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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

23.09.2014

Zweireiher statt Springerstiefel

Die „Alternative für Deutschland“ als „rechtsradikale Partei neuen Typs“

Die Meldungen über personelle Überschneidungen der AfD, speziell in Sachsen, mit der extremen Rechten häufen sich gegenwärtig. [Christoph Giesa, „Der rechte Weg", http://www.theeuropean.de/christoph-giesa/8835-das-rechtsradikale-gesicht-der-afd#8835: 20.08.14], [z.B. „Aktivisten mit Neonazi-Hintergrund in der Sachsen-AfD", http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2014/09/09/aktivisten-mit-neonazi-hintergrund-in-der-sachsen-afd_16971: 09.09.14] Erste personelle Konsequenzen, wie den Rückzug des designierten Alterspräsidenten des Sächsischen Landtages, Detlev Spangenberg, hat die AfD bereits vollzogen. Zumindest für jene Mitglieder und Funktionäre der Partei, für die der Nachweis neonazistischer Aktivitäten vorliegt, hat der sächsische Parteisprecher Julian Wiesemann, selbst ehemaliges Bundesvorstandsmitglied der zur extremen Rechten zu zählenden Partei „Die Freiheit", Parteiausschlussverfahren angekündigt. Eine erste Analyse der AfD-Landtagskandidaten in Brandenburg durch den rbb [http://www.rbb-online.de/extra/landtagswahl-brandenburg-2014/beitraege/die-kandidaten-der-afd-brandenburg.html; 07.09.14; vgl. auch Konrad Litschko, „Nach außen hui, innen pfui", TAZ v. 11.09.14] zeigt, dass sich auch in diesem Bundesland etliche Aktivisten mit einer nachweisbaren Vergangenheit in Organisationen der extremen Rechten auf der Kandidatenliste, teils auf aussichtsreichen Plätzen, befinden. Björn Höcke, Spitzenkandidat der AfD in Thüringen, hat offenkundig starke inhaltliche und persönliche Affinitäten zu der „neu"rechten Strömung der „Identitären" [siehe den Beitrag „Alternative für Deutschland - Wie eine Partei immer stärker nach rechts kippt" in der Sendung „Monitor" v. 11.09.14, online verfügbar unter http://www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/videoalternativefuerdeutschlandwieeineparteiimmerstaerkernachrechtskippt100.html; Sendemanuskript unter http://www.wdr.de/tv/applications/daserste/monitor/pdf/2014/0911/manuskript-alternative-fuer-deutschland.pdf. Vgl. auch sein Interview „AfD als identitäre Kraft" für das „neu"rechte Online-Portal „Blaue Narzisse" (Teil I: hxxp://www.blauenarzisse.de/index.php/gesichtet/item/4820-afd-als-identitaere-kraft, Teil II: hxxp://www.blauenarzisse.de/index.php/gesichtet/item/4824-afd-als-identitaere-kraft-ii): als kritische Analyse dieser relativ neuen Erscheinung: Julian Bruns/Kathrin Glösel/Natascha Strobl, „Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa"; Münster: Unrast, 2104], die Beobachtungsobjekt etlicher Verfassungsschutzbehörden ist. Die Landesgeschäftsführerin der AfD im Mecklenburg-Vorpommern machte unlängst durch rassistische Äußerungen in sozialen Netzwerken von sich reden. [http://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Rassistisch-Vorwuerfe-gegen-Spitzenfrau-der-AfD,afd168.html

Solche Biografien, auch in relativer Häufung, deuten zunächst lediglich darauf hin, dass ehemals parteipolitisch heimatlose Anhänger der extremen Rechten nunmehr in den Inhalten der AfD oder zumindest Teilen davon deutlich Hinweise sehen, dass sie hier ihren politischen Kurs mit mehr Aussicht auf Erfolg fortsetzen können. Diese „Staubsaugerwirkung" der AfD auf das Potenzial der extremen Rechten führt gleichzeitig dazu, dass die NPD immer wieder diese unliebsame Konkurrenz besonders heftig angreift. [Vgl. z.B. den Wahlaufruf der Freundeskreise Udo Voigt für Thüringen; hxxp://wohin-deutscherechte.de/?p=1181. Hätte die NPD in Sachsen nur jene Stimmen erneut erhalten, die sie an die AfD verloren hat, wäre sie erneut in den sächsischen Landtag eingezogen.] Es ist auffällig, dass in Sachsen die AfD in den gleichen Regionen besonders gut, zum Teil mit zweistelligen Ergebnissen abgeschnitten hat, die auch weiterhin Hochburgen der NPD waren. Dies deutet darauf hin, dass in diesen Gebieten (Erzgebirge, Sächsische Schweiz, Oberlausitz) ein politisch-kulturelles Klima herrscht, welches durchaus den Erfolg zweier Parteien rechts von der Union ermöglicht, so diese eine unterschiedliche soziale Zielgruppe ansprechen können.

