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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

04.04.2015

Wie vor allem die Justiz dem neuen Faschismus die Bahn bereitet

3000 bei der Gedenkkundgebung für die Opfer der Karfreitagmorde in Dortmund

Gut 3000 Menschen haben in der Dortmunder Bittermark der Opfer der Kriegsendphasenverbrechen in den Wochen um Karfreitag 1945 gedacht. Oberbürgermeister Ulrich Sierau (SPD) verlangte das Verbot der „Rechten“ und Jean Chaize (Präsident der Nationalen Französischen Vereinigung der Opfer der Zwangsarbeit in Nazideutschland) mahnte dringend zum Frieden in Europa, den er erheblich gefährdet sah. Ernst Soeder (Gewerkschaftssekretär a.D. und Vorsitzender des Fördervereins Gedenkstätte Steinwache/Internat. Rombergparkkomitee) bekam besonder viel Beifall. Der Eindruck vieler Antifaschisten in Dortmund sei, dass hier eine kleine Clique von Nazis die ganze Stadt terrorisiere und die Stadt wie auch Polizei hilflos zusehe. Er kritisierte besonders die Justiz, der eine Schlüsselrolle bei den Handlungen zugunsten der Nazis zukommt. „Es ist an der Zeit, dass auch einmal die Justiz beginnt, ihr Verhältnis zu Recht und Freiheit neu zu ordnen.“

Die Rede Soeders im Wortkaut:

Ansprache Bittermark 2015

Ernst Söder
Vorsitzender des Fördervereins Gedenkstätte Steinwache-Internationales Rombergpark-Komitee

Anrede

In der Rückschau der vor 70 Jahren in Dortmund verübten Verbrechen der Nationalsozialisten möchte ich meine Ausführungen mit  einem Gedicht einleiten, das die in Dortmund  einst lebende und wirkende jüdische Schriftstellerin Lotte Temming  im Jahre 1950, in Erinnerung an die Karfreitagsmorde,  unter dem Titel „Unseren Toten zum Gedächtnis“  geschrieben  hat:

Misshandelt, geschlagen, in Qual und Weh,
getreten, gequält und geschändet,
so seid ihr für eure, für unsre Idee
durch Mörderhand geendet.

Sie haben euch mit sadistischer Wut
gequält, misshandelt, geschlagen.
Ihr habt es mit heldischem Opfermut
für eure Idee ertragen.

Die Kerkerzellen hallten bei Nacht
von euren Schmerzensschreien.
Wir wussten, ihr wart in der Henker Macht,
und konnten euch nicht befreien.

Ihr habt gehungert, ihr habt gedarbt,
man hat euch alles geraubt.
Ihr habt bis zuletzt noch, als ihr starbt,
an unsre Idee geglaubt.

Und diese Idee, das schwören wir euch,
für die euer Herzblut geflossen,
wird weiter getragen ins neue Reich
von jungen und tapferen Genossen.

Die Fackel, die ihr mit heldischem Mut
getragen durch Tod und Nacht,
durch die ihr mit eurem eigenen Blut
den Brand der Empörung entfacht.

Die Fackel, die ihr mit mutiger Hand
durch Nacht und Tod getragen,
bis man euch hingemordet fand,
zerschunden und erschlagen.

Die Fackel, sie leuchtet durchs ganze Land!
Ihr seid nicht vergebens gefallen!
Die Fackel, entfallen der sterbenden Hand,
wird Verpflichtung uns allen.

Nicht zuletzt sagen uns diese Verse, mit welcher Brutalität die  Menschen von der Gestapo vor 70 Jahren misshandelt und ermordet worden sind. Darum ist es notwendig,  das dunkelste Kapitel unserer Geschichte vor dem Vergessen zu bewahren. Künftigen Generationen müssen wir  immer wieder vor Augen führen, wo es schon einmal  geendet hat, als man die Menschenwürde in Deutschland mit Füßen trat und die Grundprinzipien mitmenschlichen Umgangs missachtete - und einem von vielen bejubelten Führer und Diktator Allwissenheit und Allmacht zubilligte. Einem Führer, der von Größenwahn, Völkermord ,  Rassenhetze, Vernichtung und Verbrechen gegen das Völkerrecht besessen war.

Mit der Mahn- und Gedenkstätte hier in der Dortmunder Bittermark wurde in internationaler Zusammenarbeit eine würdige und die Menschen bewegende Erinnerungsstätte geschaffen. Die Mahnung, die von hier ausgeht, soll uns die Kraft geben,  alles, aber auch alles dafür zu tun, dass sich derartige Verbrechen niemals wiederholen, wie sie sich hier in den Wäldern der Bittermark und anderswo in Europa ereignet haben.

Nie wieder Faschismus, meine Damen und Herren. Und da gibt es auch kein Pardon. Faschismus ist keine Gesinnung und auch kein Glaubensbekenntnis. Faschismus ist eine als Ideologie heruntergebrochene Form des Verbrechens. Und wer immer so tut, als ob man das verniedlichen könnte, dem sage ich, hört auf damit!

