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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

05.04.2015

„Unsere Opfertat verjährt nicht“

Bürger aus Russland, überlebende NS-Opfer, schreiben an die deutsche Jugend

Die Tagung zu 70 Jahre Kriegsendphasenverbrechen, veranstaltet im Rathaus Dortmund vom Förderverein Steinwache/Internationales Rombergparkkomitee, erreichte eine Botschaft der Veteranen im Russischen Verband minderjähriger Häftlinge faschistischer Konzentrationslager. In Zeiten dramatischer Ereignisse, welche die Errungenschaften verbesserter Beziehungen überschatten, falle den Angehörigen der neuen Generation der Deutschen die Aufgabe zu, die freundschaftlichen und vertrauensvollen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland dennoch weiter zu entwickeln und zu festigen. So heißt es in dem Schreiben, das über die Deutsch-Russische Freundschaftsgesellschaft nach Dortmund gelangte.

Der Wortlaut ist dieser:

„Unsere Opfertat verjährt nicht“

APPELL von Bürgern der Russischen Föderation, ehemaligen Nazi-Opfern, an die deutsche Jugend

Liebe Freunde,

wir haben im Kindesalter unsägliche Grausamkeit, Ausbeutung, Vernichtung, Sklaverei und Trauer um uns nahe stehende und teure Menschen erfahren. Als letzte Zeugen und widerwillige Teilnehmer und Opfer jenes Krieges, haben wir unser Leben lang die Erinnerung an jene schreckliche Zeit und die uns zuteil gewordenen Prüfungen bewahrt.

Im Vorfeld des 70. Jahrestags des Sieges über den deutschen Faschismus ergeht an Euch dieser Appell ehemaliger minderjähriger Gefangener von Konzentrationslagern, Ghettos und anderen Zwangsaufenthaltsorten, die von den Faschisten und deren Verbündeten im Zweiten Weltkrieg geschaffen wurden.

Jener vom Hitlerregime angezettelte Krieg brachte großes Unglück über die Sowjetunion und die Völker Europas. Faschismus und Krieg waren aber auch eine Tragödie für das deutsche Volk. Wir erinnern uns daran, dass deutsche Bürger, deutsche Antifaschisten die ersten Häftlinge von Buchenwald, Dachau und anderen Konzentrationslagern waren. Der heimtückische Einfall der faschistischen deutschen Heere und deren Verbündeter in unser Land verursachte viel Leid, Zerstörungen und menschliche Verluste. Doch der Krieg kam später auch auf deutschen Boden. Mit eigenen Augen haben wir die Ruinen deutscher Städte und das Leid einfacher deutscher Bürger gesehen. Wir wissen, wie schmerzlich das deutsche Volk für das büßen musste, was der Nationalsozialismus angerichtet hatte. Es musste die Verantwortung für die Untaten des verbrecherischen Hitlerregimes übernehmen.

In der Nachkriegszeit sind in Deutschland, Russland und den anderen europäischen Ländern neue Generationen herangewachsen, denen die tragische Geschichte des Zweiten Weltkrieges aus Büchern und Augenzeugenberichten überliefert ist.

Der Sieg über den deutschen Faschismus und in besonderem Maße das Ende des kalten Krieges haben nicht nur die politische Karte, sondern auch das moralische Klima in Europa und in der Welt verändert. Wir wissen die neuen gutnachbarlichen und vertrauensvollen Beziehungen, die sich zwischen unseren Ländern herausgebildet haben, und die Möglichkeit der Kommunikation, insbesondere zwischen unseren jungen Generationen, hoch zu schätzen. Wir möchten Euch versichern, dass wir, die wir den Krieg erlebt und die Vollstrecker des bösen Willens des besessenen Führers verflucht haben, keinen Hass gegen das ganze deutsche Volk hegen und erst recht nicht gegen Euch, die junge Generation. Zu Dank verpflichtet sind wir jenen deutschen Bürgern, die uns in den schweren Kriegsjahren nach Kräften geholfen und mit Risiko für ihr Leben vor dem Tod bewahrt haben. Anerkennung zollen wir Vertretern Eurer älteren Generation, den deutschen Patrioten und Antifaschisten. Wir gedenken in Ehren der mutigen deutschen Antifaschisten, die in den Reihen der Roten Armee und bei den Partisanen gekämpft haben. Unvergessen bleiben uns die in der Untergrundgruppe Weiße Rose wirkenden Studenten der Münchner Universität, darunter Alexander (Schmorell) von München, der vom Erzbistum von Berlin und Deutschland der Russisch-Orthodoxen Kirche im Ausland als Neumärtyrer heiliggesprochen wurde. Bekannt sind uns auch die Namen anderer deutscher Widerstandskämpfer, darunter der letzte deutsche Vorkriegsbotschafter in der UdSSR, Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg, und Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Wir sind jenen zu Dank verpflichtet, die es verstanden haben, die Gräber unserer in der faschistischen Gefangenschaft ums Leben gekommenen und in deutscher Erde bestatteten Landsleute zu erhalten. Wir sind den deutschen Studenten und Schülern verbunden, die diese Gräber pflegen. Euch, Angehörigen der neuen Generation der Deutschen, fällt die Aufgabe zu, die freundschaftlichen und vertrauensvollen Beziehungen zwischen unseren Ländern weiter zu entwickeln und zu festigen.