Entsprechende Vorwürfe einer Durchsetzung der Mitgliedschaft mit teils langjährigen Akteuren der extremen Rechten wehrt die AfD regelmäßig durch den Hinweis ab, es handele sich lediglich um wenige Einzelfälle, die Mitgliedschaften lägen lange zurück, es handele sich nicht um vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppierungen, wegen des starken Mitgliederzuwachses habe man nicht alle Neulinge so gründlich wie geboten überprüfen können. Alexander Gauland hält gar eine einschlägige ehemalige Mitgliedschaft für „unproblematisch". Er könne niemandem die Mitgliedschaft verweigern, „nur weil er für kurze Zeit Mitglied in einer rechten Partei war". [http://www.maz-online.de/Brandenburg/Landtagswahl-2014/Gauland-AfD-offen-fuer-fruehere-Rechtsextreme] Bei besonders drastischen Fällen wird allerdings angekündigt, demnächst Parteiausschlussverfahren gegen die fraglichen Personen einzuleiten. Intern hat die AfD längst erkannt, dass es sich um mehr als die behaupteten Einzelfälle handelt. Bei der Bundesvorstandssitzung der AfD am 18. Juli 2014 wurde das aus NRW stammende Vorstandsmitglied Marcus Pretzell beauftragt, „politisch einschlägig auffällige Mitglieder" im Landesverband Bayern für den Bundesvorstand „aufzubereiten". Der in einem dem Vorstand vorgelegten Papier kritisierte bayerische Landesvorsitzende konterte mit dem Vorwurf, der eingesetzte Kontrolleur Pretzell habe selbst ein rechtes Umfeld. [Ergebnisprotokoll zur Sitzung des Bundesvorstands am Freitag, den 18. Juli 2014 (Kassel), Anlage 5; online auf http://www.stesocom.de/; Beitrag v. 16.08.14: „AfD von Neo-Nazis durchtränkt!!!“] Insgesamt wird die Leitlinie ausgegeben, sich jener Mitglieder, die man selbst als problematisch erachtet bzw. wegen denen man sich angreifbar glaubt, möglichst „geräuschlos" zu entledigen.

In der Öffentlichkeitsstrategie der AfD wird zu diesem Vorwurf kommuniziert, es handele sich um eine perfide Strategie der „Altparteien" bzw. „Systemparteien" in Zusammenarbeit mit den - grundsätzlich als Feinde begriffenen - Medien, um die Partei mittels der „Nazi-Keule" zu prügeln. Die TAZ dagegen meint: „Die AfD hat es sich selbst eingebrockt. Zwar verteidigt sich die Partei mit ,Einzelfällen‘, die geprüft und unbegründet seien. Wenn diese Einzelfälle in Brandenburg aber die Hälfte der acht Spitzenkandidaten ausmachen, dann verfängt diese Abwehr nicht mehr. Und diese Leute sind keine Außenseiter, sondern mehrheitlich gewählt. Noch weniger hält die Argumentation, wenn die AfD-Vorderen selbst mit derben Sprüchen über Asylbewerber oder "kriminelle Ausländer” solches Personal erst anlocken." [Konrad Litschko, „Mehr als ,Einzelfälle“‘, TAZ v. 11.09.14, S. 6]

Selbststilisierung der AfD als Opfer

Selbststilisierung der AfD als Opfer

Jenseits der Schutzbehauptung von den angeblichen „Einzelfällen" zeichnet sich immer stärker ein anderer Trend ab. „Der Flügelkampf innerhalb der AfD scheint entschieden. Immer mehr liberale Mitbegründer der AfD verlassen die Partei resigniert oder finden sich parteiintern im Abseits. Für die extrem rechten Kräfte, die Parteichef Lucke in die Partei geholt hatte, fehlt inzwischen jedes Gegengewicht." [„Monitor", a.a,o.] Zu diesen gemäßigten Kräften, die der AfD inzwischen den Rücken gekehrt haben, zählen auch ehemals ranghohe Funktionärinnen und Funktionäre sowie Mitglieder, die in der Anfangsphase als Aushängeschilder benutzt wurden, um mittels ihrer Person und Funktion den Vorwurf der Rechtslastigkeit abzuwehren. So begründet die ehemalige niedersächsische AfD-Landesvorsitzende Martina Tigges-Friedrichs, ein ehemaliges Mitglied der FDP, ihren Schritt: „Für mich ist ein klarer Rechtsruck der Partei erkennbar, den ich nicht mittragen möchte. Es geht nicht mehr um konservative und liberale Positionen, sondern um erzkonservative und nationalistische. Bereits zur Europawahl im Mai hatte die AfD den praktisch gleichen Slogan wie die NPD plakatiert: "Wir sind nicht das Weltsozialamt!" Das fand ich unmöglich. Aber auch schon vorher hat es in mir gegärt. Seit Oktober 2013 war ich bei den Kolibris. Das ist ein loser Zusammenschluss der Konservativen und Liberalen in der AfD. Sie verstehen sich als Gegengewicht zu den - vorsichtig ausgedrückt - nationalen Kräften in der AfD, die sich in der sogenannten Patriotischen Front zusammengeschlossen haben. Aber wenn man bei Facebook verfolgt, wie enorm die Nutzerzahlen der Patriotischen Plattform im Unterschied zu den Kolibiris anwachsen, muss man irgendwann einsehen, das man verloren hat.“ [Martina Tigges-Friedrichs, http://www1.wdr.de/themen/politik/afd218.html; 11.09.14 und http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=na&dig=2014%2F09%2F16%2Fa0002&cHash=92697ba5a4e8a469b5c5db94dae80d2a; 16.09.14. Die Meldungen über Parteiaustritte eher liberaler gesinnter Funktionäre wegen des Rechtsrucks der Partei mehren sich gegenwärtig. So ist die ehemalige thüringische Landesvorsitzende Michaela Merz ausgetreten (http://www.heise.de/newsticker/meldung/Kritik-an-Rechtsruck-Netzpolitikerin-tritt-aus-AfD-aus-2391846.html), ebenso so der Fraktionsvorsitzende im Stadtrat von Münster, Richard Mol (http://www.muensterschezeitung.de/staedte/muenster/48143-M%FCnster~/Vorwurf-Rechte-Stroemungen-Ratsmitglied-Richard-Mol-tritt-aus-der-AfD-aus;art993,2485210)]

In diesem Zusammenhang muss hervorgehoben werden, dass die besagte „Patriotische Plattform“ wesentlich durch sächsische AfD-Funktionäre initiiert worden ist und in diesem Landesverband noch immer ihren personellen Schwerpunkt hat. So gehört der wegen seiner behindertenfeindlichen Äußerungen (vorläufig) in die zweite Reihe verbannte ehemalige stellvertretende sächsische Landesvorsitzende Thomas Hartung ebenso zu dieser Strömung wie der Leipziger Islamwissenschaftler Hans-Thomas Tillschneider, der herausgehoben am Entwurf des sächsischen Wahlprogramms gearbeitet hat, oder die beiden Leipziger Landtagskandidaten Felix Koschkar und Rechtsanwalt Roldand Ulbrich, die durch den Skandal um die Einladung des Österreichers Andreas Mölzer als Wahlkampfredner von sich reden machten. [Siehe dazu u.a. „Plattform für Rechtsaußen-Kontakte“, „Blick nach rechts“ v. 12.08.14; http://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/plattform-f-r-rechtsau-en-kontakte]

