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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

06.10.2014

Aus Kindern der NS-Verfolgten werden Zeitzeugen von heute

Treffen im Heim Heideruh in Buchholz/Nordheide

Während die „Kinder des Widerstandes“ aus bürgerlichen Elternhäusern in Medien durchaus Beachtung fanden, so in TV-Filmen über den 20. Juli, war dies anders, wenn die Kinder aus dem Arbeitermilieu kamen – noch dazu aus linken und kommunistischen Familien. Jetzt melden sich Angehörige der Widerstandskämpfer und NS-Verfolgten zu Wort, und sie bereiten ein Treffen vor.

Vier Töchter antifaschistischer Widerstandskämpfer haben sich vor einiger Zeit gemeinsam mit dem Appell „Hinterbliebene von NS-Opfern fordern ihr Recht“ an die Öffentlichkeit gewandt. Die Bundeskonferenz der VVN-BdA 2011 griff diesen Appell auf und beschloß, Treffen der Angehörigen der 2. und 3. Generation der Opfer von NS-Verfolgung zu veranstalten. In den Landesverbänden der VVN-BdA wurde diese Anregung unterschiedlich aufgenommen. In Sachsen und Berlin sowie Hamburg trafen sich die ca.50- bis 75-jährigen Antifaschistinnen und Antifaschisten. Manche hatten zwar als Kind Krieg und die Verfolgung der Eltern noch miterlebt. Vor allem in der Nachkriegszeit hatten sie erlebt, was es heißt, Kind eines oder einer Verfolgten zu sein. In Nordrhein-Westfalen entstand sogar eine Gruppe, die sich regelmäßig in Wuppertal im Landesbüro der VVN-BdA trifft und sich den Namen „Kinder des Widerstandes – Antifaschismus als Aufgabe“ gab. Rund 30 „Kinder“ haben sich der Gruppe angeschlossen. Bundesweit stimmten ca. hundert Antifaschisten der Erklärung von Alice Czyborra (Gingold), Klara Tuchscherer (Schabrod), Traute Sander (Burmester) und Inge Trambowsky (Kutz) zu.

In wenigen Tagen, am 10. bis 12. Oktober will sich diese Gruppe mit Angehörigen der 2. und 3. Generation aus der gesamten Republik in der antifaschistischen Begegnungsstätte Haus Heideruh in Buchholz/Niedersachsen treffen. Viele Anmeldungen liegen vor – weitere Anmeldungen sind möglich: Tel. 04181/8726 Mail: Info@heideruh.de   .

Während die „Kinder des Widerstandes“ aus bürgerlichen Elternhäusern in Medien durchaus Beachtung fanden, so in  TV-Filmen über den 20. Juli, war dies anders, wenn die Kinder aus dem Arbeitermilieu kamen – noch dazu aus linken und kommunistischen Familien. Traute Sander: „Die um 1930 Geborenen litten unter den Maßnahmen, die gegen ihre Eltern ergriffen wurden. Viele kamen in NS-Familien zur ‚Umerziehung’ oder wurden in den Schulen und in Heimen diskriminiert.“ Alice Czyborra, Tochter von Ettie und Peter Gingold, sagt: „Ich selber konnte nur überleben, weil mich in Frankreich mutige Menschen als jüdisches Kind versteckten, während meine Eltern sich der Résistance anschlossen.“

Peter Gingolds Memoiren als Beleg für Extremismus

Ihre Schwester Silvia, die auch nach Heideruh kommen will, ergänzt: „Nach dem Krieg wurde unserer Familie als ehemalige Emigranten viele Jahre die deutsche Staatsbürgerschaft verwehrt. Mit dem Kalten Krieg waren viele Familien von NS-Verfolgten ja erneut von Verfolgung betroffen. Ich wurde mit Berufsverbot belegt und es wurde bekannt, daß der hessische Verfassungsschutz ein Dossier über mich angelegt und teilweise in hetzerischer Form gegen mich veröffentlicht hat. Die Buchlesungen, die ich aus den Erinnerungen meines Vaters über seinen Widerstand öffentlich vornahm, wurden als extremistisch ausgelegt."

