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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

18.01.2015

70 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs: Tag der Befreiung am 8. Mai

Prof. Ludwig Elm aus Jena hat das Referat im Plenum und die Einführung im Workshop „Deutsche Erinnerungskultur“ auf dem 21. Friedenspolitischen Ratschlag, Kassel, 6./7. Dezember 2014 gehalten. Der Gegenstand war der 8. Mai 1945 – 2015, Thema: „70 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs, Befreiung und Potsdamer Konferenz“. Der Ratschlag hatte das Gesamtthema: „Politik für den Frieden – statt permanenten Krieg. Die Folgen von Militärinterventionen: Chaos und Gewalt - Deutscher Imperialismus reloadet? Kriege um Ressourcen“. Ludwig Elm führte aus: 

70 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs, Befreiung und Potsdamer Konferenz  

Hundert Jahre nach 1914: Die europäische Krise und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 beherrschten die Geschichtsdebatten des zu Ende gehenden Jahres; fortgesetzt anlässlich des 75. Jahrestages des Beginns des Zweiten Weltkriegs sowie schließlich nach 25 Jahren erinnernd an den Mauerfall und die 1989/90 in Europa und darüber hinaus vollzogenen oder eingeleiteten Umbrüche. Jahrestage und Jubiläen sind Anlässe für Forschungen, Debatten, Feiern und Erinnern; verstärkt im diesjährigem Fall durch den inneren historisch-politischen Zusammenhang der Entwicklungen und Ereignisse, der Wege der Akteure und aller Beteiligten von 1914 über 1918/19, 1933, 1938/39, 1945 bis 1989/90 und heute – in Deutschland, Europa und global.

Nunmehr befinden wir uns vor dem 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges und der Befreiung vom Faschismus. Es stellen sich Fragen: Wie einordnen und wie bewerten? Welche Ergebnisse und Impulse wirken bis in unsere Zeit? Gibt es Erfahrungen und Lehren, die hilfreich sind, heutige und absehbare Probleme zu bewältigen? Welcher Rang kommt der Zäsur von 1945 im letzten Jahrhundert zu? Wie gehen die herrschende Geschichtsschreibung, Politik und Medien damit um? Gibt es wesentliche Streitfragen? Nicht zufällig kommt es immer wieder zu intensivem Streit um Kriege von gestern und heute, über die Anlässe, Ursachen und Triebkräfte, Verantwortung und Schuld, Zwangsläufiges und Vermeidbares, um Opfer, Sühne und Lehren. Das sind Kontroversen, die die Friedenskräfte unmittelbar und intensiv angehen, da Geschichtsdeutungen jeweils auch wieder für Feindbilder und aggressive Strategien aktualisiert werden können.

2014 kam es wiederum zu Debatten um den deutschen Schuldanteil 1914 und den anderer Mächte. Dabei trat erneut – geradezu als unvermeidlich erscheinend – das Bemühen auf, das deutsche Kaiserreich, lies: die herrschenden Oberschichten sowie die politische und militärische Führung, zu entlasten. Wie steht es jedoch um die Ursachen, den Ausbruch und die Verantwortung 1939? Also damit des Zweiten Weltkrieges, dessen Beginn soeben gedacht wurde und an dessen Verlauf, Ergebnisse und Auswirkungen in den nächsten Monaten nachdrücklich erinnert werden sollte. 1939 erscheint die Alleinschuld Nazideutschlands eindeutig. Sie ist kaum zu bestreiten; trotzdem gibt es längst Bemühen, sie vor allem indirekt zu relativieren – innerhalb eines insgesamt antikommunistischen Geschichtskonzepts. Nunmehr verbindet sich dies mit der Europäisierung des Geschichtsdiskurses. Das ist besonders auffällig bei der Mobilisierung der antisowjetischen Traditionen und Potentiale in baltischen Ländern sowie Ost- und Südosteuropas, die nicht zu trennen ist von der Rehabilitierung der jeweiligen nationalkonservativen, antisemitischen und faschistischen Erbschaften, wie jüngere Erfahrungen in der Ukraine, baltischen Ländern, Polen und anderswo zeigen.

Gedenktag „23. August“

Der Abschluss des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes - „Hitler-Stalin-Pakt“ - am 23. August 1939 ist ein bevorzugter Einstieg für Geschichtsrevisionismus. Er sei hier exemplarisch als ein aktuelles Muster für den Umgang mit Schuldfragen beim Kriegsausbruch am 1. September 1939 erörtert. Längst kommt ihm eine Schlüsselrolle unter den Stereotypen in Geschichtsbildern sowie Desorientierungen in der Erinnerungs- und Gedenkkultur zu. Das Europäische Parlament erklärte am 23. September 2008 den 23. August zum „Europäischen Gedenktag an die Opfer von Stalinismus und Nazismus“. Es nahm am 2. April 2009 die Entschließung „Europas Gewissen und der Totalitarismus“ an und bestätigte darin den 23. August als „europaweiten Gedenktag an die Opfer aller totalitären und autoritären Regime“. Die Stiftung SED-Diktatur präsentiert seit Herbst 2013 im In- und Ausland ihre Ausstellung „Diktatur und Demokratie im Zeitalter der Extreme. Streiflichter auf die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert“. Darin heißt es zu jenem Pakt: „Die Annäherung der Diktatoren ebnete den Weg in den Krieg.“