Horst Kahrs und Benjamin Hoff sehen in ihrer Analyse des Wahlergebnisses in Sachsen Orientierungen der Wähler_innenschaft, die sich „bisherigen Erkenntnissen nach am ehesten mit dem Milieu der Republikaner vergleichen lassen. Zu diesem Ergebnis kommen zumindest Beobachtungen sowohl von Forsa als auch der Wahlstatistik in Baden-Württemberg, wo die Partei sowohl 1992 als auch 1996 mit 10,9% bzw. 9,1% im Landtag saß. In den neuen Ländern gelang es der Schönhuber-Partei damals nicht, sich parlamentarisch zu etablieren - von ihrem Niedergang profitierte einerseits die NPD, die jedoch für den bürgerlichen Teil des Republikaner-Lagers unwählbar war. In diese seitdem bestehende Lücke stößt nun die AfD.“ [Benjamin Hoff/Horst Kahrs, Die Ergebnisse der Landtagswahl in Sachsen am 31. August 2014 - Wahlnachtbericht und Update der ersten Analyse von Horst Kahrs, S.7.f.] Soziologisch betrachtet, fehlte genau jener bürgerliche Teil, der den Kern der Klientel der REPublikaner in ihren Schwerpunktgebieten Bayern, Baden-Württemberg und Hessen ausmachte, in den ostdeutschen Bundesländern. Im Osten konnte die völkisch-soziale Propaganda der NPD eher wirken als die wohlstandschauvinistische der REPublikaner, auch wenn der Rassismus in beiden Argumentationsmustern zentrales Element war.

Die Trennungslinie, so folgerichtig Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstitute Forsa, „zwischen den beiden Lagern ist die soziale Schichtzugehörigkeit". Die Anhänger der AfD stammten „eher aus der Ober- und Mittelschicht mit relativ hohem Einkommen und entsprechend hoher Schulbildung, während Sympathisanten der rechtsextremen Parteien dagegen überwiegend aus den unteren sozialen Schichten mit geringem Einkommen und geringer Schulbildung kommen." [http://www.stern.de/politik/deutschland/forsa-analyse-wer-die-afd-waehlt-2115316.html; 04.06.2014] Zur Sozialstruktur der stellt er fest: „Die Anhänger der AfD kommen (...) vor allem aus einem bestimmten Segment der deutschen Ober- und Mittelschicht (26 und 53 Prozent). 55 Prozent haben Abitur und/oder studiert und beurteilen die Wirtschaftserwartungen pessimistisch, 44 Prozent verfügen über ein Haushaltsnettoeinkommen von 3000 Euro oder mehr. Vor allem Angestellte (62 Prozent) und Rentner (34 Prozent) finden Gefallen am eurokritischen Kurs der Partei, Selbständige (20 Prozent), Beamte (10 Prozent) und Arbeiter (8 Prozent) eher nicht. Männer stellen über zwei Drittel (69 Prozent) der AfD- Anhängerschaft, Frauen nur 31 Prozent. 24 Prozent sind Katholiken, 29 Prozent Protestanten und 47 Prozent konfessionslos. Meist sind sie verheiratet (57 Prozent) und leben in Orten mit einer Einwohnerzahl von unter 20.000 (42 Prozent). Als politisch rechts schätzen sich 28 Prozent der AfD-Sympathisanten ein, immerhin 17 Prozent als links, und 55 Prozent verorten sich in der Mitte." [ebd.] Nach der Europawahl und der öffentlichen Debatte über das gute Abschneiden der AfD bekomme die Partei nun offenbar auch Zulauf von Angehörigen der unteren Schichten, die bislang eher zur Wahlenthaltung tendierten. Wenn dies zutrifft, ist davon auszugehen, dass auch in den bisherigen Hochburgen der NPD die AfD von dieser vermehrt Anhänger abziehen wird.

Landtagswahl Sachsen: Wählerwanderung AfD

Die starken Überschneidungen zwischen der aktuellen Klientel der AfD und jener der REPublikaner in ihrer Erfolgsphase fasste das SPD-Fachorgan „Demokratische Gemeinde" damals in folgenden Hauptkategorien zusammen: die angepassten Neo-Nazis, die enttäuschten Wende-Wähler [Damit sind in diesem Fall Personen gemeint, die Anhänger der von Helmut Kohl zu Beginn der achtziger Jahre propagierten „geistig-moralischen Wende" waren und die nahezu bruchlose Fortführung der Politik der sozialliberalen Koalition durch ihn beklagten. Dieses Argumentationsmuster wird heute durch die AfD durch die Behauptung aufgegriffen, die Unionsparteien, besonders die CDU, seien „vollständig versozialdemokratisiert". Demnach besetzt die AfD einen freigegebenen Platz in der „Mitte", um dadurch einen Linkstrend in der Gesamtgesellschaft zu stoppen.], die statusbedrohten Mittelständler, die entfremdeten Kleinbürger, die autoritären jungen Arbeiter, die Opfer der Zwei-Drittel-Gesellschaft. [Karl-Heinz Klär u.a. (Hg.), „Sozialstruktur und Einstellungen von Wählern rechtsextremer Parteien“; Bonn: Demokratische Gemeinde, 1989 (Die Wähler der extremen Rechten III). Auch die damalige Feststellung, es handele sich bei den betreffenden Gruppierungen um „Männerparteien“, trifft auf die AfD zu.] In diesem Kontext kann es nicht erstaunen, dass die beiden Autoren Hoff/Kahrs zu dem Schluss gelangen, dass der Wahlkampf der AfD darauf angelegt gewesen sei, Personen, die gegen die herrschende Politik protestieren wollten, „ebenso zu gewinnen wie Stimmen aus dem Milieu von CDU, FDP und NPD." Weiter heißt es: „Zu diesem Zweck widmete sich das Wahlprogramm und der Wahlkampf der AfD denjenigen Themen, die im Spannungsfeld zwischen rechtskonservativ und rechtsextremistisch seit langer Zeit als Angstmacher en vogue sind.

