18.01.2015
70 Jahre Ende des Zweiten
Weltkriegs: Tag der Befreiung am 8. Mai
Prof. Ludwig Elm aus Jena
hat das Referat im Plenum und die Einführung
im Workshop „Deutsche Erinnerungskultur“ auf
dem 21. Friedenspolitischen Ratschlag, Kassel, 6./7. Dezember
2014 gehalten. Der Gegenstand war der 8. Mai 1945 – 2015,
Thema: „70 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs, Befreiung und
Potsdamer Konferenz“. Der Ratschlag hatte das Gesamtthema:
„Politik für den Frieden – statt
permanenten Krieg. Die Folgen von Militärinterventionen: Chaos
und Gewalt - Deutscher Imperialismus reloadet? Kriege um
Ressourcen“. Ludwig Elm führte aus:
70 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs, Befreiung
und Potsdamer Konferenz
Hundert Jahre nach 1914: Die europäische
Krise und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914
beherrschten die Geschichtsdebatten des zu Ende gehenden Jahres;
fortgesetzt anlässlich des 75. Jahrestages des Beginns des
Zweiten Weltkriegs sowie schließlich nach 25 Jahren erinnernd
an den Mauerfall und die 1989/90 in Europa und darüber hinaus
vollzogenen oder eingeleiteten Umbrüche. Jahrestage und
Jubiläen sind Anlässe für Forschungen,
Debatten, Feiern und Erinnern; verstärkt im
diesjährigem Fall durch den inneren historisch-politischen
Zusammenhang der Entwicklungen und Ereignisse, der Wege der Akteure und
aller Beteiligten von 1914 über 1918/19, 1933, 1938/39, 1945
bis 1989/90 und heute – in Deutschland, Europa und global.
Nunmehr befinden wir uns vor dem 70. Jahrestag des
Endes des Zweiten Weltkrieges und der Befreiung vom Faschismus. Es
stellen sich Fragen: Wie einordnen und wie bewerten? Welche Ergebnisse
und Impulse wirken bis in unsere Zeit? Gibt es Erfahrungen und Lehren,
die hilfreich sind, heutige und absehbare Probleme zu
bewältigen? Welcher Rang kommt der Zäsur von 1945 im
letzten Jahrhundert zu? Wie gehen die herrschende Geschichtsschreibung,
Politik und Medien damit um? Gibt es wesentliche Streitfragen? Nicht
zufällig kommt es immer wieder zu intensivem Streit um Kriege
von gestern und heute, über die Anlässe, Ursachen und
Triebkräfte, Verantwortung und Schuld, Zwangsläufiges
und Vermeidbares, um Opfer, Sühne und Lehren. Das sind
Kontroversen, die die Friedenskräfte unmittelbar und intensiv
angehen, da Geschichtsdeutungen jeweils auch wieder für
Feindbilder und aggressive Strategien aktualisiert werden
können.
2014 kam es wiederum zu Debatten um den deutschen
Schuldanteil 1914 und den anderer Mächte. Dabei trat erneut
– geradezu als unvermeidlich erscheinend – das
Bemühen auf, das deutsche Kaiserreich, lies: die herrschenden
Oberschichten sowie die politische und militärische
Führung, zu entlasten. Wie steht es jedoch um die Ursachen,
den Ausbruch und die Verantwortung 1939? Also damit des Zweiten
Weltkrieges, dessen Beginn soeben gedacht wurde und an dessen Verlauf,
Ergebnisse und Auswirkungen in den nächsten Monaten
nachdrücklich erinnert werden sollte. 1939 erscheint die
Alleinschuld Nazideutschlands eindeutig. Sie ist kaum zu bestreiten;
trotzdem gibt es längst Bemühen, sie vor allem
indirekt zu relativieren – innerhalb eines insgesamt
antikommunistischen Geschichtskonzepts. Nunmehr verbindet sich dies mit
der Europäisierung des Geschichtsdiskurses. Das ist besonders
auffällig bei der Mobilisierung der antisowjetischen
Traditionen und Potentiale in baltischen Ländern sowie Ost-
und Südosteuropas, die nicht zu trennen ist von der
Rehabilitierung der jeweiligen nationalkonservativen, antisemitischen
und faschistischen Erbschaften, wie jüngere Erfahrungen in der
Ukraine, baltischen Ländern, Polen und anderswo zeigen.
Gedenktag
„23. August“
Der Abschluss des deutsch-sowjetischen
Nichtangriffspaktes - „Hitler-Stalin-Pakt“ - am 23.
August 1939 ist ein bevorzugter Einstieg für
Geschichtsrevisionismus. Er sei hier exemplarisch als ein aktuelles
Muster für den Umgang mit Schuldfragen beim Kriegsausbruch am
1. September 1939 erörtert. Längst kommt ihm eine
Schlüsselrolle unter den Stereotypen in Geschichtsbildern
sowie Desorientierungen in der Erinnerungs- und Gedenkkultur zu. Das
Europäische Parlament erklärte am 23. September 2008
den 23. August zum „Europäischen Gedenktag an die
Opfer von Stalinismus und Nazismus“. Es nahm am 2. April 2009
die Entschließung „Europas Gewissen und der
Totalitarismus“ an und bestätigte darin den 23.
August als „europaweiten Gedenktag an die Opfer aller
totalitären und autoritären Regime“. Die
Stiftung SED-Diktatur präsentiert seit Herbst 2013 im In- und
Ausland ihre Ausstellung „Diktatur und Demokratie im
Zeitalter der Extreme. Streiflichter auf die Geschichte Europas im 20.
