27.11.2014 "Warum läuft Frau K. Amok?" Zur Auseinandersetzung
mit den Formen des Antisemitismus Die
Diskussion über den Antisemitismus läuft meist auf
die Frage hinaus: Wie stehst du zur Politik der israelischen Regierung?
Die dürfe selbstverständlich kritisiert werden,
heißt es dann. Doch wenn es jemand tut, wird er sofort zum
Antisemiten erklärt. Das Vorgehen gegen wirklichen
Antismeituismus wird dadurch erheblich erschwert. Die Duisburger
Kulturzeitschrift "Metzger" veröffentlichte dazu eine
interessante Auseinandersetzung und erlaubte der VVN-BdA NRW, diese
abzudrucken. Der Beitrag stammt von Lina Ganowski und setzt
sich mit Äußerungen von Anetta Kahane auseinander.
Titel: "Warum läuft Frau K. Amok?" (aus: DER METZGER Nr. 112,
Oktober 2014) Hier der Beitrag: Lina
Ganowski: Warum läuft Frau K. Amok? (aus:
DER METZGER Nr. 112, Oktober 2014) Anetta Kahane hat
mit ihrer Kolumne in der Frankfurter Rundschau (14.9.2014, Titel:
„Ewiger Antisemitismus“)
für Aufregung gesorgt. Verfolgt sie mit der Wortwahl
„ewig“ eine Absicht? Anetta
Kahane ist sauer. Saure Leute werden manchmal sarkastisch. Sarkastische
Leute laufen Gefahr, falsch verstanden zu werden. Das falsche Verstehen
ist oft absichtsvoll falsch. „Um sich selbst zu
vergewissern war die Demo gegen Judenhaß offenbar
nötig“, schrieb sie. Na, da hat sie ja
nicht ganz Unrecht. „Der offene
Antisemitismus der letzten Wochen hat die Juden in Deutschland
verunsichert.“ Überrascht wohl weniger.
Auch der nicht-so-offene, alltägliche Antisemitismus ist
für uns keine Neuigkeit. Ihn hinzunehmen
fällt mir nicht ein. Mich daran zu gewöhnen war ich
gezwungen. Im eigenen Land als Fremdling zu leben hat mich
geprägt (und das Fremdsein hat nicht nur mit meiner Abstammung
zu tun). Im Widerspruch zu seiner Zeit läßt es sich
leben, sogar nicht schlecht. Jedenfalls hier besser als im
Gazastreifen. (Damit verharmlose ich gar nichts. Ich nicht). „Wann immer
Antisemitismus diskutiert wird, folgt eine Kette von
Erklärungen und Rechtfertigungen: Bei Neonazis
kommt’s von der Arbeitslosigkeit und weil sie keine
Jugendclubs mehr haben. Radikale Muslime werden nicht genug respektiert
oder es fehlt ihnen an Aufklärung.“ Ich
verstehe das so: Die Suche nach „Gründen“
für den Antisemitismus ist Ablenkung, Apologie,
Beschwichtigung, Verharmlosung, Resignation, in der Konsequenz
Rechtfertigung. Der Antisemit hat kein Anrecht auf das allergeringste
Verständnis. Als ob Jugendclubs und Vollbeschäftigung
den Antisemitismus beenden würden! Wo sie recht hat, da hat
sie recht. Wenn ein Hungernder Brot stiehlt, liegt
darin eine nachvollziehbare Logik. Wenn ein Hungernder ein Auto
stiehlt, ist das Verständnis geringer. Wenn ein
Geltungssüchtiger gegen Juden hetzt, ist gar kein
Verständnis statthaft. Dummheit darf vor Strafe nicht
schützen. Anetta Kahane hatte ihren
Sarkasmus dann aber nicht im Zaum. Sie schrieb solche Sätze: „Die
Dotcomgesellschaft in den schicken Cafés im ehemaligen
jüdischen Viertel mag keine Konkurrenz aus Israel.“
Was? „Deutsche
Professoren und pensionierte Lehrer mit ihren ewig antisemitischen
Kommentaren leiden an ihrem Bedeutungsverlust.“
Was? Und dann heißt es sogar: „Dann die Jugend, sie
kommt mit dem Kapitalismus nicht klar – auch das ein guter
Grund für antisemitische Sprüche.“
Ist Anetta Kahane noch gescheit? Wie viele Leute mit
dezidiert-antisemitischem Weltbild es hier gibt, weiß ich
nicht. Da mag man Studien auf- und gegeneinanderstellen. Gibt es eine
Abstufung, Eingrenzung? Oder vermischt sich alles in Unschärfe? Die
Zahl derer, deren ganzes Empfinden darum kreist, daß die
Juden „unser Unglück“ und an allem schuld
sind, hat anscheinend zugenommen. Darüber können wir
ein anderes Mal reden. Es gibt auch noch die biederen Antisemiten, die
mir sagen: „Nicht alle Juden sind geldgierig, es gibt auch
Ausnahmen.“ Oder: „Wann werden die Juden und die
Deutschen endlich einander verzeihen?“ Solch
ein Potential reicht für einen Völkermord nicht aus.