Wie schon in der Vergangenheit, gab es auch im sächsischen Landtagswahlkampf Ähnlichkeiten bzw. Übereinstimmung bei den Wahlaussagen von NPD und AfD:

  • "Asylantenheime, nein danke” (NPD) und "Asylbewerberstrom reduzieren” (AfD).
  • „Keine Zuwanderung in die Sozialsysteme“ (NPD und AfD)

Darüber hinaus finden sich ... Forderungen aus dem Katalog der neuen und alten Rechten.“ [ebd., S.7] In der Analyse von Hoff/Kahrs folgt eine Reihe von Positionen der AfD, die seit langer Zeit zum Kernbestand der Ideologie der nicht-nazistischen extremen Rechten gehören, die auch als „Ideologien der Ungleichheit“ oder „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (Wilhelm Heitmeyer) charakterisiert werden können. Es sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf verwiesen, dass ein vorwiegend kulturell und religiös begründeter Rassismus zum Kernbestand des Gedankenguts der AfD gehört.

Alexander Gauland, Spitzenkandidat der AfD in Brandenburg bei der Landtagswahl, insistiert dagegen begreiflicherweise, seine Partei sei vorwiegend eine Protestpartei. Im Interview mit dem „Handelsblatt“ zieht er aufschlussreiche Vergleiche: „Die NPD ist mit ihrer Nähe zur Nazi-Zeit für viele, die einen Denkzettel austeilen wollen, unwählbar. Und die Piraten vermitteln Botschaften, mit denen die Menschen überwiegend nichts anfangen können. Netzpolitik interessiert eben nicht jeden. Das reicht nicht, um als Protestpartei profitieren zu können. Und die NPD ist zu igittigitt. Da bleibt nur noch die AfD.“ [http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/landtagswahlen-2014/interview-mit-alexander-gauland-die-npd-ist-zu-igittigitt-da-bleibt-nur-noch-die-afd/v_detail_tab_print/10674354.html; 10.09.14] Ungewollt verortet er damit selbst die AfD als „NPD light“, nämlich als Partei mit den gleichen Inhalten, die jedoch moderater vorgetragen werden und bei denen der offene positive NS-Bezug fehlt. Manfred Güllner jedenfalls bestreitet die Eigencharakterisierung als „Protestpartei“. Die AfD werde „gewählt von einem Milieu, das man als rechtspopulistisch bis rechtsradikal identifizieren kann.“ Der Forsa-Chef schätzt, dass etwa zehn Prozent der Wähler für ein „solches Weltbild anfällig“ seien. „Die gehen zeitweilig entweder gar nicht wählen oder parken ihre Stimmen bei anderen Parteien, auch, aber nicht nur, bei der Union - bis es wieder eine für sie attraktive Partei auf der rechten Seite gibt.“ [http://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/umfragen/id_70962832/forsa-chef-manfred-guellner-afd-waehler-sind-rechtspopulistisch-bis-rechtsradikal-.html; 10.09.14] Die AfD sei nach der Sachsen-Wahl salonfähig geredet worden.

Helmut Kellershohn vom renommierten Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung sieht es als „Kuriosum“, dass „Identitätspolitik“ ein eigenständiges Thema im Wahlprogramm der sächsischen AfD gewesen ist. „Zum einen wird die (auf die Region bezogene) »Landesidentität«, zum anderen die »Nationalidentität« beschworen. Wer diese nicht hat, neigt erstaunlicherweise zum Extremismus. Schuld an diesem ist also die mangelnde Identifikation mit dem Land, in dem man lebt. Dagegen helfe z.B. ein Geschichtsunterricht, dessen »deutlicher Schwerpunkt« im 19. Jahrhundert liegen soll (1813, 1848, 1871). Das »Absingen der Nationalhymne bei feierlichen Anlässen« sollte »selbstverständlich« sein. Empfohlen werden »weniger Anglizismen« und »mehr deutschsprachige Titel« in Rundfunk und Fernsehen. Gleichzeitig wendet man sich gegen Sprachregelungen und politische Vorgaben bezüglich »Gender- und Gleichstellungsideologie«. Insgesamt also ein Plädoyer für eine staatlich gelenkte nationalistische Medienpolitik.“ [Helmut Kellershohn, „Konservative Volkspartei“, Junge Welt v. 06.09.2014, S.10. Online abrufbar unter http://www.jungewelt.de/2014/09-06/021.php]

Er betont gleichzeitig, dass die AfD in diesem Prozess nicht ausschließlich Subjekt sei, sondern ebenso Objekt der strategischen Planung der Exponenten der antidemokratischen jungkonservativen Richtung der „Konservativen Revolution“ sowie der Identitären. Es sei hervorgehoben, dass sich auch in Sachsen etliche Vertreter dieser Strömung der extremen Rechten finden (z.B. Felix Koschkar aus Leipzig oder Gordon Engler aus Dresden), die diesen Prozess nach Kräften zu fördern suchen. Entsprechend sieht Helmut Kellershohn neben einer „Politik für den Mittelstand“ im Sinne des Nationalliberalismus und einer Orientierung an christlichen Werten „mit einer traditionalistischen bis fundamentalistischen Prägung“ in der „völkischen Ideologie“ den dritten Eckpunkt der Programmatik der AfD, diese jedoch „nicht im Sinne der alten völkischen Bewegung, sondern in einem modifizierten Sinne, nämlich vermittelt über die jungkonservative Lesart des völkischen Nationalismus, die bei aller Betonung der »ethnischen Kontinuität« als Basis der Nation stärker das willentliche, subjektive Element hervorhebt.“ [ebd.] Kellershohn beschreibt damit das Ergebnis eines Modernisierungsprozesses der Ideologie der extremen Rechten.