Jahrhundert“. Darin heißt es zu jenem Pakt:
„Die Annäherung der Diktatoren ebnete den Weg in den
Krieg.“
Der Bundestag führte am 10. September
2014 eine Gedenkstunde aus Anlass des 75. Jahrestages des Beginns des
Zweiten Weltkriegs durch, in der Bundestagspräsident N.
Lammert äußerte: „Dem deutschen
Überfall war ein diplomatisches Schurkenstück
vorausgegangen: Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt“,
ein „Angriffspakt zweier ideologischer Antipoden“,
die sich „darauf verständigt hatten, Mittelosteuropa
mit imperialistischer Brutalität in Einflusssphären
untereinander aufzuteilen“ [Zit. nach: Das Parlament, Nr.
38-39, 15. September 2014. Dokumentation, S. 1]. Übrigens
illustrieren auch seine Bemerkungen zum Widerstand die
unverändert ideologisch verengte Perspektive der deutschen
Konservativen: Nach dem Warschauer Ghetto-Aufstand 1943 und dem
umstrittenen Warschauer Aufstand der polnischen Heimatarmee 1944 folgen
nur „die Frauen und Männer der Weißen Rose
und des 20. Juli“. Ohne die Leistungen und Opfer der Roten
Armee bei der Befreiung Polens in seiner Rede auch nur mit einem Wort
zu erwähnen, resümierte Lammert, dass die deutsche
Kapitulation 1945 „für die Polen zunächst
keine Freiheit“ brachte. Aus Letzterem spricht eine
unsägliche deutsche Arroganz gegenüber jenen, die
nach eigener Verfolgung, Leid und Demütigung unter der
deutschen Okkupation nach 1945 das verwüstete Land wieder
aufbauten sowie beiden deutschen Staaten trotz allem
versöhnungsbereit gegenübertraten.
Die Rede des Bundespräsidenten bei der
Gedenkfeier am 1. September 2014 auf der Westerplatte wies die gleichen
Defizite und Fehlurteile auf. Der jahrzehntelangen, tendenziell
pronazistischen Version vom „Zusammenbruch 1945“
folgt inzwischen die antikommunistische Version vom Ausbleiben der
Freiheit in SBZ/DDR, Polen u. a. Ländern – bis
1989/90. Die Beendigung eines europaweiten Okkupationsnetzes und
massenmörderischen Herrschaftssystems im Mai 1945 wird zum
nebensächlichen Geschehen, das für das Gesamturteil
ziemlich belanglos erscheint.
Der Gastredner Präsident Komorowski wurde
am 10. September den Erwartungen der Mehrheit des Bundestages gerecht,
als er in einem Atemzug sagte: „Wir gedenken des 1. September
und vergessen dabei nie den 17. September, als sowjetische
Streitkräfte, die Verbündete Hitlerdeutschlands
waren, nach Polen einmarschierten.“ [Ebenda, S. 2]
Tatsächlich waren jedoch der Überfall auf Polen und
seine Unterwerfung in der faschistischen Führung
längst entschieden und ohne sie hätte es keinen
sowjetischen Einmarsch in die ostpolnischen, ehemals zu Russland
gehörenden, weißrussischen und ukrainischen, Gebiete
gegeben. Die Rote Armee war kein „Verbündeter
Hitlerdeutschlands“, so wenig die polnischen
Streitkräfte Verbündete der Wehrmacht waren, als sich
Polen bei der Zerschlagung der CSR das Gebiet Teschen nahm. Komorowski
erwähnte weder den polnisch-deutschen Nichtangriffspakt von
1934 noch die destruktive Rolle Polens gegenüber einem
rechtzeitig und ausreichend gegen die deutsche Bedrohung gerichteten
Pakt mit Frankreich und England unter Einschluss der UdSSR. Neben
seinem eigenen Geschichtsbild war es wohl auch ein - moralisch
fragwürdiges - Zeichen gegenüber den Berliner
Gastgebern, dass er ebenfalls den späteren
kriegsentscheidenden Beitrag der UdSSR überging.
Um Missverständnisse
auszuschließen: Es gibt genügend Aspekte, Stalin,
Stalinismus und sowjetische Politik zwischen August 1939 und
Juni 1941 zu kritisieren. Hier geht es jedoch gegen die
Gleichsetzungen, mit denen die Rolle der Sowjetunion in jenen Jahren
absichtlich und prinzipiell verfälscht wird sowie mit der des
deutschen Verbrecherstaates und Aggressors mehr oder weniger
gleichgesetzt werden soll. Letzterer wird damit entlastet und
schließlich auch der entscheidende Beitrag der UdSSR zur
Befreiung Europas ins Zwielicht gerückt.
2013 erschien in Prag – laut Untertitel
- „Ein Lesebuch für Schüler
höherer Klassen überall in Europa“ unter
dem Haupttitel „Damit wir nicht vergessen. Erinnerung an den
Totalitarismus in Europa“. Es wurde finanziell vom
„Programm für Bürgerinnen und
Bürger“ der Europäischen Union
unterstützt. Die Einführung schrieb der
französische Historiker Stéphane Courtois, der Ende
der neunziger Jahre als maßgeblicher, militanter Autor des
„Schwarzbuch des Kommunismus“ international bekannt
wurde. In der Einführung schrieb er damals: „Der
Vertrag vom 23. August, der Deutschland der Gefahr eines
Zweifrontenkrieges enthob, löste den Zweiten Weltkrieg
aus.“ [Stéphane Courtois, Nicolas Werth u. a. :
Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und
Terror, München – Zürich 1998, S. 17] Der
Sammelband von 2013 enthält Beiträge aus 16
europäischen Ländern, in denen individuelle
Schicksale der Verfolgung und des Widerstandes sowohl unter
NS-Besatzung als auch im Staatssozialismus geschildert werden. Das
Leitmotiv ist wiederum, beide politische Systeme zu parallelisieren und
in den Bewertungen zu nivellieren, um insgesamt das antikommunistische
geschichtsideologische Hauptanliegen umzusetzen.
