01.11.2014 Märtyrertod als Waffe: Für
völlige Religionsfreiheit – mit einer Ausnahme Im Jahr 782 ließ Kaiser Karl der
Große in Verden an der Aller 4500 Sachsen enthaupten, weil
diese sich weigerten, Christen zu werden. Dennoch wird Karl Jahr
für Jahr in Aachen geehrt, indem ein Karlspreis verliehen
wird. Derzeit gibt es das Karlsjahr, in dem die Zeit im Mittelalter vor
1200 Jahren glorifiziert wird. Im Jahr 2014
läßt Kalif Abu Bakr al-Baghdadi im Irak und Syrien
Tausende töten, die sich nicht zum sunnitischen Glauben
bekennen. Diese Form der Missionierung, die laut SPIEGEL online auf das
Vorbild frühislamischer Gemeinden vor 1400 Jahren
zurückgeht, wird derzeit mittels Bombardements von
Nato-Staaten bekämpft. Zu den Kriegern gegen
den Kalifen gehören Karlspreisträger wie Herr van
Rompuy. Könnte es sein, dass sich der Kalif an dem
Kaiser Karl orientiert? Oder an dem christlichen US-amerikanischen
Präsidenten, der persönlich die Hinrichtung tausender
per Drohnen befiehlt? Auf jeden Fall braucht die
Menschheit eine Selbstkritik der großen
Kirchenfürsten, auf dass der Märtyrertod nicht
länger glorifiziert wird. Denn anzunehmen, dass IS beseitigt
wird, indem seine Kämpfer getötet werden, ist ein
Irrtum. Diese Kämpfer begrüßen doch den
Märtyrertod und wünschen ihn sich herbei - derartig
sind sie indoktriniert worden. Eine Diskussion
über den Einsatz der Selbstmordattentäter als
heimtückische Waffe findet nicht statt. Ist Furcht vor
Islamophobie der Grund? Im UN-Rat für Menschenrechte wurde im
Sommer 2006 ein Antrag islamischer Staaten gegen die Islamophobie
behandelt. Zugleich berieten Vertreter großer Weltreligionen
über eine Erklärung gegen den Terrorismus. Beide
Projekte waren mit einem Mangel behaftet: Es wurde die Tatsache des
religiösen "Märtyrertums" der
Selbstmordtäter nicht problematisiert. Das Ergebnis der
damaligen Beratungen ist leider nie kommuniziert worden. Aus aktuellem
Anlaß möchte ich wiederholen, was ich damals an
Religionsvertreter schrieb: Der Terror und die Massenvernichtung
mittels Selbstmordattentaten darf nicht ausgeblendet werden, wenn es um
Fragen der Religionsfreiheit und des Schutzes der Religionen vor
Verleumdungen geht. Denn sogar die deutschen Neonazis bemühen
die Religion, um Verbrechen zu begründen. Im Jahre 2000
erschoß ein Neonazi in Dortmund und im Kreis Recklinghausen
drei Polizistinnen und Polizisten, bevor er sich selbst umbrachte. "Er
war einer von uns", schrieben deutsche Neonazi später in
anonymen Flugblättern, die beim Neonazi Michael Krick gefunden
wurden, der sogar den Germanen-Kult bemühte. Krick an seine
Bande: "Zeigt kein Erbarmen und keine Reue. Sieg oder Walhalla". Dem
Mörder und Selbstmörder wird auch hier der Einzug ins
Paradies verheißen. Unter Berufung auf die
großen Weltreligionen wird von Terroristen und Kriegstreibern
immer wieder ähnliches ausgesagt. Es wird allgemein
zugelassen, dass von reaktionären Politikern im Namen der
Religionen verbreitet wird, Kriege seien von Gott erlaubt, wenn es
"heilige" oder "gerechte" Kriege sind. Der Kämpfer und Soldat
sei ein Märtyrer, der ins Paradies einzieht, wenn er
tötet und getötet wird. So wird - wir erlebten es in
Nahost und am 11. 9. 01 in USA - die Hemmschwelle zum Massenmord
gesenkt. In allen großen Religionen gibt es
Strömungen mit dieser bösen Logik. Dazu
gehörte das religiöse Sendungsbewußtsein
des damaligen US-Präsidenten George W. Bush. Und es gibt diese
Lehre vom Krieg bei den Christen unseres Landes, in dem ein hoher
Bischof einmal im Jahr im Kölner Dom die Soldaten um sich
sammelt, um ihnen zu versichern: "Einem Gott lobenden Soldaten kann man
guten Gewissens Verantwortung über Leben und Tod anderer
übertragen." In der betenden Hand sei das Gewehr vor
Mißbrauch sicher. Nie zurückgenommen wurde jenes
Gebetbuch für Soldaten, in dem die deutsche katholische Kirche
wenige Tage vor Beginn des zweiten Weltkrieges 1939 dem Soldaten
einschärfte: "An der Front ist mein Platz, und wenn es mir
noch so schwer fällt. Falle ich dort, was macht das! Sterben
müssen wir alle einmal, und einen Tod, der ehrenvoller
wäre als der auf dem Schlachtfelde in treuer
Pflichterfüllung, gibt es nicht." Es
fällt auf, dass zwar der Terror der Islamisten allgemein
verurteilt wird, aber niemand von Seiten sämtlicher
Religionsgemeinschaften daran geht, die verbrecherische Anstiftung zum
Märtyrertum der Selbstmordattentäter
völkerrechtlich in Frage zu stellen. Liegt es daran, dass es
in allen großen Religionen derartige Konzeptionen gab oder
gibt? Sollte nicht von den Religionsführern verlangt werden,
eine Konvention zu erarbeiten, die religiöses
Märtyrertum als Mittel der Kriegsführung
ächtet? Fällig wäre eine
UNO-Erklärung, die besagt: Religiös
verbrämte Kriegshetze darf nicht länger von der
Religionsfreiheit gedeckt werden. Als Atheist, der stets
Religiöses achtete, derzeit aber immer mehr fürchtet,
frage ich ganz einfach: Warum sagt Ihr nicht den potentiellen
Selbstmordattentätern, dass ihr Tun sie in die Hölle,
aber niemals ins Paradies führen wird? Bert
Brecht schrieb 1951 an die deutschen Schriftsteller und
Künstler: "Völlige Freiheit des Buches, des Theaters,
der bildenden Kunst, der Musik, des Films - mit einer
Einschränkung. Die Einschränkung: Keine Freiheit
für Schriften und Kunstwerke, welche den Krieg verherrlichen
oder als unvermeidbar hinstellen, und für solche, welche den
Völkerhaß fördern." Ich erlaube mir
hinzuzufügen: Völlige Freiheit der Religion - mit
einer Einschränkung. Keine Freiheit der Religion, wenn sie
Krieg verherrlicht oder als unvermeidbar hinstellt und den
Völkerhaß fördert. Keine Freiheit der
Religion, wenn sie als Mordwerkzeug gegen sich und andere benutzt wird. Ulrich
Sander
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