Die Zentralität dieses Themenkomplexes unterstreicht der AfD-Mitbegründer und Vorsitzende der „Konservativen Avantgarde“, Martin E. Renner in seinem jüngsten Artikel mittels einer Negativbeschreibung: „Grundlagen der Bestandsaufnahme der politischen Realität in Deutschland und die Feststellung der Verstöße gegen die eigene - deutsche - Identität waren und sind: Abwendung der etablierten Politik vom Rationalen. Vermoralisierung der Politik. Selbstüberforderung. Verzicht auf nationale Selbstbestimmung. Verzicht auf entschlossene Selbstbehauptung und auf Selbstbewahrung. Verzicht auf Selbstbewusstsein. Kultivierung und Instrumentalisierung von Angst. Zerrüttung des Bürgerlichen, der Familie und der gesellschaftlichen Normativität.“ [Martin E. Renner, „Die programmatische Agenda und politische Vision der AfD“; hxxp://www.blu-news.org/2014/09/10/die-programmatische-agenda-und-politische-vision-der-afd/; 10.09.14]

Die unlängst durch Anonymus Österreich öffentlich gemachten Dokumente [online unter https://twitter.com/AnonAustria] der so genannten Landesfachausschüsse der sächsischen AfD, die der Vorbereitung der Verabschiedung des Landtagswahlprogramms dienen sollten unterstreichen nachdrücklich, dass - wie bei jeder anderen politischen Organisation auch - eine Untersuchung der öffentlichen Programmatik der betreffenden Formation nicht hinreicht, um zutreffende Aussagen zu ihrer Ideologie zu treffen. Zwar verweist die AfD berechtigt darauf, dass beispielsweise einige behindertenfeindliche Passagen nicht in das Programm übernommen worden seien, doch erfolgte die Streichung lediglich aus taktischen Erwägungen. Hinter dem gestrichenen Passus hießt es aufschlussreich: „Das ist vermintes Gelände.“ Man scheute also vor allem ein mögliches negatives Medienecho. Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass neben dem Themenfeld „Bildung“ der Komplex „Bürgerrechte und Datenschutz“ mit 16 Prozent die geringste Bedeutung für die Wählerschaft der AfD hat. An den „Programm-Thesen der AG Innere Sicherheit“ haben allerdings gleich mehrere Landtagskandidaten, darunter mit dem jetzigen Landtagsabgeordneten Sebastian Wippel und Jens Kuprat zwei Polizeibeamte, mitgearbeitet. Auch Co-Autor Hendrik Seidel, stellvertretender Vorsitzender des Kreisverbandes Mittelsachsen, ist Beamter. Der berufliche Hintergrund wird an dieser Stelle betont, da das Ergebnis ihrer Arbeit das Sächsische Landesamt für Verfassungsschutz erstmals zu einer öffentlichen Äußerung über die AfD veranlasste. Der Sprecher des sächsischen Geheimdienstes, Martin Döring, stufte „Teile der Dokumente als verfassungswidrig ein“. „Radio Mephisto“ berichtete am 4. September: „Bedenklich sei vor allem die Überlegung den deutschen Telekommunikationsverkehr zur Gefahrenabwehr abzuhören. Der Verfassungsschutz sieht eine Passage über eine stärkere Telefonüberwachung kritisch, weil darin das Recht auf informationelle Selbstbestimmung angegriffen werde." und zitierte Döring wörtlich: „Nur in ganz engen Grenzen darf ja in dieses Grundrecht eingegriffen werden, und wenn Personenzusammenschlüsse meinen, dieses Recht spielt keine Rolle mehr, dann wird ein elementares Grundrecht, ein elementares Menschenrecht infrage gestellt. Derzeit sei die AfD allerdings noch nicht Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes, so Döring. Würden diese Vorschläge aber weiter verfolgt werden, könnte die AfD unter Beobachtung fallen. [http://mephisto976.de/news/45206; 04.09.14]

Auch der Vorstand der Leipziger Strafverteidiger e.V. meldete sich zum gleichen Thema mit einer mehrseitigen Stellungnahme zu Wort. Er sieht in den Forderungen der Positionspapiere „einen massiven Angriff auf den Rechtsstaat und die grundgesetzlich garantierten Rechte jedes Bürgers" und einen „eklatanten Widerspruch zu den Grundprinzipien des deutschen Strafrechts". Wörtlich weiter: „Die Forderung nach einer stärkeren, insbesondere verdachtsunabhängigen und präventiven Überwachung lässt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes (Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz) nur noch als reine Makulatur erscheinen und stellt quasi dessen Abschaffung dar." Andere Forderungen seien „unvereinbar mit den Prinzipien eines Rechtsstaates". [Stellungnahme der Leipziger Strafverteidiger e.V. v. 08.09.14; http://www.leipziger-strafverteidiger.de/stellungnahmen/]

Warum haben Sie die AfD gewaählt?