Der Bundestag führte am 10. September 2014 eine Gedenkstunde aus Anlass des 75. Jahrestages des Beginns des Zweiten Weltkriegs durch, in der Bundestagspräsident N. Lammert äußerte: „Dem deutschen Überfall war ein diplomatisches Schurkenstück vorausgegangen: Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt“, ein „Angriffspakt zweier ideologischer Antipoden“, die sich „darauf verständigt hatten, Mittelosteuropa mit imperialistischer Brutalität in Einflusssphären untereinander aufzuteilen“ [Zit. nach: Das Parlament, Nr. 38-39, 15. September 2014. Dokumentation, S. 1]. Übrigens illustrieren auch seine Bemerkungen zum Widerstand die unverändert ideologisch verengte Perspektive der deutschen Konservativen: Nach dem Warschauer Ghetto-Aufstand 1943 und dem umstrittenen Warschauer Aufstand der polnischen Heimatarmee 1944 folgen nur „die Frauen und Männer der Weißen Rose und des 20. Juli“. Ohne die Leistungen und Opfer der Roten Armee bei der Befreiung Polens in seiner Rede auch nur mit einem Wort zu erwähnen, resümierte Lammert, dass die deutsche Kapitulation 1945 „für die Polen zunächst keine Freiheit“ brachte. Aus Letzterem spricht eine unsägliche deutsche Arroganz gegenüber jenen, die nach eigener Verfolgung, Leid und Demütigung unter der deutschen Okkupation nach 1945 das verwüstete Land wieder aufbauten sowie beiden deutschen Staaten trotz allem versöhnungsbereit gegenübertraten.

Die Rede des Bundespräsidenten bei der Gedenkfeier am 1. September 2014 auf der Westerplatte wies die gleichen Defizite und Fehlurteile auf. Der jahrzehntelangen, tendenziell pronazistischen Version vom „Zusammenbruch 1945“ folgt inzwischen die antikommunistische Version vom Ausbleiben der Freiheit in SBZ/DDR, Polen u. a. Ländern – bis 1989/90. Die Beendigung eines europaweiten Okkupationsnetzes und massenmörderischen Herrschaftssystems im Mai 1945 wird zum nebensächlichen Geschehen, das für das Gesamturteil ziemlich belanglos erscheint.

Der Gastredner Präsident Komorowski wurde am 10. September den Erwartungen der Mehrheit des Bundestages gerecht, als er in einem Atemzug sagte: „Wir gedenken des 1. September und vergessen dabei nie den 17. September, als sowjetische Streitkräfte, die Verbündete Hitlerdeutschlands waren, nach Polen einmarschierten.“ [Ebenda, S. 2] Tatsächlich waren jedoch der Überfall auf Polen und seine Unterwerfung in der faschistischen Führung längst entschieden und ohne sie hätte es keinen sowjetischen Einmarsch in die ostpolnischen, ehemals zu Russland gehörenden, weißrussischen und ukrainischen, Gebiete gegeben. Die Rote Armee war kein „Verbündeter Hitlerdeutschlands“, so wenig die polnischen Streitkräfte Verbündete der Wehrmacht waren, als sich Polen bei der Zerschlagung der CSR das Gebiet Teschen nahm. Komorowski erwähnte weder den polnisch-deutschen Nichtangriffspakt von 1934 noch die destruktive Rolle Polens gegenüber einem rechtzeitig und ausreichend gegen die deutsche Bedrohung gerichteten Pakt mit Frankreich und England unter Einschluss der UdSSR. Neben seinem eigenen Geschichtsbild war es wohl auch ein - moralisch fragwürdiges - Zeichen gegenüber den Berliner Gastgebern, dass er ebenfalls den späteren kriegsentscheidenden Beitrag der UdSSR überging.

Um Missverständnisse auszuschließen: Es gibt genügend Aspekte, Stalin, Stalinismus und  sowjetische Politik zwischen August 1939 und Juni 1941 zu kritisieren. Hier geht es jedoch gegen die Gleichsetzungen, mit denen die Rolle der Sowjetunion in jenen Jahren absichtlich und prinzipiell verfälscht wird sowie mit der des deutschen Verbrecherstaates und Aggressors mehr oder weniger gleichgesetzt werden soll. Letzterer wird damit entlastet und schließlich auch der entscheidende Beitrag der UdSSR zur Befreiung Europas ins Zwielicht gerückt.

2013 erschien in Prag – laut Untertitel - „Ein Lesebuch für Schüler höherer Klassen überall in Europa“ unter dem Haupttitel „Damit wir nicht vergessen. Erinnerung an den Totalitarismus in Europa“. Es wurde finanziell vom „Programm für Bürgerinnen und Bürger“ der Europäischen Union unterstützt. Die Einführung schrieb der französische Historiker Stéphane Courtois, der Ende der neunziger Jahre als maßgeblicher, militanter Autor des „Schwarzbuch des Kommunismus“ international bekannt wurde. In der Einführung schrieb er damals: „Der Vertrag vom 23. August, der Deutschland der Gefahr eines Zweifrontenkrieges enthob, löste den Zweiten Weltkrieg aus.“ [Stéphane Courtois, Nicolas Werth u. a. : Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror, München – Zürich 1998, S. 17] Der Sammelband von 2013 enthält Beiträge aus 16 europäischen Ländern, in denen individuelle Schicksale der Verfolgung und des Widerstandes sowohl unter NS-Besatzung als auch im Staatssozialismus geschildert werden. Das Leitmotiv ist wiederum, beide politische Systeme zu parallelisieren und in den Bewertungen zu nivellieren, um insgesamt das antikommunistische geschichtsideologische Hauptanliegen umzusetzen.

