13.11.2014 Über die Einsamkeit und
Größe des deutschen Widerstandes Wiederentdeckt: Allan
Mersons Buch und Peter Gingolds Vorwort Schon
seit 1985 existiert von Allan Merson das Buch
„Kommunistischer Widerstand in Nazideutschland“ in
englischer Sprache. Erst 1998 kam das Buch bei Pahl-Rugenstein in Bonn
in deutscher Sprache heraus, und Peter Gingold schrieb dazu ein zu
Herzen gehendes Vorwort: Er habe an der nationalen Befreiungsbewegung
des französischen Volkes, der Résistance,
teilgenommen, die tief eingebettet im Volk und getragen von ihm handeln
konnte. Da ermesse er es besonders tragisch, wie die
Widerständler in Deutschland „hoffnungslos
isoliert“ gewesen waren. Diese Einsamkeit
setzte sich nach 1945 fort, und viele „Kinder des
Widerstandes“, die Hinterbliebenen jener, die sich gegen den
Faschismus in Deutschland erhoben, bekamen sie zu spüren. Das
Buch des britischen Historikers Prof. Allan Merson ist wissenschaftlich
akribisch und voll kritischer Bewertung aber auch liebevoller
Parteinahme geschrieben. Fehler der Partei werden eben als Fehler
bewertet und nicht als stalinistische Entartungen, wie es derzeit gern
dargestellt wird. Verdienste werden ebenso gewürdigt wie auch
der uneigennützige Kampf. Von 300.000 Parteimitgliedern Anfang
1932 wurden von 1933 bis 1945 150.000 eingekerkert und 30.000 ermordet.
Bei Jürgen Zarusky (Hg.) vom Institut für
Zeitgeschichte "Widerstand als Hochverrat" (Verlag K.G.Saur, 792
Seiten, 1998) erfahren wir: "Politisch motivierter
Widerstand war ... zu 75 % kommunistischer, zu 10 %
sozialdemokratischer und nur zu 3 % christlich-bürgerlicher
Widerstand." Ich suchte dies Zitat heraus, weil ich
daran erinnert wurde, als ich über den Prozess Heinrich Finks
und der VVN-BdA Bayern gegen den Verfassungsschutz las. Die Angriffe
des VS werden von Antifaschisten bisweilen mit der Abwehr des Begriffs
des sehr links Seins beantwortet? Warum dies? Die VVN-BdA kommt vom
Widerstand her. Und der war doch vielfach sehr links! Verleumdet nicht
der VS den Widerstand gegen die Nazis und rechtfertigt er nicht den
Faschismus mit seiner Hetze im VS-Bericht? Knüpft er nicht an
jene Justiz an, die nach 1950 kommunistische Widerständler
oftmals verurteilte und sich sogar auf die Urteile der Nazis gegen den
Widerstand berief? Es gilt, das Buch von Merson zu Rate zu ziehen
– und das Vorwort zur deutschen Ausgabe von Peter Gingold. Ulrich
Sander Das Vorwort hat den Wortlaut: Für
mich ist es die umfassendste, die beeindruckendste, aber auch die
bewegendste Darstellung des deutschen kommunistischen Widerstandes, die
ich je gelesen habe. Der Bedeutung, die Prof. Dr. Karl Heinz Jahnke
dieser Arbeit des englischen Historikers Allan Merson zumißt,
was könnte ich dieser noch hinzufügen? Jeden Satz
unterstreiche ich. Wie realistisch und kritisch ist diese Forschung
über den kommunistischen Widerstand in Deutschland, auch in
seiner menschlichen Seite, auch die Schwächen und Fehler in
der Politik der KPD, in ihrer Strategie und Taktik beschreibend, diese
jedoch aus den zeitlichen Zusammenhängen und aus
geschichtlichen Wurzeln erklärend! Um so mehr erfaßt
der Leser den kommunistischen Widerstand als von überragender
Bedeutung gegenüber jedem anderen. 360.000 Mitglieder
gehörten 1933 der KPD an. Jedes zweite Mitglied irgendwie
verfolgt, jedes dritte Mitglied, das irgendwie am Widerstand teilnahm,
Existenz, Freiheit, Folter und Leben riskierend. Zehntausende