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass zumindest im Freistaat Sachsen die AfD alle Kriterien erfüllt, die nach wissenschaftlichen Standards erforderlich sind, sie in die Kategorie „extreme Rechte" einzuordnen. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass alle ihre Positionen undemokratisch sind. Das bedeutet ebenfalls nicht, dass alle ihre Mitglieder oder gar Wähler so einzuordnen sind. Aber diese Einschränkungen gelten selbst für eine Partei wie die NPD. Allerdings haben Personen aus dem Landesvorstand, aus den Reihen der Landtagsabgeordneten, der Funktionäre und der Mitgliedschaft einen biografischen Vorlauf in Gruppierungen der extremen Rechten bis hin zu neonazistischen Organisationen. Der Wahlkampf zielte zu einem relevanten Teil auf bisherige Wählerinnen und Wähler der NPD. Die tatsächlich erreichte Wählerschaft ähnelt stark jener der REPublikaner in deren Erfolgsphase, in der sie noch von den Behörden als „rechtsextremistisch" eingestuft wurden. Die Programmatik weist starke Überschneidungen bis hin zu passagenweisen Übereinstimmungen mit beispielsweise jener der NPD auf. Die Äußerungen von Martin Döring müssen als erster offizieller Warnschuss in Richtung AfD gewertet werden.

Als Landesverband Sachsen der LINKEN haben wir deshalb in unserem Wahlprogramm für die Landtagswahl folgerichtig formuliert: „Im Kampf für ein menschenwürdiges Leben aller Einwohnerinnen und Einwohner Sachsens setzt sich DIE LINKE.Sachsen konsequent gegen menschenverachtende Denkmuster wie Antisemitismus, Nationalismus und andere diskriminierende Einstellungen ein. Menschenfeindliches Denken und Handeln ist in allen Altersgruppen und allen gesellschaftlichen Bereichen vorhanden. Dagegen anzugehen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die sich durch verschiedene Politikfelder zieht. Wir erachten die umfassende Ächtung der extremen Rechten als eine vordringliche Aufgabe, die nicht allein mit der Bekämpfung der NPD erledigt ist. Daher richten wir uns gegen jede Form von Diskriminierung anders lebender, aussehender oder liebender Menschen und streiten für deren Akzeptanz und die Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens." [„Besser leben in Sachsen“, Landtagswahlprogramm 2014, S.43] Unzweifelhaft trifft diese Zuschreibung „menschenverachtende Denkmuster" mindestens auf die sächsische AfD zu, wobei deutliche Tendenzen dazu auch in anderen - vorwiegend den ostdeutschen - Landesverbänden ausgemacht werden können. Es wird genau zu beobachten sein, in welche Richtung sich die programmatischen Tendenzen der AfD nach den Erfolgen bei den Landtagswahlen in Thüringen und besonders in Brandenburg entwickeln. Es kann dann auch nicht bei der mehr oder weniger resignierten Feststellung bleiben, dass und wieviele Wählerinnen und Wähler von der LINKEN zur AfD gegangen sind. Es gilt vielmehr, diese Klientel, ihre soziale Zusammensetzung und ihre Positionen genauer zu untersuchen.

Wenn „die umfassende Ächtung der extremen Rechten als eine vordringliche Aufgabe" angesehen wird, dann verbietet sich selbstverständlich jegliche Kooperation mit den betreffenden Gruppierungen in jeglicher Form und auf allen Ebenen. Dann sind inhaltliche Aussagen notwendig, die die Distanz und deren Begründung von einer Formation wie der AfD für unsere Mitgliedschaft und unsere Anhänger_Innen deutlich machen, die geeignet sind, bisherige Wählerinnen und Wähler der AfD von dieser Partei zu entfremden und sie in den Bereich demokratischer Politik zurückzuführen. Dann ist eine Medienstrategie unerlässlich, die immer wieder aufzeigt, dass die AfD keine demokratische Alternative ist und die dies begründet. Jede Maßnahme, die die gesellschaftliche Akzeptanz der AfD erhöht, ist in diesem Sinne kontraproduktiv. Wir werden und wollen nicht verhindern, dass die AfD gelegentlich Anträgen von uns zustimmt, ob nun in Kreistagen oder im Landesparlament. Umgekehrt wird es unsere - sicherlich nicht immer leichte - Aufgabe sein, Anträge dieser Partei zu einem bestimmten Thema in den Gesamtkontext ihrer Programmatik zu stellen und damit unsere Ablehnung zu begründen. Selbstverständlich darf der AfD dabei keine Gelegenheit gegeben werden, mit ihrer Selbststilisierung als Opfer der anderen zu arbeiten.

Für uns als LINKE war und ist es selbstverständlich, keinen Abbau der Demokratie zu unterstützen. Auch dann nicht, wenn sich dieser gegen Feinde der Demokratie richtet. Wir sind gegen eine Ausgrenzung der AfD in dem Sinne, dass ihr unserer Ansicht nach selbstverständlich alle parlamentarischen Rechte und Pflichten zustehen. Wir sind für eine Ausgrenzung der AfD in dem Sinne, dass wir immer wieder deutlich machen müssen, dass ihre Positionen (teilweise) außerhalb des demokratischen Minimums angesiedelt sind. Als Landesverband Sachsen der LINKEN sehen wir uns dabei besonders in der Pflicht, da der Freistaat gleichsam als Laboratorium für die gefährlichen Tendenzen in der AfD dient und er zudem einen Schwerpunkt dieser Partei darstellt. Wir sollten deshalb unsere Mitglieder und Anhänger in geeigneter Form auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD vorbereiten.