In vielen europäischen Ländern gibt es Organisationen der „Kinder des Holocaust“. Bei uns gab es besondere Gruppen der nachkommenden Generation der Verfolgten bisher noch nicht. Christa Bröcher aus Duisburg sagt: „Das wollen wir ändern. Zum Beispiel wollen wir erreichen, daß dem Arbeiterwiderstand und jenen Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern sowie NS-Opfern, die auch nach 1945 wieder verfolgt wurden, mindesten eine Gedenkstätte gewidmet wird. Und daß sie in den Medien überhaupt vorkommen.“

Peter Dürrbeck wurde in den sechziger Jahren nach dem KPD-Verbotsurteil eingesperrt, während seine Mutter Hertha Dürrbeck, eine Widerstandskämpferin aus Niedersachsen, mit Inhaftierung bedroht wurde weil sie gegen Peters Haft öffentlich protestierte. Er stellt fest: „Man muß sich mal die Situation in jener Zeit vorstellen, in der viele von uns Kinder und Jugendliche waren. In der Bundesrepublik konnten Eliten der Nazizeit aus Wirtschaft, Militär und dem Staats- und Terrorapparat des Naziregimes, darunter Justiz, Gesundheitswesen, Polizei und Geheimdienste wieder tätig werden, Einfluß nehmen und dabei weiterhin gegen Antifaschisten vorgehen. Sie bekamen hohe Pensionen, während unseren Eltern oft die Entschädigung entzogen wurde. Das ist nie aufgeklärt worden.“ Peter Dürrbeck ist Aktivist der Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges, die mit den „Kindern des Widerstandes“ eng zusammenarbeitet. Er weist darauf hin, daß Organisationsverbote zur Bestrafung der Widerstandskämpferinnen und –kämpfer führten, während Naziorganisationen wie die NPD sich ungehindert entfalten konnten. Berufsverbote wurden gegen die Kinder von Antifaschisten ausgesprochen.

Auch der Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte in Köln hat sich des Anliegens angenommen- Er hat die Initiative zu einer Konferenz „Zweite Generation“ vom 15. bis 16. Juni 2015 in Berlin ergriffen. Es finden Treffen von Opfern der Kinder- und Enkelgeneration statt. Sie treffen sich in verschiedenen Städten von NRW in „Erzählcafes“.

Als britische Besatzungssoldaten halfen

Das Treffen in der Begegnungsstätte „Heideruh“ in Buchholz/Nordheide wird für manche Teilnehmer/innen ein Wiedersehen – nicht nur mit den Freund/innen aus der Kindgeit -, sondern auch mit dem Ort, an dem Kindheitserinnerungen hängen. Es waren antifaschistische britische Militärs  und das damalige Komitee Politischer Gefangener , die nach 1945 die Kinder von KZ-lern in Heimen rund um Hamburg unterbrachten und versorgten, auch in dem Heim in Seppensen bei Buchholz. Das Haus  im Wald hatte eine Geschichte als Ferienwohnung Hamburger Kommunist/innen, später als Erholungsheim einer Baufirma, aber auch als Treff des Widerstandes. In freiwilliger Aufbauarbeit schufen die ehemaligen Häftlinge und die VVN-Mitglieder bis  1952 ein zweites Haus auf dem Gelände, hinzu kamen im Laufe der Jahre eine Reihe einstöckiger Gebäude, so daß heute gut 40 Personen dort übernachten können. Ein Café, eine Bibliothek und ein Seminarraum entstanden. Und dann ist da die herrliche Landschaft der Lüneburger Heise am Brunsberg.

Die sich dort nun treffen sind Zeugen der Zeitzeugen, und damit auch wieder Zeitzeugen. Über diese Rolle wollen sie sich bei dem Treffen verständigen. Dazu gibt es besonders in NRW gute Erfahrungen. Vor Hunderten von Schülerinnen und Schülern haben die neuen Zeitzeugen schon gesprochen – die alten stehen ja kaum noch zur Verfügung. Klara sagt: „Wichtig sind auch die Freundeskreise von Gedenkstätten, denn dort besteht leider die Tendenz, die Hinterbliebenen aus der Gedenkarbeit auszugrenzen. Wir lassen uns aber nicht beiseite schieben.“

Ulrich Sander