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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

23.09.2014


CDU-Politiker nennt Entschädigung von NS-Opfern einen Beitrag zur Unterstützung Putins

Der Artikel vom 22.09.2014 im Neuen Deutschland "Die NS-Kriegsgefangenen, Herr Strobl und die Krim" ist in Kreisen der Erinnerungsarbeit und der Befürwortung der Entschädigung sehr positiv aufgenommen worden.  Wie ein Unionspolitiker den Ukrainekonflikt zum Argument gegen die längst überfällige Entschädigung von NS-Opfern macht - und eine wichtige Initiative der Grünen zur Putin-Hilfe umdeutet -, ist ein dreister Versuch, die Verbrechen des NS-Faschismus reinzuwaschen. Der Wortlaut des Artikels von Tom Strohschneider wird hier mit Genehmigung des ND veröffentlicht:

Die NS-Kriegsgefangenen, Herr Strobl und die Krim  

Wie ein Unionspolitiker den Ukrainekonflikt zum Argument gegen die längst überfällige Entschädigung von NS-Opfern macht - und eine wichtige Initiative der Grünen zur Putin-Hilfe umdeutet

Ein Magazin, das sich der Verbreitung von Nachrichten widmet und also auch so nennt, meldet an diesem Wochenende[1] vorab: »Die Forderung der Grünen, sowjetischen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges eine Entschädigung zu zahlen, stößt in der Union auf Ablehnung.« Dazu wird der Fraktionsvize der Union im Bundestag zitiert, der Politiker Thomas

Strobl: »Eine Entschädigung sowjetischer Kriegsgefangener kommt für uns überhaupt nicht in Betracht.« Soweit so schlecht. Dass einem deutschen Politiker zur Frage der Entschädigung der heute wohl nur noch etwa 4.000 überlebenden sowjetischen Ex-Kriegsgefangenen, die vom NS-Regime zu Millionen versklavt, eingesperrt, ermordet wurden, bloß ein »überhaupt nicht« einfällt, ist das eine.

Das andere ist: Die Begründung durch den Unionsmann und die Art, mit welcher der »Focus« die Angelegenheit nun zu einer Schlagzeile machen will. Strobl hat sein Nein laut der Vorabmeldung des Magazins unter anderem mit den Worten untermauert, »angesichts der Annexion der Krim« würde sich Russlands Präsident Wladimir Putin »doch ins Fäustchen lachen, wenn wir jetzt entschädigen«. Dies verband der CDU-Politiker mit einer Kritik an den Grünen, die mit ihrem Ruf nach einer Entschädigung der überlebenden sowjetischen NS-Kriegsgefangenen zeigen würden, »dass ihnen ein außenpolitischer Kompass fehlt.« Das wäre, stimmt die Vorabmeldung des »Focus«, in doppelter Weise infam:

Erstens, weil damit die aktuellen Konflikte um die Ukraine und die russische Rolle darin direkt zum Moment der Entlastung von NS-Verbrechen gemacht würden.

Nicht nur dass hier eine historische Verantwortung unter Verweis auf aktuelle Auseinandersetzungen mal eben weggeworfen wird. Es liegt in dem Argument Strobls  auch eine bisher auf der bundespolitischen Bühne wohl kaum für denkbar gehaltene Vergleicherei, besser: Banalisierung von Naziverbrechen.

Und zweitens, weil den Grünen damit eine politische Initiative vorgeworfen wird, die diese anstrengten, als von einer Annexion der Krim noch keine Rede sein konnte. Gestartet hatten die Grünen eine entsprechende parlamentarische Initiative schon vor über einem Jahr, ein gemeinsamer Antrag mit der damals noch oppositionellen SPD für eine Einmalzahlung von 2.500 Euro war im Juni 2013 von Union und FDP abgelehnt worden[2]. Davon steht in der Vorabmeldung nichts, was den Eindruck eines Zusammenhangs mit der Ukrainekrise stärkt. Eine Anfang 2014 laufende Petition[3] hatte »einen symbolischen Anerkennungsbetrag von 5.000 Euro« als Entschädigung gefordert. Zur Erinnerung: Von den chätzungsweise 4,5 bis 6 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen starben bis 1945 etwa 60 Prozent. Die Bundesregierung hatte auf eine Anfrage der Linksfraktion 
erklärt[4]: »Eine Entschädigung sowjetischer Kriegsgefangener durch die Bundesrepublik Deutschland hat es ebenso wenig gegeben wie eine Entschädigung deutscher Kriegsgefangener durch die Sowjetunion oder deren Nachfolgestaaten.« In der Plenardebatte hatte seinerzeit der Grünen-Politiker Volker Beck gesagt[5]: »Dem rassistisch motivierten Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion fielen mehrere Millionen sowjetische Kriegsgefangene zum Opfer. Dahinter stand ein klarer Vernichtungswille der Deutschen, der gegenüber den anderen Kriegsgefangenen nicht bestand. Deshalb ist es die historische Verantwortung der Bundesrepublik, dieses Verbrechen anzuerkennen und den noch wenigen Überlebenden eine einmalige Entschädigung zuzugestehen.« Dies haben auch Historiker untermauert[6].

Offenbar sieht das aber nicht nur Thomas Strobl anders. Wie der »Focus« weiter vorab meldet, hätten auch »andere Union-Politiker« im Gespräch mit dem Magazin darauf hingewiesen, »dass ein solcher Vorstoß eine unabsehbare Folgedebatte auslösen könnte«. Was mit unabsehbaren Folgen gemeint ist? Dass auch andere bisher nicht entschädigte Opfer des NS-Regimes ihre berechtigten Forderung geltend machen könnten. Beschämend, wie hier einmal mehr mit der Frage einer Wiedergutmachung umgegangen wird, die ohnehin zu spät kommt und angesichts des erfahrenen Leids allenfalls eine moralische Geste sein kann.

Absehbar ist jedenfalls: Stehen noch länger Leute wie Strobl auf der Bremse, wird von den ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen niemand mehr leben. Wer sich dann »ins Fäustchen lachen wird«?

Links:

[1] http://www.focus.de/magazin/kurzfassungen/focus-39-2014-streit-um-entschaedigung-sowjetischer-gefangener_id_4147429.html

[2] http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2013/45595106_kw26_angenommen_abgelehnt/213032

[3] https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2014/_02/_03/Petition_49326.html

[4] http://www.linksfraktion.de/reden/ehemalige-sowjetische-kriegsgefangene-verdienen-entschaedigung/

[5] http://www.gruene-undestag.de/parlament/bundestagsreden/2013/juni/sowjetische-kriegsgefangene_ID_4388895.html

[6] http://www.mdr.de/nachrichten/fakt_russische_kriegsgefangene100_zc-e9a9d57e_zs-6c4417e7.html

Quelle:

http://www.neues-deutschland.de/artikel/946604.die-ns-kriegsgefangenen-herr-strobl-und-die-krim.html