Kommunisten in Gefängnissen, Zuchthäusern und
Konzentrationslagern, Tausende in den SA-Kellern gefoltert, Tausende
ermordet. Der Faschismus wäre eine Sache der hoffnungslosen
Verzweiflung, wenn es nicht vor allem diesen kommunistischen Widerstand
gegeben hätte, den es von Anfang 1933 an gab und nicht erst,
als offensichtlich wurde, daß Hitlers Niederlage besiegelt
war, diesen Widerstand mit dem Opfertod von Zehntausenden, diesen
Widerstand, der trotz verheerender Einbrüche nie zum Erliegen
kam. An der Gefängnismauer im Stadtteil
Preungesheim in Frankfurt am Main, hinter der die Guillotine stand, die
Hinrichtungsstätte von hunderten Nazigegnern, steht ein Spruch
der Schriftstellerin Ricarda Huch. Der erste Satz lautet:
„Ihr, die das Leben gabt für des Volkes Freiheit und
Ehre - Nicht erhob sich das Volk - Euch Freiheit und Leben zu
retten...“ Dieser Satz sagt so viel aus über das
Heroische und Tragische des deutschen Widerstandes. Wer, wie ich, das
Glück hatte, an der nationalen Befreiungsbewegung des
französischen Volkes, der Résistance, teilnehmen zu
können, kann es zutiefst ermessen, was es heißt im
Unterschied zu Frankreich und den anderen von der Hitlerwehrmacht
okkupierten Ländern, wo der Widerständler eingebettet
war von Sympathie und Unterstützung der überwiegenden
Mehrheit der Bevölkerung, Widerständler in
Deutschland gewesen zu sein, hoffnungslos isoliert. Erinnert sei an den
ersten und bedeutungsvollen authentischen Widerstandsroman von Anna
Seghers „Das siebte Kreuz“. Von den sieben
Entflohenen aus dem KZ Osthofen (Anna Seghers nennt es verfremdet
Westhofen), gelang es nur einem, als er über die Grenze nach
Holland gebracht werden konnte, zu entkommen. Die Übrigen
wurden kurz nach ihrer Flucht wieder eingefangen, kaum möglich
Unterschlupf zu finden, und hingen dann an den für sie
aufgestellten Kreuzen, bis auf das siebte. Auch mir
gelang eine Flucht aus den Händen der Gestapo (des SD) in
Frankreich. Ich hatte dutzende Möglichkeiten unterzutauchen.
Mit Steckbrief war ich gesucht. Mich damals zu finden, wäre
wie eine Nadel im Heuhaufen zu suchen. Das war der Unterschied, der
fürchterliche Unterschied, wenn es hieß, am
Widerstand in Deutschland teilzunehmen, der so entsetzlich isoliert
war. Mußte doch der Widerständler in Deutschland
dafür eintreten, daß Hitler den Krieg verliert, also
im Bewußtsein der großen Masse der Deutschen ein
Landesverräter und Volksfeind sein, wogegen der
Widerständler in den okkupierten Ländern, der ja
für die nationale Befreiung seines Landes von der Okkupation
kämpfte, als Patriot hochgeachtet wurde. In
seiner Einführung schreibt Allan Merson: „Warum, mag
der Leser vor allem fragen, waren die Kommunisten nicht in der Lage,
einen Vorteil aus dem Scheitern und der endgültigen Niederlage
des Naziregimes zu ziehen und sich selbst an die Spitze einer breiten
allgemeinen patriotischen Widerstandsbewegung zu setzen, wie es in
Italien geschehen ist?“ Ach, das war ja unser Traum im
Widerstand, das eigentliche Ziel des Widerstandes, unsere
abenteuerliche Hoffnung, unsere Vision, aber auch unsere Illusion, an
der Spitze einer deutschen Volkserhebung zu stehen und noch
unterstützt von Millionen nach Deutschland verschleppter
Zwangsarbeiter. Und so fürchterlich unrealistisch schien
dieser Traum gar nicht, die deutsche Bevölkerung
könnte aus eigener Kraft mit Hitler und dem Krieg
Schluß machen, endete doch der Erste Weltkrieg in Deutschland