Zum großen Bedauern sind die letzten Monate vor dem Jubiläumstag des Sieges über den deutschen Faschismus von dramatischen Ereignissen in Europa und im postsowjetischen Raum überschattet - von den Terrorakten in Frankreich, bewaffneten Auseinandersetzungen und dem brudermörderischen Krieg in der Südostukraine. Wieder fließt Blut und sterben friedliche Bürger und Kinder. Schwer vorhersehbar ist, welche neuen Probleme und welche neuen moralischen Prüfungen auf Eure Generation zukommen. Wir wollen aber glauben, dass die dramatischen Erfahrungen aus der Vergangenheit und die tragischen Ereignisse von heute Euch die Weisheit vermitteln, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Das Böse ist leider nicht verschwunden, es nimmt nur neue Formen an - als Neofaschismus, Nationalismus, religiöse und rassische Intoleranz.

Wir alle sind Zeugen, dass heute auch versucht wird, die Geschichte zu verfälschen. Wir möchten glauben, dass Ihr, Angehörige der jungen Generation, es verstehen werdet, den antihumanen Ideen und Provokationen der fanatischen Extremisten Widerstand zu leisten, dass Eure Kinder und Enkelkinder sich niemals für Eure Taten schämen und büßen müssen.

Wir sind überzeugt, dass es keine Probleme zwischen den Völkern gibt, die sich nicht auf friedlichem Wege lösen lassen. Deshalb appellieren wir an die deutsche und die russische Jugend, an alle jungen Menschen der Erde, sich zusammenzuschließen, um gemeinsame internationale Programme und Projekte hervorzubringen, die darauf abzielen, Eintracht zwischen den Völkern herzustellen, den Frieden zu festigen, die gegenseitige kulturelle und geistige Bereicherung zu erweitern, die Traditionen und nationale Eigenart der Völker zu respektieren, Frieden und Zusammenarbeit zu fördern. Damit unsere Völker nie wieder aufeinander schießen.

Wir Angehörige der älteren Generation, die die Tragödie des Zweiten Weltkrieges erlebt hat, hinterlassen Euch, den jungen Generationen Deutschlands, Russlands und der anderen Länder Europas Frieden, gegenseitiges Verstehen und Freundschaft, die von uns unter immensen Anstrengungen herbeigeführt werden konnten. Möge die Anrede „Liebe Freunde" für lange Friedensjahre ein aufrichtiger Ausdruck des Verhältnisses zwischen Euch bleiben.

Veteranen der Allrussischen Gesellschaftlichen Organisation Russischer Verband minderjähriger Häftlinge faschistischer Konzentrationslager

Afonin W.I.(Brjansk), Vanukevich A.S. (Moskau), Gudkevich I.I. (Sebastopol), Ermoljuk L.I. ( Obninsk), Karaseva G.L. (S.-Petersburg), Kusin E.P. (Karachev), Lisanevich L.F. (Nizhnij Novgorod), Dr.Mazharov V.F. (Krasnojarsk), Muratova L.S. (Rostov am Don), Njuppieva K. A. (Petrosavodsk), Podlesnaja N.G. (Smolensk), Prjadchenko B.G.(Moskau), Sazhina G.A.(Volgograd), Sinegribov L.K. (Ulan-Ude), Sinkevich M.E. (Moskau), Solnzeva N.N. (Rzhev), Khodyreva L.P. (Simferopol) und etwa 90 weitere Veteranen aus verschiedenen Orten Russlands.

Übersetzt von Valentin Wosnessenski

Kontakte:

Postanschrift: 119019 Moskau, Gogolewski Boulveard 4, OOO RSBNU.

eMail: naumovvi[at]mail.ru, sudba2009[at]yandex[dot]ru, aau39[at]yandex[dot]ru, z.lashuk[at]yandex[dot]ru, vltim[at]list[dot]ru

Der Wortlaut des Appells ist unter http://gazetasudba.ru abrufbar.

Siehe auch:

Protest gegen das “Russisch-Internationale Konservative Forum”
Anlässlich einer Veranstaltung des “Russisch-Internationalen Konservativen Forums” am 22. März in St. Petersburg wandte sich die VVN-BdA an den Botschafter der Russischen Föderation. Sie protestierte dagegen, dass dort zahlreichen führenden Rechtsextremisten Europas, u.a. dem NPD-Politiker Udo Voigt, ein Forum geboten wurde.
http://www.vvn-bda.de/protest-gegen-das-russisch-internationale-konservative-forum/