16.01.2015
Junger antifaschistischer Widerstand: Wegen „Rundfunkverbrechen“ zum Todes verurteilt
Anläßlich des 90. Geburtstages
Helmuth Hübeners erinnerten NEUES DEUTSCHLAND und JUNGE WELT an
die jugendlichen Widerstandskämpfer gegen den Faschismus, die
als Teenager hingerichtet wurden, weil sie ausländische Rundfunkmeldungen verbreiteten.
Die V-Armee: Antifaschistischer Widerstand durch Radiohören: Vor 90 Jahren wurde Helmuth Hübener geboren
Von Ulrich Sander
»Der Josef steht im Rundfunkhaus, / der Arme,
weiß nicht ein noch aus. / ›Wie bring ich’s nur den
Leuten bei, / Dass Hitlers Rechnung richtig sei?‹« So
begann ein Gedicht, dass der 16jährige Verwaltungslehrling Helmuth
Hübener zur Jahreswende 1941/42 mit drei Freunden textete und in
Hamburger Arbeitervierteln verbreitete. Am Ende des Gedichts »hat
auch Hitler sich auskalkuliert«. Hübener wurde heute vor 90
Jahren geboren. Als er im Februar 1942 einen Lehrling bat, ein
Flugblatt mit BBC-Meldungen für die Verteilung an Zwangsarbeiter
ins Französische zu übersetzen, denunzierte ihn ein
Vorgesetzter. Am 27. Oktober 1942 wurde das Todesurteil des
Volksgerichtshofs der Nazis gegen Hübener vollstreckt. Drei junge
Mitangeklagte erhielten Gefängnisstrafen zwischen vier und zehn
Jahren.
Hübeners
90. Geburtstag sollte Anlass sein, an eine Reihe junger
Widerstandskämpfer zu erinnern, die aus christlichen Familien
stammten und »Feindsender« wie Radio Vatikan oder den
deutschsprachigen Dienst der BBC abhörten, was seit September 1939
mit drakonischen Strafen bedroht war. Der Münchner Walter
Klingenbeck war gerade 17, als er seine Freunde Hans Haberl und Daniel
von Recklinghausen 1941 zum Hören dieser Sender einlud. Im Sommer
folgte Klingenbeck einem Appell der BBC und malte mit
Unterstützung Recklinghausens das Victory-Zeichen mit Lackfarben
an etwa 40 Gebäude in München. Er plante die Verbreitung von
Flugblättern mit dem Slogan »Hitler kann den Krieg nicht
gewinnen, sondern nur verlängern« und arbeitete mit seinen
Freunden, die neben dem katholischen Hintergrund auch seine
Radiobastelleidenschaft teilten, am Bau eines eigenen Senders zur
Ausstrahlung antifaschistischer Propaganda.
Nachdem sich Klingenbeck leichtsinnigerweise mit der
V-Aktion gebrüstet hatte, wurde er Ende Januar 1942 denunziert und
verhaftet, kurz darauf auch Haberl und von Recklinghausen. Der
Volksgerichtshof verurteilte die drei im September 1942 zum Tode. Am 5.
August 1943 wurde der 19jährige Klingenbeck in
München-Stadelheim hingerichtet. Heute ist eine Schule in
Taufkirchen bei München nach ihm benannt.
Der Wiener Gymnasiast Josef Landgraf schließlich
hörte seit Kriegsbeginn BBC, aber auch den von sozialistischen
Emigranten geprägten Sender der Europäischen Revolution. Im
September 1941 verarbeitete er das Gehörte binnen drei Wochen auf
der Schreibmaschine seines Vaters zur beachtlichen Anzahl von 70
Flugschriften. Dazu kamen ebenso viele Flug- und Klebezettel. Bei der
Verbreitung der Informationen über deutsche Verluste und
erklärende Zusätze wie »Die V-Armee hat lediglich die
Befreiung von Hitler und seinem Krieg zum Ziel« halfen ihm drei
Schulkameraden. Die Mitglieder dieser Gruppe wurden – zum Teil
durch Abwandlung von Todesurteilen – zu mehrjährigen
Gefängnisstrafen verurteilt.