Zur objektiveren Charakteristik des „Hitler-Stalin-Paktes“ sei in unserem Rahmen auf einen Unverdächtigen verwiesen, der sowohl prominenter Zeitzeuge als auch Autor war: Der Antikommunist Winston S. Churchill, neben Roosevelt und Stalin einer der Großen Drei der Antihitler-Koalition, britischer Premierminister von Mai 1940 bis Juli 1945 (und nochmals 1951-1955). Er kommt hier mit seinem Werk „Der Zweite Weltkrieg“ zu Wort, für das er den Nobelpreis für Literatur 1953 erhielt. Das Kapitel zum September 1938 lautet: „Die Tragödie von München“.  Churchill leitet es mit einem langen Zitat aus der „warnenden Erklärung“ des sowjetischen Außenministers Litwinow vor dem Völkerbund am 21. September 1938 ein, in der die Bereitschaft der UdSSR zum Beistand für die bedrohte Tschechoslowakei bekräftigt wurde. Mit Blick auf das wenige Tage später geschlossene „Münchner Abkommen“ fügt er an: „Diese öffentliche und unbedingte Erklärung einer der größten an der Frage beteiligten Mächte spielte keine Rolle in Chamberlains Verhandlungen oder in Frankreichs Verhalten. Das Angebot Russlands wurde einfach übergangen. Man warf die Macht der Sowjets nicht in die Waagschale gegen Hitler und behandelte die Russen mit einer Gleichgültigkeit – um nicht zu sagen Verachtung - , die in Stalins Einstellung ihre Spuren zurückließ. Die Ereignisse nahmen ihren Lauf, als ob Russland nicht existierte. Dafür mussten wir später teuer bezahlen.“ [Winston S. Churchill: Der Zweite Weltkrieg. Mit einem Epilog über die Nachkriegsjahre, Bern – München – Wien (1948), Sonderausgabe 1995, S. 156f.]

Nach dem offenen Bruch des Münchner Abkommens durch Nazideutschland im März 1939 zeichnete sich nach Österreich und der CSR die akute Bedrohung Polens ab. „Wenn man bedenkt,“ schrieb Churchill im Kapitel „Am Rande des Abgrunds“, „wie die Sowjetregierung bisher behandelt worden war, konnte jetzt nicht viel von ihr erwartet werden. Am 16. April machte sie dennoch ein formelles Angebot, dessen Text nicht veröffentlicht wurde, für die Schaffung einer gemeinsamen Front zu gegenseitiger Hilfeleistung zwischen Großbritannien, Frankreich und der UdSSR. Die drei Mächte, wenn möglich mit Teilnahme Polens, sollten außerdem die Grenzen derjenigen Staaten in Mittel- und Osteuropa garantieren, die von der deutschen Aggression bedroht waren.“ [Ebenda, S. 176f.] Churchill äußerte, dass dass das Bündnis von England, Frankreich und Russland im Jahre 1939 Deutschland beunruhigt hätte und niemand könne beweisen, dass der Krieg sich nicht noch hätte verhüten lassen. Mit überlegener Macht hätten die Alliierten den nächsten Schritt unternehmen können. Statt britischer (und französischer) Zustimmung seien jedoch langes Schweigen und Halbheiten gefolgt.

„Durch München und vieles andere war die Sowjetregierung davon überzeugt, dass England und Frankreich nicht kämpfen wollten, bevor man sie angriff, und dass sie auch dann nicht viel taugen würden. Der aufziehende Sturm war im Begriff loszubrechen. Russland musste für seine Sicherheit sorgen.“ [Ebenda, S. 178] Der Abschluss des deutsch-sowjetischen Paktes am 23. August 1939 stellte, Churchill zufolge, „den Höhepunkt der diplomatischen Misserfolge dar, welche die britische und französische Außenpolitik seit mehreren Jahren verzeichnet hatten.“ Die territorialen Entscheidungen der Sowjetunion nannte er für sie „lebenswichtig“ und „kaltblütig“, „jedenfalls damals auch im höchsten Maße realistisch.“ [Ebenda, S. 187] Ergänzend sei auf eine kompetente französische Stimme verwiesen, die Churchills Analyse und Urteil bestätigt: Robert Coulondre, von 1936 bis 1938 französischer Botschafter in Moskau sowie 1938/39 in Berlin. Er stand in engster Beziehung zur politischen, diplomatischen und militärischen Führung Frankreichs und zeichnete in seinen 1950 erschienenen Erinnerungen kritisch die Fehleinschätzungen und das Versagen in Paris (und London) in jener schicksalhaften Zeit nach. [Robert Coulondre: Von Moskau nach Berlin 1936 – 1939. Erinnerungen des französischen Botschafters, Bonn 1950]

In diesem Rahmen soll es bei der vorläufigen Feststellung bleiben, dass die bundesdeutschen und europäischen geschichtsideologischen Anstrengungen, den Vertrag vom 23. August 1939 vorrangig antisowjetisch auszulegen sowie ihn in diesem Sinne für eine rechtsgerichtete, kontinentale Gedenkpolitik zu stilisieren und zu instrumentalisieren, auf groben Entstellungen der tatsächlichen Vorgänge von 1938/39 in Europa beruhen. Das gilt vorrangig für die Politik der UdSSR, aber auch dafür, dass die Rolle Großbritanniens, Frankreichs und Polens bei der Nichteinmischungspolitik gegenüber dem spanischen Bürgerkrieg, der Hinnahme der nazistischen Einverleibung Österreichs, der Preisgabe der Tschechoslowakei und beim Scheitern eines gegen Hitlerdeutschland gerichteten politisch-militärischen Bündnisses unter Einbeziehung der Sowjetunion äußerst lückenhaft und weithin wahrheitswidrig dargestellt wird.

