzentrationslagern –
darunter Esterwegen, Sachsenhausen und Buchenwald – in Haft.
Vom Sondergericht Dortmund war er am 29. Juli 1936 wegen hetzerischer
Äußerungen zu neun Monaten Gefängnis
verurteilt worden. In den Zwischenzeiten hatte Jakob Bink sich einmal
täglich, manchmal sogar zweimal täglich, bei der
Polizei melden müssen. Auch gehörte er noch bis 1939
zu den Arbeitslosen in Lünen. Selbstbewusst soll er keinen
Hehl aus seiner antinationalsozialistischen Gesinnung gemacht haben. So
soll er zu denen gehört haben, die „über
den Bock gingen“, das heißt, dass die SS gegen ihn
die Prügelstrafe anordnete, bei der Jakob Bink die
Peitschenschläge (meist 25) mitzählen musste. Von
Zeitzeugen wurde er als der „Eiserne Jakob“
bezeichnet.
Am 30. März 1945 wurde Jakob Bink von der
Gestapo festgenommen, mit Wirkung vom 20. April 1945 für tot
erklärt.
Er wurde 49 Jahre alt.
Warum kam es zu diesen Verbrechen gegen Nazigegner
und auch gegen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, angesichts des
unmittelbar bevorstehenden Endes des Faschismus?
Es lassen sich unterschiedliche
Erklärungen finden.
Zum einen versuchten die Nazis sicherlich, sich
angesichts der zusammenbrechenden Kriegsfronten an den politischen
Gegnern, die die Niederlage herbeisehnten, zu rächen.
Auch liegt die Vermutung nahe, dass die Faschisten
unliebsame Zeugen ihrer Verbrechen noch im letzten Moment beseitigen
wollten.
Nicht zuletzt wird angenommen, dass diejenigen,
die eine andere, eine bessere Welt aufbauen wollten, mit in den
Untergang genommen und an der Verwirklichung ihrer politischen
Überzeugung gehindert werden sollten.
Ist den Faschisten dies gelungen?
Wir stehen hier gemeinsam und gedenken der Opfer
– auch 70 Jahre nach den Verbrechen. In Lünen gibt
es ein starkes Engagement gegen Rassismus und Neonazis. Der
Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus wurde ins Leben gerufen und bietet
verschiedene Aktivitäten und Programme gegen Rechts an. Dies
sind positive Zeichen.
Andererseits wissen wir, dass sich eine
radikalisierte und gewalttätige rechte Szene in Dortmund
etabliert und verfestigt hat. Dass es sich hier nicht um eine
Ausdrucksform politischer Meinungsfreiheit handelt, sondern um eine
braune Mörderbande, zeigt die Tatsache, dass in den
vergangenen fünfzehn Jahren in Dortmund fünf Menschen
von Neonazis ermordet wurden.
Hinzu kommen Denunziationen, Verunglimpfungen,
Einschüchterungen, Körperverletzungen und
Morddrohungen, die zum Alltag geworden sind.
Neonazis aus Lünen, die mit ihren
Gesinnungs-T-Shirts, Abzeichen, Tattoos und Aufklebern in das Stadtbild
hineinwirken, unterstützen ihre Nazifreunde in Dortmund
tatkräftig bei Gewaltakten und Aufmärschen.
Ihre Losungen sind: „Heimreise statt
Einreise“ oder „Nie wieder Krieg – nach
unserem Sieg“.
Hier stellt sich die Frage, was wir den am
Karfreitag 1945 Gemordeten schuldig sind.
Die Aufklärung über alte und
neue Nazis gehört dazu.
Dem braunen Mob darf nicht die Straße
überlassen werden.
Nicht am vergangenen Wochenende in
Dortmund-Huckarde und nicht am 1. Mai in Dortmund, an dem die Neonazis
zu einem „Nationalen Tag der Arbeit“ aufrufen.
Wir verlangen die konsequente Bestrafung der
rechten Straftäter in Dortmund.
Ihre Organisationen müssen verboten
werden, ob es sich nun um rechte Kameradschaften oder die neue Partei
„die Rechte“ handelt.
Die Losung der damaligen Nazigegner:
„Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ ist
heute, 70 später, aktueller denn je.
In Buchenwald, dem KZ, in dem auch Jakob Bink
zeitweise inhaftiert war, schworen die überlebenden
Häftlinge nach der Befreiung: „ Die Vernichtung des
Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung, der Aufbau einer Welt
des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“
Dies sind bleibende, dringliche Aufgaben.
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