Zur objektiveren Charakteristik des
„Hitler-Stalin-Paktes“ sei in unserem Rahmen auf
einen Unverdächtigen verwiesen, der sowohl prominenter
Zeitzeuge als auch Autor war: Der Antikommunist Winston S. Churchill,
neben Roosevelt und Stalin einer der Großen Drei der
Antihitler-Koalition, britischer Premierminister von Mai 1940 bis Juli
1945 (und nochmals 1951-1955). Er kommt hier mit seinem Werk
„Der Zweite Weltkrieg“ zu Wort, für das er
den Nobelpreis für Literatur 1953 erhielt. Das Kapitel zum
September 1938 lautet: „Die Tragödie von
München“. Churchill leitet es mit einem
langen Zitat aus der „warnenden Erklärung“
des sowjetischen Außenministers Litwinow vor dem
Völkerbund am 21. September 1938 ein, in der die Bereitschaft
der UdSSR zum Beistand für die bedrohte Tschechoslowakei
bekräftigt wurde. Mit Blick auf das wenige Tage
später geschlossene „Münchner
Abkommen“ fügt er an: „Diese
öffentliche und unbedingte Erklärung einer der
größten an der Frage beteiligten Mächte
spielte keine Rolle in Chamberlains Verhandlungen oder in Frankreichs
Verhalten. Das Angebot Russlands wurde einfach übergangen. Man
warf die Macht der Sowjets nicht in die Waagschale gegen Hitler und
behandelte die Russen mit einer Gleichgültigkeit –
um nicht zu sagen Verachtung - , die in Stalins Einstellung ihre Spuren
zurückließ. Die Ereignisse nahmen ihren Lauf, als ob
Russland nicht existierte. Dafür mussten wir später
teuer bezahlen.“ [Winston S. Churchill: Der Zweite Weltkrieg.
Mit einem Epilog über die Nachkriegsjahre, Bern –
München – Wien (1948), Sonderausgabe 1995, S. 156f.]
Nach dem offenen Bruch des Münchner
Abkommens durch Nazideutschland im März 1939 zeichnete sich
nach Österreich und der CSR die akute Bedrohung Polens ab.
„Wenn man bedenkt,“ schrieb Churchill im Kapitel
„Am Rande des Abgrunds“, „wie die
Sowjetregierung bisher behandelt worden war, konnte jetzt nicht viel
von ihr erwartet werden. Am 16. April machte sie dennoch ein formelles
Angebot, dessen Text nicht veröffentlicht wurde, für
die Schaffung einer gemeinsamen Front zu gegenseitiger Hilfeleistung
zwischen Großbritannien, Frankreich und der UdSSR. Die drei
Mächte, wenn möglich mit Teilnahme Polens, sollten
außerdem die Grenzen derjenigen Staaten in Mittel- und
Osteuropa garantieren, die von der deutschen Aggression bedroht
waren.“ [Ebenda, S. 176f.] Churchill
äußerte, dass dass das Bündnis von England,
Frankreich und Russland im Jahre 1939 Deutschland beunruhigt
hätte und niemand könne beweisen, dass der Krieg sich
nicht noch hätte verhüten lassen. Mit
überlegener Macht hätten die Alliierten den
nächsten Schritt unternehmen können. Statt britischer
(und französischer) Zustimmung seien jedoch langes Schweigen
und Halbheiten gefolgt.
„Durch München und vieles
andere war die Sowjetregierung davon überzeugt, dass England
und Frankreich nicht kämpfen wollten, bevor man sie angriff,
und dass sie auch dann nicht viel taugen würden. Der
aufziehende Sturm war im Begriff loszubrechen. Russland musste
für seine Sicherheit sorgen.“ [Ebenda, S. 178] Der
Abschluss des deutsch-sowjetischen Paktes am 23. August 1939 stellte,
Churchill zufolge, „den Höhepunkt der diplomatischen
Misserfolge dar, welche die britische und französische
Außenpolitik seit mehreren Jahren verzeichnet
hatten.“ Die territorialen Entscheidungen der Sowjetunion
nannte er für sie „lebenswichtig“ und
„kaltblütig“, „jedenfalls damals
auch im höchsten Maße realistisch.“
[Ebenda, S. 187] Ergänzend sei auf eine kompetente
französische Stimme verwiesen, die Churchills Analyse und
Urteil bestätigt: Robert Coulondre, von 1936 bis 1938
französischer Botschafter in Moskau sowie 1938/39 in Berlin.
Er stand in engster Beziehung zur politischen, diplomatischen und
militärischen Führung Frankreichs und zeichnete in
seinen 1950 erschienenen Erinnerungen kritisch die
Fehleinschätzungen und das Versagen in Paris (und London) in
jener schicksalhaften Zeit nach. [Robert Coulondre: Von Moskau nach
Berlin 1936 – 1939. Erinnerungen des französischen
Botschafters, Bonn 1950]
In diesem Rahmen soll es bei der
vorläufigen Feststellung bleiben, dass die bundesdeutschen und
europäischen geschichtsideologischen Anstrengungen, den
Vertrag vom 23. August 1939 vorrangig antisowjetisch auszulegen sowie
ihn in diesem Sinne für eine rechtsgerichtete, kontinentale
Gedenkpolitik zu stilisieren und zu instrumentalisieren, auf groben
Entstellungen der tatsächlichen Vorgänge von 1938/39
in Europa beruhen. Das gilt vorrangig für die Politik der
UdSSR, aber auch dafür, dass die Rolle
Großbritanniens, Frankreichs und Polens bei der
Nichteinmischungspolitik gegenüber dem spanischen
Bürgerkrieg, der Hinnahme der nazistischen Einverleibung
Österreichs, der Preisgabe der Tschechoslowakei und beim
Scheitern eines gegen Hitlerdeutschland gerichteten
politisch-militärischen Bündnisses unter Einbeziehung
der Sowjetunion äußerst lückenhaft und
weithin wahrheitswidrig dargestellt wird.