mit einer Volkserhebung, der Revolution von 1918. Nein, das Volk hat
sich nicht erhoben, Freiheit und Leben zu retten, derer, die ihr Leben
gaben, um Leben zu retten, auch nicht als Millionen deutscher Soldaten
fielen, die deutschen Städte sich in
Trümmerlandschaften verwandelten, worin Millionen der
Zivilbevölkerung den Tod fanden. Darin besteht die Tragik des
deutschen Widerstandes, was auch vieles in der gesamten
Nachkriegsgeschichte Deutschlands, ja sogar Europas erklärbar
macht. Diese Frage, die Allan Merson stellt, warum die Kommunisten
nicht, wie ich es in Frankreich und auch in Italien erleben konnte, an
der Spitze einer breiten Befreiungsbewegung und eines Volksaufstandes
haben stehen können, zu dem es in Deutschland nicht gekommen
ist, macht begreiflich, wieso nur in unserem Land die Kommunisten
derartig diskriminiert und ausgegrenzt werden, wie es in keinem anderen
Land möglich ist. Undenkbar vor allem in den Ländern,
wo es eine nationale Befreiungsbewegung gab, an deren Spitze immer die
Kommunisten standen und die von der Bevölkerung als die
engagiertesten Patrioten ihres Landes wahrgenommen wurden. Diese Frage
macht begreiflich, warum der von Hitler propagierte Antikommunismus
weiterhin so tief verwurzelt bleiben konnte. Diese Frage macht
begreiflich, warum in unserem Lande den Kommunisten diese Achtung
verwehrt worden ist, die ihnen in den anderen europäischen
Ländern entgegengebracht wurde und immer noch wird. Hier bei
uns das Gegenteil. Ihnen haftete der Geruch des Landesverrates an,
gegen Deutschland auf der Seite der Sieger gestanden zu haben,
während die deutsche Bevölkerung bis auf eine kleine
Minderheit sich mit der Niederlage des deutschen Faschismus
identifizierte. Galt denn nicht bis in jüngster Zeit der 8.
Mai als Tag der Niederlage, der Schmach, der Katastrophe?! Nicht der
30. Januar 1933, die Machtübergabe an den Faschismus, sondern
seine Niederschlagung die Katastrophe. Erst zum 40. Jahrestag, 1985,
wagte der damalige Bundespräsident Richard von
Weizsäcker in seiner Gedenkrede im Bundestag den 8. Mai als
Tag der Befreiung zu nennen, was ihm viel Unmut aus den eignen
politischen Kreisen einbrachte. Und doch sickerte
allmählich manches über den Widerstand der
Kommunisten ins kollektive Bewußtsein, offensichtlich so
viel, daß der damalige Bundeskanzler Kohl in seiner
Gedenkrede zum 50. Jahrestag des Attentats auf Hitler davor warnte,
Kommunisten wegen ihres Widerstandes zu ehren, da sie angeblich nur
Widerstand leisteten, weil sie ein Sowjetdeutschland haben wollten,
jedenfalls nicht das Deutschland der gegenwärtigen
Bundesrepublik. Wie wichtig also dieses Buch, das
auch dokumentarisch bezeugt, welche Vorstellungen die Kommunisten im
Widerstand über ein zukünftiges Deutschland hatten.
Wie wichtig dieses Buch doch besonders für die nachgewachsenen
Generationen ist! Sie sind weniger von der Tätergeneration
beeinflußt, sind unvoreingenommener fähig, sich mit
der Geschichte des kommunistischen Widerstandes in Deutschland zu
befassen. Zu wünschen wäre es, daß dieses
Buch besonders in die Hände dieser jungen Menschen geriete.
Unendliche Dankbarkeit ist Allan Merson für seine Arbeit zu
zollen, ebenso den Übersetzern, als auch dem Verlag, der auf
sich genommen hat, das Buch über den kommunistischen
Widerstand in Deutschland 1933-1945 herauszubringen. Peter
Gingold Frankfurt / Mai, Oktober 1998
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