18.09.2014 »Krieg mit oder ohne Piloten an
Bord« Ein
Gespräch von Gitta Düperthal mit Ulrich Sander (Junge
Welt vom 18. Sept, 2014) Ulrich
Sander ist Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten
(VVN-BdA). Bereits 1960 hat er am ersten Ostermarsch teilgenommen.
Für den offiziellen deutschen Nationalfeiertag am 3. Oktober
ruft die nordrhein-westfälische Friedensbewegung zu einer
Protestdemo zum »Zentrum Luftoperationen« in Kalkar
auf. Dort baut die NATO zur Zeit ihre Kriegsführungszentrale
aus. In welchem
Ausmaß? Das Luftkriegszentrum der NATO ist
operativ tätig. Erstens: Diese Leitstelle arbeitet jetzt
daran, Eurofighter und AWACS-Flugzeuge ganz nah an die russische Grenze
heranzuführen. Kalkar/Uedem soll zudem einen Kampfdrohnenkrieg
in aller Welt ermöglichen. Seit 2012 sind dort 1000 Fachleute
des Tötens stationiert worden, die jetzt noch um 600
aufgestockt werden. Sie dirigieren Eurofighter auch über
deutschem Luftraum. Um die Abwehr angeblicher russischer Invasoren zu
organisieren, so die offizielle Propaganda. Von Kalkar aus leitet die
NATO Manöver, die seit April 2014 in baltischen
Ländern stattfinden. Zweitens: Ein Thinktank veranstaltet dort
theoretische Übungen und Konferenzen. Dort
beschäftigt man sich intensiv damit, wie ein dritter, mit
Luftwaffen zu bestreitender Weltkrieg führbar wäre.
Anfang Oktober wird sich dort das Militär treffen, um sich mit
der Digitalisierung der Kriegsführung zu befassen: Sie wollen
unbemannte technische Systeme einbeziehen und bezeichnen dies als
»Revolution der Kriegstechnologie«. Geplant
ist auch die Anschaffung von Kampfdrohnen, die von dort aus eingesetzt
werden sollen – im Rahmen eines
»Raketenabwehrschirms«, der von der NATO gegen
Rußland aufgebaut wird, so die offizielle Sprechweise.
Ursprünglich war beschlossen, den »Schirm«
in Polen und Tschechien aufzubauen. Aus welcher Quelle stammt ihr
Wissen über die NATO-Pläne? Wir
haben keine Spione der Friedensbewegung platziert. Einiges wissen wir,
weil wir aufmerksam das Material der Bundeswehr lesen. Anderes haben
wir aus kleinen, spärlichen Meldungen, mitunter in
Lokalzeitungen. Die Presse wertet kaum Bundeswehrdokumente aus. Die
VVN-BdA empfiehlt dazu aber eine eigene Broschüre mit dem
Titel: »Mordbefehl vom Niederrhein. Kriegsführung
des 21. Jahrhunderts – von Kalkar aus gesteuert«. Vom zwölften bis zum
23. Mai übte die Bundeswehr von Kalkar aus ganz praktisch. Die
Übung hieß JAWREX 2014, ein Kürzel aus dem
Englischen, das soviel wie Vereinte taktische Luftkriegsübung
bedeutet … Die Kriege der Zukunft sind
solche in der Luft, ob mit oder ohne Piloten an Bord. Über
4000 Soldaten und Offiziere mit 100 Flugzeugen nahmen an der
Übung teil. Ihr Einsatzgebiet: Mecklenburg-Vorpommern, nur
wenige hundert Kilometer von der Ukraine entfernt. Hinzu kamen noch die
rund 800 »Experten«, die von der Leitstelle in
Kalkar/Uedem am Niederrhein aus die Übung kommandierten. Die
Amerikaner haben den Hut auf, NATO und Bundeswehr machen mit. Wie schätzen Sie die
Gefahr eines Krieges gegen Rußland ein? Die
VVN-BdA beunruhigt insbesondere, daß in der Ukraine
Faschisten an der Regierung sind, denen die NATO Einfluß
gewährt. Sind
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister
Frank-Walter Steinmeier (SPD) Kriegstreiber oder von der NATO
Getriebene? Beides. Die Zeiten, als Merkel und
Steinmeier sich besorgt über NATO-Generalsekretär
Anders Fogh Rasmussens wahnsinnige Rhetorik
äußerten, sind vorbei. Seit dem NATO-Gipfel sind sie
auf seinen Kurs eingeschwenkt. Leuchtet irgendwo aus der Ukraine und
Rußland ein kleines Zeichen der Entspannung auf, mahnt sofort
die NATO, den kalten Krieg fortzusetzen. Sie stört bei jeder
möglichen Verhandlungslösung zwischen Kiew und
Moskau. Was
fordert die Friedensbewegung konkret am 3. Oktober in Kalkar? Wir
fordern, das dortige NATO-Luftwaffenhauptquartier zu
schließen, am Standort ein Konversionsprogramm einzurichten,
weder Kampfdrohnen noch Ersatz dafür anzuschaffen –
und atomare Aufrüstung zu stoppen. An die Friedensfreunde
haben wir ein Anliegen: Kalkar ist abgelegen. Wer sich an unserem
Protest beteiligen will, sollte Fahrgemeinschaften bilden.
Daß Gewerkschaften Busse organisieren, ist leider
Zukunftsmusik: Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat
Zivilangestellte der Bundeswehr in ihren Reihen, die ihr Veto einlegen.
Die IG Metall nimmt Rücksicht auf Mitarbeiter der
Rüstungsindustrie. http://www.jungewelt.de/2014/09-18/054.php Siehe auch: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20774 |