2015 an
herausragende Ereignisse von 1945 erinnern - ihren friedenspolitischen
und antifaschistischen Gehalt neu erschließen
Dieses Anliegen soll hier knapp anhand einiger
hauptsächlicher Daten skizziert werden, um es zu
veranschaulichen und anzuregen, wertvolle Dokumente und
Aktivitäten des Umbruchs und Neubeginns angesichts heutiger
Herausforderungen zu vergegenwärtigen.
27.
Januar – Die Befreiung des Vernichtungslagers
Auschwitz durch die Rote Armee bildet den Beginn der Befreiung aller
KZ, ihrer unzähligen Außenlager und der nazistischen
Sklaverei, die Beendigung der Todesmärsche sowie zahlreicher,
schwerster Endphasenverbrechen in Städten, Dörfern
und Lagern.
4.
bis 11. Februar 1945 – Nach Teheran (28.
November bis 1. Dezember 1943), findet in Jalta der zweite Gipfel mit
Churchill, Roosevelt und Stalin statt, der als Krim-Konferenz in die
Geschichte einging. Es wurde mitgeteilt, dass die
militärischen Pläne für „die
endgültige Niederwerfung des gemeinsamen Feindes“
festgelegt worden sind und erklärt: „Es ist unser
unbeugsamer Wille, den deutschen Militarismus und Nationalsozialismus
zu zerstören und dafür Sorge zu tragen, dass
Deutschland nie wieder imstande ist, den Weltfrieden zu
stören.“
8.
Mai - Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht in der
Kommandantur der Sowjetarmee in Berlin-Karlshorst: Ende des Krieges in
Europa und Befreiung vom Faschismus. Am 23. Mai werden in Flensburg der
Hitler-Nachfolger Karl Dönitz und seine
„Geschäftsführende
Reichsregierung“ verhaftet. Am 2. September besiegelt die
Kapitulation Japans das globale Ende des 2. Weltkrieges.
Der 8. Mai ist in der DDR für einige
Jahre und später bei runden Jubiläen Feiertag. In der
Bundesrepublik wird er von weiten Kreisen zunächst als Tag des
„Zusammenbruchs“ beklagt, ignoriert oder als
zwiespältig hingenommen. Nach mehr als vierzig Jahren setzte
sich gegen andauernde Vorbehalte und Widerstände die
Würdigung als Befreiungstag durch. Bis heute wird das
Leitmotiv auf Kriegsende reduziert, um die faschistische Diktatur
höchstens beiläufig zu erwähnen. Runde
Jahrestage werden mit Rücksicht auf ihre internationale
Würdigung (UNO, Westeuropa, USA, Israel u. a.) sowie der
Erwartungen der Opferverbände öffentlich
stärker beachtet und zelebriert.
5.
Juni - Erklärung zur Übernahme der
obersten Regierungsgewalt durch die Regierungen der vier
Mächte; der alliierte Kontrollrat nimmt in Berlin seine
Tätigkeit auf. Damit erfolgt ein entschiedener, aber
bloß vorläufiger und nicht an die Wurzeln greifender
Abbruch einer Kontinuität seit 1871, 1914 und 1933. Die
anstehenden Verfügungen und Maßnahmen werden konkret
genannt, beispielsweise nach Art. 11 die Festnahme der
„hauptsächlichen Naziführer“ und
aller Personen, die im Verdacht stehen, Kriegs- oder ähnliche
Verbrechen begangen, befohlen oder ihnen Vorschub geleistet zu haben.
26.
Juni 1945 – San Francisco: Verabschiedung der
Charta der Vereinten Nationen mit der Unterzeichnung durch
fünfzig Gründungsmitglieder. Sie beginnt mit den
Worten: „Wir, die Völker der Vereinten Nationen,
entschlossen, die künftigen Generationen vor der
Geißel des Krieges zu bewahren, der zweimal zu unseren
Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht
hat“. Weltfrieden, gemeinsame internationale Sicherheit und
friedliche Konfliktlösung, Menschenrechte und Toleranz
bildeten Leitmotive der Gründung der UNO; sie bestimmten deren
Weltoffenheit, Wirkungsfelder sowie ihre Strukturen und Arbeitsweise.
17.
Juli bis 2. August 1945 - Die Potsdamer Konferenz der
Großen Drei; Präsident H. Truman (USA) nimmt als
Nachfolger des im April verstorbenen Roosevelt teil. Nach einer mit
Rücksicht auf die britische Unterhauswahl erfolgten
zweitägigen Unterbrechung (26./27. Juli) wurde die Konferenz
mit dem Wahlsieger Premierminister Clement R. Attlee (Labour Party) als
Vertreter Großbritanniens fortgesetzt und beendet. Die
Bedeutung der Mitteilung über die Dreimächtekonferenz
von Berlin - bekannt als Potsdamer Abkommen - vom 2. August 1945
besteht darin, dass es von Teilnehmerkreis, Zeitpunkt und Ort sowie im
Hauptinhalt die grundlegende gemeinsame Willensbekundung der Alliierten
im Ergebnis des Krieges in ihren historisch-politischen Feststellungen,
Einschätzungen und Schlussfolgerungen ist.