2015 an herausragende Ereignisse von 1945 erinnern - ihren friedenspolitischen und antifaschistischen Gehalt neu erschließen

Dieses Anliegen soll hier knapp anhand einiger hauptsächlicher Daten skizziert werden, um es zu veranschaulichen und anzuregen, wertvolle Dokumente und Aktivitäten des Umbruchs und Neubeginns angesichts heutiger Herausforderungen zu vergegenwärtigen.

27. Januar – Die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee bildet den Beginn der Befreiung aller KZ, ihrer unzähligen Außenlager und der nazistischen Sklaverei, die Beendigung der Todesmärsche sowie zahlreicher, schwerster Endphasenverbrechen in Städten, Dörfern und Lagern.

4. bis 11. Februar 1945 – Nach Teheran (28. November bis 1. Dezember 1943), findet in Jalta der zweite Gipfel mit Churchill, Roosevelt und Stalin statt, der als Krim-Konferenz in die Geschichte einging. Es wurde mitgeteilt, dass die militärischen Pläne für „die endgültige Niederwerfung des gemeinsamen Feindes“ festgelegt worden sind und erklärt: „Es ist unser unbeugsamer Wille, den deutschen Militarismus und Nationalsozialismus zu zerstören und dafür Sorge zu tragen, dass Deutschland nie wieder imstande ist, den Weltfrieden zu stören.“

8. Mai - Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht in der Kommandantur der Sowjetarmee in Berlin-Karlshorst: Ende des Krieges in Europa und Befreiung vom Faschismus. Am 23. Mai werden in Flensburg der Hitler-Nachfolger Karl Dönitz und seine „Geschäftsführende Reichsregierung“ verhaftet. Am 2. September besiegelt die Kapitulation Japans das globale Ende des 2. Weltkrieges.

Der 8. Mai ist in der DDR für einige Jahre und später bei runden Jubiläen Feiertag. In der Bundesrepublik wird er von weiten Kreisen zunächst als Tag des „Zusammenbruchs“ beklagt, ignoriert oder als zwiespältig hingenommen. Nach mehr als vierzig Jahren setzte sich gegen andauernde Vorbehalte und Widerstände die Würdigung als Befreiungstag durch. Bis heute wird das Leitmotiv auf Kriegsende reduziert, um die faschistische Diktatur höchstens beiläufig zu erwähnen. Runde Jahrestage werden mit Rücksicht auf ihre internationale Würdigung (UNO, Westeuropa, USA, Israel u. a.) sowie der Erwartungen der Opferverbände öffentlich stärker beachtet und zelebriert.

5. Juni - Erklärung zur Übernahme der obersten Regierungsgewalt durch die Regierungen der vier Mächte; der alliierte Kontrollrat nimmt in Berlin seine Tätigkeit auf. Damit erfolgt ein entschiedener, aber bloß vorläufiger und nicht an die Wurzeln greifender Abbruch einer Kontinuität seit 1871, 1914 und 1933. Die anstehenden Verfügungen und Maßnahmen werden konkret genannt, beispielsweise nach Art. 11 die Festnahme der „hauptsächlichen Naziführer“ und aller Personen, die im Verdacht stehen, Kriegs- oder ähnliche Verbrechen begangen, befohlen oder ihnen Vorschub geleistet zu haben.

26. Juni 1945 – San Francisco: Verabschiedung der Charta der Vereinten Nationen mit der Unterzeichnung durch fünfzig Gründungsmitglieder. Sie beginnt mit den Worten: „Wir, die Völker der Vereinten Nationen, entschlossen, die künftigen Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren, der zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat“. Weltfrieden, gemeinsame internationale Sicherheit und friedliche Konfliktlösung, Menschenrechte und Toleranz bildeten Leitmotive der Gründung der UNO; sie bestimmten deren Weltoffenheit, Wirkungsfelder sowie ihre Strukturen und Arbeitsweise.

17. Juli bis 2. August 1945 - Die Potsdamer Konferenz der Großen Drei; Präsident H. Truman (USA) nimmt als Nachfolger des im April verstorbenen Roosevelt teil. Nach einer mit Rücksicht auf die britische Unterhauswahl erfolgten zweitägigen Unterbrechung (26./27. Juli) wurde die Konferenz mit dem Wahlsieger Premierminister Clement R. Attlee (Labour Party) als Vertreter Großbritanniens fortgesetzt und beendet. Die Bedeutung der Mitteilung über die Dreimächtekonferenz von Berlin - bekannt als Potsdamer Abkommen - vom 2. August 1945 besteht darin, dass es von Teilnehmerkreis, Zeitpunkt und Ort sowie im Hauptinhalt die grundlegende gemeinsame Willensbekundung der Alliierten im Ergebnis des Krieges in ihren historisch-politischen Feststellungen, Einschätzungen und Schlussfolgerungen ist.