Deutlich überdurchschnittlich wurde die AfD sowohl in Brandenburg wie auch in Thüringen von Männern gewählt. Hier ist festzustellen, dass es sich wesentlich um solche Männer handeln dürfte, die für traditionelle Geschlechterrollen stehen und in jeglicher Form von Feminismus eine Bedrohung sehen. Das „Feminismus-Bashing" der AfD sei, so die TAZ, „mittlerweile endemisch geworden" und kommentiert: „Mit der AfD ist der kämpferische Antifeminismus in der Demokratie angekommen. (...) Der Spitzenkandidat der AfD in Thüringen, Björn Höcke, sagte der Thüringer Allgemeinen: ,Schädliche, teure, steuerfinanzierte Gesellschaftsexperimente, die der Abschaffung der natürlichen Geschlechterordnung dienen, zum Beispiel das Gender-Mainstreaming, sind sofort zu beenden.‘ Kinder sollten wieder ,verstärkt in der Familie erzogen werden‘: ,Die klassische Familie ist wieder zum Leitbild zu erheben‘" [https://www.taz.de/Debatte-Maennerpartei-AfD/!146090/; 17.09.14, vgl. dazu Andreas Kemper, „Keimzelle der Nation? Familien- und geschlechterpolitische Positionen der AfD - eine Expertise", Friedrich-Ebert-Stiftung 2014, online unter http://library.fes.de/pdf-files/dialog/10641-20140414.pdf] Sowohl das Wahlverhalten als auch die Positionen entsprechen älteren Analysen zu Parteien der extremen Rechten. [Vgl. z.B. Joachim Hofmann-Göttig, Die neue Rechte: die Männerparteien; Bonn: Demokratische Gemeinde, 1989] In dieses Bild passt der Umstand, dass die Alterskohorten jüngerer Menschen in der AfD-Wählerschaft überproportional repräsentiert sind. Lediglich die Altersgruppe über 60 Jahren verhindert noch schlimmere Ergebnisse.

Landtagswahl Thüringen: Ansichten AfD-Wähler

Während Angestellte und Beamte nur leicht überdurchschnittlich AfD wählen, liegen eindeutige Schwerpunkte bei den Selbständigen und den Arbeitern. Bei letzterer Gruppe ist zumindest die Frage berechtigt, ob wir in unserer Wahlstrategie nicht unsere Kernzielgruppen vernachlässigt haben. Allerdings muss bei den AfD-wählenden Arbeiterinnen und Arbeitern darauf hingewiesen werden, dass es sich bei ihnen nach den vorliegenden Zahlen kaum um prekär Beschäftigte oder solche mit gefährdeten Arbeitsplätzen handeln dürfte, denn - so titelt der rbb: „AfD-Wähler sind weder arm noch alt". Ein hoher Anteil an Eigenheimbesitzern sei kennzeichnend für die AfD-Hochburgen [http://www.rbb-online.de/extra/landtagswahl-brandenburg-2014/beitraege/afd-wahlerfolg-brandenburg-waehler-analyse.html; 15.09.14, die komplette Analyse online unter: https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/Publikationen/Stat_Berichte/2014/SB_B07-02-22_2014j05_BB.pdf]. Und umgedreht: „Die AfD ist dort stark, wo besonders wenige Leute Hartz IV beziehen. Und das spricht klar für eine eher gut gestellte Wählerschaft." [ebd.] In Verbindung mit dem Umstand, dass die AfD besonders stark in den grenznahen Regionen zu Polen abgeschnitten hat, in denen ihr Wahlkampf stark auf die so genannte „Grenzkriminalität" fokussiert war, liegt der Verdacht nahe, dass ein beträchtlicher Teil der Klientel der AfD als Wohlstandschauvinisten charakterisiert werden kann. Auch hierin liegt eine Übereinstimmung mit den REPublikanern in ihrer Erfolgsphase. [vgl. z.B. Josef Held/Hans Horn/Rudolf Leiprecht/Athanasios Marvakis: „Du musst so handeln, dass du Gewinn machst...“ - Empirische Untersuchungen und theoretische Überlegungen zu politisch rechten Orientierungen jugendlicher Arbeitnehmer; Dortmund, 1991 (DISS-Texte 18)] Wenn denn von einer Protestwahl in diesem Kontext gesprochen werden kann, sollte zugleich darauf verwiesen werden, dass es sich nicht um einen Protest wirtschaftlich schlechter gestellter Personen handelt, sondern um einen Protest Bessergestellter, die ihren Besitz - um jeden Preis - gegen scheinbare Angriffe und Bedrohungen wahren wollen. Der Sozialwissenschaftler Dierk Borstel fasst zusammen: „Alle eint die Sehnsucht nach einer heilen Welt mit weniger Vielfalt, klaren Grenzen, weniger Abhängigkeiten und einem ökonomisch starken Nationalstaat. Die Globalisierung mit ihren kulturellen, sozialen und ökonomische Folgen ängstigt sie alle. Der Wohlstand soll nicht an Externe verteilt werden." [Dierk Borstel, „Der Aufschwung der AfD - europäische Normalität?", http://www.netz-gegen-nazis.de/artikel/der-aufschwung-der-afd-europ%C3%A4ische-normalit%C3%A4t-9696; 15.09.14] Diese Einschätzung teilt unter anderen Vorzeichen auch Dieter Stein, Chefredakteur des rechten Wochenblattes „Junge Freiheit", das inzwischen als eine Art inoffizielles Parteiorgan der AfD gelten kann, wenn er schreibt: „Die AfD schafft es, als „Partei des gesunden Menschenverstandes" auch sozialdemokratische und linke Wähler zu gewinnen, denen die Aufgabe nationalstaatlicher Souveränität im Zuge der Euro-Rettung, unkontrollierte Einwanderung in die Sozialsysteme, die Zerstörung der Familie, das Schleifen des deutschen Schulsystems, lasche Justiz und kaputtgesparte Polizei nicht gleichgültig sind." [Dieter Stein, „Neues Kräftetrapez der Berliner Republik"; hxxp://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2014/neues-kraeftetrapez-der-berliner-republik/; 14.09.14]