Im Abschnitt III Deutschland, A. Politische
Grundsätze, werden unter den
„Zielen der Besetzung“ an erster Stelle
genannt: „(I) Völlige
Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands“,
besonders durch Ausschaltung und Überwachung der
Kriegsproduktion. Weitere Maßnahmen wie Verbote,
Auflösung, Vernichtung aller militärischen und
nazistischen Institutionen, Organisationen etc. erfolgen, „um
damit für immer der Wiedergeburt oder Wiederaufrichtung des
deutschen Militarismus und Nazismus“
vorzubeugen. Sämtliche NS-Organisationen sind
aufzulösen; „es sind Sicherheiten dafür zu
schaffen, dass sie in keiner Form wieder
auferstehen können; jeder nazistischen oder militaristischen
Betätigung und Propaganda ist vorzubeugen.“ Unter
den Wirtschaftlichen Grundsätzen wird die Produktion von
Kriegsmaterial verboten sowie gefordert: „In praktisch
kürzester Frist ist das deutsche Wirtschaftsleben zu
dezentralisieren mit dem Ziel der Vernichtung der bestehenden
übermäßigen Konzentration der
Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate,
Trusts und andere Monopolvereinigungen.“
Durchgängig und ausdrücklich
werden in den Verlautbarungen der Alliierten Militarismus und
Nazismus zusammenhängend benannt und bewertet. Das entspricht
der historisch-politischen Genesis der deutschen Rechten, insbesondere
hinsichtlich ihres inneren wechselseitigen sozioökonomischen,
machtpolitisch-funktionalen und ideologischen Zusammenhangs in der
deutschen Geschichte: Vom feudalaristokratischen Autoritarismus und
Antidemokratismus bis zur nazistischen Volks-
und Menschenverachtung, von preussischem Militarismus,
groß- und finanzkapitalistischer Machtkonzentration und
weltweitem Expansionsdrang bis zu
missionarischen Deutschtumsideologien mit mörderischen
rassistischen – insbesondere antisemitischen –
Ambitionen; schließlich militanter Antisozialismus. Alles
hatte sich seit 1871 zu einem breiten
nationalkonservativ-völkischen Strom geformt, der sich ab
August 1914 in mehrjährigem Völkermord entlud, nach
1919 sowie beschleunigt ab 1929 radikalisierte und 1933 in die
faschistische Diktatur mündete. Diese Quellen und ihre
terroristisch-rassistische Umsetzung im NS prägten den
Verbrecherstaat – im Sinne seiner treffenden Bestimmung durch
Karl Jaspers.
8.
August 1945 – Abkommen der vier Mächte
„über die Verfolgung und Bestrafung der
Hauptkriegsverbrecher der Europäischen Achse“ sowie
Vereinbarung über das Statut für den Internationalen
Militärgerichtshof. Es benennt die Verbrechenskategorien der
Anklage:
(a) Verbrechen gegen den Frieden; (b)
Kriegsverbrechen; (c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
20.
November 1945 – Mit dem Prozess gegen die
Hauptkriegsverbrecher beginnt die Folge von Nürnberger
Prozessen; das Urteil wird am 1. Oktober 1946 verkündet. Es
kommt anschließend zu zwölf Nachfolgeprozessen,
darunter gegen die IG-Farben-, den Flick- und den Krupp-Konzern, OKW,
SS, Diplomaten, Ärzte, Juristen und Militärs. Es
sollte auch an die umfassenden Ermittlungen gegen die Deutsche und die
Dresdner Bank erinnert werden. Beispielsweise wurden bereits 1947 zur
Deutschen Bank in eigenen Kapiteln Arisierung und Zwangsarbeit
thematisiert und - wie kriminelle Aktivitäten in besetzten
Ländern – mit dem damaligen Kenntnisstand
dokumentiert. Die Empfehlungen des US-Teams lauteten:
„Es wird empfohlen, dass: 1. die
Deutsche Bank liquidiert wird, 2. die verantwortlichen Mitarbeiter der
Deutschen Bank angeklagt und als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt
werden, 3. die leitenden Mitarbeiter der Deutschen Bank von der
Übernahme wichtiger oder verantwortlicher Positionen im
wirtschaftlichen Leben Deutschlands ausgeschlossen bleiben.“
[O. M. G. U. S. Office of Military Government for Germany, United
States. Finance Division – Financial Investigation Section:
Ermittlungen gegen die Deutsche Bank -1946/1947 - , Nördlingen
1985, S. 11]
Die belastenden Ermittlungsergebnisse und die
darauf gründenden Empfehlungen versandeten ab 1947/48
ergebnislos und wurden für Jahrzehnte verdrängt,
obwohl – oder weil? - sie den Forderungen im Potsdamer
Abkommen entsprachen. Chefbanker Hermann Josef Abs kam nicht in den
Knast, sondern wurde Finanzberater von Bundeskanzler Adenauer.
Restauration
bedingte Verdrängung von Schuld und Sühne
Mit der restaurativen Wende ab 1947/48 kommt es in
einem komplexen und widersprüchlich verlaufenden, innerlich
jedoch zusammenhängenden Prozess zu Abbruch und Umkehr. Die
Gründung der Bundesrepublik erwuchs aus diesem restaurativen
Wandel, verfestigte ihn mit der Spaltung Deutschlands 1948/49 und
machte ihn damit unumkehrbar, von außen begünstigt
durch die Entfremdung und zunehmende Konfrontation innerhalb der
Antihitler-Koalition sowie den Übergang in den Kalten Krieg
und zur militärischen Blockbildung. Alle
einschlägigen Analysen haben die Gründungs- und
Frühperiode der Bundesrepublik in den Mittelpunkt zu
rücken, da sie den Schlüssel zum Verständnis
ihrer Erbschaften, Grundlagen und Wesenszüge, damit auch ihrer
gesamten folgenden Geschichte bis heute bilden. Dieser
postfaschistische deutsche Staat konstituierte sich in
sozioökonomischen, gesellschaftspolitischen und weithin
ideologischen Kontinuitäten seit 1871, 1918/19 und 1933. Er
formierte sich in offener oder verdeckter Gegnerschaft nicht nur zum
Vermächtnis des deutschen Widerstandes und der Emigration,
sondern in hohem Maße auch zu den ursprünglichen
alliierten Grundpositionen, darunter zu Potsdamer Abkommen und
Nürnberger Prozessen.