Im Abschnitt III Deutschland, A. Politische     Grundsätze, werden unter den „Zielen der Besetzung“  an erster Stelle genannt: „(I)     Völlige Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands“, besonders durch Ausschaltung und Überwachung der Kriegsproduktion. Weitere Maßnahmen wie Verbote, Auflösung, Vernichtung aller militärischen und nazistischen Institutionen, Organisationen etc. erfolgen, „um damit für immer der Wiedergeburt oder Wiederaufrichtung des deutschen Militarismus und Nazismus“     vorzubeugen. Sämtliche NS-Organisationen sind aufzulösen; „es sind Sicherheiten dafür zu     schaffen, dass sie in keiner Form wieder auferstehen können; jeder nazistischen oder militaristischen Betätigung und Propaganda ist vorzubeugen.“ Unter den Wirtschaftlichen Grundsätzen wird die Produktion von Kriegsmaterial verboten sowie gefordert: „In praktisch kürzester Frist ist das deutsche Wirtschaftsleben zu dezentralisieren mit dem Ziel der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate, Trusts und andere Monopolvereinigungen.“

Durchgängig und ausdrücklich werden in den Verlautbarungen der Alliierten  Militarismus und Nazismus zusammenhängend benannt und bewertet. Das entspricht der historisch-politischen Genesis der deutschen Rechten, insbesondere hinsichtlich ihres inneren wechselseitigen sozioökonomischen, machtpolitisch-funktionalen und ideologischen Zusammenhangs in der deutschen Geschichte: Vom feudalaristokratischen Autoritarismus und Antidemokratismus bis zur nazistischen Volks-     und Menschenverachtung, von preussischem Militarismus, groß- und finanzkapitalistischer Machtkonzentration und weltweitem Expansionsdrang bis     zu missionarischen Deutschtumsideologien mit mörderischen rassistischen – insbesondere antisemitischen – Ambitionen; schließlich militanter Antisozialismus. Alles hatte sich seit 1871 zu einem breiten nationalkonservativ-völkischen Strom geformt, der sich ab August 1914 in mehrjährigem Völkermord entlud, nach 1919 sowie beschleunigt ab 1929 radikalisierte und 1933 in die faschistische Diktatur mündete. Diese Quellen und ihre terroristisch-rassistische Umsetzung im NS prägten den Verbrecherstaat – im Sinne seiner treffenden Bestimmung durch Karl Jaspers.

8. August 1945 – Abkommen der vier Mächte „über die Verfolgung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der Europäischen Achse“ sowie Vereinbarung über das Statut für den Internationalen Militärgerichtshof. Es benennt die Verbrechenskategorien der Anklage:

(a) Verbrechen gegen den Frieden; (b) Kriegsverbrechen; (c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit.  

20. November 1945 – Mit dem Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher beginnt die Folge von Nürnberger Prozessen; das Urteil wird am 1. Oktober 1946 verkündet. Es kommt anschließend zu zwölf Nachfolgeprozessen, darunter gegen die IG-Farben-, den Flick- und den Krupp-Konzern, OKW, SS, Diplomaten, Ärzte, Juristen und Militärs. Es sollte auch an die umfassenden Ermittlungen gegen die Deutsche und die Dresdner Bank erinnert werden. Beispielsweise wurden bereits 1947 zur Deutschen Bank in eigenen Kapiteln Arisierung und Zwangsarbeit thematisiert und - wie kriminelle Aktivitäten in besetzten Ländern – mit dem damaligen Kenntnisstand dokumentiert. Die Empfehlungen des US-Teams lauteten:

„Es wird empfohlen, dass: 1. die Deutsche Bank liquidiert wird, 2. die verantwortlichen Mitarbeiter der Deutschen Bank angeklagt und als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden, 3. die leitenden Mitarbeiter der Deutschen Bank von der Übernahme wichtiger oder verantwortlicher Positionen im wirtschaftlichen Leben Deutschlands ausgeschlossen bleiben.“ [O. M. G. U. S. Office of Military Government for Germany, United States. Finance Division – Financial Investigation Section: Ermittlungen gegen die Deutsche Bank -1946/1947 - , Nördlingen 1985, S. 11]

Die belastenden Ermittlungsergebnisse und die darauf gründenden Empfehlungen versandeten ab 1947/48 ergebnislos und wurden für Jahrzehnte verdrängt, obwohl – oder weil? - sie den Forderungen im Potsdamer Abkommen entsprachen. Chefbanker Hermann Josef Abs kam nicht in den Knast, sondern wurde Finanzberater von Bundeskanzler Adenauer.

Restauration bedingte Verdrängung von Schuld und Sühne

Mit der restaurativen Wende ab 1947/48 kommt es in einem komplexen und widersprüchlich verlaufenden, innerlich jedoch zusammenhängenden Prozess zu Abbruch und Umkehr. Die Gründung der Bundesrepublik erwuchs aus diesem restaurativen Wandel, verfestigte ihn mit der Spaltung Deutschlands 1948/49 und machte ihn damit unumkehrbar, von außen begünstigt durch die Entfremdung und zunehmende Konfrontation innerhalb der Antihitler-Koalition sowie den Übergang in den Kalten Krieg und zur militärischen Blockbildung. Alle einschlägigen Analysen haben die Gründungs- und Frühperiode der Bundesrepublik in den Mittelpunkt zu rücken, da sie den Schlüssel zum Verständnis ihrer Erbschaften, Grundlagen und Wesenszüge, damit auch ihrer gesamten folgenden Geschichte bis heute bilden. Dieser postfaschistische deutsche Staat konstituierte sich in sozioökonomischen, gesellschaftspolitischen und weithin ideologischen Kontinuitäten seit 1871, 1918/19 und 1933. Er formierte sich in offener oder verdeckter Gegnerschaft nicht nur zum Vermächtnis des deutschen Widerstandes und der Emigration, sondern in hohem Maße auch zu den ursprünglichen alliierten Grundpositionen, darunter zu Potsdamer Abkommen und Nürnberger Prozessen.