Landtagswahl Brandenburg: Ansichten AfD-Wähler

Es stellt sich also die Frage, ob es tatsächlich sinnvoll und erfolgversprechend ist zu versuchen, diese von der LINKEN zur AfD gewechselten Wähler zu umwerben mit dem Ziel sie zurückzuholen. Wahrscheinlicher ist es wesentlich angebrachter, die Ursachen für die Abwendung von der LINKEN hin in das Lager der Nichtwählenden zu untersuchen und Konzepte für die Rückgewinnung dieser, nebenbei bemerkt zahlenmäßig deutlich stärkeren, Gruppe zu erarbeiten. Wenn die AfD in Thüringen nach ersten Analysen [http://www.spiegel.de/politik/deutschland/waehlerwanderung-in-thueringen-und-brandenburg-afd-wildert-bei-allen-a-990951.html] 16.000 bisherige Wählerinnen der LINKEN für sich mobilisieren konnte und in Brandenburg mit 20.000 gewonnenen Stimmen von uns sogar den größten Zufluss von allen anderen Parteien verzeichnen konnte, muss dies trotzdem als geradezu dramatisch eingeschätzt werden. Trotzdem sei eine Revitalisierung des Extremismus-Dogmas unsinnig, meint Lenz Jacobsen, denn die AfD sei nicht links, sondern eben „deutlich rechts". Er verortet das Problem der LINKEN mit der AfD wesentlich in den neuen Bundesländern, denn „die Linkspartei (ist) im Osten viel weniger links als im Westen, vielerorts eher eine strukturell konservative Volks- und Regionalpartei." [Lenz Jacobsen, „22 Angreifer von rechts“; http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-09/alternative-fuer-deutschland-brandenburg-thueringen/komplettansicht; 15.09.14] Liegt Jacobsen mit seiner Behauptung richtig, wäre dies ein weiterer Erklärungsfaktor für eine Verschiebung der Wahlentscheidung von der LINKEN zur AfD.

Die drei Landtagswahlen der letzten Wochen haben - trotz des erfreulichen Abschneidens der LINKEN in Thüringen - eine deutliche Rechtsverschiebung des politischen Koordinatensystems zur Folge gehabt. Die ersten Erfolge auf Landesebene können ausgerechnet jene Landesverbände der AfD verbuchen, die am deutlichsten rechts zu verorten sind. Das intellektuelle Umfeld der Partei geht davon aus, dass dadurch der rechte Parteiflügel noch zusätzlich gestärkt werden wird. So schreibt Götz Kubitschek vom „neu"rechten „Institut für Staatspolitik": „Der dritte Grund der Freude liegt in einem partei-inhärenten Umstand begründet. Durch die Siege in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist der dezidiert konservative Flügel der AfD zu einem mächtigen Faktor geworden. Der liberalere Westen mag mitgliederstärker sein: Das erste Handbuch für ein Leben in parlamentarischer Opposition und die erfolgserprobte Anleitung für den Sprung ins Parlament werden aus dem Osten kommen. Von den Konservativen lernen heißt: Siegen lernen. Unbedingt." [Götz Kubitschek, „Die AfD, der Osten und der liberale Flügel“; hxxp://www.sezession.de/46403/die-afd-der-osten-und-der-liberale-fluegel.html/print/; 16.09.14] Fast schon resigniert kommentiert angesichts dieser Situation Thies Marsen im „Bayerischen Rundfunk": „Nun steht zu befürchten, dass der Erfolg der AfD das bewirken wird, was Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre der zeitweilige Erfolg der Republikaner (REP) bewirkte: Dass die etablierten Parteien, aus Angst vor Stimmverlusten, in den Wettstreit der Niedertracht eintreten werden. (...) 20 Jahre später polemisieren auch sogenannte bürgerliche Politiker wieder gegen „Armutsflüchtlings" und „Einwanderung in unsere Sozialsysteme", sollen die Rechte von Flüchtlingen wieder beschnitten werden. (...) Schön, wenn Parteien wie die NPD nicht im Parlament sitzen. Doch Neonazis sind deshalb nicht aus der Welt. Und um rassistische Politik zu machen, braucht man ohnehin keine NPD, auch der „Extremismus der Mitte" kann tödliche Folgen haben." [Thies Marsen, „Back to the 90s“; http://www.br.de/nachrichten/rechtsextremismus/rechtsextremismus-extremismus-kolumne-neonazis-ostdeutschland-100.html; 16.09.14]

Uns ist es, neben anderen Fehlern selbstverständlich, nicht gelungen, den Wählenden deutlich zu machen, dass und warum die AfD keine Alternative für Menschen sein kann, die eine demokratische und soziale Politik wollen. Ein solches Unterfangen kann nicht erst mit Beginn des Wahlkampfes eingeleitet werden. Es wäre zu billig, die Verantwortung für diesen Mangel ausschließlich den beiden jetzt betroffenen Landesverbänden zuzuschieben. Es ist nüchtern festzustellen, dass wir seit Gründung der AfD es nicht verstanden haben, eine konsistente Strategie gegen diese neue politische Formation zu erarbeiten. Dies hätte spätestens nach der Bundestagswahl eingeleitet werden müssen. Das damalige knappe Ergebnis machte einen Erfolg bei den Europawahlen wahrscheinlich. Auch danach wurde nicht reagiert, obwohl nach den regionalen Resultaten absehbar war, dass ein Einzug in den sächsischen Landtag erfolgen würde. Auch dass das Ausmaß des Erfolges vom 31. August die Zugewinne in Thüringen und Brandenburg noch weiter steigern würden, war eine logische Konsequenz. Diese mangelnde Strategie der Bundesebene findet ihre Entsprechung auf der Landesebene. Ohne Schuldzuweisung an andere stellen wir für Sachsen fest, dass die Erarbeitung eines Maßnahmenbündels zur Bekämpfung der AfD auch nicht ansatzweise erfolgt ist, sogar Öffentlichkeitsarbeit gegen die AfD bewusst unterblieben ist. Wir schlagen deshalb als erste Konsequenz aus den zurückliegenden Wahlen vor, eine Arbeitsgruppe aus Mitgliedern des Bundesvorstandes und aus den bisher betroffenen Landesverbänden zu bilden, die gegebenenfalls um externen Sachverstand verstärkt wird, die bis Anfang 2015 Positionen der LINKEN zur AfD sowie Möglichkeiten ihrer Zurückdrängung erarbeitet. Die Arbeitsergebnisse werden anschließend im Bundesvorstand diskutiert, Arbeitsschritte so schnell wie möglich eingeleitet.

Grimma, den 18. September 2014 

Kerstin Köditz/Volkmar Wölk