Für eine grundsätzliche
Einschätzung ist es notwendig, den Wesenszusammenhang von
Restauration und Vergangenheitsverdrängung zu benennen. Es
konnte in Deutschland nach der Vorgeschichte seit 1871, 1914 und 1933
keine Bewahrung oder Wiederherstellung kapitalistischer
Eigentumsverhältnisse, bürgerlich-aristokratischer
und klerikaler Hierarchien sowie entsprechender Ideenwelten geben ohne
die jüngste Geschichte grob zu entstellen und zu
verdrängen. Nach Zustand und Entwicklung der
bürgerlichen Gesellschaft bis 1933 und 1945 bedingten sich
beide Grundprozesse gegenseitig. Die bürgerlichen
Nachfolgeparteien – CDU, CSU, FDP, DP u. a. -
besaßen keine nennenswert antifaschistische und
antimilitaristische Herkunft und Tradition; sie
öffneten sich weit und unkritisch den nazistischen
Gefolgschaften und Tätern. Sie hatten nicht zuletzt in
Führungsschichten eine mehrheitlich belastete Mitglied- ,
Wähler- und Anhängerschaft. Die im September 1949 in
Bonn formierte Mitte-Rechts-Koalition unter Kanzler K. Adenauer nahm
wesentlich deren Interessen wahr. Folgerichtig erwiesen sich
erklärter Antifaschismus und Antimilitarismus sowie
Bestrebungen zur gesellschaftlichen Grunderneuerung als
Störfaktoren für die Restauration, die Westbindung
und die Wiederaufrüstung und wurden nicht hingenommen. Bereits
ab 1950 werden kommunistische, linkssozialistische und pazifistische
Strömungen, Organisationen und Gruppen sowie weitere Kritiker
der Politik Adenauers offen verfolgt und unterdrückt.
Der restaurative - lies: bürgerliche -
Führungsanspruch gegenüber den Arbeiterparteien,
Gewerkschaften, pazifistischen, linksliberalen und
radikaldemokratischen Richtungen und Gruppen war durch die Geschehnisse
und Verläufe spätestens seit Beginn des 20.
Jahrhunderts sowie ihre Resultate nicht legitimiert. Die
ideell-politische Logik der Restauration eliminierte weitgehend die
frühen, eher zutreffenden Urteile und Folgerungen. Seither
werden diejenigen marginalisiert und denunziert, die solche damals
gültigen Analysen gegen das erdrückende
Übergewicht der herrschenden Ideologie weiterhin vertreten.
In vier Hauptpunkten sollen Wesenszüge
der restaurativen Weichenstellung umrissen werden:
Erstens
erfolgte eine Abkehr von wesentlichen Prinzipien des Potsdamer
Abkommens und der Nürnberger Prozesse, bei Letzteren besonders
hinsichtlich der Urteile gegen Banken und Konzerne sowie gegen Gruppen
der bürgerlichen Elite in Justiz, Diplomatie, Medizin,
Wissenschaft u. a. Nach der Gründung der Bundesrepublik
mündete dies in eine offene Frontstellung und die
Delegitimierung von Potsdam und Nürnberg. Die extremsten
Äußerungen waren die Einstellung von Ermittlungen zu
NS-Verbrechen und der Verfolgung von Tätern sowie ein
schonender bis schützender Umgang mit Letzteren. Gnadenerlasse
der Alliierten, Straffreiheit und Amnestien, die Gesetzgebung
zu Artikel 131 GG, Verjährungen und Kalte Amnestie
begünstigten auf Dauer unzählige Täter von
NSDAP, SS, SD, SA und Gestapo. Selbst Akteuren und Vordenkern aus der
Himmlerschen Mordzentrale Reichssicherheitshauptamt (RSHA),
Blutrichtern einschließlich Militärrichtern,
Soldaten, Offizieren und Generälen der Wehrmacht, aber auch
Schreibtischtätern und Mordgehilfen aus Bildungs-, Sozial- und
Gesundheitswesen sowie Wissenschaft – vor allem Juristen und
Mediziner – blieben weithin Verfolgung und Strafen, zumindest
verhältnismäßige Urteile erspart.
Die Wehrmachtstradition bildete in der Geschichte
der Bundesrepublik über Jahrzehnte ein besonders
aufschlussreiches Feld fortwirkender, verhängnisvoller
Kontinuität und Äußerung des
historisch-politischen Selbstverständnisses von Bundeswehr und
Parteien sowie eines Netzes von Traditionsverbänden, Vereinen,
Verlagen, Periodika, Gedenkorten u. ä. Das erfolgte
und offenbarte sich bis in neunziger Jahre recht unverhohlen; bis heute
wirkt es in vielen Tendenzen manifest oder verdeckt fort. Der
Wehrmachtskult reichte von den regierenden Unionsparteien und der FDP
und weiteren rechtskonservativen Gruppierungen bis ins alt- und
neonazistische Lager. Erst seit den neunziger Jahren erzwangen die
Kontroversen um die Rehabilitierung der Deserteure, die
Wehrmachts-Ausstellung, die Traditionspflege der Gebirgsjäger
in Mittenwald und weitere Anlässe einen
überfälligen Wandel.