Für eine grundsätzliche Einschätzung ist es notwendig, den Wesenszusammenhang von Restauration und Vergangenheitsverdrängung zu benennen. Es konnte in Deutschland nach der Vorgeschichte seit 1871, 1914 und 1933 keine Bewahrung oder Wiederherstellung kapitalistischer Eigentumsverhältnisse, bürgerlich-aristokratischer und klerikaler Hierarchien sowie entsprechender Ideenwelten geben ohne die jüngste Geschichte grob zu entstellen und zu verdrängen. Nach Zustand und Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft bis 1933 und 1945 bedingten sich beide Grundprozesse gegenseitig. Die bürgerlichen Nachfolgeparteien – CDU, CSU, FDP, DP u. a. - besaßen keine nennenswert antifaschistische und antimilitaristische Herkunft und Tradition; sie  öffneten sich weit und unkritisch den nazistischen Gefolgschaften und Tätern. Sie hatten nicht zuletzt in Führungsschichten eine mehrheitlich belastete Mitglied- , Wähler- und Anhängerschaft. Die im September 1949 in Bonn formierte Mitte-Rechts-Koalition unter Kanzler K. Adenauer nahm wesentlich deren Interessen wahr. Folgerichtig erwiesen sich erklärter Antifaschismus und Antimilitarismus sowie Bestrebungen zur gesellschaftlichen Grunderneuerung als Störfaktoren für die Restauration, die Westbindung und die Wiederaufrüstung und wurden nicht hingenommen. Bereits ab 1950 werden kommunistische, linkssozialistische und pazifistische Strömungen, Organisationen und Gruppen sowie weitere Kritiker der Politik Adenauers offen verfolgt und unterdrückt.

Der restaurative - lies: bürgerliche - Führungsanspruch gegenüber den Arbeiterparteien, Gewerkschaften, pazifistischen, linksliberalen und radikaldemokratischen Richtungen und Gruppen war durch die Geschehnisse und Verläufe spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts sowie ihre Resultate nicht legitimiert. Die ideell-politische Logik der Restauration eliminierte weitgehend die frühen, eher zutreffenden Urteile und Folgerungen. Seither werden diejenigen marginalisiert und denunziert, die solche damals gültigen Analysen gegen das erdrückende Übergewicht der herrschenden Ideologie weiterhin vertreten.

In vier Hauptpunkten sollen Wesenszüge der restaurativen Weichenstellung umrissen werden:

Erstens erfolgte eine Abkehr von wesentlichen Prinzipien des Potsdamer Abkommens und der Nürnberger Prozesse, bei Letzteren besonders hinsichtlich der Urteile gegen Banken und Konzerne sowie gegen Gruppen der bürgerlichen Elite in Justiz, Diplomatie, Medizin, Wissenschaft u. a. Nach der Gründung der Bundesrepublik mündete dies in eine offene Frontstellung und die Delegitimierung von Potsdam und Nürnberg. Die extremsten Äußerungen waren die Einstellung von Ermittlungen zu NS-Verbrechen und der Verfolgung von Tätern sowie ein schonender bis schützender Umgang mit Letzteren. Gnadenerlasse der Alliierten,  Straffreiheit und Amnestien, die Gesetzgebung zu Artikel 131 GG, Verjährungen  und Kalte Amnestie begünstigten auf Dauer unzählige Täter von NSDAP, SS, SD, SA und Gestapo. Selbst Akteuren und Vordenkern aus der Himmlerschen Mordzentrale Reichssicherheitshauptamt (RSHA), Blutrichtern einschließlich Militärrichtern, Soldaten, Offizieren und Generälen der Wehrmacht, aber auch Schreibtischtätern und Mordgehilfen aus Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen sowie Wissenschaft – vor allem Juristen und Mediziner – blieben weithin Verfolgung und Strafen, zumindest verhältnismäßige Urteile erspart.

Die Wehrmachtstradition bildete in der Geschichte der Bundesrepublik über Jahrzehnte ein besonders aufschlussreiches Feld fortwirkender, verhängnisvoller Kontinuität und Äußerung des  historisch-politischen Selbstverständnisses von Bundeswehr und Parteien sowie eines Netzes von Traditionsverbänden, Vereinen, Verlagen, Periodika, Gedenkorten  u. ä. Das erfolgte und offenbarte sich bis in neunziger Jahre recht unverhohlen; bis heute wirkt es in vielen Tendenzen manifest oder verdeckt fort. Der Wehrmachtskult reichte von den regierenden Unionsparteien und der FDP und weiteren rechtskonservativen Gruppierungen bis ins alt- und neonazistische Lager. Erst seit den neunziger Jahren erzwangen die Kontroversen um die Rehabilitierung der Deserteure, die Wehrmachts-Ausstellung, die Traditionspflege der Gebirgsjäger in Mittenwald und weitere Anlässe einen überfälligen Wandel.