Gewürdigt wurden diese Widerstandskämpfer mit
kleinen Ausstellungen in den technischen Museen Münchens und
Berlins. Über Helmuth Hübener schrieb Günter Grass in
seinem Roman »Örtlich betäubt« (1969). Die beiden
waren etwa gleichaltrig, handelten aber unterschiedlich. Grass meldete
sich freiwillig zur Wehrmacht, was ihm nie jemand vorwarf, und wurde
wie Tausende andere zur Waffen-SS weitergereicht, was er lange
verschwieg. Wenigstens machte er später auf Hübener
aufmerksam.
aus: junge Welt vom 08.01.2015 (https://www.jungewelt.de/2015/01-08/024.php)
Zum Beispiel Hübener
Am 8. Januar wäre Helmuth Hübener 90 Jahre alt
geworden. Er war der jüngste vom Volksgerichtshof zum Tode
verurteilte Widerstandskämpfer, er wurde 17-jährig am 27.
Oktober 1942 in Plötzensee ermordet.
Konnte die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft am
Tagebuch der Anne Frank und dem Widerstand der »Weißen
Rose« nicht vorbeikommen, deren sich das Ausland schon lange
angenommen hatte, so wurden Jugendgruppen wie die um Helmuth
Hübener in Hamburg, Walter Klingenbeck in München oder um
Josef Landgraf in Wien - die sogenannten
»Rundfunkverbrecher« - den nachwachsenden Generationen
nicht zum Vorbild gegeben. Zu leicht hätte die Frage aufkommen
können: Wenn diese jungen Leute wussten und handelten, warum dann
nicht auch alle die anderen Gleichaltrigen oder auch Deutsche
höheren Alters?
Der Arbeitersohn Hübener und seine Freunde wurden
von den Nazis als Feinde des »Reiches« angesehen, weil sie
ausländische Rundfunksendungen abhörten, um sich zu
informieren und die Informationen auf Flugblättern weiterzugeben.
Dies galt als Landesverrat, die »Wehrkraft« des deutschen
Volkes würde zersetzt, der Feind begünstigt. Anfang Februar
1942 wurde Hübener in seinem Betrieb denunziert, als er einen
Mitlehrling gewinnen wollte, ein Flugblatt für französische
Zwangsarbeiter zu übersetzen. Hübeners drei Mitangeklagte
Schnibbe, Wobbe und Düwer erhielten Gefängnisstrafen zwischen
vier und zehn Jahren.
Günter Grass hat Helmuth Hübener ein
literarisches Denkmal in seinem 1968er Roman »Örtlich
betäubt« gesetzt. Grass und Hübener waren fast
gleichaltrig. Die Gleichaltrigen von damals handelten jedoch sehr
unterschiedlich: Rudolf Augstein wurde noch im Krieg Journalist und
umgab sich später in der »Spiegel«-Redaktion mit
Leuten des SS-Reichssicherheitshauptamtes, die Naziverbrechen, z. B.
den Reichstagsbrand, leugneten. Helmut Kohl wusste von nichts, berief
sich auf die »Gnade der späten Geburt« und
rehabilitierte die SS mit seinem Gang zum Friedhof Bitburg. Franz Josef
Strauß baute mit Hilfe der Waffen-SS und Wehrmachtsgenerälen
die Bundeswehr auf. Grass meldete sich freiwillig zur Wehrmacht, was er
nie verschwiegen hat, und wurde von dort, wie Tausende andere, zur
Waffen-SS weitergereicht, was er leider zu lange verschwieg.
Ulrich Sander
aus: Neues Deutschland vom 10.01.2015 (https://www.neues-deutschland.de/artikel/957959.zum-beispiel-huebener.html)
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