Die Bundesrepublik ist – im Gegensatz
zur DDR - der UNO-Konvention zur Nichtverjährung der NS- und
Kriegsverbrechen nie beigetreten. Nach der Verjährung von
Totschlag 1960 war die von der Erhard-Regierung (der mehrere Minister
der CDU, CSU und FDP mit NS-Vergangenheit angehörten) seit
Herbst 1964 vorbereitete Gesamtverjährung der NS-Verbrechen
zum 9. Mai 1965 nicht mehr durchsetzbar. Nach einem Aufschub wurde 1969
die Verjährung von Mord generell aufgehoben.
Ein Beispiel für die substantielle
Gegnerschaft zu erklärten Positionen der Alliierten sei
genannt: W. Churchill hatte in einer Botschaft an Stalin am 13. Oktober
1943 auf Art und Ausmaß der NS-Verbrechen in den okkupierten
Ländern verwiesen und eine Erklärung und Warnung der
USA, Großbritanniens und der UdSSR „im Namen der 32
vereinigten Nationen“ vorgeschlagen, denen zufolge werden mit
Kriegsende „diejenigen deutschen Offiziere und Soldaten sowie
Mitglieder der Nazipartei, die für die obenerwähnten
Grausamkeiten, Massaker und Exekutionen verantwortlich sind oder
freiwillig daran teilgenommen haben, in jene Länder
zurückgeschickt, in denen sie ihre abscheulichen Verbrechen
begangen haben, damit sie nach den Gesetzen dieser befreiten
Länder und der in ihnen eingesetzten freien Regierungen
gerichtet und bestraft werden. Listen werden mit allen nur
möglichen Einzelheiten von diesen Ländern
aufgestellt, insbesondere für die besetzten Teile Russlands,
für Polen und die Tschechoslowakei, Jugoslawien und
Griechenland einschließlich Kretas und anderer Inseln,
Norwegen, Dänemark, die Niederlande, Belgien, Luxemburg,
Frankreich und Italien.“ [Briefwechsel Stalins mit Churchill,
Attlee, Roosevelt und Truman 1941-1945, Berlin 1961, S. 219 (Kommission
für die Herausgabe diplomatischer Dokumente beim Ministerium
für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR. A. A.
Gromyko, Vorsitzender der Kommission u. a.)] Alle beteiligten Deutschen
sollen wissen, dass sie „an den Schauplatz ihrer Verbrechen
zurückgebracht und an Ort und Stelle von den Völkern,
denen sie Gewalt angetan haben, gerichtet werden.“ Die
sowjetische Seite stimmte mit kleinen Abänderungen zu und
diese alliierte Position wurde als „Moskauer
Erklärung“ veröffentlicht. Die alliierten
Besatzungsmächte handelten nach 1945 entsprechend
dieser Orientierung. Die Bundesrepublik ging mit ihrer
Konstituierung ab Mai 1949 den entgegengesetzten Weg: Die Verfasser des
Grundgesetzes nahmen im Mai 1949 auf: „Kein Deutscher darf an
das Ausland ausgeliefert werden.“ (Art. 16 GG, Abs. 2) Der
damit geleistete Beistand auch für im Ausland verurteilte
NS-Täter kann in der Folgezeit bis heute besichtigt werden.
In den folgenden Jahrzehnten mündete das
in die weitgehende Missachtung der aus anderen Ländern
zugestellten Ermittlungsergebnisse sowie Anträgen auf
Strafverfolgung von NS-Tätern. Beispielsweise schrieb die
tschechische Historikerin Lenka Sindelárová
über das Wirken der 1965 eingesetzten Tschechoslowakischen
Regierungskommission zur Verfolgung von NS-Kriegsverbrechern.
Ausgelöst wurde der Schritt durch die westdeutschen
Vorbereitungen für die Mord-Verjährung ab 9. Mai
1965. Bis 1980 bearbeitete die Kommission 180 Verfahren gegen 662
Personen, die als verantwortlich für den Tod von 14.056
Menschen angesehen wurden. Bis 1983 gingen 89 Denkschriften an die
Bundesrepublik, darunter die Leiter der Gestapo von Prag und
Brünn betreffend. Davon galten 79 als erledigt:
„Sämtliche dieser Verfahren waren ohne
Anklageerhebung und somit ohne einen ordentlichen Prozess vor Gericht
eingestellt worden.“ [Lenka
Sindelárová: Denkschriften an die Bundesrepublik.
Die Arbeit der Tschechoslowakischen Regierungskommission zur Verfolgung
von NS-Kriegsverbrechern (1965-1990), in: Martin
Cüppers/Jürgen Matthäus/Andrej Angrick
(Hrsg.): Naziverbrechen. Täter, Taten,
Bewältigungsversuche, Darmstadt 2013, S. 285] Die Autorin
weist exemplarisch nach, mit welch umfassender Materialbasis die
Einzelfälle belegt waren. Es kam jedoch „in der
Bundesrepublik zu keiner einzigen rechtskräftigen Verurteilung
als Folge der aus der Tschechoslowakei zur Verfügung
gestellten Unterlagen“ [Ebenda, S. 286. Vgl. auch Lenka
Sindelárová: Finale der Vernichtung. Die
Einsatzgruppe H in der Slowakei 1944/45, Darmstadt 2013].