Die Bundesrepublik ist – im Gegensatz zur DDR - der UNO-Konvention zur Nichtverjährung der NS- und Kriegsverbrechen nie beigetreten. Nach der Verjährung von Totschlag 1960 war die von der Erhard-Regierung (der mehrere Minister der CDU, CSU und FDP mit NS-Vergangenheit angehörten) seit Herbst 1964 vorbereitete Gesamtverjährung der NS-Verbrechen zum 9. Mai 1965 nicht mehr durchsetzbar. Nach einem Aufschub wurde 1969 die Verjährung von Mord generell aufgehoben.

Ein Beispiel für die substantielle Gegnerschaft zu erklärten Positionen der Alliierten sei genannt: W. Churchill hatte in einer Botschaft an Stalin am 13. Oktober 1943 auf Art und Ausmaß der NS-Verbrechen in den okkupierten Ländern verwiesen und eine Erklärung und Warnung der USA, Großbritanniens und der UdSSR „im Namen der 32 vereinigten Nationen“ vorgeschlagen, denen zufolge werden mit Kriegsende „diejenigen deutschen Offiziere und Soldaten sowie Mitglieder der Nazipartei, die für die obenerwähnten Grausamkeiten, Massaker und Exekutionen verantwortlich sind oder freiwillig daran teilgenommen haben, in jene Länder zurückgeschickt, in denen sie ihre abscheulichen Verbrechen begangen haben, damit sie nach den Gesetzen dieser befreiten Länder und der in ihnen eingesetzten freien Regierungen gerichtet und bestraft werden. Listen werden mit allen nur möglichen Einzelheiten von diesen Ländern aufgestellt, insbesondere für die besetzten Teile Russlands, für Polen und die Tschechoslowakei, Jugoslawien und Griechenland einschließlich Kretas und anderer Inseln, Norwegen, Dänemark, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich und Italien.“ [Briefwechsel Stalins mit Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman 1941-1945, Berlin 1961, S. 219 (Kommission für die Herausgabe diplomatischer Dokumente beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR. A. A. Gromyko, Vorsitzender der Kommission u. a.)] Alle beteiligten Deutschen sollen wissen, dass sie „an den Schauplatz ihrer Verbrechen zurückgebracht und an Ort und Stelle von den Völkern, denen sie Gewalt angetan haben, gerichtet werden.“ Die sowjetische Seite stimmte mit kleinen Abänderungen zu und diese alliierte Position wurde als „Moskauer Erklärung“ veröffentlicht. Die alliierten Besatzungsmächte handelten nach 1945 entsprechend dieser  Orientierung. Die Bundesrepublik ging mit ihrer Konstituierung ab Mai 1949 den entgegengesetzten Weg: Die Verfasser des Grundgesetzes nahmen im Mai 1949 auf: „Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden.“ (Art. 16 GG, Abs. 2) Der damit geleistete Beistand auch für im Ausland verurteilte NS-Täter kann in der Folgezeit bis heute besichtigt werden.

In den folgenden Jahrzehnten mündete das in die weitgehende Missachtung der aus anderen Ländern zugestellten Ermittlungsergebnisse sowie Anträgen auf Strafverfolgung von NS-Tätern. Beispielsweise schrieb die tschechische Historikerin Lenka Sindelárová über das Wirken der 1965 eingesetzten Tschechoslowakischen Regierungskommission zur Verfolgung von NS-Kriegsverbrechern. Ausgelöst wurde der Schritt durch die westdeutschen Vorbereitungen für die Mord-Verjährung ab 9. Mai 1965. Bis 1980 bearbeitete die Kommission 180 Verfahren gegen 662 Personen, die als verantwortlich für den Tod von 14.056 Menschen angesehen wurden. Bis 1983 gingen 89 Denkschriften an die Bundesrepublik, darunter die Leiter der Gestapo von Prag und Brünn betreffend. Davon galten 79 als erledigt: „Sämtliche dieser Verfahren waren ohne Anklageerhebung und somit ohne einen ordentlichen Prozess vor Gericht eingestellt worden.“ [Lenka Sindelárová: Denkschriften an die Bundesrepublik. Die Arbeit der Tschechoslowakischen Regierungskommission zur Verfolgung von NS-Kriegsverbrechern (1965-1990), in: Martin Cüppers/Jürgen Matthäus/Andrej Angrick (Hrsg.): Naziverbrechen. Täter, Taten, Bewältigungsversuche, Darmstadt 2013, S. 285] Die Autorin weist exemplarisch nach, mit welch umfassender Materialbasis die Einzelfälle belegt waren. Es kam jedoch „in der Bundesrepublik zu keiner einzigen rechtskräftigen Verurteilung als Folge der aus der Tschechoslowakei zur Verfügung gestellten Unterlagen“ [Ebenda, S. 286. Vgl. auch Lenka Sindelárová: Finale der Vernichtung. Die Einsatzgruppe H in der Slowakei 1944/45, Darmstadt 2013].