Die Menschheitsverbrechen sind und waren nur möglich durch die
kollektive Geisteskrankheit der Empathielosigkeit, die mitleidlose
Unfähigkeit, das Leiden der Kreatur zu sich vordringen zu
lassen, die „Unfähigkeit zu trauern“, die
umso größere Fähigkeit, menschliches Leid
zu ignorieren. Erinnert an das schlimmste Leid, das Menschen von
Menschen angetan wurde, fühlen sie sich belästigt in
ihrer egoistischen Untertänigkeit. Anetta
Kahane scheute sich nicht, sowas hinzuschreiben: „Rassismus in
Deutschland nötigt alle Antirassisten, dem Apartheidgerede
gegenüber Israel zuzustimmen. Die Opferfigur des
unterdrückten Palästinensers lässt keinen
Platz für Widerstand gegen Antisemitismus.“
Sie zotierte einen Demonstranten, um ihn zu tadeln: „‘Hinterher‘,
so ein Teilnehmer, ‚beobachten wir wieder ganz genau, was die
israelische Regierung Schreckliches tut, wie sie die Eskalation
vorantreibt und wehren uns dagegen, deswegen als Judenhasser
hingestellt zu werden‘. Und schon geht’s von vorne
los.“ Daß ich mir
vom „Aufstehen gegen den Judenhaß“ nichts
verspreche, liegt an der Mentalität, die in solchen
Kommentaren wie den von Anetta Kahane zum Vorschein kommt. Daß
der Antirassismus dem Antisemitismus Vorschub leistet, haben andere
schon unverhohlener zum Ausdruck gebracht. Frau Kahane scheut deren
Nähe nicht. Zwischen denen, die die (rassistische)
Unterdrückung der Palästinenser leugnen, und denen,
die sie feiern, gibt es keinen großen Unterschied. Der
unterdrückte Palästinenser als
„Opferfigur“, als Mythos – diesen Mythos
vom Mythos pflegen scharenweise Leute, die auf fr-online Kahanes
Kolumne kommentierten. Beispiel: „Anschuldigungen gegen
Israel, die jeglichen Realitätsbezug vermissen lassen, werden
als selbstverständliche Wahrheit hingenommen, wie ... die
Protokolle der Weisen von Zion, oder andere antisemitische
Hirngespinste.“ Berichte über die Lage
der Palästinenser in Gaza sind keineswegs den Protokollen der
Weisen von Zion entnommen. Die Siedlungspolitik ist keineswegs ein
Hirngespinst. „Rassismus
in Israel? Was für ein absurdes Statement.“
Hinter Ihnen steht einer, der flüstert „Lieberman,
Lieberman, Lieberman.“ Dieses
„Aufstehen gegen den Judenhaß“ ist schief
gewickelt, wenn es sich in der Tonart dubioser deutscher Israelfreunde
abspielt. Aufnahmebedingung ist nicht etwa bloß die
Anerkennung des Existenzrechts Israels, sondern das vorbehaltlose
Einverständnis mit der Politik der israelischen Regierung bei
– wahlweise – Abstreiten oder Verherrlichen des
Kriegs-Terrors. Diese falschen Fuffziger lassen an der kollektiven
Geisteskrankheit der Empathielosigkeit leiden, der mitleidlosen
Unfähigkeit, das Leiden der Kreatur zu sich vordringen zu
lassen, an der „Unfähigkeit zu trauern“,
an der umso größere Fähigkeit, menschliches
Leid zu ignorieren. Auf meine Klassifizierung als
„jüdische Antisemitin“ bin ich
gefaßt. Es wäre kein Präzedenzfall.
Für Antisemitismus haben diese Kriterien Gültigkeit
erlangt: 1. Antisemit ist, wer Israel kritisiert. 2.
Antisemit ist, wer behauptet, daß jeder als Antisemit
bezeichnet wird, der Israel kritisiert. So kann man
die Zahl der Antisemiten in astronomische Höhen treiben
– und zur Bedeutungslosigkeit runterquasseln. Die deutschen
Israelfreunde haben den Antisemitismus sehr gern. Sie können
gar nicht genug davon bekommen. Anetta Kahane hat
noch ein Korn gefunden: „Deutsche
Nazis neigen ebenfalls zu Antisemitismus.“ Was?
Die auch? Das hat man schon lange nicht mehr gehört, fast
schon vergessen. Antisemitismus von rechts? Na, wenn diese Behauptung
nicht antisemitisch ist! Anstatt den Vergleich
israelischer Politik mit Apartheid als „Gerede“
abzutun, sollte man es besser widerlegen. Das
dürfte allerdings schwerfallen. |