Zweitens
wurden die Bewegungen für radikale Umgestaltung und
Sozialisierung, Erneuerung der Gesellschaft wie Vergesellschaftung
wirtschaftlicher Schlüsselbereiche, Zerschlagung der Monopole
bei Banken und Unternehmen, Bodenreform, weitreichende Mitbestimmung,
Brechung des Bildungsprivilegs der Oberschichten u. a. sozialistische
und radikaldemokratische Forderungen und Ziele ausgehöhlt und
marginalisiert, bald auch offen unterdrückt. Das betraf
Forderungen aus der Emigration, von SPD und KPD, das Ahlener Programm
der CDU der britischen Zone von 1947 u. ä., die sich im
weitgehenden Einklang mit dem Potsdamer Abkommen sowie Verlautbarungen
des Kontrollrates und der Besatzungsmächte in den Zonen
befanden. Die sozioökonomische, personelle und weithin
ideell-moralische Kontinuität in den Führungskreisen
aller gesellschaftlichen Bereiche wird zum spezifischen und
gravierenden Markenzeichen der Bundesrepublik, auch und vor allem im
Vergleich zur DDR
Drittens
wurden die Hauptkräfte der Arbeiterbewegung, des
Antifaschismus und des Pazifismus fortschreitend ausgegrenzt,
herabgesetzt und eines nennenswerten Einflusses beraubt,
schließlich aus den Schlüsselpositionen der Macht
verdrängt sowie von entscheidenden Weichenstellungen
ausgeschlossen; die Rückkehr der Emigranten unterblieb
weitgehend, da nicht gewollt; sie wird hintertrieben oder ihnen werden
Chancen und die Erfüllung begründeter Erwartungen
– mit Ausnahmen - verweigert. Es kommt zu jahrzehntelangen
Defiziten der Rehabilitierung und Wiedergutmachung gegenüber
NS-Opfern und Verfolgten, darunter Sinti und Roma, Euthanasie-Opfer und
Homosexuelle, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, Deserteure, Emigranten
und durch Arisierung Enteignete; darüber hinaus bis heute bei
Opfern der Kriegsgefangenschaft sowie von Massakern und Exzessen in
Osteuropa, Griechenland, Italien u. a. Ländern.
Viertens
schaffen die schrittweise, aber zielstrebige Spaltung Deutschlands und
die Westbindung die äußeren Bedingungen
der Restauration. Die BRD beteiligt sich mit der Bereitschaft zur
Wiederaufrüstung an der politisch-militärischen
Blockbildung und trägt maßgeblich dazu bei, die
Elemente des globalen Kalten Krieges zu etablieren und zu
verhärten. Sie findet ihren exponierten Platz in den
Spannungen, Krisen und Entscheidungen. Insbesondere verschärft
und vertieft die Bundesregierung friedensfeindliche Strategien u. a.
mit ihrer Alleinvertretungsanmaßung gegenüber der
DDR, der Ablehnung der Oder-Neiße-Grenze und von
Abrüstungsinitiativen. Der Alt- und Neofaschismus und
entspannungsfeindlicher Revanchismus nehmen einschließlich
ihrer nationalistischen und rassistisch-antisemitischen Komponenten
seit der Gründung der Bundesrepublik einen legalen und
geschützten, teils auch protegierten Platz im politischen
System ein.
Eine Anmerkung aus aktuellem Anlass im Herbst
2014: Es wäre ein wirklichkeits- und geschichtsfremdes
Hirngespinst, sich vorzustellen, es hätte im
Spätsommer 1949 als Voraussetzung einer Koalitionsbildung eine
Verständigung über den Charakter des vorangegangenen
Staatswesens geben können. Beispielsweise zu Fragen wie: Was
war das Dritte Reich und wie sieht seine vollständige
Verbrechensbilanz aus, wer waren seine Träger und
Verantwortlichen und wie ist mit Schuld umzugehen? Sind nicht
unverzüglich alle erreichbaren Unterlagen darüber zu
ermitteln und zu veröffentlichen? Die Dringlichkeit
dafür wäre allerdings wesentlich
größer und die Argumente ungleich stärker
gewesen als sie es 1990 oder 2014 waren oder sind. Die Charakteristik
der Mitte-Rechts-Regierung, ihrer Programmatik und Tätigkeit,
beantwortet, warum Geschichtsvergessenheit konstitutives Gebot und
Erfolgsbedingung war.
Seit 1999 lebt der Primat des Antikommunismus im
Bundeskonzept der Erinnerungs- und Gedenkstättenpolitik
parteienübergreifend – außer PDS/DIE LINKE
– mit der Formel fort, dass im Mittelpunkt die Erinnerung an
„beide deutsche Diktaturen und ihre Opfer“ stehen
müsse. Sie signalisiert die geschichtspolitische Strategie und
ideologische Ambition, einerseits die DDR definitiv zu delegitimieren
und ächten, andererseits die faschistische Barbarei zu
historisieren und zu relativieren. Beide Momente dienen dazu, die
geschichtliche Legitimation der bürgerlichen Eigentums- und
Herrschaftsverhältnisse sowie ihrer politischen Akteure und
Repräsentanten dauerhaft aufzuwerten und deren apologetische
– auch historische - Selbstdarstellung zu befördern.
Der Primat des Antikommunismus wurde gewahrt sowie damit die Chance,
ihn ab 1990 in Gestalt eines rechtsgerichteten Totalitarismuskonzepts
für die dauerhafte und fortschreitende Relativierung des
Verbrecherstaates, die Ächtung der DDR und die
geschichtsfälschende Legitimation der
großbürgerlich-aristokratischen Oberschichten, ihres
Anhangs sowie ihrer wohldotierten Parteien und Politiker zu
mobilisieren.
Für
die Veröffentlichung redigierte, vollständige Fassung
des auf der Tagung gekürzt vorgetragenen Beitrags
Prof. Ludwig Elm, Jena
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