Leider sind rechte Gesinnungen noch lange nicht Geschichte. Die Wahlerfolge rechtsradikaler Parteien in Europa und die Demonstrationen von PEGIDA und anderer nationalistisch gesonnener Gruppierungen  zeigen, dass Feindseligkeit und Ausgrenzung immer noch tief in der Mitte unserer Gesellschaft verankert sind.

Dem müssen wir  mit allen uns zur Verfügung stehenden demokratischen Mitteln entgegentreten. Denn wir  stehen für eine demokratische und tolerante Welt, in der Rassismus, Fremdenhass und Vorurteile keinen Platz haben.

Inzwischen erleben wir es allerdings anders,  tagtäglich in unserer Stadt:

Woche für Woche zündet der braune Mob  eine neue Eskalations-Stufe seiner Naziprovokationen. Was sich zum Beispiel in Dortmund in den vergangenen Monaten abgespielt hat, ist eine unerträgliche Kampagne einer Clique von einigen Dutzend Nazis. Ihnen gelingt es, Dortmund Woche für Woche bundesweit in den braunen Dreck zu ziehen. Und der Staat sieht hilflos zu. Jedenfalls ist das der Eindruck, der unter den Antifaschisten entstanden ist.

Die Antworten auf diese Erscheinungen sind relativ klar: Verbot der neofaschistischen Kameradschaften, Verbot der NPD, Verbot der Partei „Die Rechte“ und ein staatliches Vorgehen gegen den rechten Terror und nicht sein Decken durch Verfassungsschutzorgane. Ich weiß sehr wohl, dass damit die Ausbreitung des neonazistischen und antisemitischen Gedankenguts allein nicht gelöst ist.

Aber: Wir wollen und können nicht akzeptieren, dass Rassenhetze und Faschismus -Verherrlichung in unserem Land wieder um sich greifen.  Neofaschistische Umtriebe, Überfälle und Bedrohungen, wie sie sich in letzter Zeit zugetragen haben,  können nicht verharmlost werden.

Und es ist an der Zeit, dass auch einmal die Justiz beginnt, ihr Verhältnis zu Freiheit und Demokratie gemäß dem Grundgesetz auch geistig zu ordnen. Es ist ein Unding, unter dem Recht der Meinungs- und Versammlungsfreiheit aus juristischer Sicht zu erlauben,  jede rechte Truppe könne sich zusammenrotten und menschenverachtende Parolen von sich geben.

Und es ist ein Unding, dass man schlicht und ergreifend so tut, als ob jede rechtsnationale Meinung gleichwertig einer freiheitlichen demokratischen wäre und ob man nicht in einer Demokratie, die ja auch die Lehren aus dem Faschismus ziehen wollte, sagen muss, es gibt Anfänge faschistischer

Verbreitung von Gedankenwelten, die man schlicht und einfach unter Strafe stellen und verhindern muss; auf gar keinen Fall allerdings immer wieder die Polizei dazu bringen darf, dass sie das auch noch beschützen muss.

Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges  - und der Befreiung vom Faschismus - ist nach  1945  eine  Generation herangewachsen, die das Geschehen in der Zeit des Nazi -Terrors nicht aus eigenem Erleben kennt. Sie trägt jedoch die Verantwortung dafür, was künftig in unserem Land geschieht.

Mut machen mir die jungen BotschafterInnen der Erinnerung, hier in Dortmund, die  auch in diesem Jahr wieder die Gedenkfeier mitgestalten. Und ich kann dem nur zustimmen, was der Herr Oberbürgermeister in seiner Begrüßung zum Ausdruck brachte  „sie sind unsere Brücke in die Zukunft“.  Auch von mir – von uns – Respekt für eure Aktivitäten und herzlichen Dank für das inzwischen seit vielen Jahren bestehende erfolgreiche Engagement.

Folgen wir der Aussage des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der in seiner bekannten Rede am 8. Mai 1985 sagte:

„Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen.

Jüngere und ältere müssen und können sich gegenseitig helfen, zu verstehen, warum es lebensnotwendig ist, die Erinnerung wachzuhalten.

Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie lässt sich ja nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.

Und weiter:

Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“.

Niemals vergessen, was vor siebzig Jahren geschah,  Erinnern und Gedenken, nie wieder Krieg. Das soll unsere Losung sein.

Vor uns liegt ein langer Weg. Ich hoffe und wünsche mir, einen Weg des Friedens, der Toleranz und der freundschaftlichen Verständigung unter den Menschen.

Ich verneige mich vor den Opfern und danke ihnen meine Damen und Herren, für ihre Aufmerksamkeit und, dass sie mir zugehört haben.

Siehe auch:

VG Gelsenkirchen: Verbot „rechter“ Demonstration in Dortmund rechtswidrig
http://www.vg-gelsenkirchen.nrw.de/presse/pressemitteilungen/03_150317/index.php

Mahnendes Gedenken in der Bittermark: „Der Friede ist leider kein Geschenk. Er muss immer hart erarbeitet werden.“
http://nordstadtblogger.de/26020