Zweitens wurden die Bewegungen für radikale Umgestaltung und Sozialisierung, Erneuerung der Gesellschaft wie Vergesellschaftung wirtschaftlicher Schlüsselbereiche, Zerschlagung der Monopole bei Banken und Unternehmen, Bodenreform, weitreichende Mitbestimmung, Brechung des Bildungsprivilegs der Oberschichten u. a. sozialistische und radikaldemokratische Forderungen und Ziele ausgehöhlt und marginalisiert, bald auch offen unterdrückt. Das betraf Forderungen aus der Emigration, von SPD und KPD, das Ahlener Programm der CDU der britischen Zone von 1947 u. ä., die sich im weitgehenden Einklang mit dem Potsdamer Abkommen sowie Verlautbarungen des Kontrollrates und der Besatzungsmächte in den Zonen befanden. Die sozioökonomische, personelle und weithin ideell-moralische Kontinuität in den Führungskreisen aller gesellschaftlichen Bereiche wird zum spezifischen und gravierenden Markenzeichen der Bundesrepublik, auch und vor allem im Vergleich zur DDR

Drittens wurden die Hauptkräfte der Arbeiterbewegung, des Antifaschismus und des Pazifismus  fortschreitend ausgegrenzt, herabgesetzt und eines nennenswerten Einflusses beraubt, schließlich aus den Schlüsselpositionen der Macht verdrängt sowie von entscheidenden Weichenstellungen ausgeschlossen; die Rückkehr der Emigranten unterblieb weitgehend, da nicht gewollt; sie wird hintertrieben oder ihnen werden Chancen und die Erfüllung begründeter Erwartungen – mit Ausnahmen - verweigert. Es kommt zu jahrzehntelangen Defiziten der Rehabilitierung und Wiedergutmachung gegenüber NS-Opfern und Verfolgten, darunter Sinti und Roma, Euthanasie-Opfer und Homosexuelle, Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, Deserteure, Emigranten und durch Arisierung Enteignete; darüber hinaus bis heute bei Opfern der Kriegsgefangenschaft sowie von Massakern und Exzessen in Osteuropa, Griechenland, Italien u. a. Ländern.

Viertens schaffen die schrittweise, aber zielstrebige Spaltung Deutschlands und die Westbindung  die äußeren Bedingungen der Restauration. Die BRD beteiligt sich mit der Bereitschaft zur Wiederaufrüstung an der politisch-militärischen Blockbildung und trägt maßgeblich dazu bei, die Elemente des globalen Kalten Krieges zu etablieren und zu verhärten. Sie findet ihren exponierten Platz in den Spannungen, Krisen und Entscheidungen. Insbesondere verschärft und vertieft die Bundesregierung friedensfeindliche Strategien u. a. mit ihrer Alleinvertretungsanmaßung gegenüber der DDR, der Ablehnung der Oder-Neiße-Grenze und von Abrüstungsinitiativen. Der Alt- und Neofaschismus und entspannungsfeindlicher Revanchismus nehmen einschließlich ihrer nationalistischen und rassistisch-antisemitischen Komponenten seit der Gründung der Bundesrepublik einen legalen und geschützten, teils auch protegierten Platz im politischen System ein.

Eine Anmerkung aus aktuellem Anlass im Herbst 2014: Es wäre ein wirklichkeits- und geschichtsfremdes Hirngespinst, sich vorzustellen, es hätte im Spätsommer 1949 als Voraussetzung einer Koalitionsbildung eine Verständigung über den Charakter des vorangegangenen Staatswesens geben können. Beispielsweise zu Fragen wie: Was war das Dritte Reich und wie sieht seine vollständige Verbrechensbilanz aus, wer waren seine Träger und Verantwortlichen und wie ist mit Schuld umzugehen? Sind nicht unverzüglich alle erreichbaren Unterlagen darüber zu ermitteln und zu veröffentlichen? Die Dringlichkeit dafür wäre allerdings wesentlich größer und die Argumente ungleich stärker gewesen als sie es 1990 oder 2014 waren oder sind. Die Charakteristik der Mitte-Rechts-Regierung, ihrer Programmatik und Tätigkeit, beantwortet, warum Geschichtsvergessenheit konstitutives Gebot und Erfolgsbedingung war.

Seit 1999 lebt der Primat des Antikommunismus im Bundeskonzept der Erinnerungs- und Gedenkstättenpolitik parteienübergreifend – außer PDS/DIE LINKE – mit der Formel fort, dass im Mittelpunkt die Erinnerung an „beide deutsche Diktaturen und ihre Opfer“ stehen müsse. Sie signalisiert die geschichtspolitische Strategie und ideologische Ambition, einerseits die DDR definitiv zu delegitimieren und ächten, andererseits die faschistische Barbarei zu historisieren und zu relativieren. Beide Momente dienen dazu, die geschichtliche Legitimation der bürgerlichen Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse sowie ihrer politischen Akteure und Repräsentanten dauerhaft aufzuwerten und deren apologetische – auch historische - Selbstdarstellung zu befördern. Der Primat des Antikommunismus wurde gewahrt sowie damit die Chance, ihn ab 1990 in Gestalt eines rechtsgerichteten Totalitarismuskonzepts für die dauerhafte und fortschreitende Relativierung des Verbrecherstaates, die Ächtung der DDR und die geschichtsfälschende Legitimation der großbürgerlich-aristokratischen Oberschichten, ihres Anhangs sowie ihrer wohldotierten Parteien und Politiker zu mobilisieren.

Für die Veröffentlichung redigierte, vollständige Fassung des auf der Tagung gekürzt vorgetragenen Beitrags

Prof. Ludwig Elm, Jena